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Gemobbte Flüchtlingshelfer | Manuskript
Gemobbte Flüchtlingshelfer
Bericht: Thomas Datt, Alexander Ihme
Erika Kradepohl ist heute auf großer Möbel-Tour und kann alles gebrauchen. Sie sammelt für
Asylbewerber im thüringischen Gerstungen und Umgebung. Seit einem Jahr schleppt sie mit
ihrem Helfer Ergün Schränke und Tische aus deutschen Kellern.
Erika Kradepohl, Gerstungen
„...uh hui langsam...“
Die Rentnerin und ehemalige Gastwirtin sieht das als ihre Vollzeitaufgabe.
Erika Kradepohl, Gerstungen
„Den ganzen Tag. Ich bin keine ehrenamtliche Helferin, ich bin ehrenamtliche Arbeiterin.
Ich gehe morgens um sieben aus dem Haus und komme abends acht Uhr nach Hause.“
In Thüringen bekommt sie kaum Möbel, deshalb fährt sie hierher nach Hessen. Nicht nur,
dass sie dabei oft an ihre Leistungsgrenze gerät, zu Hause fragen sie sich, ob Erika nichts
Besseres zu tun hat.
Erika Kradepohl, Gerstungen
„Man wird dann als sogenannter Gutmensch dann dargestellt. Ich empfinde das als
Schimpfwort, ja. Und sowas hört man auch? Ja, na klar.“
Weiter geht es nach Bad Hersfeld. Auch wenn der Anhänger fast schon voll ist.
Erika Kradepohl, Gerstungen
„Hallo , liebe Hilde. Moin. Moin. Moin. Jetzt pass mal auf. Ich hab schon was im Anhänger
drin. Hattest Du nicht gesagt, du hast auch zwei Fernseher?
Die stehen hier.
Die nehme ich dann auf jeden Fall mit.“
Erika Kradepohl weiß, scheinbar antiquierte Geräte sind in Flüchtlingsunterkünften begehrt.
Hilfe für Asylbewerber. In Gerstungen brannte es deshalb schon. Eine Hausbesitzerin hatte
nur angekündigt, ihr Eigentum Flüchtlingen zur Verfügung stellen zu wollen. Erika Kradepohl
hat deshalb kein gutes Gefühl, wenn sie über ihre Arbeit berichtet.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Erika Kradepohl, Gerstungen
„Schlimm, wenn man so denken muss. Ne? Wenn es brennt, dann hat man auch manchmal
Angst? Ja. Weil es auch irgendwie überall gemacht wurde. Auch wenn’s keine Unterkunft
oder Mietwohnung ist von Asylbewerbern. Ich kenne auch jemanden, der hat nix und da
brannte es plötzlich, weil die auch ab und zu mal helfen tut. Finde ich schlimm.“
Ausgegrenzte und bedrohte Helfer. Auch beim DRK in Sachsen kennt man das. Viele Kollegen
erzählen Kai Kranich, dass sie sich nicht einmal mehr trauen, offen zu zeigen, dass sie für das
Rote Kreuz arbeiten.
Kai Kranich, DRK Sachsen
„Dazu kommt, dass auch vor den Erstaufnahmeeinrichtungen die Menschen stehen, die
dann Mitarbeiter filmen, wie sie reinfahren. Ganz gezielt auch die Nummernschilder
filmen. Und auch eine Bedrohungssituation, die darauf schließen lässt, dass es hier nicht
darum geht, nur zu dokumentieren. Hier wird das Internet auch dazu verwandt, um zu
zeigen, das sind diese Menschen, die Flüchtlingen helfen.
Aus meiner täglichen Arbeit merke ich, dass, jetzt nicht mehr in DRK-Kleidung einkaufen
gehen möchte beispielsweise, weil man eben die Befürchtung hat, dass man auch
Anfeindungen erleben muss oder bereits Anfeindungen erlebt hat.“
Im sächsischen Freital gab es im Sommer heftige Proteste gegen Asylbewerber. Tagelang
pöbelten Einwohner und Angereiste vor dem Flüchtlingsheim im ehemaligen Hotel
Leonardo.
Hass und Ablehnung richten sich auch gegen Freitaler, die Asylbewerbern helfen und sich
dazu bekennen. Zum Beispiel Steffi Brachtel und ihr Sohn Nico. Wir treffen sie in einem Café
in Dresden. Ein Dreh in ihrer Wohnung ist ihnen zu heikel, sie haben einiges durchgemacht:
Es hagelte Drohungen, ihr Briefkasten wurde gesprengt. Während die Täter Frau Brachtel
öffentlich als erledigt abhakten, kämpfte sie mit den Folgen.
Steffi Brachtel, Freital
„Man frag sich dann, was kommt jetzt als Nächstes. Ja? Es ist einem aufgelauert worden,
jetzt der Briefkasten, wie weit geht das noch. Also ich bin dann im Dunkeln gar nicht mehr
rausgegangen, habe mich von Arbeit abholen lassen, hab dann auch zeitweilig bei
Freunden geschlafen, bei meinen Eltern geschlafen. Es hat ganz lange gedauert, bis ich
wieder ein Sicherheitsgefühl hatte, in meiner Wohnung.“
Doch nicht nur das. Die Ausgrenzung reicht bis ins Privatleben.
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Steffi Brachtel, Freital
„Auf der Straße habe ich die Mutter einer Freundin getroffen und wir haben uns immer
gefreut, wenn wir uns gesehen haben und ganz nett unterhalten und auf einmal steht sie
da und weiß kaum noch ein Wort mit mir zu wechseln und sagt dann eben halt Dinge, wie
naja du stehst ja aber auf der anderen Seite, für die Asylanten. Und steigt dann in den Bus
ein und man sagt, ja.“
Nico Brachtel, Freital
„An den Blicken merkt man das ganz deutlich. Also ich in meiner Schule merke es zum
Glück nicht. Da wissen es auch einige gar nicht so direkt, aber an verschiedenen Blicken
von Leuten, von Passanten an der Straße erkennt man natürlich ganz klar, wie die dann zu
einem selber stehen.“
Auch die Freitaler Stadträte Ines Kummer und Michael Richter werden seit Monaten
angefeindet.
Ines Kummer, Stadträtin Freital, B90/Grüne
„Im Frühjahr ging das ja auch massiv los, dass wir dann bedroht worden sind, nach dem
wir uns auch ganz öffentlich positioniert haben: Refugees Welcome. Per Mail, dann gab’s
Anschläge, wir wurden öffentlich an den Pranger gestellt. Post hab ich bekommen und ja
auf Facebook gab es verschiedentlich auch Aufrufe. Wir wurden diffamiert. Also die ganze
breite Palette an Hasstiraden haben wir praktisch erlebt.“
Wie der Grünen erging es auch dem Linkenpolitiker.
Michael Richter, Stadtrat Freital, Die Linke
„Attacken gegen mich als Person, indem sie mir mein Auto gesprengt haben, in dem sie
das Parteibüro im Endeffekt mit einem illegalen Böller zum detonieren gebracht haben
und dann auch noch im Oktober eingebrochen sind und im Büro entsprechende
Verunglimpfungen gemacht haben und Sachen durch die Gegend geschmissen haben.“
Seitdem Mitglieder einer so genannten Bürgerwehr als Verdächtige ermittelt und im
November in Untersuchungshaft genommen wurden, hat die Gewalt in Freital aufgehört.
Der Hass aber ist nicht verschwunden, wie Flüchtlingsgegner auf ihrer Facebook-Seite
demonstrieren. Anfang Dezember wurden beide Politiker aufgefordert, die Stadt zu
verlassen.
Ines Kummer, Stadträtin Freital, B90/Grüne
„Die Aufforderung die Stadt zu verlassen offenbart ja eine zutiefst antidemokratische
Geisteshaltung. Und persönlich, natürlich geht es uns damit nicht besonders gut. Und das
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erinnert mich auch sehr an mittelalterliche Zeiten, an Hexenverfolgung,
Hexenverbrennung und das passt auch gar nicht mehr in unserer heutige Zeit.“
Solidarität mit seinen bedrohten Mitgliedern hat der Stadtrat bis heute nicht gezeigt. Der
Oberbürgermeister untersagte uns sogar, dieses Interview im Rathaus zu führen.
Zurück nach Thüringen. Erika Kradepohl ist in inzwischen mit ihrem Auto im Flüchtlingsheim
in Gerstungen angekommen.
Erika Kradepohl, Gerstungen
„Na?
Erika, hast Du was für mich?
Ob ich was für Dich habe? Was willst Du denn? Ist nix für Dich heute.“
Wie vermutet, die Fernseher sind als erstes weg. Nachschub gibt es erst wieder nächste
Woche, denn Morgen begleitet Erika Kradepohl erst einmal eine Familie zum Arzt.
Dann muss sie wieder mit schiefen Blicken anderer rechnen. So wie meistens, wenn sie den
Kreis ihrer nahen Freunde verlässt.
Erika Kradepohl, Gerstungen
„Das weitere Umfeld, die sind dann schon... da habe ich schon negative Erfahrungen
gemacht, aber ich will das einfach nicht hören.“
Aller Ablehnung zum Trotz, Erika Kradepohl fährt weiter auf eigene Kosten über Land.
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