Verstehen, was die Behörde schreibt

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Verstehen, was die Behörde schreibt
Capito übersetzt Texte in einfache Sprache
21 Millionen Menschen zwischen
15 und 64 Jahren in Deutschland
können nicht gut lesen und schreiben. Das heißt nicht, dass die übrigen darin perfekt sind. Man müsse
davon ausgehen, dass nur zwischen
36 und 40 Prozent der Bevölkerung mit einem mittleren bzw. höheren Bildungsabschluss mithalten
können, wenn es um Schreibfähigkeit und Textverständnis geht, sagte Wolfgang Rhein, Geschäftsführer der Praunheimer Werkstätten
und der Cook Company in Frankfurt. Anlass zur Bekanntgabe dieser erschreckenden Zahlen war die
Vorstellung eines neuen Dienstleisters im Bereich Integration.
Capito Frankfurt soll künftig wichtige Texte in verständliche Sprache übersetzen.
Als „zentrales Feld der Teilhabe in
der Demokratie“ bezeichnete Rhein
die Bereiche Information und Kommunikation. Zugänge zum Textverständnis seien genauso wichtig wie
Zugänge zu Gebäuden du Orten für
Menschen etwa mit einem körperlichen Handicap. Das bestätigte auch
Sozialdezernentin Prof. Dr. Daniela
Birkenfeld, die dazu aufrief, wieder
zu einer Ausdrucksweise zurückzukehren, die Menschen verstehen.
„Was man nicht einfach ausdrücken
kann, hat man nicht verstanden“, sagte Rhein. Wenn jemand nur einfach
formulierte Sätze verstehen könne,
schließe ihn das von gesellschaftlicher Teilhabe aus.
Capito Frankfurt, das dem Integrationsunternehmen Cook Company
angegliedert ist, soll künftig etwa
Behörden- oder Gesetzestexte, Formulare und Gebrauchsanweisungen in leicht verständliche Sprache
übersetzen. Dabei gibt es nach Angaben von Claudia Fischer (Capito
Frankfurt) drei sprachliche Levels,
die sich nach den Zielgruppen richten: für Menschen mit Lernbehinderung, Menschen mit eingeschränk-
ter Lesekompetenz und für Menschen, die gerade erst Deutsch lernen.
Als Kriterien für die Übersetzung
in einfache Sprache nannte Fischer:
keine Fremdwörter, klare und kurze
Sätze, kurze Zeilen und auch die
Illustrierung etwa durch Piktogramme und Fotos. Manchmal sei es auch
nötig, Zeitverschiebungen herauszunehmen. So sei der Satz: „Bevor ich
esse, wasche ich mir die Hände“ viel
schwerer zu verstehen als die zwei
Sätze: „Ich wasche mir die Hände.
Dann esse ich“.
Die Übersetzungen, die von Behörden, Institutionen oder Firmen den
drei Mitarbeitenden von Capito in
Auftrag gegeben werden können,
richten sich nach der Zielgruppe. So
müsse etwa die Übersetzung von Bedienungsanleitungen für moderne
elektronische Geräte für ältere Menschen anders aussehen, als die Übersetzung einen Behördenformulars
für lernbehinderte Menschen, sagte
Claudia Fischer.
Capito arbeitet mit Prüfern aus der
jeweiligen Zielgruppe zusammen, die
die Übersetzungen letztendlich freigeben. Daniela Birkenfeld sieht dies
als ein Beispiel für Inklusion im besten Sinne. Menschen, die sonst im Berufsleben wenig Anerkennung fänden, könnten hier ihre besonderen
Kompetenzen einbringen und würden
zu Experten. Wolfgang Rhein teilte
mit, dass sich schon etliche Frankfurter, die in Behindertenwerkstätten arbeiteten, für die Tätigkeit als
Prüfer interessierten.
Interessenten, die Texte zur Übersetzung in leichte Sprache in Auftrag
geben wollen, wenden sich an Holger
Moeller, Prokurist der Cook Company, Telefon 0 61 09/6 98 96 24, E-Mail:
[email protected].
Capito ist ein Social-Franchise Unternehmen, das 2001 in Österreich
entwickelt wurde. Mittlerweile gibt
es sechs Capito-Standorte in Österreich und acht in Deutschland.
Lieselotte Wendl
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wdl
SZ 4 / 2015
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