Einkommensverteilung und Umverteilung Haushaltseinkommen und bedarfsgewichtete Nettoeinkommen – ein Vergleich Verteilungs- und Umverteilungsanalysen verwenden konventionell bedarfsgewichtete Nettoeinkommen, um Lebensstandards unterschiedlicher Haushaltstypen vergleichbar zu machen und die Bürger entsprechend in Einkommensgruppen einzusortieren. Eine Betrachtung nach der Höhe der verfügbaren Haushaltseinkommen ergibt in der Struktur bemerkenswert ähnliche Ergebnisse: Die staatlichen Geldleistungen (inklusive Renten) sind relativ konstant über die Einkommensgruppen verteilt, die Belastung durch Abgaben steigt überproportional mit der Höhe des Einkommens an. Gemäß verbreiteter Konvention verwenden Verteilungsanalysen bedarfsgewichtete Nettoeinkommen zur Eingruppierung der Bürger. Dies hat den eingängigen Vorteil, dass der unterschiedliche Einkommensbedarf je nach Haushaltszusammensetzung berücksichtigt wird und so die Lebensstandards vergleichbar gemacht werden. Hierzu werden alle Einkommen auf den Bedarf eines Singles umgerechnet: Verfügt ein Paar ohne Kinder über ein Haushaltseinkommen von 3.000 Euro im Monat, stehen beide Haushaltsmitglieder bei Berücksichtigung ihrer Bedarfe gemäß EU- und OECD-Konvention mit ihrem Lebensstandard auf einer Stufe mit einem Single der 2.000 Euro im Monat verdient. Dahinter steckt die Idee, dass Paare von Einspareffekten durch gemeinsames Wirtschaften profitieren. Analog resultiert somit eine staatliche Transferzahlung in Höhe von 1.500 Euro an den Paarhaushalt in „bedarfsgewichteten Transfers“ in Höhe von 1.000 Euro „Wirtschaftskraft“ pro Haushaltsmitglied – obwohl de facto nur 750 Euro pro Kopf in die Haushaltskasse fließen. Bei der Bedarfsgewichtung handelt es sich somit um Umrechnungsgrößen, die sich nicht ohne Berücksichtigung der Haushalts- und Bedarfsstruktur auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen lassen. Da bei der Bedarfsgewichtung alle Einkommen auf Größen umgerechnet werden, die für einen Single gelten, lässt sich auch nur dieser unmittelbar – ohne Umrechnungsfaktoren – in die Einkommensgruppen einsortieren. Eine Betrachtung nach dem Haushaltseinkommen hat den Vorteil, dass sich jeder Haushaltstyp gemäß der Höhe der gesamten im Haushalt verfügbaren Nettoeinkommen unmittelbar eingruppieren lässt. Wenn man sich allerdings staatliche Umverteilungsströme gemäß der Höhe des Haushaltseinkommens anschaut, impliziert die Betrachtung gewisse „Artefakte“: Die staatlichen Transferzahlungen steigen tendenziell mit der Größe des Haushalts, gleichzeitig steigt das Haushaltseinkommen mit zunehmender Haushaltsgröße (= mehr Singles im unteren Einkommensbereich, mehr Familien mit Kindern im oberen Einkommensbereich gegenüber einer bedarfsorientierten Betrachtung). Dies entspricht natürlich nicht unbedingt der Einordnung gemäß des Lebensstandards der jeweiligen Haushaltstypen: eine Familie mit zwei Kindern die 2.100 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, gilt gemäß des Konzeptes der Bedarfsgewichtung als armutsgefährdet (mit dem Einkommen erreichen die einzelnen Familienmitglieder annahmegemäß einen vergleichbaren Lebensstandard wie ein Single mit 1.000 Euro Einkommen). Ein Single mit 2.100 Euro monatlichem Nettoeinkommen würde sich gemäß seines Lebensstandards hingegen in die obere Hälfte der Bevölkerung sortieren. Somit würden einige größere Haushalte bei Berücksichtigung ihrer haushaltspezifischen Bedarfe in niedrigere Einkommens- bzw. Lebensstandardgruppen einsortiert als bei der alleinigen Betrachtung ihrer Haushaltseinkommen. Aber auch bei Verwendung bedarfsgewichteter Nettoeinkommen bleiben Singles und Alleinerziehende überdurchschnittlich stark von Armut bedroht. Familien mit Kindern sind auch dann in der Einkommensmittelschicht überrepräsentiert und Paare ohne Kinder finden sich überdurchschnittlich oft in der Gruppe der Einkommensstarken und Reichen. Trotz der „Artefakte“ durch die unterschiedlichen Haushaltsgrößen sind die strukturellen Ergebnisse bezüglich der Umverteilungsströme bemerkenswert stabil mit Blick auf die Wahl des Einkommenskonzeptes: Bei den 5 Prozent der Bevölkerung mit den geringsten Einkommen machen die gesamten Sozialleistungen (inklusive Renten) rund 70 Prozent des Nettoeinkommens aus, bei den einkommensmäßig darauf folgenden weiteren 10 Prozent der Bevölkerung über 60 Prozent. Bei den Abgaben zeigt sich eine umso höhere prozentuale Belastung am Einkommen, je höher man die Einkommensgrenze der reichsten Einkommensgruppe ansetzt – dies geht vor allem auf die progressive Einkommensteuer zurück. Darüber hinaus ergeben die saldierten Umverteilungsströme (Transfers minus Abgaben) jeweils ein sehr ähnliches Bild, genau wie die Anteile dieser Salden an den jeweiligen Nettoeinkommen der Einkommensgruppen (Tabelle 1). Die Beobachtung, dass die Sozialleistungen (inklusive Renten) recht breit und in der absoluten Höhe relativ konstant über die Einkommensgruppen verteilt sind, und die Abgaben deutlich überproportional mit dem Einkommen ansteigen, bleiben unabhängig von der Einteilung der Einkommensgruppen und des verwendeten Einkommenskonzeptes bestehen. Tabelle 1: Umverteilungssaldo nach Einkommenskonzepten Durchschnittswerte pro Monat in Euro/ Prozent, 2012 Eingruppierung nach dem Eingruppierung nach dem bedarfs- Haushaltsnettoeinkommen gewichteten Nettoeinkommen (pro Kopf) Haushaltsnettoeinkommen Unter 1.000 € 1.000 € – 1.500 € 1.500 € – 2.000 € 2.000 € – 2.500 € 2.500 € – 3.000 € 3.000 € – 3.500 € 3.500 € – 4.000 € 4.000 € – 4.500 € 4.500 € – 5.000 € 5.000 € – 6.000 € 6.000 € – 7.000 € 7.000 € – 10.000 € 10.000 € „Saldo“ / Bevöl- Bedarfs- „Saldo“ Netto- kerungs- gewichte- (in Euro) einkommen anteil tes Netto- (%) (%) einkommen 476 64,2 6,0 610 48,4 9,1 509 28,9 11,8 410 18,2 13,0 190 6,9 12,2 -142 -4,4 10,4 -424 -11,3 8,5 -779 -18,4 7,4 -986 -20,8 5,3 -1.434 -26,4 7,1 -2.120 -32,8 3,9 -3.156 -39,2 3,8 -7.845 -49,4 1,6 Unter 750 € 750 € – 1.000 € 1.000 € – 1.250 € 1.250 € – 1.500 € 1.500 € – 1.750 € 1.750 € 2.000 € 2.000 € – 2.500 € 2.500 € – 3.000 € 3.000 € – 3.500 € 3.500 € – 4.000 € 4.000 € – 5.000 € 5.000 € – 7.500 € 7.500 € „Saldo“ / Bevöl- „Saldo“ Netto- kerungs- (in Euro) einkommen anteil (%) (%) 381 64,5 4,9 452 51,5 8,5 297 26,2 11,2 251 18,3 14,4 60 3,7 13,2 -109 -5,8 11,6 -302 -13,5 15,1 -499 -18,3 9,1 -900 -28,0 4,7 -970 -26,1 2,6 -1.582 -35,6 2,9 -2.548 -42,3 1,5 -6.640 -52,8 0,6 und mehr und mehr Umverteilungssaldo: Geldtransfers wie gesetzliche Renten, Pensionen und Kindergeld, ALG II, Wohngeld usw. abzüglich Abgaben wie Einkommenssteuer und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung; die Ein- und Auszahlungen der Nichtmitglieder gesetzlicher Versicherungen sind nicht ausgewiesen (zum Beispiel der Selbständigen). Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (v30), Institut der deutschen Wirtschaft Köln
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