Gerald Gärtner Kampstr. 45 44536 Lünen

Gerald Gärtner
Berufsbetreuer
16
Dipl. Sozialarbeiter
Berater in psychosozialen Tätigkeitsfeldern u. Organisationen (FernUni Hagen)
STELLUNGNAHME
Kampstr. 45
44536 Lünen
16/2827
A14, A01
Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des
Landtags NRW „Vorsorgen, Vermögen sichern, Betreuung regeln: NordrheinWestfalen braucht ein modernes Betreuungswesen!“ (Antrag der Fraktion der
CDU, Drucksache 16/8130)
.
In meiner 20-jährigen Tätigkeit hat sich die Betreuungsarbeit drastisch verändert. Im
Jahre 1994 standen hauptsächlich Menschen unter Betreuung, die aus
altersbedingten Krankheiten oder wegen Behinderungen ihre Angelegenheiten nicht
mehr selbst besorgen konnten. Leider bezieht sich der Antrag der CDU, so hat es
den Anschein, nur auf diesen Personenkreis.
In meiner beruflichen Praxis erlebe ich jedoch in den letzten Jahren eine stetige
Zunahme bei den Betreuungen junger Menschen, die zum Teil schon mit ihrem 18.Geburtstag unter Betreuung gestellt werden. Die Betreuung junger Menschen macht
mittlerweile die Hälfte aller Betreuungsfälle aus. Das sind allein in NRW ca. 150.000.
Es kommt noch hinzu, dass diese Betreuungen bei weitem komplexer sind als die
Betreuungen in den 1990-er Jahren. Die häufig im Vordergrund stehenden
Probleme, wie Überschuldungen durch Handyverträge oder Internetbestellungen, oft
daraus resultierende Suchtprobleme oder auch einfach Perspektivlosigkeit bei vielen
jungen Menschen waren bei Inkrafttreten des Betreuungsrechts 1992 so noch gar
nicht abzusehen.
Bei diesen Betreuungen muss das vorrangige Ziel sein, die Betreuten nur so lange
zu unterstützen, bis sie wieder ein selbstbestimmtes Leben ohne Betreuung führen
können. Dies ist nach meiner Ansicht am besten durch fachlich spezialisierte
Betreuer möglich, die hier in der Lage sind, Betreuungsarbeit zu leisten, die zum Ziel
hat, die Betreuung letztendlich zur Auflösung zu bringen. Die Kostenersparnis liegt
hier auf der Hand.
In der Praxis erlebe ich jedoch häufig das Gegenteil. Dadurch, dass ich als Betreuer
meine Arbeit vorschriftsmäßig leiste, manifestieren sich die Probleme des Betreuten,
und er wird immer unselbständiger.
Ich glaube, Ihnen diese Aussage am besten an einem Beispiel deutlich machen zu
können. Stellen Sie sich bitte einen jungen alkohol– oder drogenabhängigen
Menschen vor, der gerade aus einer stationären Suchttherapie entlassen wird. Er ist
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nun erst einmal „clean“. Die Gründe für seine Suchterkrankung liegen hier zum einen
im familiären Umfeld, was auch gleichzeitig die Übernahme der Betreuung durch ein
Familienmitglied auf ehrenamtlicher Basis ausschließt, da diese häufig Teil seines
Suchtsystems sind. Um nun sein eigenes Selbstwertgefühl wieder zu stärken und
einem Rückfall vorzubeugen, teilt sein Therapeut ihm und seinem Betreuer bei der
Entlassung mit, dass er sich nun den Anforderungen des Lebens wieder stellen
müsse. Der Betreuer wird nun, da er hierzu rechtlich verpflichtet ist, dafür sorgen,
dass der Betroffene wenn nötig eine neue Wohnung findet und beispielsweise
Anträge beim Jobcenter bzw. Sozialamt gestellt werden um den Betreuten finanziell
abzusichern. Da es häufig vorkommt, dass diese Antragstellungen dem Betroffenen
unangenehm sind, und er weiß, dass der Betreuer diese Dinge notfalls auch allein
durchführen muss, entzieht er sich häufig diesen Anforderungen. Dies führt nun
wieder dazu, dass der Therapieerfolg in hohem Maße gefährdet wird, da der Betreute
wieder seine Unfähigkeit verstärkt wahrnimmt und gleichzeitig durch die Tätigkeit des
Betreuers eine finanzielle Grundleistung erhält, die es ihm nun wieder ermöglicht,
sich erneut auf die Beschaffung seiner Suchtmittel zu konzentrieren.
Als Folge daraus wird der Suchtkreislauf von vorn beginnen. Die Tätigkeiten des
Betreuers- und ich widerhole mich noch einmal-, zu denen er rechtlich verpflichtet ist,
werden in der Suchtbehandlung als co-abhängiges bzw. co-alkoholisches Verhalten
bezeichnet, welches zu einer Manifestierung der Suchterkrankung führt.
Dies Beispiel ist sicherlich ein wenig vereinfacht dargestellt, macht Ihnen aber
vielleicht deutlich, wie hier eine Spirale entsteht, durch die einerseits der Betreute
immer abhängiger wird und zwar sowohl von Alkohol und Drogen als auch vom
Betreuer und wie gleichzeitig enorme Kosten für Sozialhilfeträger, Krankenkassen
und Rentenversicherungsträger entstehen.
Um diese Diskrepanz zwischen therapeutischer Zielsetzung und rechtlicher
Verpflichtung des Betreuers aufzuheben, ist es meiner Ansicht nach wichtig, dass
Betreuer fachspezifisch weitergebildet sind und eine fachübergreifende
Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Stellen, also Gerichten, Ärzten,
Therapeuten und Betreuern, stattfindet, um eine Betreuung individuell auf den
Betreuten abzustimmen, was über die Einrichtung individueller Aufgabenkreise und
spezialisierter Betreuer ohne Gesetzesänderung möglich wäre damit sich rechtliche
und therapeutische Ansprüche nicht gegenseitig aushebeln.
Fachspezifisch weitergebildete Betreuer sind meines Erachtens besonders vor dem
Hintergrund unbedingt notwendig, dass Betreuungen heutzutage immer komplexer
werden und ein Betreuer unmöglich auf allen Gebieten entsprechende Kenntnisse
haben kann. Hier kann ich mir durchaus vorstellen, dass gesellschaftliche
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Ressourcen in die Betreuungsarbeit mit einfließen und je nach Problemlage in einer
Betreuung durchaus Pflegekräfte, Schuldnerberater, Verwaltungsangestellte usw. mit
entsprechenden Weiterbildungen die Tätigkeit eines Betreuers möglicherweise auch
nebenberuflich ausüben können.
Da bei Einrichtung einer Betreuung in der Regel die Gesamtheit der Problematik
nicht erkennbar ist und sich häufig erst im Laufe der Betreuungstätigkeit
herauskristallisiert, halte ich zu Beginn die grundsätzliche Einrichtung einer
vorläufigen Betreuung für sinnvoll.
Soweit im bestehenden Gesetzesrahmen möglich, sollten diese Neubetreuungen
dann für den für den Zeitraum von ca. 6-9 Monaten von Betreuern geführt werden,
die aufgrund einer langjährigen Erfahrung in der Lage sind, die sich darstellende
Situation adäquat einzuschätzen. Diese Betreuer sollten nach meiner Meinung den
Stand eines Sachverständigen bekleiden und von daher in eine neu zu schaffende
Vergütungsstufe 4 eingeordnet werden. Alternativ könnte, um vorerst eine sonst
erforderliche Gesetzesänderung zu vermeiden, auch ein Einsatz eines
Verfahrenspflegers parallel zum Betreuer in Erwägung gezogen werden. Dieser kann
aufgrund seiner Stellung (von außen kommend) den Sachverhalt hinsichtlich der
Problemstellungen objektiver beurteilen. Nach ca. 6-9 Monaten sollte der
Verfahrenspfleger in Zusammenarbeit mit dem Betreuer und den Gerichten sowohl
die Feststellung treffen, ob ein Betreuter nicht nur betreuungsbedürftig sondern auch
betreuungsfähig ist, als auch ggf. die erforderlichen Aufgabenkreise festlegen.
Hierdurch würden gleichzeitig die Gerichte hinsichtlich der sinnvollen Einrichtung
einer Betreuung entlastet.
Nach dieser „Festlegungsphase“ würden die einzelnen Betreuungen dann an
Kollegen der Vergütungsstufe 3 (44,-- €) abgegeben, welche durch entsprechende
Berufsausbildungen (z.B. Suchtberater, Rechtsanwalt usw.) für die
Problemstellungen der einzelnen Betreuung spezialisiert wären und sich durch
entsprechende Fortbildungen besondere Fachkenntnisse angeeignet hätten.
Im weiteren Verlauf der Betreuung entscheidet dieser Betreuer dann, wann der
Handlungsbedarf in einer Betreuung soweit „reduziert“ ist (häufig nach 1 1/2 bis 2
Jahren), dass die Betreuung an einen Kollegen der Vergütungsstufe 2 (33,50 €)
abgegeben oder aber aufgelöst werden kann.
Da Kollegen der Vergütungsstufe 2 nur noch bereits gefestigte Betreuungen (z.B.
Heimbewohner) zugeordnet bekämen, würde die Tätigkeit als Nebeneinkunft bzw.
Halbtagstätigkeit für Krankenschwestern, Bankkaufläute usw. wieder weitaus
attraktiver. Der Einsatz unterschiedlicher Berufsgruppen, auch ohne
Hochschulstudium, wird beim Ambulant Betreuten Wohnen schon seit langer Zeit
praktiziert.
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Bei den Betreuungen, bei denen von Beginn an deutlich ist, dass mit einer Auflösung
nicht mehr zu rechnen ist (z.B. ein demenzkranker älterer Mensch), sollte natürlich
dieses Modell nicht zur Anwendung kommen. Eine entsprechende Betreuung könnte
beispielsweise sofort durch eine Krankenschwester oder Altenpflegerin übernommen
werden, die durch eine Fortbildung im Sozialhilferecht einen entsprechenden
Sozialhilfeantrag in der Lage ist zu stellen und betreuungsgerichtliche Erfordernisse
hinsichtlich einer evtl. nötigen Heimunterbringung zu berücksichtigen weiß. Über
diese zielgerichteten Fortbildungen hinaus bringen diese Betreuerinnen aus ihrer
Ausbildung heraus bereits hohe fachspezifische Kenntnisse hinsichtlich der
entsprechenden Problemstellungen mit.
Wenn sich in diesen Fällen ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Betreutem
und Betreuer entwickelt hat, sollte eine Abgabe an ehrenamtliche Betreuer aus
Kostenersparnisgründen nicht erfolgen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu verdeutlichen, dass viele Betreute in
stationären Einrichtungen eine Vertrauensperson außerhalb der Einrichtung
benötigen um ggf. Ansprüche wirksam umsetzen zu können.
Die Gerichte sollten i.d.R. bei der Ernennung des Betreuers dem Vorschlag der
Betreuungsstelle folgen, da diese über die jeweiligen Qualifikationen und
Fortbildungen der Betreuer sowie deren Kapazitäten informiert ist.
Hinsichtlich der Arbeitszeit eines Betreuers ist anzumerken, dass kaum zu
kontrollieren ist, wieviel Zeit für den einzelnen Betreuten aufgebracht wurde, da
außer persönlichen Kontakten zum Klienten auch erhebliche bürokratische
Erfordernisse zu leisten sind. Trotzdem bin ich der Meinung, dass der Arbeitsumfang
eines Betreuers etwa 40 Std. in der Woche nicht überschreiten sollte. Die Arbeitszeit
ergibt sich jedoch nicht aus der Anzahl der geführten Betreuungen sondern
zwangsläufig aus den Pauschalierungen und dem damit verbundenen
Stundenkontingent der einzelnen Betreuungen.
Bei einer derartigen Festlegung der Arbeitszeit könnten einerseits Vorwürfe
hinsichtlich mangelnder Leistung aufgrund von Arbeitsüberlastung ein Stück weit
entkräftet werden und die Wahrscheinlichkeit, dass eine relativ problemlose
Betreuung ins Hintertreffen gerät wird geringer.
Auch hat der Betreute meines Erachtens ein Anrecht auf das ihm rechtlich
zugestandene Stundenkontingent, da er gesetzlich zu der Bindung an den Betreuer,
bis auf Widerruf durch das Gericht, gezwungen ist.
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil, der sich sowohl aus der
vorgeschlagenen fachlichen Spezialisierung, wie auch aus der Begrenzung der
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Arbeitszeit auf ca. 40 Std. wöchentlich ergibt, liegt darin, dass die Betreuungsarbeit,
die momentan für den einzelnen Berufsbetreuer mitunter zu einer starken Belastung
der gesamten Persönlichkeit führt, wieder in einem adäquaten beruflichen Rahmen
geleistet werden kann.
Durch die Sicherheit der durch den Ursprungsberuf mitgebrachten und in
Fortbildungen erworbenen speziellen fachlichen Kompetenz, sowie genügend
Freiraum für die eigene Psychohygiene kann auftretenden Burnout Problematiken
unter den Betreuern begegnet werden. Dies gelangt in der Folge wieder dem
Betreuten zum Vorteil, da nur ein physisch und psychisch stabiler Betreuer in der
Lage ist entsprechend „hilfreich“ tätig zu werden.
Da diese Gedanken sicherlich nicht von heute auf morgen umsetzbar sind, wäre eine
Fortbildung und Spezialisierung der jetzt tätigen Betreuer sinnvoll.
Ausscheidende Betreuer könnten nach und nach durch spezialisierte Kollegen
anderer Berufsbereiche ersetzt werden.
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