Löhner Texturen Gedichte und Kurzgeschichten Löhner Texturen Eine Anthologie der Autorengemeinschaft ‚Autorentreff Löhne‘ © by Autorentreff Löhne bzw. den jeweiligen Autoren Lektorat/Korrektorat: Online Lektorat Hoffmann Helge Hoffmann ISBN: 978-3-7375-8572-9 Eine Kopie oder die Vervielfältigung, auch auszugsweise, bedarf der ausdrücklichen, schriftlichen Genehmigung des/der jeweiligen Autors/Autorin. 1 Entree Wir haben oftmals nachgedacht, und einen Reim darauf gemacht. Das Ganze auf Papier geschrieben, für alle, die so etwas lieben. Man sollt` es wie was Gutes hegen − kann`s auch schon mal beiseitelegen … 2 Vorwort .. 5 Margerete Balk Prosa Klostermauern………………………………………. Lyrik Der Tag………………………………………………. Sonntagnachmittag…………………………………. Mein Engel…………………………………………… Augenblicke………………………………………….. Spurwechsel………………………………………….. 8 16 17 18 19 20 Gotthardt Dorn Prosa Die Neue….............................................................. Mein Gott, wir sind doch nicht in Bayern………..… Lyrik Bruchteil einer Sekunde…………………………….. 22 27 35 Stephan Hollmann Prosa Die Ruhrgebietsliebe………………………………… Currywurst Pommes rot-weiß…………………….… 37 42 Brigitta Rudolf Prosa Die Abrechnung………………………………………. Tim……………………………………………………... Der Nussknacker……………………………………… 50 53 56 Rosmarie Saaksmeier Prosa Aufgeschrieben............................................……....... Der letzte Tanz……………………………………....... Der Wanderer………………………………………….. 60 70 72 3 Mein Leben und Ich……………………………….. 74 Lyrik Herbstzeit…………………………………………... Einkehr……………………………………………… Herbstbild…………………………………………… Illusion………………………………………………. Streit………………………………………………… Zeit…………………………………………………... 78 79 80 81 82 83 Ela Tarnowska Prosa Groß war das Zimmer ja gerade nicht .………..… Die Farbe der blauen Augen………..………..…… 85 104 Marie-Luise Vorderwülbecke Prosa Der Voyeur………………………………………… Ein ehrliches Vermächtnis………………………... Kopfschmerzen……………………………………. Mein schönes Leben………………………………. Lyrik Dein Lachen………………………………………… Der Blinde…………………………………………… Fluch oder Segen…………………………………... Wir……………………………………………………. 111 116 119 126 130 131 132 133 4 Vorwort der Gründungsmitglieder Gebrauchsanleitung Sie haben Buchstaben zu Worten versponnen und aus den Worten Texte gewebt: Die Löhner Autorinnen und Autoren. Mit Mustern aus Gedanken, Gefühlen, Träumen und Emotionen, entstand ein einzigartiger Lese-Stoff, der den geneigten Leser einhüllen, das Herz wärmen und den Kopf schützen soll, vor den rauen Winden der Zeit. Unsere Textilie ist nicht unbedingt pflegeleicht und auch nicht für den Schonwaschgang gedacht, ist jedoch ein geeigneter Reisebegleiter für Ausflüge in das Herz und die Gedankenwelt. Das Muster des Stoffes changiert im Auge des Betrachters je nach Standpunkt und lässt individuelle Effekte entstehen. Wir laden Sie ein, sich dieses interessanten Stoffes zu bedienen und wünschen Ihnen viel Freude mit diesem besonderen Material. p.s: Sollte der Stoff beim ersten Gebrauch ein wenig kratzen, so stellt das keine Qualitätsbeeinträchtigung dar, sondern es legt sich bei regelmäßigem Gebrauch von alleine. Herstellernachweis: Löhner Autorinnen und Autoren 5 6 Margret Balk Prosa Klostermauern 7 Klostermauern Eine Glocke scheppert laut. Sie klingt genau so rostig wie sie aussieht; und ich meine fast, den Ton sehen zu können wie er sich auf den Weg macht durch die klare, morgenfrische Herbstluft; sich entlanghangelt an den Sonnenstrahlen, die eine leuchtende Schneise in das Bunt der alten Platanen geschlagen haben, von denen diese ehrwürdigen alten Mauern bewacht werden. Mauern oder Bäume, wer ist hier wohl älter? Die einen so fundamental verankert in dieser roten, staubtrockenen mallorquinischen Erde wie die anderen tief verwurzelt. Uralt, durchzogen von einem Hauch der Ewigkeit, ein Eindruck von Kraft und Stärke entsteht beim Anblick dieser wuchtigen Giganten ... Ich bin wohl ins Träumen geraten. Der scheppernde Glockenton scheint sein Ziel erreicht zu haben, denn unter Gequietsche und Gerassel öffnet sich das alte, eisenbeschlagene Tor und fällt Minuten später mit einem lauten Krachen hinter mir zu – ich bin am Ziel, eingeschlossen zwischen den Mauern dieser alten Benediktiner-Abtei, die für die nächsten 4 Wochen mein Zuhause oder besser gesagt mein Refugium werden soll. 4 Wochen Ruhe, Abgeschiedenheit, Schweigen, Meditation – ich habe es nötig, nach diesem 8 schlimmen Sommer, der hinter mir liegt. Diesem Sommer, der meinem Leben den Boden unter den Füßen weggerissen hatte. Doch zunächst: Begrüßung und Einweisung; noch wird gesprochen, später nicht mehr. Dann herrscht Schweigen. Eine ältere Nonne, Schwester Albertina – rundliches Gesicht, warme Augen, sonniges Gemüt – versieht mich noch einmal mit den notwendigen Instruktionen, die da heißen: Schweigen, Schweigen, Meditieren, Beten, Essen, Schweigen, Arbeiten. Für mich ist leichter Küchendienst im Kräutergarten geplant, das kommt mir sehr entgegen. Vielleicht lerne ich nebenbei noch etwas von der mallorquinischen Küche. Bei der Arbeit darf übrigens das Allernötigste geredet werden – ein positiver Aspekt. Dann wird es ernst. Meine Zelle: ziemlich spartanisch eingerichtet, aber rustikal-gemütlich, das Bett sieht ausgesprochen einladend aus. Kein Wunder, nach 24 Stunden Schlafentzug. Aber an Ruhe ist vorerst noch nicht zu denken. Zunächst sind diverse Gottesdienste zu absolvieren, und jeder hat eine andere Bezeichnung; aber im Grunde handelt es sich immer um das gleiche: Singen, Anbeten, Zuhören ... Gut, deswegen bin ich ja hier. Erste Zweifel kommen mir. Ob ich das wohl so lange aushalte? Ohne Handy, Fernseher, Freunde, Job ... Na ja, 9 lebenswert war das Leben in letzter Zeit sowieso nicht. Und die Umgebung hier ist einfach nur schön, wirklich traumhaft. Ein wenig kommt es mir vor, als wäre ich angekommen ... Ein Glöckchen – fein dieses Mal, hell und durchdringend, ruft zum Mittagsmahl. Zum Essen kann man hier nicht sagen, das klänge viel zu prosaisch, in dieser paradiesischen Umgebung. Das wäre nicht der richtige Ausdruck. Hier wird eine Mahlzeit zelebriert, nicht festlich, nein, feierlich ist das richtige Wort, andächtig und feierlich. Ich nicke den anderen Schwestern zu, die ich im Laufe des Vormittags bereits kennengelernt habe. Die Gesichter sind allesamt sehr nett, freundlich, sympathisch. Sie sitzen bereits am riesigen Refektoriums-Tisch und nicken mir zu, als ich eintrete; ich bin die Letzte, die sich setzt – nein, doch nicht. Nach mir betritt noch jemand den Raum; ich sitze mit dem Rücken zur Tür, doch ich spüre, wie ein wortloses Raunen durch den Raum geht, und erhebe mich wie selbstverständlich mit den Schwestern, die sehr ehrerbietig wirken, die Augen niedergeschlagen, die Hände gefaltet. Wahrscheinlich ist das die Äbtissin, denke ich, und blicke mich vorsichtig um. Das ist sie aber nicht. Die sitzt ja auch schon am Kopfende. Nein, hereingekommen ist eine kleine, zarte Frauengestalt, im Gegensatz zu den anderen, die allesamt schwarz gewandet 10 sind, in einem schneeweißen Habit, das ihr ausnehmend gut steht. Die Frau sieht hinreißend aus, und ich kenne sie. Da bin ich ganz sicher. Am liebsten würde ich aufspringen und sie in den Arm nehmen – bussi bussi, und high, wie geht es dir. Aber verflixt, wer ist sie? Es muss mir doch gleich einfallen, ich kenne sie, garantiert, und sie mich doch wohl auch. Sie nickt mir zu und lächelt, au verflixt, das ist ja peinlich, ich komme einfach nicht drauf ... Am liebsten würde ich sie ansprechen, erinnere mich aber gerade noch rechtzeitig an das Schweigegelübde. Vielleicht ist sie ja nachher auch in der Küche, da dürfte ich ja … Geduld, Geduld, aber gespannt bin ich doch. Irgendwie unverständlich, ich habe doch sonst nicht so ein schlechtes Personengedächtnis … 4 Wochen später. Ich weiß zwar, dass sie Angelina heißt. Schwester Angelina. Aber mehr auch nicht. Sie scheint zwar immer um mich herum gewesen zu sein, aber ins Gespräch sind wir wegen der Schweigepflicht nicht gekommen. Wenn ich sie anschaue, lächelt sie mich an, warm und liebevoll, und ich fühle mich so wohl in ihrer Gegenwart – die anderen Damen anscheinend auch; sie scheint von einer Aura aus 11 Frieden und Glück umgeben zu sein, die auf andere Menschen so anziehend wirkt wie Honig auf einen Bären. Man liest ihr jedes Bedürfnis von den Augen ab. In ihrem Alltagsleben muss sie doch ganz anders gewesen sein, sonst würde ich sie wohl kaum kennen – aber mein Gehirn weist diesbezüglich nach wie vor, einen weißen Flecken in meiner Gedächtnis-Landschaft auf. Egal, meine Zeit hier ist morgen um, und heute nehme ich Abschied. Meine Gedanken landen langsam wieder im Hier und Jetzt, und ich schaue mich um. Dieser Klostergarten ist ein Traum für jeden Botaniker,– und für Leute wie mich, die hier neue Kräfte tanken möchten. Hohe, uralte Bäume, die das Lied des Lebens schon in allen Tonlagen gesungen haben, berankt von Grün in allen möglichen Schattierungen, tröpfelndes Wasser, das scheinbar von den Felsen ausgeschwitzt wird. Farne und Moose überwuchern gewaltige, aus roh behauenen Natursteinen errichtete Mauern. Mauern, die nicht einengen, nicht bedrücken, nicht einsperren, sondern beschützen, abschirmen, Grenzen markieren … Mauern, von Toren durchbrochen, sind niemals ein Gefängnis. Eher ein Hort, eine Zuflucht, ein Hafen für das Ich, das im Auf und Ab des Alltags zwangsläufig irgendwo stranden muss, weil das Leben nun mal kein ruhiger Fluss ist … 12 Mein Orkan hat mich hier hergeworfen, an diesen Ort in den mallorquinischen Bergen, und die letzten Wochen haben mein Leben tatsächlich in ruhigeres Fahrwasser gebracht Gleich habe ich einen Termin bei der ranghöchsten Nonne hier, der Frau Äbtissin, und dann gehts ab in den Bus zum Flughafen. Morgen um diese Zeit sitze ich wieder im Zentrum des Geschehens, das Rad wird sich weiterdrehen – es muss. Auf einmal steht eine Gestalt neben mir. Ich habe sie nicht kommen sehen, hinter mir befindet sich anscheinend eine Tür. Angelina. Ob ich jetzt wohl mit ihr sprechen kann? „Hey, du …", weiter komme ich nicht. Sie steht mir gegenüber, sieht mich an, irgendwie wird mir ganz komisch, dieser intensive Blick … und dann der Duft … So nah war sie mir noch nie, und ich nehme einen Geruch wahr, einen Hauch von „mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt.“ Das alte Kinderlied fällt mir ein, „schlupf unter die Deck … Duft, Wärme, Dunkel, Schlaf … und ich sehe, ich sehe, Angelina neben mir, in einer anderen Zeit, sie beugt sich über mich, in einem Kinderbett, abgeknibbelte Tapeten, Kälte, die Eltern sind nicht da … Das Bild ändert sich: Ein Krankenhausbett, Schmerzen, Ängste, gleich kommt der Blinddarm raus, ein Gesicht über mir, eine Hand, die meine hält … Dann wieder dieser Duft, Christkindleins Baum, sie ist da, als der Baum brennt, das 13 Wohnzimmer plötzlich in Flammen steht … Und dann Im Krankenhaus, auf der Intensiv–Station: Frau Braun, es tut uns so unendlich leid, Ihre Tochter war nicht mehr zu retten, zu spät, zu spät … Eine Schwester, die sich mir zuwendet, mich in den Arm nimmt, mit Tränen in den Augen, zuckenden Schultern … Dieser Duft, dieses Gesicht – Angelina. Zu spät, zu spät. Ich schaue hoch und bin allein. Es ist Zeit, die Äbtissin wartet. Ich frage nach Angelina. Die Äbtissin antwortet. Ja, Angelina sei am gleichen Tag im Kloster angekommen wie ich, eine Hospitantin. Sie ist taubstumm. Keiner hat mit ihr geredet, sie wurde von ihrem Mutterhaus für einen Erholungsaufenthalt hergeschickt. Ja, sie fliege morgen wieder zurück nach Deutschland, mit der gleichen Maschine wie ich. Ich frage die Äbtissin: „Schutzengel – gibts die?" Sie steht vor mir, die Arme ausgebreitet, den Blick gen Himmel gerichtet. ,Ja, es gibt sie‘, sagt der Blick. Gibt es sie? 14 Lyrik Der Tag Sonntagnachmittag Mein Engel Augenblicke Spurwechsel 15 Der Tag Heute hat der Tag noch nicht ausgeschlafen. Sonnenfinger wischen ihm Nebelreste aus den Augen. Endlich, er beginnt zu strahlen. Gestern hatte der Tag sich bitter zu beklagen. Tränenspuren brannten ihm Salz in das Gesicht. Gestern schmeckte der Tag traurig. Morgen, denkt der Tag, wird es deine Zeit sein ‒ Licht, Luft, Freude ‒ die Düsternis vertreibst du ‒ morgen. 16 Sonntagnachmittag Ruhe in der Stadt ‒ kaum ein Mensch, selten ein Auto, kein Vogelgezwitscher. Schwüle Hitze bedrängt, bewaffnet die Luft ‒ Mit den Kindern im Stadtpark ‒ die Enten versteckt, kein Interesse an trockenem Brot. Du hängst vor der Sportschau, festgeklebt in deiner Bequemlichkeit, angepasst zwischen weichem Sofa und Langeweile. Du bist da. Immer. Zuverlässig. Verantwortungsbewusst. Du bist da. Nur die Liebe ist weg. Der Nachbar wirft den Grill an. Endlich Feuer. Sonntagnachmittag. 17 Mein Engel Mein Engel erkennt mich, wie ich sein sollte – er wendet sich ab, wenn ich fremd mir bin; doch wenn es sein muss, tritt er aus dem Schatten, verleiht meinem Leben neuen Sinn. Mein Engel tut alles, um mir zu helfen, auf die rechte Art ‒ und aufrecht zu gehn, durch gleißendes Licht und nächtliche Schatten den steinigen Pfad der Wahrheit zu sehn. Mein Engel ist da, wenn das Leben mich beutelt, breitet schweigend die Schwingen über mir aus, sein Da-Sein gibt meinem Sein Bedeutung und bringt mich am Ende sicher nach Haus ... 18 Augenblicke Unsere Blicke trafen sich, trennten sich ‒ wendeten sich ab. trauten sich zurückzublicken, gleichzeitig: unsere Augen suchten sich ‒ sie hätten sich eine Menge zu erzählen. Wir aber trieben aneinander vorbei ‒ und schwiegen 19 Spurwechsel Ich wechsele nach links ‒ Überholspur ‒ weiß nicht, wo ich mich einordnen soll. Gleich kommt die Ausfahrt. Hinter mir rauscht es heran, es kracht, es splittert ... Spurwechsel. Ich laufe im Wald auf den Spuren des Fuchses durch das Moos in dem Tauperlen funkeln wie Sternen gleich. In der Blattzisterne des Frauenmantels ... Sie leuchten mir, signalisieren, sie blinken: Buchung getätigt! Keine Änderung mehr möglich! Ausfahrt verpasst ... 20 Gotthardt Dorn Prosa Die Neue Mein Gott, wir sind doch nicht in Bayern 21 Die Neue Es ist nicht sicher, ob die folgende Geschichte von mir frei erfunden wurde, oder ob ich Sie vor längerer Zeit geträumt habe. Sie stammt aus einer Zeit, als man in den Büros noch mit Schreibmaschinen schrieb. Denkbar ist aber auch, dass es eine wahre Geschichte ist. Deshalb bitte ich die Damenwelt, nicht zu streng mit mir zu sein. Buhen sie mich nicht aus und lassen Sie mich erst alles erzählen, damit sie sich eine eigene Meinung von meinem Unglück bilden können. Warnen möchte ich die Männerwelt. Denn im Computerzeitalter könnte sich die Geschichte ebenso ereignen. Der Fernsehmann Robert Lembke hatte einst Folgendes gesagt: „Sekretärinnen sind Damen, die in jungen Jahren dafür bezahlt werden, den perfekten Umgang mit der Schreibmaschine zu erlernen, während sie einen Mann suchen.“ Alles begann an einem trüben Montag in unserer Caféteria. Als sie erschien, herrschte augenblicklich Stille im Raum. Wäre jetzt die berühmte Stecknadel gefallen, man hätte es gehört. Ihr Auftritt glich einer Sensation. Sie ging, nein sie schwebte, zum Mittags-Buffet. Die anwesenden Männer verdrehten ihre Köpfe, um sie nur nicht aus den Augen zu verlieren. Blond war sie, engelsgleich, mit einer Figur die 22 man ohne die Hände zur Hilfe zu nehmen, nicht hätte beschreiben konnte. Meine Kolleginnen bekamen angesichts dieses Wesens hektische Flecken im Gesicht. Ihnen war sofort klar, dass ihre Aktien bei den Männern in der Firma, nicht mehr viel wert waren. Warum nur stellt der Personalchef ein so aufgebrezeltes Wesen ein? Die Frauen waren ratlos. „Sie wird das gute Klima in der Firma nur vergiften“, tuschelten sie. Sie sollten recht behalten. Einundzwanzig männliche Augenpaare, das heißt alle anwesenden Männer, verfolgten die Neue mit bewundernden Blicken, als sie mit einem Teller, auf dem sich nicht mehr als ein paar Salatblätter, garniert mit ein paar Käsewürfeln befanden, auf einen freien Tisch zusteuerte. Ein Hollywoodstar hätte nicht mehr Aufsehen erregen können. „Sie wäre eine Sünde, ach was, viele Sünden wert.“ Da waren sich alle Kollegen einig. Mein Tischnachbar verschluckte sich angesichts dieser Frau an einer heißen Kartoffel und Rückenklopfen rang konnte nach ich Luft. ihn Nur wieder mit ins heftigem Leben zurückbringen. Langsam, nur sehr langsam, nahmen die Leute ihre Gespräche wieder auf. Die Männer fragten sich: „In welcher Abteilung wird sie wohl arbeiten? Wer ist der Glückliche, der 23 in ihrer Nähe sein darf?“ Die Frauen sagten: „Hoffentlich wird sie nicht in unserer Abteilung arbeiten.“ Ich ahnte, dass sie meine Sekretärin sein würde. Dreimal musste ich schlucken, als mein Chef dann tatsächlich mit ihr zu mir ins Büro kam, um sie mir als meine neue Sekretärin vorzustellen. Ich stammelte mit belegter Stimme, dass ich mich auf die Zusammenarbeit freue. Sie lächelte angesichts meiner Unbeholfenheit. Dieses Lächeln könnte Eisberge zum Schmelzen bringen, ging es mir durch den Sinn. Ich errötete und dachte: ›Verflixt, wie soll denn da eine Zusammenarbeit funktionieren?‹ Erst als ich ihr ihre Aufgaben in dieser Firma erklärte, wurde ich ruhiger und gelassener. Ich schaute auf ihre Hände und fragte mich, wie soll sie, angesichts dieser langen Fingernägel, mit der Tastatur zurechtkommen? Sie schaffte es spielend, wie ich später feststellte. Es war mir aber auch sofort klar, dass ich mich von diesen gefährlichen Waffen fernhalten sollte. Hätte ich doch nur auf meine Eingebung gehört. Mit der Zeit wurde unsere Zusammenarbeit lockerer und vertrauter. Viel enger, viel zu eng. Mein Verstand hätte mich warnen müssen. Aber nichts desgleichen geschah. So nahm 24 das Verhängnis seinen Lauf. Wir gingen nun täglich gemeinsam zum Mittagessen in die Caféteria. Der Neid meiner Kollegen, den hatte ich mir dabei redlich verdient. Im Sommer darauf war unser Verhältnis schon sehr intim, was sich auf die Zusammenarbeit im Büro als nicht günstig herausstellte. Ich musste einen Weg finden, damit ich sie als meine Sekretärin wieder loswurde. So fragte ich sie, ob sie meine Frau werden würde. „Na endlich!“, sagte sie mit kokettem Augenaufschlag, „ich habe mich schon lange gefragt, wann du mir endlich diese Frage stellst.“ Im September desselben Jahres wurde die Hochzeit gefeiert. Erst viel später bemerkte ich, wie sehr sich meine Frau, nach der Hochzeit, zu ihren Ungunsten veränderte. Möglicherweise war der Hafen der Ehe ihr Traumziel. Sie vernachlässigte jetzt ihr Äußeres, wurde schlampig. Auch mich vernachlässigte sie jetzt. Ich erinnerte mich an Robert Lembke: „Sekretärinnen sind Damen, die in jungen Jahren dafür bezahlt werden, den perfekten Umgang mit der Schreibmaschine zu erlernen, während sie einen Mann suchen.“ 25 Zu spät für diese Erkenntnis. So ging ich zum Frustabbau und zur Ablenkung wieder zu den Fußballspielen unserer Thekenmannschaft. Bei einem Glas Bier in unserer Stammkneipe, fragte mich mein alter Freund Fred, dem ich gerade mein Leid geschildert hatte: »Wie hast Du denn Deine Frau kennengelernt?« „Weißt du Fred, dir kann ich es ja sagen: Ich habe sie geheiratet.“ 26 Mein Gott, wir sind doch nicht in Bayern Kommissar Hähnlein hatte eine unruhige Nacht. Er ist unausgeschlafen. Irgendetwas hatte in der vergangene Nacht seinen sonst so guten Schlaf gestört. Den Wecker hatte er heute zweimal klingeln lassen, bevor er endlich aus den Federn kam. Jetzt hat er es sehr eilig. Er trinkt noch eine Tasse Kaffee im Stehen und überfliegt noch kurz die Headline der Tageszeitung, bevor er hastig das Haus verlässt, um doch noch einigermaßen pünktlich zur Dienststelle zu kommen. Beim Verlassen des Hauses entdeckt er, dass jemand vergangene Nacht, durch das liebevoll gepflegte Blumenbeet im Vorgarten gestiefelt ist. Das macht Hähnlein nicht fröhlicher. „Jetzt ist mir auch klar, weshalb ich vergangene Nacht so schlecht geschlafen habe. Meine schönen Blumen sind geknickt und zertrampelt. Ich werde mich heute Abend darum kümmern. Leider habe ich es im Moment sehr eilig.“, denkt er laut. Auf der Wache erwartet den Kommissar der übliche, alltägliche Kleingram. Ein in der Nacht gestohlenes Fahrrad ist sein erster Fall an diesem Morgen. Der nächste Fall: Ein 27 Penner vom Bahnhofsvorplatz hatte im Bahnhofskiosk einen Flachmann mitgehen lassen. Vor der Gesamtschule trieb sich wieder einmal ein Kleindealer herum. Auf dem Parkplatz des Supermarktes hatte ein rücksichtsloser Autofahrer ein geparktes Auto beschädigt, und sich anschließend seiner Verantwortung durch Fahrerflucht entzogen. Diese Delikte, die auf seinem Schreibtisch landeten, bedeuteten für den Kommissar viel Schreibarbeit. Vor vielen Jahren hatte er einen Schreibmaschinenkurs belegt – zehn Finger blind –, davon ist leider nicht viel übrig geblieben. Also hämmert Hähnlein im Zweifinger- Suchsystem alle Vorgänge des Vormittags mühsam in den Computer. Nach Feierabend werde ich versuchen herauszufinden, wer den Frevel in meinem Vorgarten angerichtet hat. Mit diesem Gedanken begibt er sich in die Kantine, denn heute gibt es Currywurst mit Pommes. Oder heißt es an Pommes? Als er gegen achtzehn Uhr nach Hause kommt, erwartet den Kommissar eine Überraschung. Seine Frau hat den nächtlich angerichteten Schaden bereits wieder behoben. Neue Blumen gepflanzt, und das Beet fein säuberlich geharkt. 28 „Hier kann ich nicht mehr viel tun! Ich hatte heute Morgen ganz vergessen, meiner Frau zu untersagen, den Tatort zu verändern. Ich muss schauen, ob es weitere Spuren im Garten gibt.“ Plötzlich stutzt er. „Stand die Leiter gestern nicht links am Kirschenbaum? Klar, ich habe doch gestern noch einen Korb der herrlichen Knorpelkirschen für meine Frau gepflückt. Sie wollte einen Kirschkuchen backen. Jetzt aber steht die Leiter an der rechten Baumseite.“ Er kratzt sich am Hinterkopf. Dabei denkt Hähnlein laut nach, wie es so seine Art ist. „Vergangene Nacht hatten wir also einen Kirschendieb in unserem Garten. Der hat unser schönes Beet zertreten. Wer aber diese Kirschen einmal gegessen hat, kommt auch noch ein zweites Mal zum Klauen.“ Umgehend fährt der Kommissar zu seiner Dienststelle, um sich die Infrarot-Videokamera der Dienststelle auszuleihen. Sorgfältig positioniert Hähnlein die Kamera. Der eingebaute Bewegungsmelder wird, sollte sich der Dieb wiederum an dem Kirschenbaum zu schaffen machen, die Aufnahme auslösen, und ihn, den Dieb, ohne dass dieser die Kamera bemerkt, die vermeintliche Tat in laufenden Bildern 29 Ende der Leseprobe von: Löhner Texturen Autorentreff Löhne Hat Ihnen die Leseprobe gefallen? Das komplette Buch können Sie bestellen unter: http://epub.li/1PmtP45
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