Mit vereinten Kräften zum pilotierten Fahren

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Das zentrale
FahrerassistenzSteuergerät hat
unter anderem
Rechenbausteine
von Mobileye
(EyeQ3) und
Nvidia (Tegra K1)
an Bord.
(© Audi)
Mit vereinten Kräften zum
pilotierten Fahren
Pilotiertes Fahren stellt hohe technische und funktionale Anforderungen an die
Elektronikentwicklung. Audi antwortet darauf mit einer neuen E/E-Architektur,
neuen Schnittstellen-Plattformen, virtuellen Entwicklungsmethoden und adaptiven
Entwicklungsprozessen.
D
ie aktuell verfügbaren Fahrerassistenzfunktionen bilden
eine sehr heterogene Gruppe und gehören zu verschiedenen Domänen, wie etwa der Parkassistent oder der
Fernlichtassistent. Zwischen diesen Domänen besteht bisher
nur ein eingeschränkter Informationsaustausch, auch die
Nutzung gemeinsamer Basiskomponenten ist nur schwach
ausgeprägt. Damit komplexere Assistenzfunktionen realisiert
werden können, muss eine Konsolidierung auf funktionaler
Ebene erfolgen und Synergien zwischen allen Applikationen
müssen konsequent ausgeschöpft werden.
Neue Systemarchitektur
Die funktionale Konsolidierung hat aber große Auswirkungen
auf die E/E-Architektur eines Fahrzeugs und wird mit den bisher üblichen, verteilten Steuergeräten, einer heterogenen
Buslandschaft (zum Beispiel CAN, Flexray, MOST, LIN) sowie den Gateways zwischen den verschiedenen Subnetzwerken nicht mehr abzubilden sein. Nötig ist aus Sicht von
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Audi vielmehr eine zentrale Systemarchitektur, die neben der
Sicht auf das Fahrzeug auch externe Innovationen berücksichtigt.
Hardware-seitig hat Audi seine Hausaufgaben schon gemacht: das sogenannte zFAS (Zentrales FahrerassistenzSteuergerät) ist eine bereits seriennahe Hardwarearchitektur,
in der alle Sensorinformationen für pilotiertes Fahren zusammenlaufen. Die leistungsfähigen Elektronikbausteine des
zFAS verfügen über die Rechenleistung eines heutigen Mittelklasseautos und verarbeiten die Daten mit bis zu acht Milliarden Rechenprozessen pro Sekunde weiter. Während ein
früher Prototyp dieser zentralen Recheneinheit im Jahr 2012
noch den kompletten Kofferraum ausfüllte, ist das Herzstück
des pilotierten Fahrens heute nur noch so groß wie ein Laptop. Das zFAS wird vermutlich 2017 in Serie gehen.
Analog zum ZFAS werden künftig weitere leistungsfähige
Steuergeräte jeweils mehrere kleinere ECUs eines FahrzeugSubsystems (Domain) zusammenfassen. Eine modellhafte
Architektur kann beispielsweise vier Domains (Antriebsma-
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nagement, Karosserie, Multimedia, pilotiertes Fahren) umfassen. Der hohe Datenverkehr zwischen den Domains überfordert allerdings die Bandbreite bisheriger Bustopologien. Als
neuen Backbone zwischen den Domain-Steuergeräten setzt
Audi auf das Ethernet-Protokoll mit einer Bandbreite von bis
zu 1 Gbit/s. Jedoch nicht auf das bisher aus der Consumerwelt bekannte Ethernet, sondern auf eine für das Automobil
ertüchtigte Variante. Hierbei handelt es sich um ein geswitchtes Netzwerk mit geschalteten Punkt-zu-Punkt-Verbindungen. Ergänzend dazu werden weiterhin CAN- und LIN-Datenbusse weniger zeit- und bandbreitenkritische Aufgaben in
den Subnetzen übernehmen.
Smartphone-Techniken und Mobilfunkstandards (zum Beispiel deren Datenrate und Latenzzeit) berücksichtigt. Ebenso
müssen Aspekte wie Safety, Security und Privacy laufend auf
aktuelle Trends hin überprüft werden.
Die Interfaces zwischen den vier definierten Domänen
­einer Systemarchitektur sind als Plattformen mit darin ent­
haltenen Schnittstellenadaptern realisiert. Wichtig ist unter
anderem der Hypervisor, der den Einsatz standardisierter
Software (zum Beispiel AUTOSAR) ermöglicht. Dadurch ist
sichergestellt, dass festgelegte und standardisierte Interfaces verwendet werden, und sich nahtlos weitere Entwicklungsschritte aufsetzen lassen. Außerdem steigert dieser Ansatz die Wiederverwendbarkeit von Softwarekomponenten
und senkt so Entwicklungskosten. Ein weiterer Plattform-­
Die Plattform schafft Verbindung
Bestandteil ist das von Audi selbst entwickelte Mobile
Parallel zum wachsenden Datenverkehr im Automobil steigt ­Computing Framework. Es enthält Software für die Androidder Grad der Vernetzung mit externen Systemen an, etwa und Apple-Betriebssysteme und wird genutzt, um über modurch Car-to-X-Kommunikation oder die Nutzung cloud-­ bile Endgeräte individuelle Apps aufzuspielen. Für cloud-­
basierter Dienste, die beispielsweise aggregierte Flottenda- basierte Dienste steht ein Framework bereit, das die Datenten bereitstellen. Auch die Vernetzung mit Mobile Devices analyse und -verarbeitung in Echtzeit optimieren hilft. In
(etwa zum Steuern automatisierter Parkvorgänge per Smart- ­
naher­
Zukunft will Audi hier auch maschinenlernende Pro­
phone) wird immer bedeutender. Dies erfordert für die Syste- zesse implementieren, die, durch Analyse ähnlicher Fälle aus
marchitektur einen ganzheitlichen Entwicklungsansatz, der der Vergangenheit, neu auftretende Probleme selbstständig
unter anderem externe Elemente wie Backends, neueste lösen können.
»
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(© Audi)
Bild 2: Typisches Layout
einer Soft- und
Hardware-­
Architektur für
pilotiertes
Fahren.
Entwicklungsmethoden und -prozesse
Virtuelle Entwicklungsmethoden sind neben den Plattformen
und der Systemarchitektur eine weitere wichtige Komponente in der automobilen Softwareentwicklung. Deshalb hat das
Tochterunternehmen Audi Electronics Venture GmbH die
Functional Engineering Platform (FEP) entwickelt, eine skalierbare Testumgebung. Sie vernetzt virtuell alle Teilsysteme
bis hin zu mobilen Endgeräten und cloudbasierten Diensten
und ermöglicht dadurch eine sehr frühzeitige Verifizierung
und Validierung von Algorithmen, Architekturen, Steuergeräten und Hardwaremustern. Parallel dazu kann die FEP mit realen Steuergeräten und HiL-Prüfständen verknüpft werden,
sodass auch Prüfstands- und Fahrzeugtests möglich sind.
Die Integration von Sensormodellen, wie etwa einem Radar,
und die Kopplung mit Fahrermodellen und einer Verkehrssimulation ergeben flexible Einsatzmöglichkeiten.
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Bild 1: Wichtig ist eine frühzeitige Implementierung der Entwicklungselemente schon ab der Konzeptphase.
Eine einheitliche Systemarchitektur, Plattformen und eine
­virtuellen Entwicklung sind aber lediglich technische Voraussetzungen für softwareintensive Innovationen. Audi sieht in
ihrer Einbettung in adaptive Prozesse den Schlüssel zur
schnellen und nachhaltigen Entwicklung. So will die Audi
Electronics Venture GmbH mit einem Projekt zur Organi­
sation des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses ein einheitliches, modulares Entwicklungsframework für die
Embedded Softwareentwicklung bereitstellen. Es umfasst
­
gemeinsame Tools, geeignete Entwicklungsmethoden, eine
leistungsfähige Infrastruktur und stellt darüber hinaus
Support-Services für die Entwickler zur Verfügung. Das
­
Framework ist nach A
­ utomotive SPICE Level 3 zertifiziert
und kann nach Angaben von Audi an die spezifischen Rahmenbedingungen jedes Projekts angepasst werden. W (oe)
Hartmut Hammer ist freier Mitarbeiter der Hanser automotive.
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