Empfehlung vom 14. September 2015

Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter
EDÖB
Bern, 14. September 2015
Empfehlung
nach Art. 14 des Öffentlichkeitsgesetzes
im Schlichtungsverfahren zwischen
X
(Antragsteller)
und
Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV
I.
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte stellt fest:
1.
Nachdem der Antragsteller (Privatperson) seit dem Jahr 2006 immer wieder an die
Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV gelangte und ihr mitteile, dass ihr im Bereich der
Erhebung der Mehrwertsteuer auf Retrozessionen „über 100 Mio CHF“ an Steuereinnahmen
entgangen seien, bat er die ESTV mit Schreiben vom 12. Januar 2015 gestützt auf das
Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ; SR
152.3) um Auskunft darüber, „welche Massnahmen Sie [die ESTV] getroffen haben, um die
Ausstände nachzubelasten“.
2.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2015 nahm die ESTV Stellung zum Gesuch und teilte dem
Antragsteller mit, dass er bereits am 21. Januar 2013 ein Zugangsgesuch gestellt habe, mit
welchem er um Bekanntgabe des jährlichen Betrages der Mehrwertsteuereinnahmen des
Bundes aus Retrozessionen ersuchte. Die ESTV habe ihm bereits damals in einem Schreiben
vom 13. Februar 2013 erklärt, sie verfüge nicht über eine separate Aufstellung der
Mehrwertsteuereinnahmen aus Bankenretrozessionen und es sei ihr auch nicht möglich, eine
derartige Gesamtübersicht aus ihren Datenbeständen durch einen „einfachen elektronischen
Vorgang“ i.S.v. Art. 5 Abs. 2 BGÖ zu erstellen.
An dieser Sachlage habe sich bis heute nichts geändert.
3.
Am 15. Februar 2015 reichte der Antragsteller einen Schlichtungsantrag beim Eidgenössischen
Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Beauftragter) ein.
4.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2015 bestätigte der Beauftragte gegenüber dem Antragsteller
den Eingang des Schlichtungsantrages und forderte gleichentags die ESTV dazu auf, die
betroffenen Dokumente sowie eine ausführliche und detailliert begründete Stellungnahme
einzureichen.
5.
Mit E-Mail vom 26. Februar 2015 reichte die ESTV eine Stellungnahme ein. Darin bekräftigte
sie abermals die Tatsache, dass ihr keinerlei Dokumente vorliegen würden, aus welchen die
vom Antragsteller gewünschten statistischen Angaben hervorgingen. Ebenso wenig sei es der
ESTV möglich, eine solche Statistik aus ihren Datenbeständen durch einen einfachen
elektronischen Vorgang gemäss Art. 5 Abs. 2 BGÖ zu erstellen. Darüber hinaus räume das
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Öffentlichkeitsgesetz auch keinen Anspruch Dritter darauf ein, dass die ESTV solche Statistiken
über die Mehrwertsteuereinnahmen aus Retrozessionen neu erarbeite. Das Gesetz räume
lediglich für jedermann das Recht ein, bestehende amtliche Dokumente einzusehen und von
den Behörden Auskunft über den Inhalt amtlicher Dokumente zu erhalten.
Weiter erklärte die ESTV, dass Retrozessionen in der Mehrwertsteuer-Abrechnung nicht
separat erfasst würden, weil steuerpflichtige Unternehmen die erzielten Umsätze gemäss
Mehrwertsteuerverordnung (MWSTV; SR 641.201) nicht aufgeteilt nach Leistungskategorien
mitteilen müssten. Vielmehr würden Einnahmen aus Retrozessionen zusammen mit allen
übrigen Umsätzen aus Leistungen, die zum Normalsatz steuerbar sind, deklariert.
Die ESTV prüfe jedoch im Rahmen ihrer normalen Kontrolltätigkeit auch Banken und sonstige
Finanzdienstleister. Stelle sie dabei Fehler fest, werde die zu wenig abgerechnete
Mehrwertsteuer nachbelastet bzw. die zu viel bezahlte Steuer zurückerstattet.
Aufgrund dieser Ausführungen könne sie die verlangten Dokumente auch nicht dem
Beauftragten zustellen, da diese gar nicht existieren würden.
6.
Am 10. September 2015 fand eine Schlichtungsverhandlung statt, in welcher sich die Parteien
nicht einigen konnten. Immerhin bot diese Schlichtungsverhandlung die Gelegenheit, dass sich
die Parteien im Hinblick auf das Thema Mehrwertsteuererhebung auf Retrozessionen
austauschen konnten und die ESTV nochmals die Möglichkeit nutzte, dem Antragsteller zu
erklären, weshalb ihr die von ihm gewünschten statistischen Informationen nicht vorliegen
würden. Ebenso erhielt der Antragsteller anlässlich dieser Schlichtungsverhandlung eine
Antwort seitens der ESTV auf seine im Zugangsgesuch aufgeworfene Frage, welche
Massnahmen die ESTV aufgrund seiner Interventionen getroffen habe, um die
Mehrwertsteuerausstände auf Retrozessionen nachzubelasten.
7.
Auf die weiteren Ausführungen des Antragstellers und der ESTV sowie auf die eingereichten
Unterlagen wird, soweit erforderlich, in den folgenden Erwägungen eingegangen.
II.
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte zieht in Erwägung:
A.
Formelle Erwägungen: Schlichtungsverfahren und Empfehlung gemäss Art. 14 BGÖ
8.
Der Antragsteller reichte ein Zugangsgesuch nach Art. 10 BGÖ bei der ESTV ein. Diese
verweigerte den Zugang zu den verlangten Dokumenten. Der Antragsteller ist als Teilnehmer
an einem vorangegangenen Gesuchsverfahren zur Einreichung eines Schlichtungsantrags
berechtigt (Art. 13 Abs. 1 Bst. a BGÖ). Der Schlichtungsantrag wurde formgerecht (einfache
Schriftlichkeit) und fristgerecht (innert 20 Tagen nach Empfang der Stellungnahme der
Behörde) beim Beauftragten eingereicht (Art. 13 Abs. 2 BGÖ).
9.
Das Schlichtungsverfahren findet auf schriftlichem Weg oder konferenziell (mit einzelnen oder
allen Beteiligten) unter Leitung des Beauftragten statt, der das Verfahren im Detail festlegt. 1
Kommt keine Einigung zustande oder besteht keine Aussicht auf eine einvernehmliche Lösung,
ist der Beauftragte gemäss Art. 14 BGÖ gehalten, aufgrund seiner Beurteilung der
Angelegenheit eine Empfehlung abzugeben.
1
Botschaft zum Bundesgesetz über die Öffentlichkeit der Verwaltung (Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ) vom 12. Februar 2003,
BBl 2003 1963 (zitiert BBl 2003), BBl 2003 2024.
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B.
Materielle Erwägungen
10.
Der Beauftragte prüft nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung über das Öffentlichkeitsprinzip der
Verwaltung (Öffentlichkeitsverordnung, VBGÖ; SR 152.31) die Rechtmässigkeit und die
Angemessenheit der Beurteilung des Zugangsgesuches durch die Behörde. Er prüft damit im
Schlichtungsverfahren einerseits beispielsweise, ob die für das Zugangsgesuch zuständige
Behörde den Begriff des amtlichen Dokumentes (Art. 5 BGÖ) sowie die in Art. 7 f. BGÖ
vorgesehenen Ausnahmeklauseln oder die Bestimmungen in Bezug auf den Schutz der
Personendaten (Art. 9 BGÖ) rechtmässig angewendet hat. Andererseits prüft er in jenen
Bereichen, in denen das Öffentlichkeitsgesetz der Behörde bei der Bearbeitung eines
Zugangsgesuches einen gewissen Ermessensspielraum verleiht (z.B. Art der Einsichtnahme in
amtliche Dokumente), ob die von der Behörde gewählte Lösung auf die Umstände des
jeweiligen Falls abgestimmt und angemessen ist. Dabei kann der Beauftragte entsprechende
Vorschläge im Rahmen des Schlichtungsverfahrens machen (Art. 12 Abs. 2 VBGÖ) oder
gegebenenfalls eine entsprechende Empfehlung erlassen (Art. 14 BGÖ).2
11.
Gegenstand des vorliegenden Schlichtungsverfahrens ist das Zugangsgesuch des
Antragstellers vom 19. Januar 2015 (vgl. Ziffer 1), mit welchem er Auskunft darüber verlangte,
welche Massnahmen die ESTV getroffen habe, um die Mehrwertsteuerausstände auf
Retrozessionen nachzubelasten. Der Antragsteller verlangte demnach nicht in erster Linie die
Gewährung des Zugangs zu konkreten amtlichen Dokumenten, sondern vielmehr eine
behördliche Auskunft, welche möglicherweise aus einem amtlichen Dokument hervorgeht (vgl.
Art. 6 Abs. 1 BGÖ). Eine solche Auskunft in Bezug auf seine konkrete Frage, welche
Massnahmen die ESTV getroffen hat, um die von ihm vermuteten Mehrwertsteuerausstände
auf Retrozessionen nachzubelasten, hat er anlässlich der Schlichtungsverhandlung erhalten
(vgl. Ziffer 6). Damit erachtet der Beauftragte die Frage aus dem Zugangsgesuch des
Antragstellers vom 19. Januar 2015 als beantwortet.
12.
Was die vom Antragsteller wiederholt von der ESTV heraus verlangten statistischen Angaben
zu Mehrwertsteuereinnahmen aus Retrozessionen anbelangt, stellt der Beauftragte fest, dass
die ESTV bereits in ihren Antwortschreiben auf die Eingaben des Antragstellers vor diesem
Schlichtungsverfahren als auch während dieses Schlichtungsverfahrens verschiedentlich
schriftlich und mündlich versichert hat, dass ihr die verlangten statistischen Daten nicht
vorliegen würden, da diese gar nicht erst erhoben würden.
Die entsprechenden Aussagen der ESTV sind für den Beauftragten nachvollziehbar und er
sieht keinen Anlass, an diesen zu zweifeln.
Er kann demnach lediglich feststellen, dass die ESTV aus nachvollziehbaren Gründen nach
eigener Aussage nicht über amtliche Dokumente i.S.v. Art. 5 BGÖ verfügt, welche Auskunft
über die vom Antragsteller gewünschten statistischen Angaben zu Mehrwertsteuereinnahmen
aus Retrozessionen geben. Im Ergebnis kann die ESTV mangels Vorhandensein der verlangten
Dokumente auch keinen Zugang zu diesen gewähren.
13.
Zusammengefasst gelangt der Beauftragte damit zu folgendem Ergebnis:
Auf die Frage des Antragstellers in seinem Zugangsgesuch hat dieser anlässlich der
Schlichtungsverhandlung eine Antwort erhalten.
Darüber hinaus kann die ESTV keinen Zugang zu amtlichen Dokumenten gewähren, die
Auskunft über die vom Antragsteller gewünschten statistischen Informationen geben, da solche
Dokumente der ESTV gar nicht vorliegen.
2
GUY-ECABERT, in: Brunner/Mader [Hrsg.], Stämpflis Handkommentar zum BGÖ, Bern 2008 (zit. Handkommentar BGÖ),
Art. 13, Rz 8.
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III.
Aufgrund dieser Erwägungen empfiehlt der Eidgenössische Datenschutz- und
Öffentlichkeitsbeauftragte:
14.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung hält an ihrem Bescheid, keine Dokumente zugänglich
machen zu können, über welche sie gar nicht verfügt, fest.
15.
Der Antragsteller kann innerhalb von 10 Tagen nach Erhalt dieser Empfehlung bei der ESTV
den Erlass einer Verfügung nach Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren
(Verwaltungsverfahrensgesetz; VwVG; SR 172.021), verlangen, wenn er mit der Empfehlung
nicht einverstanden ist (Art. 15 Abs.1 BGÖ).
16.
Die ESTV erlässt eine Verfügung, wenn es mit der Empfehlung nicht einverstanden ist (Art. 15
Abs. 2 BGÖ).
17.
Die ESTV erlässt die Verfügung innert 20 Tagen nach Empfang dieser Empfehlung oder nach
Eingang eines Gesuches um Erlass einer Verfügung (Art. 15 Abs. 3 BGÖ).
18.
Diese Empfehlung wird veröffentlicht. Zum Schutz der Personendaten der am
Schlichtungsverfahren Beteiligten wird der Name des Antragstellers anonymisiert (Art. 13 Abs.
3 VBGÖ).
19.
Die Empfehlung wird eröffnet:
-
Einschreiben mit Rückschein (R)
X
[Antragsteller]
-
Einschreiben mit Rückschein (R)
Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV
3003 Bern
Jean-Philippe Walter
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