Verfolgung durch Al Shabab

VG München, Urteil v. 20.08.2015 – 11 K 14.30842
Titel:
Flüchtlingseigenschaft bejaht - Verfolgung durch Al Shabab - Zwangsrekrutierung
Normenketten:
AsylVfG §§ 3 I, 3a I, II, 3b, 3c Nrn. 1 u.2
AufenthG § 60 V, VII 1
VwGO § 113 I 1, V
AsylVfG §§ 3 I, 3a I, II, 3b, 3c Nrn. 1 u
AufenthG § 60 V, VII 1
VwGO § 113 I 1, V
§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG
Schlagworte:
Asyl, Somalia, Individuelle, Verfolgung, durch, Al Shabab, Zwangsrekrutierung
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts ... vom ... Juli 2014 wird in den Nummern 1, 3 bis 5 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger ist ein im Jahr 1996 geborener somalischer Staatsangehöriger. Er stellte am 30. November 2012
in Deutschland einen Asylantrag.
Am 20. Februar 2014 wurde er beim Bundesamt persönlich angehört. Auf die dort gemachten Angaben wird
verwiesen.
Mit Bescheid vom ... Juli 2014 lehnte das Bundesamt es jeweils ab, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft
zuzuerkennen (Nummer 1), ihn als Asylberechtigten anzuerkennen (Nummer 2) und ihm den subsidiären
Schutzstatus zuzuerkennen (Nummer 3). Das Bundesamt verneinte das Vorliegen von
Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Nummer 4) und drohte dem Kläger
die Abschiebung nach Somalia an (Nummer 5). Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
Der Kläger erhob durch Schreiben seines Bevollmächtigten am 18. Juli 2014 Klage mit dem Antrag,
den Bescheid des Bundesamts vom ... Juli 2014 in den Nummern 1, 3 bis 5 aufzuheben und die Beklagte
zu verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus
festzustellen, hilfsweise ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG
hinsichtlich Somalias festzustellen.
Zur Begründung wurde in der Folge mit Schriftsätzen vom 16. September 2014, 10. Juli 2015 und 6. August
2015 im Wesentlichen geltend gemacht, in Somalia herrsche nach wie vor Bürgerkrieg. Nachdem in Kenia
die Anschläge von Al Shabab zugenommen hätten, könne man nicht davon ausgehen, dass diese
geschlagen sei. Sie sei nach wie vor verfolgungsmächtig. Als junger Mann sei der Kläger besonders
gefährdet, da er ein möglicher Kämpfer sei.
Das Bundesamt hat keinen Antrag gestellt und sich im Verfahren auch nicht sachlich geäußert.
In der mündlichen Verhandlung am 19. August 2015 wurde der Kläger gehört. Auf die Niederschrift wird
verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft
zuzuerkennen; der angefochtene Bescheid ist in den Nummern 1 und 3 bis 5, welche dieser Verpflichtung
entgegen stehen, aufzuheben (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Der Kläger hat Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil ihm in Somalia seitens
nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 3 c Nr. 3 AsylVfG eine politische und religiöse Verfolgung im Sinne
des § 3 Abs. 1 i. V. § 3 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 3 b AsylVfG droht und die in § 3 c Nummern 1 und 2
AsylVfG genannten Akteure erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, ihm im Sinne des § 3 d AsylVfG
Schutz vor dieser Verfolgung zu bieten.
Der Kläger ist seiner glaubhaften Darstellung in der mündlichen Verhandlung vom 19. August 2015 zufolge
vor seiner Ausreise im Jahr 2008 von Al Shabab zwangsrekrutiert worden.
Er war einer Verfolgung nach §§ 3 Absatz 1, 3 a Absatz 1, Absatz 2 Nr. 1 AsylVfG ausgesetzt und ist davon
weiter bedroht.
Der Kläger hat glaubhaft geschildert, dass er in einem Internat gelebt hat, in dem Al Shabab Trainings
durchführte und sich die besten Kämpfer aussuchte. Daher war er als Schüler mit Namen und Adresse
bekannt. Weil der Kläger aus der Schule, in der er für Al Shabab trainiert wurde, geflohen ist, muss er im
Falle einer Rückkehr nach Somalia damit rechnen, von Al Shabab bestraft zu werden. Die Schule, in der er
trainiert wurde, besteht noch. Es ist nachvollziehbar, dass einige der Lehrer dort noch unterrichten und die
Schüler dort noch in die Schule gehen bzw. noch dort leben. Zwar mag es sein, dass ... nicht (mehr) von Al
Shabab regiert wird, jedoch dürften die Sympathisanten und einzelne Al Shabab-Angehörige weiterhin dort
leben. Daher ist es nachvollziehbar, dass der Kläger bei einer Rückkehr damit rechnen muss, dass
entweder Al Shabab-Angehörige oder Leute, die für sie spionieren und noch dort leben, ihn finden und
verraten bzw. bestrafen.
Dies entspricht auch dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 2.2.2015, wonach Al Shabab brutal gegen
alle Gegner vorgeht und Kinder sowie junge Männer als Soldaten rekrutiert werden (Ziffer 2.1.2. ff.).
Ausgehend von der zugunsten des Klägers als Vorverfolgten eingreifenden Beweiserleichterung nach Art. 4
Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er im Falle einer Rückkehr mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit weiterhin von der oben dargestellten Verfolgung bedroht ist.
Eine inländische Fluchtalternative für den aus ... stammenden Kläger besteht nicht. Er hat nur noch Kontakt
zu seiner in ... lebenden Mutter. Es ist bereits davon auszugehen, dass es für ihn schwierig oder gar
unmöglich sein würde, relativ sichere Zufluchtsgebiete z. B. in nördlichen Landesteilen zu erreichen (vgl.
Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 2.2.2015, dort Ziff. 2.3).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.