HandelsblattNr. 062 vom 31.03.2016 Seite 018 Unternehmen & Märkte D KARL-LUDWIG KLEY „Wir haben einen Hang zur Selbstzerstörung“ Der scheidende Merck-Vorstandschef und designierte Aufsichtsratsprimus von Eon spricht über weltpolitische Gefahren und deutsche Befindlichkeiten, seine Bilanz in Darmstadt und das angekratzte Image der Pharmabranche. ie alte Empfangshalle ist abgerissen, dahinter wachsen Beton- und Stahlgerippe in die Höhe, allerorten wird mit schwerem Gerät hantiert – der Campus des Darmstädter Dax-Konzerns Merck gleicht einer einzigen Baustelle. Und das nicht nur baulich, auch personell. Denn der Pharma- und Spezialchemiekonzern verliert nach zehnjähriger Tätigkeit alsbald seinen ersten Vorarbeiter: Karl-Ludwig Kley. Radikale Umbauten werden ihn als neuen Oberaufseher von Eon auch künftig umtreiben. Der Manager Nach Stationen bei Bayer und im Lufthansa-Vorstand wechselte Karl-Ludwig Kley (64) zur im Dax notierten Merck KGaA. Nach einer schwierigen Anfangsphase brachte der Jurist den Pharma- und Chemiekonzern zu neuer Blüte: mit milliardenschweren Zukäufen und der Konzentration auf nur noch drei Geschäftsfelder. Das Unternehmen Merck in Darmstadt gilt als älteste Pharmafirma der Welt. In der etwa zehnjährigen Amtszeit von Kley hat sich der Umsatz von sieben auf 13 Milliarden Euro fast verdoppelt. Neben dem Pharmageschäft ist der Konzern in den Bereichen Spezialchemie (insbesondere Flüssigkristalle) und Life Science tätig. Der Aktienkurs stieg seit 2007 von um die 40 Euro auf knapp 80 Euro. Eine Entwicklung, die insbesondere die über 100 Familienmitglieder freut, die zusammen 70 Prozent an dem Dax-Konzern besitzen. Herr Kley, wir alle stehen noch unter den Eindrücken der Terroranschläge in Brüssel. Wie beurteilen Sie die Situation? Die Lage ist ernst. Ich glaube, dass wir uns auf Jahre mit dem Thema Sicherheit befassen müssen. Und zwar nicht nur außenpolitisch, auch innenpolitisch. Nun hatten wir gerade Landtagswahlen. Ich gehe davon aus, dass die AfD nach den Anschlägen in Brüssel noch stärker gewonnen hätte als ohnehin schon. Dabei ist es müßig zu spekulieren, von welcher anderen Partei die Stimmen gekommen wären. Fakt ist, dass die äußere und innere politische Sicherheit eine immer größere Rolle spielen wird. Was heißt das für die Politik insgesamt? Der Wahlausgang hat gezeigt, dass sich politische Stabilität im Moment an Personen festmacht. Die Menschen haben Winfried Kretschmann von den Grünen und Malu Dreyer von der SPD das Vertrauen ausgesprochen. Die CDU empfindet das zwar als Zustimmung für ihre Politik, weil die beiden in der Flüchtlingsfrage den Kurs der Kanzlerin weitgehend mitgetragen haben. Aber im Ergebnis hat die CDU verloren und gesamthaft auch die SPD. Die stabilen Eckpfeiler unseres Parteiensystems sind dünner geworden. Was sind die Konsequenzen? Althergebrachte politische Gewissheiten wackeln und mit ihnen die traditionelle Parteienlandschaft. Deshalb wird die Stabilität der Wirtschaft immer bedeutender für Gesellschaft und Sozialstaat. Sorgen Sie sich vor diesem Hintergrund um die Stabilität des Landes? Da ist mir nicht bange. Deutschland steht nach wie vor gut da. Das hat mit dem Funktionieren unserer Demokratie, mit der weithin positiven Einstellung der Menschen und eben auch mit der Stärke der deutschen Wirtschaft zu tun. Spüren Sie als hochrangiger Vertreter der Wirtschaft in dieser Situation eine besondere Verantwortung? Ja, das tue ich, und wir leben diese Verantwortung bei Merck. Ich kann und will für niemanden Wahlkampf machen und kann auch keine politischen Empfehlungen aussprechen. Was ich aber als Unternehmer tun kann, ist Jobs sichern und in den Standort investieren. nur die Leistung von Kulturschaffenden wertgeschätzt wird, sondern auch die Leistung von Unternehmern. Da wird zu oft nur das negative Bild gesehen. Wenn Sie jetzt die Energiepolitik ansprechen, denken Sie da schon an Ihre neue Aufgabe als Aufsichtsratschef bei Eon? Nein. Eon ist jetzt noch kein Thema. Ich bin ja noch nicht mal gewählt, geschweige denn im Amt. Über Energiefragen spreche ich in meiner Eigenschaft als ExPräsident des Verbands der Chemischen Industrie. Deutschlands Wirtschaft braucht in Gänze eine verlässliche Energiepolitik mit einer Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähigen Preisen. Beides ist uns seit dem Unglück von Fu- Was genau meinen Sie? Beide Ziele sollten über einen realistischen Ausstiegsprozess angestrebt werden, der es den Energieunternehmen und den verbrauchenden Industrieunternehmen erlaubt, den Umbruch vernünftig umzusetzen. Manchmal sind Physik und Technik langsamer als der politische Wille. Das sollten sowohl Gesellschaft als auch Politik akzeptieren. Es war ausgerechnet Werner Wenning, der frühere Chef Ihres Konkurrenten Bayer und heutige Eon-Aufsichtsratsvorsitzende, der Sie als Nachfolger in Essen nominierte. Ein besonderes Signal? Herr Wenning kann sicher in besonderer Weise beurteilen, was wir bei Merck geleistet haben. So gesehen habe ich mich in der Tat über die Frage gefreut und sehe sie als Wertschätzung meiner Arbeit. Redakteure Siegfried Hofmann (l.) und Peter Brors (r.) mit Karl-Ludwig Kley: „Wir brauchen keine Streicheleinheiten.“ se des Umbaus unsere Chance in der Medikamentenentwicklung nicht genutzt. Dafür übernehme ich auch die Verantwortung. Aber ich bin sicher, dass wir jetzt so aufgestellt sind, dass sich das bald ändert. Oder anders gesagt: Ich habe das Kirchenschiff gebaut, mein Nachfolger Stefan Oschmann setzt jetzt die Kuppel drauf, und das kann ja, nach dem Vorbild von Filippo Brunelleschi, gern eine besonders große sein. Was macht sie da so optimistisch? Unser Healthcare-Geschäft wird heute wesentlich professioneller geführt. Und unser wichtigstes Pipelineprojekt, das Krebsmedikament Avelumab, zeigt sehr vielversprechende Ergebnisse in den klinischen Studien. Aber falls das Projekt doch fehlschlägt, droht dann eine neue Krise bei Merck? Das ist eine hypothetische Frage. Ich bin überzeugt, die wird sich so nicht stellen. Braucht Merck weitere Zukäufe, um die Pharmasparte voranzubringen? Weitere Akquisitionen würden wohl nicht helfen. Es geht jetzt darum, die interne Arzneimittelentwicklung weiter voranzutreiben und zu optimieren. Viele Ihrer Pharmakonkurrenten gehen derzeit andere Wege und setzen weiter auf milliardenschwere Zukäufe. Macht die Branche mit dieser kapitalmarktgetriebenen Strategie womöglich die gleichen Fehler wie die Finanzindustrie, indem sie ihren eigentlichen Geschäftszweck, das Entwickeln neuer Medikamente, vernachlässigt und so das Vertrauen der Menschen verspielt? Diese Gefahr sehe ich. Ein Geschäftsmodell ohne eigene Forschung, das nur auf Übernahmen und anschließenden Preiserhöhungen fundiert, ist nicht das, was ich unter verantwortungsvoller Unternehmensführung verstehe. Merck ist das älteste Pharmaunternehmen der Welt und galt fast 350 Jahre lang auch als eines der bravsten und am solidesten finanzierten. Dann kamen Sie und haben eine Übernahme nach der anderen initiiert. Warum eigentlich? Wir waren in vielen Bereichen zu klein, und zwar sowohl in der Spezialchemie als auch im Pharmabereich. Und unsere F&E-Abteilung hat einfach keine eigenen Medikamente mehr zur Marktreife gebracht. Wir standen finanziell zwar nicht schlecht da, aber die Zukunftsfähigkeit der Firma sah lange nicht so rosarot aus wie die damalige Gegenwart. Auch die forschenden Konzerne stehen in der Kritik wegen überzogener Preise. Es ist leider sehr schwer zu vermitteln, wie teuer es ist, neue innovative Produkte zu entwickeln. Da müssen Sie zuvor an anderer Stelle viel Geld verdient haben. Das geht nur mit effizienten Strukturen, mit vernünftigen Bedingungen und eben auskömmlichen Preisen. Die Strategie scheint in vielerlei Hinsicht aufgegangen zu sein. Umsatz und Börsenwert haben sich in Ihrer Amtszeit verdoppelt. Nur: Neue Medikamente gibt es weiter keine aus Darmstadt. Noch nicht. Wir haben in der ersten Pha- Rufen Sie damit die Politik zur Ordnung? Fast allen ist ja bewusst, dass unser Gesundheitssystem viel zu komplex und unbeweglich geworden ist. Leider fehlt es an der politischen Kraft, neue Wege zu gehen. Was müsste passieren? Ich würde mir wünschen, dass alle Beteiligten, Politik, Ärzte, Kassen und auch die Pharmaindustrie, aus ihren Schützengräben herauskommen. Wir müssen eine Debatte führen, wie wir weiter Innovationen ermöglichen und da, wo keine sind, effizienter werden, um die Qualität der Versorgung insgesamt zu verbessern. Es darf nicht allein um Kostenaspekte gehen, sondern auch darum, Ärzten wieder Zeit zu geben, sich intensiv mit den Patienten auseinanderzusetzen. Nur auf die Kosten zu blicken ist so, als würden Sie beim Dreisprung nach dem ersten Satz abbrechen. Andreas Reeg Andreas Reeg [M] © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. Der Firmenchef des Milliardenkonzerns Merck als Wohltäter für das Land? Wir brauchen keine Streicheleinheiten und keine Lobpreisungen. Aber manchmal würde ich mir wünschen, dass nicht Halten Sie den Ausstieg für falsch? Ich akzeptiere die politischen Ziele der Energiewende und teile sie partiell. Das Ende der Kernkraft und eine deutliche CO2-Reduzierung sind also gesetzt. Ich halte aber die Umsetzung für unprofessionell und von Fehlern durchsetzt. Was haben Sie nach eigener Einschätzung richtig und gut gemacht? Wir haben aus dem etwas altmodischen Pharma- und Chemiekonzern von einst ein modernes Wissenschafts- und Technologieunternehmen gemacht. Entscheidend dabei war, dass es gelungen ist, in dieser radikalen Transformation die Mitarbeiter mitzunehmen. Mit Verlaub, es fällt derzeit nicht leicht, ein durch und durch positives Bild von der deutschen Wirtschaft zu zeichnen, wenn man etwa an die VW-Affäre oder die unzähligen Gerichtsverfahren der Deutschen Bank denkt. Das stimmt alles, aber wir haben in Deutschland auch einen Hang zur Selbstzerstörung. Viele Unternehmer leisten gute Arbeit und investieren täglich in die Zukunft des Landes. Wir wollen, wie gesagt, dafür keinen Beifall. Eine vorurteilsfreie Meinung würde schon reichen. Und gute politische Rahmenbedingungen, vor allem was Steuerrecht, Arbeitsrecht und Energieversorgung angeht, würden uns sogar richtig zufrieden und glücklich machen. Ihr Firmengelände gleicht gerade einer großen Baustelle. Wir investieren bis 2020 hier in Darmstadt eine Milliarde Euro. Viel Geld, das wir auch an anderen Produktionsstandorten im Ausland ausgeben könnten. Merck-Vorstandschef Kley in der Darmstädter Zentrale: Radikale Transformation. kushima und der verordneten Energiewende abhandengekommen. VITA KARL-LUDWIG KLEY Herr Kley, vielen Dank für das Interview. Die Fragen stellten Peter Brors und Siegfried Hofmann.
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