1 Abendbibelschule Altdorf, 10. Oktober 2015 Mit Jesus glücklich

Abendbibelschule Altdorf, 10. Oktober 2015
Mit Jesus glücklich sein.
Mit Jesus glücklich sein – darum geht es heute an dem Abend. Und ich möchte Sie gleich fragen:
Sind Sie es? Sind Sie glücklich? Mit Jesus? Könnten Sie sagen, warum das so ist?
Aber vielleicht gibt es ja auch manche unter uns, denen der Glaube in diesen Tagen schwer fällt.
Wenn das der Fall ist, dann darf ich ihnen gratulieren und sagen: Herzlich willkommen. Auch und
gerade für sie ist der Vortrag heute Abend. Herzlichen Glückwunsch, dass sie sich auf den Weg
gemacht haben und jetzt hier sind.
Auch Jesus gratuliert seinen Zuhörern. Denn nichts anderes sind die Seligpreisungen,
Glückwünsche, die Jesus ausspricht.
Ich darf sie nun heute mitnehmen auf diesen Berg. Es heißt, es sei in der Nähe von Kapernaum,
soll dieser Berg liegen. Eine Kapelle ist dort errichtet, die an die Bergpredigt erinnert. So, wie auf
dem Bild sieht es dort aus.
Ich weiß nicht, ob das dieser Berg war, aber so ungefähr könnte es gewesen sein.
Dort haben sich die Menschen gelagert. Und nun bitte ich Sie, sich einfach kurz vorzustellen:
Wenn ich damals gelebt hätte, und gehört hätte: Dieser Jesus kommt, dieser Wanderprediger aus
Nazareth, der Kranke gesund macht – was hätte mich bewegt, aus welchem Grund hätte ich meine
Sachen gepackt und hätte mich aufgemacht, um diesem Mann zuzuhören? Welche Sehnsucht
hätte Sie angetrieben? Auf welche Fragen würden sie von ihm gerne eine Antwort erhalten?
Wir reihen uns nun ein unter die Zuhörer, mischen uns unter sie.
5 1 Als Jesus aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich;
und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
3 Selig sind, die da geistlich arm sind;
denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen;
denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen;
denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt
werden.
7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;
1 denn ihrer ist das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen
und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.
12 Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden.
Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
Die Luther-Übersetzung hat sich mit dem Wort „selig“ an dieser Stelle eine große Freiheit
herausgenommen, sehr überlegt und doch ist es bereits mehr eine Auslegung als eine
Übersetzung.
Das Wort „selig“ kennen wir sonst im Zusammenhang der Errettung aus dem Jüngsten Gericht.
Wo Luther sonst mit „selig“ übersetzt, ist im Urtext von Rettung die Rede, man könnte auch
übersetzen: In Sicherheit seid ihr, errettet seid ihr! Das Gericht ist an euch vorübergegangen. Und
blickt man auf die zweite Hälfte der Sätze, dann ist das genau so: Jesus verheißt ihnen das
Himmelreich, Gottes Barmherzigkeit, seinen Frieden.
Doch wörtlich steht da im Urtext zunächst ein anderes Wort, genau wie am berühmten Anfang
der Psalmen, wo Luther in Psalm 1 übersetzt hat: „Wohl dem... – Wohl dem, der nicht wandelt im
Rat der Gottlosen...“.
Im heutigen Deutsch entspricht dieser Ausruf am ehesten dem, was wir als Glückwunsch
bezeichnen. Also eigentlich heißt das zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch!
Wir kennen solche Glückwünsche aus dem Alten Testament – gerade, wenn man jemand als
Vorbild hinstellt.
Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist! Da kann ich aus vollem Herzen sagen: Gratuliere!
Herzlichen Glückwunsch!
Wohl dem Mann, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist! Herzlichen Glückwunsch! Wir gratulieren und
freuen uns mit!
Aber neun Glückwünsche am Stück, neun so prägnante Sätze, das gibt es nur bei Jesus. Gerhard
Maier hat es treffend formuliert: „Hätte man von Jesus als einziges Dokument die
Seligpreisungen, so würde allein diese Urkunde zu dem Größten gehören, was je auf Erden
gesprochen wurde.“ (G. Maier, Matthäus-Kommentar, Edition C, S. 130).
Und wir merken: Was Jesus hier sagt, ist ungeheuerlich. Schauen wir uns zunächst die
Seligpreisungen im Einzelnen an. Man kann die neun „Glückwünsche“ in drei Gruppen
unterteilen. Dabei bilden die ersten vier einen ersten Zusammenhang:
3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit;
2 denn sie sollen satt werden.
Jesus gratuliert denen, die wörtlich „Arm an Geist“ sind. Wie bei uns im Deutschen kann beim
„Geist“ beides mitschwingen: Der Heilige Geist Gottes, der in mir lebt, oder der menschliche Geist,
die intellektuelle Kraft.
Damit wären dann entweder die geistlich Armen gemeint, die Sünder und Schuldig gewordenen,
denen die Verbindung zum Heiligen Geist verloren gegangen ist.
Wenn dagegen der menschliche Geist gemeint ist, dann spricht Jesus hier von den geistig
Behinderten, von den Dementen – diejenigen, deren Geist von den Menschen als schwach und
angesehen wird, Personen, die vor den Menschen nichts vorzuweisen haben.
Eines ist sicher – weder den einen noch den anderen würden wir vermutlich besonders
gratulieren. Aber Jesus preist sie, er stellt sie ganz nach vorne, so, wie er an anderer Stelle die
Mühseligen und Beladenen zu sich einlädt und sie zu sich herruft.
Vielleicht sind ja in dieser 4-er-Reihe etwas gestolpert über die Sanftmütigen. Die hätten wir dann
doch eher eine Reihe weiter nach hinten zu den Barmherzigen, denen, die reinen Herzens sind
und zu den Friedfertigen gestellt.
Aber Jesus zitiert hier wahrscheinlich Psalm 37, jenen berühmte Psalm, der Paul Gerhardt
inspiriert hat zu dem Lied: „Befiehl du deine Wege.“
Es geht dort um die Elenden, die von Übeltätern unterdrückt werden und die ihre Hoffnung ganz
auf den Herrn setzen. Und ihnen wird in diesem Psalm zweimal das Land verheißen: „Die aber des
Herrn harren, werden das Land erben und später noch einmal: ... die Elenden werden das Land
erben.“
Die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die auch zur Zeit Jesu
bekannt war, übersetzte nun in diesem letztgenannten Vers anstelle der „Elenden“ mit „die
Sanftmütigen werden das Land erben.“ Diese Verheißung nimmt Jesus nun auf.
Herzlichen Glückwunsch – euch, die ihr an Geist nichts zu bieten haben.
Herzlichen Glückwunsch – euch, die ihr trauert.
Ihr seid glücklich zu nennen, die ihr euch nicht wehrt gegen die, euch ins Elend stürzen.
Ich gratuliere euch, die ihr unter der Ungerechtigkeit leidet.
Wenn sie stocken, dann geht es ihnen vermutlich jetzt genauso wie den Leuten damals. Ist das
nicht verrückt – macht sich Jesus am Ende vielleicht sogar lustig?
Helmut Thielicke hat kurz nach dem zweiten Weltkrieg in der Stuttgarter Markuskirche eine
Predigtreihe über die Bergpredigt gehalten. Mitten in den Trümmern in einer zerbombten Stadt,
als es in Stuttgart so aussah, wie es heute in Mossul und Bagdad aussieht. Am 21. Oktober 1945,
also fast genau vor 70 Jahren predigte er genau diesen Text der Seligpreisungen.
Die Menschen, die sich zusammengedrängt hatten in der Markuskirche, die wussten, wen Jesus
meinte. Armut und Hunger quälten die Stadt. Kaum eine Familie, die nicht mindestens einen
3 Toten zu beklagen hatte, Söhne, Väter, die im Krieg geblieben waren. Frauen, die vergewaltigt
worden waren.
Tausende von Flüchtlingen, Vertriebenen, die fremd waren in der Stadt. Und jeder fragte sich: Wie
werden wir den Winter überstehen? Und nicht an allen, aber an manchen nagte die Schuld. Die,
die den Krieg nicht nur gesehen hatten, sondern Verantwortung getragen hatten, die ehemaligen
Parteigenossen, die Soldaten, aber auch jene, die wie so viele weggesehen und geschwiegen hatten,
als ihre jüdische Nachbarn abgeholt worden waren.
Es waren andere Mühselige und Beladene als zur Zeit Jesu. Aber mühselig und beladen waren sie
ohne Zweifel. Es waren auch Sanftmütige darunter, Menschen die unter ihrer Ohnmacht gelitten
hatten wie die Hunde, denen die Ungerechtigkeit fast die Seele zerrissen hatte, die gezittert
hatten unter der Schreckensherrschaft der Nazis und für die das Ende des Krieges nun doch keine
Erlösung brachte, sondern nur die Angst: „Was wird nun aus uns und unseren Kindern?“
Und zu solchen Menschen spricht die Bergpredigt, zu diesen sagt Jesus: „Herzlichen
Glückwunsch. Ich gratuliere euch, gerade euch.“
Und das meint Jesus nicht spottend.
Und Helmut Thielicke hat in dieser Situation den Satz formuliert, der für mich zum Schlüssel
geworden ist. Thielicke sagte:
„Man darf bei diesen Seligpreisungen nicht von dem absehen, der sie sprach, und darf sie nicht als
Sätze einer allgemeinen Lebensweisheit werten.“ (H. Thielicke, „Ich aber sage euch“ – Auslegungen
der Bergpredigt in Stuttgarter Gottesdiensten, Stuttgart 1946, S. 13)
Jesus preist die Menschen nicht glücklich, weil sie arm sind, weil sie hungrig, schuldig und elend
sind. Sondern er preist sie glücklich, weil er mitten unter ihnen ist.
Er preist sie glücklich, weil sie sich auf den Weg gemacht haben und zu ihm gekommen sind.
Er preist sie glücklich, weil sie sehen werden, dass Gott selbst sich ihrer Not, ihrem Leid und ihrer
Schuld annimmt – höchstpersönlich!!
Weil sei erleben werden, dass er selbst sich all dem am eigenen Leib aussetzt.
Thielicke sagte an jenem Tag: „Wir haben die Unterschrift, dass jenen, die Gott lieben, alle Dinge
zum Besten dienen müssen und dass nun (aber wirklich nur deshalb, weil jene Unterschrift in
Kraft ist), gerade die leeren Hände gesegnet sein sollen, weil sie alle menschlichen Inhalte und
Tröstungen längst verloren haben, dass die ärgsten Sünder getrösten werden sollen, weil ihnen
auch die letzte Illusion einer eigenen Geltung genommen ist, und weil nun erst Gott zu seinem
Zuge kommen kann.
Dass die, welche nichts mehr in Händen haben, nun erfahren sollen, wie beschämend der Vater
ihnen alles ist und wie unerhört gewiss man an der Hand Gottes in die Ungewissheit des
nächsten Tages schreiten kann.“
Deshalb – herzlichen Glückwunsch! Wohl euch, die ihr so einen Gott habt.
Wohl euch, die ihr so einen Herrn habt!
Was den Mühseligen gilt, das spricht Jesus auch den Frommen seiner Zeit zu:
4 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Jesus wendet sich denen zu, die Gott von ganzem Herzen lieben wollen, die ihr Leben ihm
verschrieben haben, wie es im höchsten Gebot heißt: Du sollst den Herrn deinen Gott lieben, von
ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.
Und die in ihrem Weg mit Gott etwas begriffen haben vom Wesen Gottes.
Von seiner Barmherzigkeit. Von seiner unschuldigen Klarheit und Reinheit. Von dem Frieden, den
er der Seele bringt.
Diesen ruft Jesus zu: Haltet durch! Bleibt auf diesem Weg! Lasst euch nicht entmutigen!
Werdet nicht unbarmherzig! Lasst euer reines Herz nicht verderben, lasst euch den Frieden nicht
nehmen!
Und er verspricht: Weil ich bei euch bin, werdet ihr die Kraft haben, barmherzig zu sein. Ich bin es,
der euch euer reines Herz gibt und einen kindlichen Geist, der beten kann: Mein lieber Papa im
Himmel!
Ich bin es, der euch einsetzt mitten in dieser Welt als Botschafter der Versöhnung, als Wegbereiter
und Wegbegleiter eines Friedens, den die Welt nicht kennt.
Und euch, die ihr dieses lebt, die ihr euch nicht abbringen lasst von mir, die ihr fest bleibt bei mir,
an mir und mir, euch gratuliere ich von Herzen!
Und dann, dann ändert sich der Ton, dann wirft Jesus einen Blick in die Zukunft. Nicht, um uns
Angst zu machen, sondern damit seine Jünger sich vorbereiten können, schließt er die noch ganz
besondere Glückwunsche an:
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;
denn ihrer ist das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen
und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.
12 Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden.
Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
Jesus bereitet seine Nachfolger vor. Er lockt sie nicht mit falschen Versprechungen. Er gaukelt
ihnen kein falsches Glück vor.
Unser Glück suchen wir darin, dass wir, unsere Kinder, unsere Enkel und mit uns unsere
Nachbarn, unsere Freunde miteinander in Frieden, Gesundheit, Sicherheit und Wohlstand leben
können, uns an der Schöpfung freuen, das Leben genießen, wunderbare Dinge erfinden und über
allem den Herrn der Schöpfung loben.
Und Jesus sagt: Das ist gut. Sucht den Frieden, die Gerechtigkeit. Aber er sagt eben auch: Das ist
nicht alles. Wer mir folgt, dem kann es passieren, dass er genau das aufs Spiel setzt. Und wenn das
5 kommt, dann seid nicht traurig, verzweifelt nicht. Ich verspreche euch, dass das nicht das Letzte
ist, sondern nur das Vorletzte.
Eure Häuser, eure Autos, eure Familie, eure Gesundheit – es kann sein, dass euch das alles
genommen wird, und zwar nur aus dem einen Grund, weil ihr mich euren Herrn und Heiland
nennt; weil ihr bekennt: Jesus ist mein Herr und mein Gott.
Wir erleben das, ich muss nichts dazu sagen, es wird genug darüber gepredigt.
Helmut Thielicke hat damals, an jenem Sonntag in der Markuskirche dazu gesagt: „Das Leiden
sabotiert nicht die Pläne Gottes, das Leiden widerspricht auch nicht den Verheißungen unseres
Herrn, sondern es ist von ihm einkalkuliert und ist die tiefste Wirklichkeit des Reiches Gottes.“
Wir können unser Leiden als sinnlos verfluchen und Gott anklagen. Aber als Christen haben wir,
so wie Petrus, Paulus und andere das getan haben, auch die Möglichkeit, unser Leid hineinzulegen
in das Leiden Jesu. Als Nachfolge in seinen Spuren Jesu Christi, in der Gewissheit, dass er uns im
Leiden nicht alleine lässt, sondern diesen Weg vorausgegangen ist.
Und wenn wir ihm auf diesen Weg hinterhergehen, - und bei keinem seiner Jünger war das
freiwillig, niemand sucht diesen Weg, sondern wir werden heimgesucht, gebunden und geführt
von Mächten, denen wir nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen haben, und wenn wir
diesen Weg gehen, werden wir merken: Jesus geht uns nicht nur voraus. Sondern er ist da, mitten
unter uns, in den Geschwistern an meiner Seite, in meinen Gedanken und hinter meinen
Schmerzen.
Und wer Menschen begleiten durfte, die das erfahren haben, die in dieser Nachfolge unterwegs
sind, der hat erfahren: Gerade an den Krankenbetten, an den Sterbebetten sind wir manchmal
dem Himmel und seinem Frieden nicht weniger nah als in den Stunden des größten Glücks.
In den Tagen Thielickes waren die Kirchen voll. Die Menschen suchten den Trost und die Nähe
des Evangeliums in ihrem Leiden. Und viele schöpften aus dem Evangelium Kraft und Hoffnung
für den Wiederaufbau ihres Landes.
Und doch hat Thielicke damals schon sehr nüchtern gesagt und vorausgesehen: „Wer weiß, ob
dies nicht die Stille vor dem größten aller Stürme ist? Spüren wir nicht bereits neue Gespenster
über dem alten Europa und hören wir nicht schon ein erstes Grollen, wenn die Kirche Jesu um
ihres Wächteramtes willen von Schuld und Gericht reden muss? Könnte es nicht sein, dass das,
was im Augenblick unpopulär ist, schon in Kürze zur Lawine einer neuen Verfolgung oder
zumindest doch einer kalten und hartherzigen Ablehnung wird?“
Und sechs Jahre später brach in unserer Kirche der Streit um Jesus aus, ging ein Riss durch die
Kirche, der bis heute nicht verheilt ist.
Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen. Ich kann nicht sehen, dass diese
Herausforderung größer wären als die, denen sich Thielicke und seine Generation zu stellen
hatten.
6 Unser Land gehört zu den Reichsten der Erde. Ich sehe natürlich wie viele anderen die historische
Dimension der Flüchtlingszahlen und die zu bewältigenden Fragen, wie wir es in Deutschland mit
Asyl und Zuwanderung in Zukunft halten wollen und ich gehöre nicht zu denen, die jetzt schon
sehen könnten, dass sich da eine klare Lösung abzeichnet.
Aber wenn ich die Bergpredigt sehe, dann weiß ich, wo unser Platz als Kirchen, wo unsere Aufgabe
als Gemeinde, wo unser Dienst als Christen liegt:
• Ganz eng an der Seite derjenigen, die zu uns kommen, ohne Angst, mit vollem Einsatz.
• Ganz eng an der Seite der Christen in den Ländern, die das erleben, von dem Jesus jetzt
gerade spricht.
• Ganz eng an der Seite der Verantwortungsträger, die jetzt die Entscheidungen zu treffen
haben in den Kommunen, im Bund und in den Ländern.
Das ist der Grund, weshalb wir mit unserer Jahrestagung in Korntal im kommenden Jahr einen
neuen Weg gehen. Wie bisher sind sie alle jetzt schon herzlich dazu eingeladen, am 6. Februar in
Korntal, aber noch viel stärker als bisher laden wir die Verantwortliche aus Wissenschaft,
Wirtschaft und Politik mit dazu ein, um miteinander ins Gespräch zu kommen und zu fragen: Wie
leben wir das – eine Gemeinde – viele Kulturen?
Nicht als die, die alles besser wissen – aber als die, die einladen, diese Fragen von Jesus Christus
her zu stellen, an unsere Entscheidungen die Maßstäbe anzulegen, die wir in der Bergpredigt
finden. In der Flüchtlingspolitik, aber genauso in der Bildungspolitik und in den Fragen, die den
Schutz am Anfang und am Ende des Lebens betreffen.
Das ist der Grund, warum wir im kommenden Jahr hier in der Region das GäuFestival wagen. Weil
wir überzeugt sind, dass unsere Kommunen, unser Gäu nichts dringender braucht als das
Evangelium von Jesus Christus.
Und erstmals arbeiten sechs Ortschaften dabei zusammen: Christen aus Herrenberg, Kuppingen,
Aidlingen, Gärtringen, Nufringen und Deckenpfronn sind vorausgegangen und wagen es, eine
Woche lang zu Abenden mit Ulrich Parzany, Sefora Nelson, Cae und Eddi Gaunt und Deborah
Rosenkranz einzuladen.
Und wir merken an vielen Stellen: Das ist eine gewaltige Herausforderung, wenn so viele Köpfe
und unterschiedliche Gemeinden zusammen etwas machen. Danke, wenn Sie das im Gebet
begleiten. Und ich bin fest überzeugt, dass das eine hervorragende Möglichkeit ist, gemeinsam im
Gäu über die Grenzen der Kirchengemeinden und der beiden Dekanate hinaus ein gemeinsames
Zeichen in der Region zu setzen.
Und wir bitten und beten um Menschen, die sich in diesen Dienst rufen lassen, die bereit sind,
sich schulen zu lassen für die Gespräche im Anschluss, die beim Bistro mithelfen. Und die ein
Herz haben für alle, die Jesus Christus noch nicht kennen, die auf der Suche sind.
Sechs Tage nach der Predigt Helmut Thielickes in der Markuskirche, am 27. Oktober 1945, wurde
das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom damaligen Rat der EKD veröffentlicht. Christen aus
Deutschland bekannten darin öffentlich vor aller Welt und vor ihren Geschwistern aus unseren
Ländern: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht
fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ (Info Ratswahl EKD)
Es kann sein, dass wir als Evangelische uns einmal von unseren Kindern fragen lassen müssen:
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Warum habt ihr damals so lange zugesehen, als die Menschen in Scharen aus den Kirchen
austraten?
Warum wart ihr in euren Gemeinden so zerstritten und so verzagt?
Warum habt ihr eure Parlamente wieder darüber diskutieren lassen, ob man Kranke und
Sterbende umbringen darf?
Warum wart ihr mehr mit euch selber beschäftigt als mit den Menschen, die vor eurer Tür
in euren Turnhallen und in den Lagern lebten?
Wer von euch war der Meinung, dass eine Ganztagesschule das sein könnte, was Kinder
wollen?
Was habt ihr getan, als die Gewalt von Linksextremen und Rechtsextremen in Deutschland
wieder aufflammte?
Warum habt ihr nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und
nicht brennender geliebt?
Aber ich habe immer noch die Hoffnung, und ich will meinen Teil dafür tun, dass es daneben auch
andere Kinder gibt – die Kinder derer, die jetzt als Flüchtlinge zu uns kommen, und ich hoffe, dass
sei eines Tages zu uns sagen können:
• Wir danken euch, dass ihr uns ein Dach über dem Kopf gegeben habt.
• Wir danken euch, dass ihr euren Reichtum mit uns geteilt habt.
• Wir danken euch, dass ihr uns eure Sprache beigebracht habt.
• Wir danken euch, dass ihr uns getröstet habt, als die Bilder des Krieges uns wieder
eingeholt haben und uns fast um den Verstand gebracht haben.
• Wir danken euch, dass ihr euren Glauben nicht verschwiegen habt.
• Wir danken euch dass ihr für uns gebetet habt, wir danken euch, dass ihr so fröhlich
geglaubt und uns so brennend geliebt hat!“
Und an dem Tag weiß ich, wer sagen wird: Herzlichen Glückwunsch!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus
Christus. Amen.
Nur für den persönlichen Gebrauch. Jede weitere Verwendung nur in Rücksprache mit dem Autor:
Pfr. Rainer Holweger
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Tel. 0711. 83 46 99 - Fax 0711. 8 38 80 86
E-Mail: [email protected]
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