Kurz gesagt: Parlamentsvorbehalt: So wird es nichts mit der

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Berlin, 18.06.2015
Parlamentsvorbehalt: So wird es nichts mit der
europäischen Armee
Christian Mölling
Alicia von Voß
Der Bericht der Rühe-Kommission zum Parlamentsvorbehalt ist nur ein erster Beitrag zu
der Frage, wie Deutschland mit den Folgen vertiefter europäischer
Verteidigungsintegration umgehen könnte. Christian Mölling und Alicia von Voß über die
Themen, mit denen sich der Bundestag nun befassen muss.
Der am 16. Juni vorgelegte Bericht der sogenannten Rühe-Kommission zur Zukunft der
Parlamentsbeteiligung ist eine kenntnisreiche Analyse des Status Quo und der damit
einhergehenden Probleme. Die dort präsentierten Vorschläge für Gesetzesänderungen zielen
jedoch im Wesentlichen darauf, den Genehmigungsprozess für Aufgaben wie Trainings- und
Unterstützungseinsätze zu vereinfachen. An der sehr viel grundsätzlicheren Fragestellung, die
Auslöser für die Einrichtung der Rühe-Kommission gewesen ist, gehen sie vorbei.
So sieht sich der Bundestag aufgrund der weiter fortschreitenden Integration der Streitkräfte in
Europa in einem immer stärkeren Zwiespalt zwischen der Forderung nach Bündnissolidarität und
der Wahrung nationaler Souveränität. Denn Europas Armeen durchlaufen einen fundamentalen
Wandel: Schon seit den 1990er Jahren können sich Staaten de facto nicht mehr allein zu einem
größeren Einsatz entschließen, sondern sind auf die politische Zustimmung und den militärischen
Beitrag ihrer EU- und NATO-Partner angewiesen. Da in siebzehn europäischen Staaten auch die
Parlamente über Einsätze mitentscheiden, gewinnen nationale Parlamente zunehmend an
Bedeutung, nicht nur für die eigene Verteidigungspolitik, sondern auch für die der Partnerstaaten.
Diese gegenseitige Abhängigkeit wird sich angesichts der Tatsache, dass den einzelnen Staaten
das Geld für große nationale Armeen fehlt, sogar noch verstärken. Und so zielen Konzepte wie
die kürzlich vom ehemaligen EU-Außenbeauftragten Solana vorgeschlagene Verteidigungsunion
oder das Rahmennationen-Konzept auf die gemeinsame Bereitstellung von militärischen
Fähigkeiten – ohne ein konkretes Einsatzziel zu definieren. Nicht nur die Regierung, sondern
auch die Mehrheit der Fraktionen im Bundestag unterstützt die Konzepte zur verstärkten
Verteidigungskooperation und geht sogar so weit, eine europäische Armee zu fordern.
Gleichzeitig aber beharrt der Bundestag auf voller Autonomie bei der Entscheidung über
Bundeswehreinsätze. Möchte man jedoch tatsächlich gemeinsame Verteidigungsverbünde
19.06.2015 10:33
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schaffen, müssen die Staaten Souveränität abgeben. Denn sie würden lange vor einem etwaigen
Einsatz gegenseitige Abhängigkeiten eingehen. Regierung und Parlament könnten letztlich zwar
den Einsatz der eigenen Fähigkeiten verweigern, aber nicht gegen den gesamten Einsatz
stimmen.
Die Rühe-Kommission selbst hat angesichts des widersprüchlichen Strebens nach
Verteidigungsintegration und der Wahrung von Autonomie eine Debatte über die künftige
Gestaltung des Parlamentsvorbehalts gefordert. Leider hat sie aber keine kontroversen Thesen
dazu präsentiert. Stattdessen versucht sie, mit ihren Empfehlungen den Kompromiss im
Parlament vorwegzunehmen. Die Debatte wird der Deutsche Bundestag dennoch führen müssen.
Drei Punkte sind dabei wesentlich:
Internationale Kooperationen bedürfen internationaler Regelung
Internationale Kooperationen bedürfen internationaler Regelung, nicht nur in Deutschland,
sondern bei allen Partnern; umgekehrt haben nationale Regeln Folgen für alle Partner. Deshalb
sollte sich der Bundestag mit den Parlamenten anderer Länder befassen und der Frage
nachgehen, wie alternative Modelle der Parlamentsbeteiligung aussehen. So würde er mehr
Klarheit über die sinnvolle Gestaltung seines Mitspracherechtes erlangen. Er würde zudem
unterstreichen, dass die Verantwortung für die Bündnissolidarität nicht allein bei Deutschland und
dem Bundestag liegt. Denn auch wenn Deutschland einem Einsatz zustimmt, können andere
Staaten ihn ablehnen. Das ist in der Vergangenheit geschehen; Frankreich und die Niederlande
etwa haben sich zwischenzeitlich aus NATO-Operationen verabschiedet.
Die Folgen von parlamentarischen Rüstungsentscheidungen bedenken
Die Voraussetzung für erfolgreiche Verteidigungskooperation wird nicht erst im Einsatz
geschaffen, sondern schon lange zuvor: bei der Beschaffung des Gerätes. Hier sind Parlamente
regelmäßig Kooperationsverhinderer, weil sie beim Kauf von Rüstungsgütern weniger entlang der
Frage des militärischen Nutzens oder des Kooperationspotenzials entscheiden. Vielmehr spielen
Industriestandorte und Arbeitsplätze eine wesentliche Rolle. Darum haben die Europäer
dreiundzwanzig unterschiedliche Versionen des gleichen Hubschraubertyps gekauft und die
Möglichkeiten zur Kooperation und Kosteneinsparung nicht genutzt. Um die Voraussetzung für
erfolgreiche Verteidigungskooperation zu schaffen, sollte sich der Bundestag stärker mit den
Folgen von Rüstungsentscheidungen auseinandersetzen.
Politische Praxis ändern, nicht Gesetze
Gesetzesänderungen, wie von der Rühe-Kommission vorgeschlagen, können für mehr
Rechtssicherheit sorgen, aber sie ändern nichts daran, dass Einsatzentscheidungen ein
politisches Risiko für Regierung und Parlament bleiben. Gerade deshalb ist es ein
entscheidendes Signal an die eigene Armee, an Partner und Dritte, aus welchen Gründen
Einsätzen zugestimmt wird. Bisher berät der Bundestag vor allem über kleinteilige Aspekte wie
zum Beispiel die Auswahl der mitzuführenden Waffen. Stattdessen sollte er die strategischen
Ziele und Risiken von Einsätzen abwägen. Die Bundeswehr wird dadurch nicht zur
Berserkerarmee.
Der Bundestag muss entscheiden, welche Konsequenzen er aus den Vorschlägen der
Rühe-Kommission und der sich vor seinen Augen entfaltenden Realität der immer enger
zusammenwachsenden europäischen Streitkräfte zieht. Er muss klären, wie nationale
Souveränität zugunsten der Handlungsfähigkeit in Bündnissen von EU, NATO und VN abgegeben
werden kann. Geschadet hat es bislang übrigens nicht, Souveränität abzugeben, weder im
Einsatz in Afghanistan noch im Kosovo oder in Mali. Ganz im Gegenteil führt eine gestärkte
Bündnissouveränität dazu, dass gemeinsamen Entscheidungen auch gemeinsame Taten folgen
können.
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