iPunkt 29 2015 - Rudolf Steiner Schule Berlin

weit weg vom heutigen Standort in der Clayallee in einem Schöneberger
Hinterhaus in der Genthiner Straße. Dort wurden 56 Kinder in zwei Klassen
unterrichtet von der jungen Magdalene-Ithwari Kiefel und dem erfahrenen
Die erste
Herbert Schiele. Später kam Anni Heuser als Lehrerin dazu.
Der Gedenkstein
Auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee wurde 1951 ein Gedenkstein für eine
jüdische Widerstandsgruppe errichtet. Dieser Gruppe um Herbert Baum gehörte auch
Edith Fraenkel an, die in die Klasse von Helmut Koberg und Inge Hirschfeld ging. In der
großen Schule in der Clayallee, der Nachfolgerin der 1. Rudolf Steiner Schule, erinnert
bisher nichts an unsere ehemaligen jüdischen Schüler. Dabei ist hier der Gefühlsanteil
einer Mahnung „Vergesst sie nicht“ besonders brisant, da zwei unserer Gebäude eng mit
den „Nazigrößen“ Keitel und Jodl verbunden sind.
Die wachsende Schule zog bald darauf in ein frei gewordenes
Schulgebäude in der Großbeerenstraße in Kreuzberg. 1933
begann der Aufbau der Oberstufe mit dem ersten 9. Schuljahr
durch den Mathematiklehrer Robert Schiller.
Am 7. April 1933 war das „Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums“ verkündet worden. Danach wurden
alle politisch bedenklichen Beamten und alle Juden aus dem
Staatsdienst entfernt. Die Eingriffe in den Lehrplan blieben
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Als „Umschulungskurse“ wurden einige Klassen noch
über ein Jahr ziemlich geschlossen weitergeführt. So
konnten auch einige jüdische Schüler bleiben, was in einigen Fällen eine Umschulung vor der Auswanderung ersparte.
Dadurch blieb ihnen in einigen Fällen eine Umschulung vor
der Auswanderung erspart. Ab 1939 konnten kleine Gruppen
von Kindern durch Vorlegen eines Attests privat unterrichtet
werden. Erich Weismann wurde aus solch einer Unterrichtstätigkeit 1941 von der Gestapo verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Die Atmosphäre dieser ersten Schule und die beeindruckenden Lehrerpersönlichkeiten müssen so prägend gewesen
sein, dass alle Ehemaligen aus dieser Zeit ihr ganzes Leben lang
davon schwärmten, wo auch immer sie das Schicksal hingestellt hatte.
Julia Stoye
Einweihung des
Gedenksteins findet
statt am Freitag, dem
11. September 2015
um 16.00 Uhr auf dem
Rudolf Steiner Schule in Berlin
zunächst geringfügig, der Verbleib der nichtarischen Lehrer
war jedoch beendet. Die Eurythmistin Lola Jaerschky
trennte sich daher von der Schule. Sie war Halbjüdin
und wollte das Kollegium nicht in Schwierigkeiten bringen. Im Februar 1934 zog die Schule wegen des steten Wachstums in die Berliner
Straße (heute Otto-Suhr-Allee) um. Dort gab
es sogar eine kleine Aula für 150 Personen,
aber die Zeit des Aufbaus nahm dennoch
ein Ende: Am 12. März 1936 wurde verfügt,
dass die Rudolf Steiner Schule keine neuen Kinder mehr aufnehmen durfte. Die
Waldorfschulen waren wegen ihrer Unterrichtsmethode im neuen Staat nicht
mehr tragbar. Als die Lehrer der Schule
ultimativ aufgefordert wurden, sich einzeln auf den Führer zu vereidigen und das
Treuegelöbnis zu Adolf Hitler schriftlich zu
bestätigen, entschloss sich das Kollegium,
die Schule am 26. August 1937 zu schließen.
Die Kinder wurden anschließend zur Aufnahme in andere Schulen vorbereitet.
Die feierliche
AusGabe 29/2015
Platz vor dem Eingang
Clayallee Nr. 118.
Erst wenn ich Lichtes denke,
leuchtet meine Seele;
erst wenn meine Seele
leuchtet,
ist die Erde ein Stern;
erst wenn die Erde ein
Stern ist,
bin ich wahrhaft Mensch.
Liebe Leserinnen und Leser,
Herbert Hahn
F
ür unsere Gruppe war daher von
Anfang an klar, dass wir einen Gedenkplatz auf dem Schulhof entwickeln
würden. Wir begannen also, mit der fachmännischen Hilfe von Herrn Kaufmann,
Entwürfe zu zeichnen. Schnell wurde
uns klar, dass wir ohne finanzielle Mittel und Unterstützung der Schule nichts
erreichen würden. So wurden Sponsoren gesucht: Wir sind dankbar dafür,
dass unsere Suche erfolgreich war! Herr
Ohlendorf war von unserem Plan begeistert und unterstützte alle Bemühungen
nach Kräften, immer bereit, uns zu ermutigen und Zeit für Beratungen zu opfern.
So fanden wir bald einen bisher kaum
genutzten Platz, rechts vor dem Eingang
zum Saalbau (Clayallee), womit wir einen
wunderbaren Ort inmitten des aktiven
Schullebens erhielten. Ein passender
Naturstein wurde gefunden und in zwei
Teile zersägt, um auf diese Weise die
willkürliche Ausgrenzung der Juden zu
symbolisieren. Für die Inschrift wählten
wir einen Spruch von Herbert Hahn, der
für Edith Fraenkel eine besondere Bedeutung in ihrem kurzen Leben hatte; diese
Tatsache wurde von Ediths Verlobten der
„Nachwelt“ übermittelt.
Der Stein wird umringt von kleineren
Steinen, auf denen wir Kupferplatten
mit den Namen der uns bekannten jüdischen Schüler angebracht haben. Wir
hoffen, dass wir dadurch die ehemaligen jüdischen Schüler symbolisch
wieder in unsere Schulgemeinschaft
aufgenommen haben. Wir wissen aus
Kontakten mit den Nachkommen dieser
Menschen, die heute in Uruguay oder in
Kalifornien leben, dass ein Gedenkstein
viel für sie bedeutet.
Eva Probst | Marlene Werner
IMPRESSUM
Herausgeber:
Freundeskreis der
Rudolf Steiner Schule Dahlem
Auf dem Grat 1 - 3 • 14195 Berlin
www.dahlem.waldorf.net
Redaktion:
Conny Bergengrün, Friedrich
Ohlendorf, Gisela Schuster
Druck:
Grafische Werkstatt Franz Pruckner
Auflage: 4.500
Erscheinungsdatum: Juli 2015
Kontakt:
Gisela Schuster
Freiwaldauer Weg 26 • 12205 Berlin
T: 030 / 811 62 42
[email protected]
Kontoverbindung:
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE59 1002 0500 0003 0900 00
BIC: BFSWDE33BER
gestaltung: www.grammatiks.de | Foto Titel: Architekturbüro Kersten + Kopp
Diese erste Schule hieß zuerst noch „Freie Schule Berlin“. Sie befand sich
heute präsentieren wir Ihnen die 29. Ausgabe unseres Newsletters. Noch ist das laufende Schuljahr „in full swing“, aber
die Tage eilen dahin, und die großen Ferien winken. Viele Abschlüsse, wie die Klassenspiele, konnten wir bereits bewundern. Auch die wichtigen Prüfungen, wie der Mittlere Schulabschluss und das Abitur sind fast beendet, es fehlen noch die
Eurythmiepräsentationen der Mittel- und Oberstufe und das
Konzert des Oberstufenorchesters zum Abschluss der Tournee. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, den i-Punkt in den
Händen halten, gehören alle diese Ereignisse in die Vergangenheit, so wie das Mittelstufenkonzert, das in diesem Jahr
zugleich eine Premiere war: Man traf sich zum Musizieren in
der neuen Mehrzweckhalle!
Auf dem Foto sehen Sie die Halle am Tag der Einweihungsfeier. Einige Kinder der Unterstufe zeigen ihr Können im
Bodenturnen auf dem Platz, wo wenig später das Orchester
saß. Die ansteigenden Ränge, die man rechts sieht, können
durch Knopfdruck in der Wand verschwinden, wenn der Strom
so schön zuverlässig fließt, wie er das bisher immer tat. Die
Ränge waren beim Mittelstufenkonzert als Sitzplatz heiß begehrt, denn man hat von dort eine gute Sicht auf die Musiker.
Sicher gibt es noch technische und bauliche Unzulänglichkei-
ten, die deutlich wurden, aber welcher neue „Konzertsaal“ ist
gleich perfekt, und was bedeuten kleine Mängel im Vergleich
zu der Tatsache, dass ein großes Konzert im eigenen Hause
von nun an möglich ist. Nach dem Verschwinden der Tribünen
und dem Wegräumen der Pulte und der Instrumente konnte
wieder fröhlich geturnt werden: Diese zweifache Nutzung war
ja das Ziel des Neubaus!
Unsere heutige Ausgabe hat ein besonderes Anliegen: Wir
wollen Sie informieren über eine „Forschungsarbeit“, die hier
im i-Punkt 2010 angeregt wurde und nun zu einem gewissen
Abschluss gekommen ist. Es handelt sich um das Aufspüren der Lebenswege der jüdischen Schüler der ersten Rudolf
Steiner Schule Berlin. Eine Gruppe aus der 11. Klasse hat hier
eine großartige Arbeit geleistet, und die Schüler/innen berichten darüber im Innern dieser Ausgabe. Sollten Ihnen, liebe
Leserinnen und Leser, bei der Lektüre weitere Informationen
zu dem Thema einfallen, so würden wir uns über Zuschriften
freuen. In der Hoffnung, dass Sie den Inhalt der 29. Ausgabe
des i-Punkt besonders warmherzig aufnehmen, grüße ich Sie
herzlich. Ihre
17.06.15 12:58
Jüdische Schüler der
1. Rudolf SteinerSchule in Berlin
Die Rassengesetze
Das antisemitische Gedankengut war keine Erfindung
Hitlers. Er übernahm jedoch im großen Stil den pseudowissenschaftlich begründeten Rassenantisemitismus des
19. Jahrhunderts. Daraus entwickelten sich die Rassengesetze, die den Juden, aber auch den Sinti und Roma alle
Freiheiten nahmen, die sie vorher hatten, und die ihnen
das Leben in Deutschland fast unmöglich machten. Die
Lage spitzte sich bis zu dem Beschluss der totalen Vernichtung zu, der auf der sogenannten „Wannseekonferenz“
1942 gefasst wurde. Dies führte zur Ermordung von über
fünf Millionen Juden.
A
uch die jüdischen Schüler der ersten Rudolf Steiner Schule hatten unter den Maßnahmen der Verfolgung zu leiden. Öffentliche
Kulturveranstaltungen waren ihnen verboten Wenn z.B. ein Theater-oder Konzertbesuch geplant war, konnten sie nicht mit.
Da sie öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr benutzen durften, war die Teilnahme an Ausflügen und Klassenfahrten unmöglich.
Auch für die Waldorflehrer war das sehr schwer zu ertragen, denn sie wollten natürlich alle Schüler mitnehmen! Das Leben der
Juden wurde immer schwieriger und die Angst vor gewaltsamen Übergriffen nahm täglich zu. Der Schulweg war für diese Kinder
immer mehr von Unsicherheit geprägt! Zeitzeugen haben berichtet, dass die jüdischen Mitschüler ihre kindliche Sorglosigkeit und
Fröhlichkeit verloren, sich immer mehr als Außenseiter fühlten. Das wurde ab 1939 für Jeden sichtbar, denn die Juden mussten von
da an einen gelben Stern, den „Judenstern“, an ihrer Kleidung tragen. Ihre Pässe und Lebensmittelkarten wurden mit einem großen
„J“ gekennzeichnet. Als zweiten Vornamen mussten sie von die Namen Sara und Israel tragen.
Wenn ich mir vorstelle, was meine ehemaligen jüdischen Mitschüler ertragen mussten, dann finde ich folgende Maßnahmen besonders niederträchtig. Wie würden wir heute reagieren, wenn uns solche Verbote treffen? Die Kinder mussten z.B. Abschied vom
Hund oder der Katze nehmen, denn Juden durften keine Haustiere mehr halten. Sie mussten die Rundfunkgeräte abgeben. Sie
durften nicht mehr in einen Park oder in den Wald gehen. Und wie geht es einem, wenn man nach acht Uhr abends nicht die Wohnung verlassen darf? Auch der tägliche Einkauf war beschränkt auf die Zeit zwischen vier und fünf Uhr nachmittags. Die Benutzung
von Leihbüchereien war ebenfalls untersagt. Die Liste der Verbote ist noch lang, die Demütigung schwer wiegend, und die Ausgrenzung der Juden perfekt! Die Lehrer der ersten Rudolf Steiner Schule Berlin versuchten die Fassade des „normalen“ Lebens für
die jüdischen Schüler so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. 1938 jedoch verpflichteten die Nationalsozialisten die Lehrer der
Privatschulen einen persönlichen Eid auf Adolf Hitler zu leisten. Daraufhin beschlossen die Waldorflehrer, ihre Schule zu schließen.
Zu dem Zeitpunkt waren allerdings schon viele jüdische Schüler emigriert.
Hannah Tauber
N
ach der Machtübernahme Hitlers
flohen über eine halbe Million
Menschen aus Deutschland, darunter
viele Juden. Bis 1941, als das Auswanderungsverbot für Juden erlassen wurde,
wanderte etwa die Hälfte der in Deutschland lebenden Juden aus. Das Leben in
der Fremde war für viele beschwerlich.
Sprachprobleme und finanzielle und
berufliche Probleme waren die Hauptursachen. Die meisten konnten ihr Vermögen nicht retten. Mit der Verfolgung
der Juden und deren Verdrängung aus
der deutschen Gesellschaft wurde von
Beginn an auch deren Beraubung durchgeführt. Das verstellte oft den Weg in die
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r, geb. Ruhm
Delia Walke
Juden im Exil zur Zeit des Nationalsozialismus
Emigration, denn nur wer genügend Geld
mitbrachte, hatte Chancen auf die Aufnahme in einem fremden Land. Viele verkauften alles, was sie noch besaßen, um
das Geld für die Reise oder Überfahrt zu
organisieren. In dieser Situation befanden sich auch die jüdischen Schüler der
ersten Rudolf Steiner Schule und deren
Eltern. Ein Beispiel dafür sind Delia und
Beate Ruhm. Ich stieß auf den Namen
Delia Walker geb. Ruhm, als ich einen
Artikel des Online Magazins „Berlin.de“
las. Delia berichtete dort über die Zeit,
die sie mit ihrer Schwester Beate von
Oppen geb. Ruhm an der Rudolf Steiner
Berlin verbracht hatte. Ich begann eine
tiefergehende Recherche und konnte
so das Schicksal der beiden Schwestern
aufklären. Beate (geb. 1918) war die große Schwester von Delia und beide waren
jüdischer Abstammung. Sie wuchsen in
Berlin auf. Ihr Vater, Ernst Ruhm, arbeitete als Anwalt und ihre Mutter, Hilde
Isaac, war eine bekannte Sopran-Sänge-
Theresienstadt,
das „Geschenk des Führers an die Juden“, war kein
gewöhnliches Konzentrationslager. Auf den ersten
Blick unterschied es sich zweifellos von anderen Lagern, wie z. B. Auschwitz. Es fehlten
die elektrischen Stacheldrahtzäune, die primitiven Holzbaracken und die einheitliche
Häftlingskleidung. Dennoch war das Leben elend: In der Stadt hatten vor dem Krieg
7.000 Menschen gewohnt. Nun drängten sich dort 40.000 Juden. In den Räumen
war kein Platz für Privatsphäre, denn der Abstand zwischen den Betten betrug oft
nicht einmal einen Meter. Viele Bewohner mussten auf Dachböden und in Kellern
schlafen, wo es im Sommer unerträglich heiß und im Winter eiskalt war. Der Mangel an Nahrung und die unzureichende Hygiene ließen Krankheitsepidemien ausbrechen, die Menschen starben in Massen. Die älteren Menschen waren bei ihrer
Ankunft besonders erschüttert, denn man hatte ihnen versprochen, Theresienstadt
sei ein Altersheim. Sie hatten sogar viel Geld für das Wohnrecht bezahlt. Da diese
Juden nicht mehr arbeiten konnten, wurden sie bald zur elendsten Gruppe und fast
alle starben.
l
rau Kiefe
F
…Alles belasse
und ihre K
gann mit einem Brief, den die Re1928
daktion im Sommer 2010 von Gerhard J. Palmer,
Pfarrer der Christengemeinschaft, aus Leipzig beHelmut Koberg
kam. Herr Palmer schrieb, er sei im Sommer 1935 in die
letzte erste Klasse der Rudolf Steiner Schule Berlin eingeschult
worden. Auf einem Klassenfoto habe er festgestellt, dass von den
32 Schülern acht jüdischer Abstammung waren – einer war Halbjude. Was mag aus diesen Kindern geworden sein, so fragte er sich und
regte an, das einzusammeln, was an Informationen noch zu finden sei.
Die Anregung ließ mich nicht los, und so kam ich zu einer Begegnung mit
Helmut Koberg, einem Schüler der 1. Rudolf Steiner Schule Berlin. Dieser ersten Begegnung folgten viele weitere Besuche und Gespräche, in denen ich alle meine Fragen stellen konnte. Herr Koberg erzählte, gestützt auf ein
wunderbares Erinnerungsvermögen, begeistert von seinen Jahren auf der Waldorfschule. Gemeinsam betrachteten
wir ein Klassenfoto, und er nannte die Namen der jüdischen Mitschüler und berichtete über ihr Schicksal. Fast alle
jüdischen Kinder konnten mit ihren Eltern rechtzeitig emigrieren, zwei Mädchen gelang dies nicht: Inge Hirschfeld geb.
Korach, die von 1943 an die Schrecken von Theresienstadt und Auschwitz durchlitt, und die glücklicherweise überleben
konnte.
Edith Fraenkel, das andere Mädchen aus dieser Klasse, blieb in Berlin, erlebte Gefängnis und Zwangsarbeit und wurde 1944 nach Auschwitz transportiert, wo sich ihre Spur verliert. Im Spätsommer 2013 lernte ich die damalige 10. Klasse der Rudolf Steiner Schule kennen. Zusammen mit Frau Bergengruen (Geschichtslehrerin der Klasse)
berichtete ich Ihnen von Herrn Palmers Brief und fragte, ob sich eine Schülergruppe mit dem Projekt „Wir klären
das Schicksal der ehemaligen jüdischen Mitschüler auf“ verbinden würde. Die Gruppe war schnell gefunden, und
traf sich von da an regelmäßig. Es war leider schon fast zu spät, denn es gab kaum noch Zeitzeugen. So hielten
wir uns mit der Forschung hauptsächlich an die Informationen der Klasse von Frl. Ithwari Kiefel, über die
wir Bilder und Dokumentationen von Herrn Koberg bekamen. Sie lesen also auf dieser Seite in bunter
Folge, was die Schülerinnen und der Schüler der jetzigen 11. Klasse erforscht haben. Wir hoffen,
dass es Leser gibt, die uns noch weitehelfen können,denn die Arbeit ist nicht beendet.
Gisela Schuster
Edith Fraenkel um 1938
Hans Hirschfelds
Mutter
(Bericht ueber ihr Schicksal im i-Punkt Nr.21 - Die Redaktion)
Inge Hirschfeld
von oben nach unten
1928 - 1939 - 1937
Unsere ehemalige Mitschülerin Inge Hirschfeld, geb. Korach wurde mit ihrem Mann
Hans im Juni 1943 nach Theresienstadt gebracht ( Wir berichteten über ihr Schicksal
im „i-Punkt“ Nr. 22 – Die Redaktion). Inge und Hans wurden sofort voneinander getrennt, und der Kontakt war von da an schwierig, als sie die unerträglichen Verhältnisse in Theresienstadt erkannten. Für Inge war die Situation besonders schrecklich,
denn sie war im 5. Monat schwanger. So war es kein Wunder, dass die Zwillingsmädchen, die Inge im August (d.h. zwei Monate zu früh) zur Welt brachte, kurz danach
starben! Inge wurde dann Leiterin eines Kinderheims. In ihrer Freizeit nahm sie rege
an den künstlerischen Angeboten teil. Diese Angebote waren für viele Gefangene
ein Lichtblick, ja ein Hoffnungsschimmer in ihrem grauen und immer mit Angst verbundenem Alltag. Inge war sehr musikalisch und konnte vom Blatt singen. So trat
sie in den Chor ein, der z. B. Haydens „Schöpfung“ einstudierte. Sicher hat die Musik
sie auch an ihre Waldorfschulzeit erinnert! Die Kinder, mit denen Inge im Kinderheim arbeitete, spielten teilweise in der Kinderoper „Brundibar“ mit, die im Ghetto
über fünfzig Mal aufgeführt wurde. Das gemeinsame Singen und Spielen bedeutete
für die kleinen Künstler ein Stück Normalität und Freude, und sie vergaßen Hunger
und Kälte und Angst. Denn man starb in Theresienstadt nicht nur aus Mangel an
Brot, sondern auch an verlorenem Selbstgefühl, an verlorener Identität. Wer weiß,
ob Inge Hirschfeld, unsere ehemalige Mitschülerin, ohne die Kraftquelle der Musik
die schreckliche Zeit überlebt hätte.
Carlotta Brissa
…Fortsetzung Juden im Exil
rin. Delia wechselte von der ungeliebten Volksschule auf die Rudolf Steiner
Schule, auf der sie sich sehr wohl fühlte.
Sie berichtete von sehr aufgeschlossenen
Lehrern, die sich besonders für die jüdischen Schüler einsetzten.
„All schools had a quota of Jewish children
which they were not allowed to exceed. Our
teachers regularly broke this rule and many
other rules, too. Some of them ended up in
prison. A brave and exceptional group of
people!” (berlin.de) *
Als die Nationalsozialisten die Schulerziehung für jüdische Schüler verbot,
besuchte Delia eine internationale
“Quaker”-Schule in den Niederlanden.
1939 zog sie dann zu ihrer Schwester
Beate nach England, wo sie eine Schule
in Cambridge besuchte. Kurze Zeit später konnten die Eltern der beiden Mädchen ebenfalls nach England emigrieren.
Delia war immer schon eine begeisterte
Flötistin. Nachdem sie ein Stipendium
für die „Royal Academy of Music“ in London bekommen hatte, konnte sie dieses
Instrument studieren und dann eine erfolgreiche Karriere als Flötistin starten.
Delia heiratete Harlan Walker, mit dem
sie eine Familie in Birmingham gründete. Sie starb mit 89 Jahren und hinterließ
ihren Mann, zwei Söhne, eine Tochter
und sieben Enkelkinder. Ihre Schwester
Beate ging in die USA und arbeitete dort
als Historikerin und Lehrerin. Sie starb
mit 86 Jahren. Delia, ihre Schwester und
ihre Eltern überlebten den Holocaust.
Dank ihrer finanziellen Mittel hatten sie
das Exil erreicht. Etwa 6 Millionen Juden
gelang dies nicht: Sie erlagen dem grausamen Völkermord.
Max Kemman
* “Alle Schulen unterlagen einer Quote von jüdischen
Schülern, die sie nicht überschreiten durften. Unsere Lehrer verstießen regelmäßig gegen diese und viele andere
Regeln. Einige von ihnen kamen daher ins Gefängnis. Eine
mutige und besondere Gruppe von Menschen!“
17.06.15 12:59