Jörg Gottschalk Lean Hospital Workbook Der Weg zum schlanken Krankenhaus ein Leitfaden zur Verbesserung Seite 1 ÜBER DIESES BUCH Jörg Gottschalk hat als Berater und Krankenhausgeschäftsführer Lean Management in Krankenhäusern eingeführt. Im Lean Hospital Workbook beschreibt er in aggregierter und praxisnaher Weise seine Erfahrungen mit dieser Methode. Wie kann eine Krankenhausorganisation Kundenziele in Prozessziele transformieren, kontinuierlich lernen und Verschwendung eliminieren? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden? Welche Hindernisse sind zu erwarten? Welche neue Rolle kommt der Unternehmensführung zu? Welche Kompetenzen sind nötig und wie lässt sich eine Organisation erfolgreich transformieren? Das Workbook dokumentiert auf anschauliche Weise und anhand zahlreicher Beispiele eine Reise zum schlanken Krankenhaus. Jörg Gottschalk ist Diplom-Kaufmann und zertifizierter Coach. Mehr als 15 Jahre war er als Partner und Geschäftsführer u.a. für WIBERA, KPMG, Pricewaterhouse Coopers sowie AOK Consult GmbH und anschließend 10 Jahre als Geschäftsführer von Kliniken und Medizinischen Versorgungseinrichtungen tätig. 2012 wurde er zum Landesvorsitzenden Berlin und Brandenburg des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands e.V. / Mitglied des Bundesvorstandes gewählt und nahm diese Funktion bis zur Beendigung seiner Tätigkeit als Krankenhausgeschäftsführer wahr. Er ist Gründer des Nordstern Institut Berlin. Als Coach, Trainer und Dozent engagiert er sich in der Fortbildung von Führungskräften sowie Ärztinnen und Ärzten. Als Führungs- und Prozess-Coach begleitet er Gesundheitsunternehmen in ihren Veränderungsprozessen. Er publiziert in Büchern und Zeitschriften zu den Themen Führung und Veränderung von Gesundheitsunternehmen. Im April 2014 erschien sein Buch „das Unternehmen Krankenhaus zwischen Wettbewerbs- und Komplexitätsfalle“ und im September 2015 „Wirksam führen - Ärztinnen und Ärzte in Führung“. Impressum: © 2016 Jörg Gottschalk Herausgeber: Jörg Gottschalk, Berlin Verlag: epubli GmbH, Berlin Bildnachweis Titelbild: © texelart / fotalia.com ISBN: 978-3-7375-8248-3 Seite 2 © vetal / fotalia.com Eine Organisation funktioniert nicht nach den Regeln der reinen Vernunft. Seite 3 PROLOG 2010 habe ich als Geschäftsführer das vermutlich umfassendste Lean Management Projekt in einem deutschen Krankenhaus initiiert und bleibe bis heute erstaunt: über die beeindruckenden Erfolgen ebenso wie über die gewaltigen Hindernissen, die sich uns in den Weg gestellt haben. Wie leicht kann doch Verbesserung vonstattengehen, wenn sich nicht nur die eigene Organisation und die Anderen verändern, sondern vor allem der eigene Blick und die eigene Art zu führen. Lean Management bietet einen Werkzeugkoffer und ausgereifte Techniken, mit deren Hilfe Prozesse sicht- und messbar effizienter werden können. Der wirkliche Auslöser für Verbesserung aber entsteht durch Transparenz, standardbasiertes Arbeiten und - das wohl wichtigste Element - durch Führen vor Ort und kooperatives Führen. Nicht die Techniken erweisen sich als erfolgsentscheidend, sondern eine neue Art der Führung. Ich habe gelernt, wie wichtig und wie mühsam es ist, dass Führung am Ort der Leistungserbringung wirkt, genau an diesen Stellen für Alle spürbare Unterstützung ankommt und schnelle Entscheidungen getroffen werden. Ich habe nicht nur einmal erlebt, wie viel Erstaunliches und Innovatives Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten, wenn sie Zeit für Verbesserungen bekommen, Kompetenzen erwerben dürfen, wirkliche Unterstützung erfahren und sich an klaren Zielen orientieren können - und Führung sie dann gewähren lässt. Mit diesem Leitfaden zum Lean Hospital möchte ich Sie mit auf eine Reise nehmen zum Shopfloor Ihres Unternehmens und Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, wie Krankenhäuser lernen können, sich zu verändern. Und Veränderung meint immer: Verbesserung ihrer Qualität und ihrer Wirtschaftlichkeit. Berlin, im Januar 2016 Seite 4 DIE THEMEN Perspektiven oder worum es geht Lean Hospital - ein Überblick oder was Shopfloor und Lean Management leisten wollen Hindernisse oder was eine Organisation daran hindert, sich stetig zu verbessern Wie Organisationen lernen oder davon, dass eine Organisation lernt, wie Menschen lernen Wertschöpfung und Verschwendung oder welche Ressourcen braucht eine Organisation wirklich Der Nordstern - die Richtung oder die unendliche Reise ins Ungewisse Miniunternehmen gründen und über Ziele vernetzen oder wie eine Organisation sich vernetzt Patientenerwartungen in Ziele verwandeln oder wie man einen Patientenwunsch in den Prozess integriert Standardbasiertes Arbeiten oder wie eine Organisation weiß, was zu tun ist Shopfloor Management - Führung vor Ort oder der Erfolg liegt im Prozess Kompetenzen aufbauen oder ohne Wissen läuft jeder Wille in die Leere Veränderung steuern oder wie wird eine lernende Organisation gesteuert Von alt zu neu oder wie der Einstieg in eine Verbesserungsorganisation gelingt Seite 5 PERSPEKTIVEN Warum Kliniken lernen müssen, schneller, produktiver und besser zu werden und warum es sinnvoll ist, industrielle Erfahrungen zu nutzen Die großen Herausforderungen für Krankenhäuser liegen längst nicht mehr in den strukturellen Fragen von Programmen und Strukturen. Die wahren Herausforderungen liegen in der kontinuierlichen Steigerung ihrer Wirtschaftlichkeit und ihrer Qualität. Beides hängt immer weniger von der Qualifikation eines einzelnen Arztes oder der Ärzteschaft ab, sondern von dem perfekten Zusammenwirken von Vorgängen, Funktionen und Abläufen im Prozess der Patientenversorgung. Qualität entsteht durch das Gesamte. Sie wird befördert von jedem Einzelnen. Die neue Krankenhausorganisation ist eine Organisation, in der auf allen Ebenen des Unternehmens gleichzeitig daran gearbeitet wird, kontinuierlich Verbesserung zu erzielen. In dieser Organisation nimmt die Führung eines Unternehmens eine neue, ungewohnte Rolle ein. Sie gestaltet Verbesserung vor Ort. Es ist der Unterschied zwischen der alten, hierarchischen und der neuen, flexiblen, veränderungsorientierten Organisation, die heute weite Teile der Industrie prägen und deren methodischen Ansätze mit Shopfloor Management, Lean Management oder der Kata-Methode viele Unternehmen dazu befähigen, ihre Qualität und ihre Wirtschaftlichkeit kontinuierlich zu steigern und dauerhaft im Wettbewerb zu bestehen. Dabei existieren zahlreiche Parallelen zwischen Krankenhäusern und Industriebetrieben, die spätestens seit dem Ende der 80er Jahre einen grundlegenden Veränderungsprozess durchleben, wie er jetzt - scheinbar unabwendbar - Krankenhäusern ebenfalls bevorsteht. Auch in der Industrie waren bis dato erfolgreiche Führungsmodelle an ihre Grenzen geraten, Outsourcing, Zentralisierung und Cost Cutting führten nicht nur zu den allseits erhofften Kostenvorteilen, sondern zeigten ihre unbeabsichtigte Kehrseite: Flexibilitätsdefiziten, erhöhte Komplexität und wachsende Marktferne. Business Reengineering, Lean Management und die Kata-Bewegung sind die unmittelbaren Folgen dieser (weltweiten) Unternehmenskrise. Seitdem US-amerikanische Krankenhäuser über ihre Erfolge mit Lean Management berichten, wird in Europa allmählich bekannt, dass hier ein erprobter und ausgereifter Ansatz existiert, der nicht nur auf Krankenhausorganisationen übertragbar ist, sondern sie revolutionieren kann. Industrielle Produktionen und Dienstleistungsorganisationen verfügen - im Gegensatz zu Kliniken - über eine jahrzehntelange Tradition, sich in einem wettbewerblichen System zu behaupten und fortzuentwickeln. Erst wettbewerbliche Systeme zwingen Unternehmen zur Anpassung, zu Verbesserungen, zu Innovationen. Dies gilt selbst dann, wenn das Wettbewerbssystem nicht „perfekt“ ist oder auch von vielen Experten bezweifelt wird, dass es sich im Gesundheitssystem überhaupt um ein solches handelt. Seite 6 PERSPEKTIVEN Transparenz, Preis- und Kostendruck und selbstbestimmte „Kunden“ prägen heute das Krankenhauswesen mehr als je zuvor und sind wohl auch auf Dauer nicht mehr wegzudenken. Viele Methoden, die sich über die Jahre in der Industrie entwickelt, etabliert und bewährt haben, haben längst Einzug in den Krankenhausalltag gehalten. Konzernierung, Zentralisierung, Privatisierung, Outsourcing und Cost Cutting - die Hauptentwicklungen der letzten zehn Jahre sind keinesfalls Erfindungen des Krankenhaussektors, sondern aus der Industrie adaptierte Methoden und Erfahrungen. Shopfloor Management und Lean Management sind seit langem bewährte Methoden. Viel stärker als andere Managementtrends und -moden der letzten dreißig Jahre fokussieren sie auf sehr wenige Kernfragen, dafür umso wichtigere Fragen von dauerhafter Aktualität: • Wie funktioniert eine Organisation ohne Verschwendung? • Was benötigen die in ihr tätigen Menschen für ihren und den Unternehmenserfolg? • Wie arbeiten diese Menschen miteinander, damit sich kontinuierlicher Fortschritt und stetige Verbesserung einstellen kann? • Welche Aufgaben hat dann Führung? Es ist absehbar, dass sich die negative Kosten-/Preis-Spirale dauerhaft fortsetzen wird. Wenn in Krankenhäusern mögliche Rationalisierungspotenziale durch Zentralisierung, Outsourcing und Einkaufsoptimierung weitgehend ausgeschöpft sind und künftig eine Strategie der permanenten Leistungs-steigerung mindestens erschwert wird, werden neue Wege notwendig sein, um jährlich und immer wiederkehrend neue Produktivitätssteigerungen zu realisieren. Das ganze Ausmaß der Herausforderung wird deutlich, wenn man sich die folgende Rechnung vor Augen führt. Muss eine Klinik ihre Arbeitsproduktivität jährlich (nur) um 3 Prozent pro Jahr erhöhen, stehen ihr in zehn Jahren (rechnerisch) von heute 1.600 Arbeitsstunden pro Jahr (pro VK) künftig lediglich ca. 1.200 Stunden zur Verfügung. Vermutlich wüsste heute niemand zu sagen, wie eine Krankenhausorganisation aussieht, die mit weniger als 70 Prozent ihres heutigen Personalbestandes ihre gewohnte Qualität halten oder gar steigern kann. 120 100 80 60 40 20 0 Zeit-Kapazität Seite 7 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 PERSPEKTIVEN Um die eigene Produktivität zu steigern, existieren letztlich nur zwei bzw. drei wirklich Erfolg versprechende Strategien: • Personal reduzieren, • Leistungen steigern oder • Beides. Welcher dieser Wege auch immer zum Ziel führen mag, ihr Einfluss auf die Organisation und ihre Mitarbeiter unterscheiden sich nicht voneinander: Die Organisation wird gezwungen, mehr Arbeit in kürzerer Zeit zu erledigen. Lediglich schneller zu „rennen“ wird dabei auf Dauer nicht ausreichen. Der Unterscheid zwischen schneller rennen (verdichten) und produktiver arbeiten (schlanker werden) besteht darin, dass im ersten Fall Arbeit lediglich verdichtet wird; die gleiche Arbeit ist in kürzerer Zeit zu erledigen. Dagegen bedeutet nachhaltig die Produktivität zu erhöhen, also schlanker (lean) zu werden, mit weniger Arbeit mehr zu leisten. Lean will Arbeit aus dem System eliminieren, nicht verdichten. Um den Unterschied deutlicher zu machen, verwende ich gerne folgenden Merksatz: „Cost Cutting ist Diät, Lean Management ist Ernährungsumstellung.“ Eine Organisation wird produktiver, wenn nicht notwendige Aufgaben vermieden und alle eingesetzten Ressourcen so eingesetzt werden, dass sie den Prozess der Leistungserbringung so effizient wie (aktuell) möglich unterstützen. In der Komplexität einer Krankenhausorganisation und angesichts unendlicher Möglichkeiten und Varianten, die uns gesellschaftlicher, technischer und medizinischer Fortschritt in immer kürzeren Zyklen zur Verfügung stellen, wird es niemals die ideale Organisation geben. Wir gehen einen Weg mit klaren Zielen, aber ohne Ende. Jeder Zustand stellt lediglich eine Etappe zwischen heute und dem idealen Krankenhaus dar, wie immer dieses aussehen mag. Wie kann ein so komplexes Gebilde wie eine Klinik es schaffen, seine Prozesse nachhaltig zu verbessern, seine Qualität und seine Wirtschaftlichkeit zu steigern? Wie lässt sie sich diese Black Box aus der Vogelperspektive in Richtung Verbesserung steuern und aus der Bodenperspektive zum Besseren verändern? Lean- und Shopfloor Management möchte darauf eine Antwort geben. Ich möchte Sie mit diesem Leitfaden mit der Systematik dieser Führungsmethoden vertraut machen und zeigen, welche Gestaltungsmöglichkeiten und welche Gestaltungsmacht sich hinter ihnen verbergen für Mitarbeitende ebenso wie für Führende. Seite 8 PERSPEKTIVEN Aus den USA hört und liest man seit langem beeindruckende Erfolgsgeschichten, und auch aus der Schweiz und vereinzelt aus Deutschland gibt es erste Beispiele. Als Krankenhausgeschäftsführer habe ich Lean Management selbst eingeführt und unterstütze heute als Coach und Trainer Gesundheitsunternehmen in ihren Veränderungsprozessen. Ich habe aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erlebt, welche enormen Wirkungen dieses Konzept entfalten kann. Der am weitesten verbreitete Einwand gegen die Übernahme dieser industriellen Konzepte lautet denn auch: Wir stellen keine Autos her, sondern behandeln Patienten. Dieses Argument greift nicht, denn Lean Management beantwortet nicht die Frage, was wir „herstellen“, sondern wie und mit welchen Methoden wir es tun. In einem Krankenhaus werden Patienten aufgenommen, diagnostiziert, behandelt und entlassen - Anfang und Ende und dazwischen passiert eine ganze Menge. Dieser Prozess soll so perfekt organisiert sein, dass die Erwartungen der Kunden/Patienten bestmöglich erfüllt, Qualität maximiert und Verschwendung minimiert wird. Um diese Art von Prozess geht es, im Krankenhaus wie in der Automobilproduktion. Wie aber ein Prozess genau abläuft und mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat, das unterscheidet sich natürlich ganz erheblich voneinander. Was Lean Management und seine Bausteine bedeuten und auf welchen Wegen ein Krankenhaus das Ziel erreichen kann, die Erwartungen seiner Kunden perfekt zu erfüllen, davon handelt dieses Workbook. Seite 9 LEAN HOSPITAL - EIN ÜBERBLICK Was Lean Management und seine Bausteine bedeuten und auf welchen Wegen ein Krankenhaus sein Ziel erreichen kann, um die Kundenerwartungen zu erfüllen und seine Qualität genauso wie seine Wirtschaftlichkeit zu steigern Ich beschreibe einen Weg in eine Organisation, die lernt, sich kontinuierlich zu verbessern, ihre Qualität zu steigern, Verschwendung zu reduzieren und ihre Wirtschaftlichkeit zu steigern. Ich verbinde • Shopfloor Management • Lean Management • Change Management zu einem Ganzen. Was im Allgemeinen unter Lean Management verstanden wird oder künstlich in der Change Management Literatur voneinander getrennt wird, ist in Wahrheit Eins. Es existiert nur eine Führung, und die lässt sich im systemischen Sinne nicht spalten. Lean Management beschäftigt sich nicht nur mit Prozessen, Wertschöpfung oder Verschwendung. Lean ist ein Führungsmodell. Sein Fokus liegt auf der kontinuierlichen Verbesserung von Prozessen in kleinen Schritten. Der Führung kommt dabei die zentrale Aufgabe der Entwicklerin zu und derjenigen, die die Organisation dabei begleitet, stetige Verbesserung zu „erlernen“, zu betreiben, bis nicht nur das Ergebnis der Verbesserung zur Gewohnheit geworden ist, sondern der Akt der Verbesserung selbst. Erst wenn etwas zur Gewohnheit wird, wird es zur Kultur einer Organisation. Lean Management funktioniert auf Dauer nur dann, wenn alle drei Kreise miteinander funktionieren. Seite 10 LEAN HOSPITAL - EIN ÜBERBLICK Gemeinsam heißt gemeinsam: Mitarbeitende und Führung arbeiten gemeinsam in einem Prozess der Verbesserung und nutzen ihre Fähigkeiten für innovative Lösungen. Richtig sind die Vorgänge, Aufgaben und Tätigkeiten, die die Wertschöpfung des Unternehmens für seine Patienten erhöhen und Verschwendung vermeiden helfen. Dauerhaft bedeutet, dass es nie ein Ende nimmt. Lean ist kein Projekt, sondern eine Daueraufgabe. Eine Organisation ist niemals fertig. Richtig tun heißt, Dinge immer in der Weise zu tun, wie es für die bestmögliche Durchführung von Prozessen vorgesehen ist. Und zwar von Allen. Diese Lean-Definition stammt von Andreas Scholz und ist so einfach und klar, dass ich sie hier gerne übernehme. Seite 11 LEAN HOSPITAL - EIN ÜBERBLICK Shopfloor Management gilt als die Grundlage für Lean Management. Es schafft die Voraussetzungen dafür, dass alle Bereiche (die „Werkstätten“) sich professionell und methodisch einheitlich, kontinuierlich verbessern, Prozessziele definiert, Transparenz geschaffen und Hindernisse beseitigt werden. Führung beteiligt sich aktiv und vor Ort an dieser kontinuierlichen Arbeit. Lean Management konzentriert sich primär auf die Maximierung von Wertschöpfung, die Reduktion von Verschwendung und stellt zu diesem Zweck erprobte Methoden und Handwerkzeug zur Verfügung. Kein überzeugter Lean Manager würde sich mit dieser definitorischen Trennung einverstanden erklären. Er würde sagen, Lean ist alles. Und damit hätte er völlig recht. Die Methoden definitorisch voneinander zu trennen dient lediglich dem Zweck, das geistige Hindernis zu reduzieren, das sich unweigerlich vor einer Organisation auftürmt, wenn es darum gehen soll, Lean Management in seiner ganzen, vermuteten Komplexität und Perfektion einzuführen. Ich erkenne heute von Seiten der Führung ein dringendes Bedürfnis danach, zunächst die Organisation zielgerichtet zu steuern und in eine stabile Dynamik der Verbesserung zu überführen. Diesen Wunsch verbinde ich primär mit der Idee des Shopfloor Managements. Es bildet die Basis. Am Ende des Tages aber wird es darum gehen, eine veränderungsfähige und zunehmend schlanke Organisation zu schaffen, die in der Lage ist, Patientenerwartungen maximal zu erfüllen - ein Lean Hospital. Seite 12 LEAN HOSPITAL - EIN ÜBERBLICK Unabhängig von Branche und Unternehmen tragen drei Faktoren dazu bei, dass Prozessineffizienzen entstehen. Sie werden häufig als die drei Hauptfeinde schlanker Prozesse bezeichnet. • Schwankung • Über- und Unterforderung • Verschwendung. In keinem Prozess fällt Arbeit regelmäßig an (Schwankung). Es gibt Zeiten, an denen der Patientenansturm in einer Rettungsstelle, einer Radiologie oder einer Patientenaufnahme nicht zu bewältigen ist und andere Zeiten, in denen wenig Arbeit anfällt. Es wird keinen Prozess geben, in dem der Arbeitsanfall nicht schwankt. Für eine Organisation liegt das Problem darin, dass sie im Falle von Schwankung zu keinem Zeitpunkt genau den richtigen Umfang an personellen Ressourcen bereitstellen kann. Entweder wird zu viel Personal eingesetzt, das nicht voll beschäftigt ist (Unterauslastung) oder es steht zu wenig Personal bereit, so dass Hektik aufkommt, die Arbeit nicht bewältigt werden kann und Engpässe auftreten. Im Durchschnitt aber stimmt der Ressourceneinsatz, was aus der Sicht von Führenden regelmäßig das real existierende Problem von Schwankung überdeckt. Es liegt außerhalb ihrer Wahrnehmung. Wartezeit/ Überlastung 20 18 16 Achsen'tel 14 12 Pa7enten 10 Ressourcen 8 6 4 Unterauslastung 2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Seite 13 LEAN HOSPITAL - EIN ÜBERBLICK Lean Management zielt darauf ab, jederzeit in der Lage zu sein, einen Kunden-/Patientenwunsch zu erfüllen. Wenn Patienten warten müssen, weil Ressourcen nicht zur Verfügung stehen, entspricht das nicht ihren Erwartungen. Entsteht in einem Prozess ein Engpass, z.B. in der Radiologie oder es steht in einer Rettungsstelle kein zweites Ultraschallgerät zur Verfügung, vielleicht ist auch Arbeit nur ungleichmäßig verteilt, dann reagiert eine Organisation zwangsläufig inflexibel auf die Erwartung ihres Patienten. Sie lässt ihn warten oder bringt ihn vielleicht sogar in eine lebensbedrohende Situation. „Inflexibilität bedeutet, zeitlich und wirtschaftlich nicht in der Lage zu sein, das anzubieten, was der Kunde derzeit benötigt. (..) Flexibilität ist also die Prozesseigenschaft, die benötigt wird, nachdem in einem ersten Schritt die Variabilität maximal reduziert wurde. Ist eine Organisation nicht in der Lage, jederzeit und an jeder Stelle auf einen Patientenwunsch angemessen zu reagieren, weil dafür keine Ressourcen bereitstehen, verliert die Klinik einen (Kunden-)Auftrag oder es entstehen Engpässe und Verzögerungen im Prozess der Leistungserstellung. Je flexibler eine Organisation auf Anforderungen reagieren kann ohne ungenutzte Vorhaltekosten zu produzieren, um so effizienter wird sie.“ (Scholz, 2015) Flexibilität ohne Verschwendung zu erreichen ist in einer Klinikorganisationen ein anspruchsvolles Unterfangen. Darauf abzielende Maßnahmen ziehen oft Investitionen nach sich (z.B. parallele Untersuchungseinheiten) oder es werden zeitgleich fachliche (ärztliche) Kompetenzen benötigt, die angesichts des steigenden Spezialisierungsgrades nicht immer zur Verfügung stehen. Je gleichmäßiger sich aber Patientenanforderungen und Arbeit über die gesamte Arbeitszeit und alle Bereiche einer Klinik verteilen, umso weniger inflexibel wird eine Organisation reagieren müssen. Schwankungen führen nicht selten zu der Entscheidung, zusätzliche Ressourcen bereitzustellen. Werden jedoch erst Verschwendung und dann Schwankungen reduziert, kann nicht selten auf zusätzliche Engpassressourcen verzichten. Schwankungen zu reduzieren oder Flexibilität zu steigern oder Verschwendung zu beseitigen ist vergleichsweise einfach. Die Kunst besteht darin, alles gleichzeitig zu tun. Der erste Verbesserungsschritt besteht darin, offensichtliche Verschwendung aus einem Prozess zu entfernen. Damit verringert sich - trotz weiterhin bestehender Schwankung - die notwendige Arbeitsmenge. Jeder Arbeitsschritt, der nicht durchgeführt werden muss, entlastet einen Prozess als Ganzes. Dann erst beginnt die Neuverteilung von Arbeit, die sich am errechneten Takt eines Prozesses (Gleichmäßigkeit) orientiert. Seite 14 LEAN HOSPITAL - EIN ÜBERBLICK Anstatt mit erheblichem Aufwand zu versuchen, die aus Variabilität/Schwankung resultierenden Probleme zu lösen, beginnt eine Prozessoptimierung immer damit, offensichtliche Verschwendung zu eliminieren und Schwankung zu reduzieren, also den Prozess zu stabilisieren. Erst dann erfolgt eine Neuverteilung des Arbeitsanfalls mit dem Ziel, den Arbeitsanfall an jeder Stelle im Prozess möglichst gleichmäßig über den Tag, die Woche und die Monate zu verteilen. Die Formel lautet EKUV: unnötige Aufgaben eliminieren Aufgaben miteinander kombinieren Aufgaben umverteilen Vorgänge vereinfachen Seite 15 HINDERNISSE Was hindert eine Krankenhausorganisation daran, ihre Mitarbeitenden und Führungskräfte daran, ihre Organisationen kontinuierlich zu besseren Organisationen zu machen? Eine derart intelligente Organisation, wie die eines Krankenhauses, strotzt nur so vor Ideen und Lösungen. Sie wird jedoch permanent daran gehindert, sie in die Tat umzusetzen. Oft treten sie offen zutage oder wir meinen, sie wären für uns sichtbar. Die wahren Hindernisse aber wirken stets im Verborgenen. Hier ein kleiner Auszug aus dem Minenfeld einer Organisation. Ziellosigkeit Intransparenz not invented here Angst vor Kompetenzdefizit Machtverlust HilfeLosigkeit Schubladendenken Erfahrung Instrumentenmangel Seite 16 Tunnelblick Angst vor Neuem Führungsfehler HINDERNISSE Ziellosigkeit ©Artenauta/Fotalia.com Heutige Krankenhausorganisationen verfügen in der Regel über wirtschaftliche Ziele. Sie stellen jedoch keinen Link zwischen der „abstrakten“ Unternehmens- oder Abteilungsebene und dem Arbeitsplatz der Mitarbeitenden her. In der Verbesserungsarbeit bewegt sich eine Organisation aber immer auf der Prozess-, Vorgangs- und Aufgabenebene, also dort, wo Mitarbeitende konkret im Arbeitsalltag handeln und mit Patienten direkt in Kontakt stehen. Nur operative Prozesskennzahlen sind in der Lage dort Orientierung zu geben, wo Orientierung tatsächlich benötigt wird: bei jedem einzelnen Mitarbeitenden an ihrem Arbeitsplatz. Mithilfe „abstrakter“ strategischer Ziele, mit Gewinnzielen oder wenig operativen Qualitätszielen kommt Führung ihrem eigenen Bedürfnis nach Orientierung mehr nach als dem Bedarf der Mitarbeitenden nach konkreter Handlungsorientierung auf der prozessualen Ebene. Ohne diese Form der unmittelbaren Orientierung verlieren sich die Mitarbeitenden und verliert sich Prozessarbeit im Unendlichen und im Alltäglichen. Sie geht förmlich „unter“. Deshalb stellt die Fähigkeit einer Organisation, aus Kundenerwartungen und dem Wertstrom lebendige, operative Prozessziele abzuleiten, ein zentrales Element für Prozessstabilität und Veränderungsdynamik dar. Was tue ich um 10.14 Uhr? 15% Gewinn Seite 17 WIE ORGANISATIONEN LERNEN Verbesserung in Unternehmen gelingt erfolgreich vor allem dann, wenn Menschen die Kompetenzen erwerben, die sie in der eigenen Organisation benötigen und lernen, effizient miteinander zu arbeiten, zu kooperieren. Sie müssen experimentieren, Fehler begehen und Erfolge feiern dürfen. Das Kind hat ein klares Ziel vor Augen, sieht die ermunternd neugierigen Blicke seiner Eltern und feiert jeden Tag neue, kleine Erfolge. Soviel hat sich dann doch nicht verändert zwischen dem, was früher einmal war und dem, was heute nötig ist. Wenn Mitarbeitende ihre Organisationen verbessern sollen, benötigen sie dafür einen Rahmen. Es müssen zunächst die Voraussetzungen für Verbesserung geschaffen werden: eine Verbesserungsorganisation. Führung geht in der Regel davon aus, dass sie Anreize schaffen muss, damit Mitarbeitende sich und ihre Organisationen bewegen. Dann denken wir an Geld- oder Zeitanreize, Zielvereinbarungen oder Budgets. Solche Instrumente sind jedoch bewiesenermaßen stumpfe Schwerter, auch wenn sie zum Common Sense von Führung gehören. Nachhaltige Leistungen erbringen Mitarbeitende nicht für Geld oder sonstige Rosinen an den Bäumen, sondern weil sie entweder die Bedingungen für ihre Patienten oder ihre eigenen verbessern möchten - oder beides. Das klingt unökonomisch romantisch, ist aber die Realität. Sie wollen Probleme lösen. Der allerwirksamste Anreiz für Verbesserung ist deshalb ein Problem, das es zu lösen gilt. Gibt es ein gemeinsames Problem, lässt es sich sogar gemeinsam lösen. Seite 18 WERTSCHÖPFUNG UND VERSCHWENDUNG Alles, was direkt dazu beiträgt, die Erwartungen von Patienten zu erfüllen, bedeutet Wertschöpfung. Alles andere dagegen ist Verschwendung. Deshalb sind die Fokussierung auf den Kundenwunsch, Verbessern und Weglassen die Anforderung der Zukunft. Führungskräfte führen mit einer Flughöhe, aus der sie zwar den Wald und die Straße sehen, nicht aber jeden Baum, der dem Wanderer im Wege steht. Es ist jedoch jeder einzelne Baum, der umlaufen werden will, der Zeit und Mühe kostet und gefällt werden muss, wenn eine Straße durch den Wald führen soll. Es geht also um das Kleine, und um die Summe des Kleinen. Jede Arbeitsminute, die Mitarbeitende nicht darauf verwenden, einen direkten Nutzen für Patienten zu erbringen, gilt als Verschwendung. Für jede Minute verschwendeter Arbeitszeit bezahlt das Unternehmen Geld, ohne dass es selbst oder der Patient eine entsprechende Gegenleistung erhält. In einem Krankenhaus mit ca. 300 Betten und 14.000 stationären Fällen erbringen 400 Vollkräfte pro Jahr eine Arbeitsleistung von 37.200.000 Minuten, pro Fall also ca. 2.657 Minuten. Gelingt es einem Unternehmen, 10 Prozent der jährlichen Arbeitsleistung (in Minuten) in eine zusätzliche, produktive und verschwendungsfreie Tätigkeit zu verwandeln, ergibt diese Reduktion eine Zeiteinsparung von 3.720.000 Minuten, was 40 Vollkräften entspricht. Eine Organisation verschwendet Zeit, die sie für produktive und qualitätssteigernde Maßnahmen besser verwenden oder mit denen pro Jahr ca. 1.600 Patienten mehr behandeln werden könnten, ohne dass die Arbeitsintensität stiege oder zusätzliches Personal notwendig wäre. Seite 19 WERTSCHÖPFUNG UND VERSCHWENDUNG Unter Wertschöpfung versteht man die Aktivitäten, die Patienten unmittelbar zugute kommen, den Wert des „Produktes“ für ihn direkt erhöhen und wofür er bereit wäre zu bezahlen, müsste er für diese Leistung bezahlen. Wertschöpfung ist zum Beispiel: das Gespräch mit dem Arzt bzw. der Ärztin, eine (notwendige) Operation, notwendige Blutabnahmen, diagnostische Untersuchungen und alle notwendigen therapeutischen Maßnahmen. Notwendige Verschwendung ist Verschwendung, doch sie bleibt notwendig. Man kann sie nicht unter den Tisch fallen lassen, auch wenn kein Patient für sie bezahlen würde und kein direkter Bezug zu seiner Genesung hergestellt werden kann. Klassische Beispiele für diese Kategorie sind: Rechnungen schreiben, Dokumentationen anfertigen, Teambesprechungen ohne direkten medizinischen Bezug abhalten oder einen MRT reparieren. Viele Verwaltungsaufgaben müssen wohl oder übel dieser Verschwendungsart zugerechnet werden. Verschwendung ist weder im Sinne des Kunden sinnvoll noch für die Organisation notwendig. Könnte man sie eliminieren, ginge weder dem Krankenhaus noch dem Patienten etwas verloren. Wir unterscheiden drei Formen des Ressourcenverbrauches: Seite 20 WERTSCHÖPFUNG UND VERSCHWENDUNG All das, was einen unmittelbaren Wert für Patienten schafft, wird als Wertschöpfung bezeichnet. Die höchste Wertschöpfung bei minimalen Kosten zu erreichen ist das Ziel eines Krankenhausunternehmens. Wert schafft ein Arbeitsschritt, ein Gerät oder ein Arzneimittel nicht alleine dadurch, dass er bzw. es in einer Organisation für notwendig gehalten wird. Der Fokus liegt auf der Frage: würde der Patient für diese Leistung bezahlen (müsste er denn bezahlen)? Ist die Leistung sinnvoll und will er es haben? Er bezahlt für eine diagnostische Leistung, ein Medikament, eine Operation oder sein Essen. Diese Leistungen empfindet er als Mehrwert für sich selbst. Viele andere Leistungen in einer Organisation sind zwar notwendig, sie können allenfalls optimiert werden (z.B. eine Rechnung schreiben), sie schaffen jedoch keinen (unmittelbaren) Wert für den Patienten. Die Abgrenzung dieser drei Kategorien unterliegt keiner einheitlichen Definition. Schon die Diskussion der Beteiligten über eine sinnvolle Zuordnung erzeugt einen bemerkenswerten Bewusstseinsprozess. Notwendige Verschwendung sind demnach solche Leistungen, die zwar keinen unmittelbaren Wert für Patienten schaffen, auf die aber in der Regeln nicht vollständig verzichtet werden kann. Sie lassen sich lediglich optimieren bzw. reduzieren. Eine Auswahl finden Sie in der Grafik. Essen verteilen Zimmer reinigen Patientendaten erfassen OPBericht schreiben Material transportieren Patienten transportieren Teambesprechung Schichtplan schreiben Zimmer renovieren Gerät reparieren Heizung warten Budgetverhandlung führen Rechnung schreiben Training abhalten Jahresabschluss erstellen Werbung schalten Seite 21 WERTSCHÖPFUNG UND VERSCHWENDUNG Verschwendung ist weder im Sinne des Kunden sinnvoll noch für die Organisation notwendig. Könnte man sie eliminieren, ginge weder dem Krankenhaus noch dem Patienten etwas verloren. Kurzfristig ist Verschwendung allerdings nicht immer verzichtbar. Vermeintlich unnötige Arbeiten oder Vorgänge können temporär sogar eine wichtige Funktion im Gesamtprozess erfüllen, solange eine Organisation nicht in der Lage ist, alternative Handlungsmöglichkeiten und Instrumente bereitzustellen. Ohne diese (Verschwendungs-)Aktivität wäre der Prozess fehlerhaft oder gar unmöglich. Solange eine Organisation z.B. nicht über ein integriertes, prozess-unterstützendes IT-System verfügt, bleiben Mehrfacheingaben und Doppelerfassungen für die Patientendokumentation und -abrechnung ebenso notwendig wie die Doppelablage von Dokumenten. Wir unterscheiden in der Regel 7 Arten der Verschwendung plus 1. Seite 22 MINI-UNTERNEHMEN GRÜNDEN UND ÜBER ZIELE VERNETZEN Mini-Unternehmen sind eigenständige Einheiten, die über die Freiheiten und die Kompetenzen verfügen, Ziele zu erreichen, Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen umzusetzen. Soll kontinuierliche Verbesserung in einer Organisation Realität werden, müssen alle Bereiche in der Lage und willens sein, Probleme schnell zu lösen und sich - in Richtung auf das vorgegebene Ziel - stetig weiterzuentwickeln. Eine Organisation denkt weder in Prozessen, noch verlieren sich ihre Mitarbeiter gerne in der Unendlichkeit komplexer Probleme und kaum zu durchschauender Zusammenhänge. Eine Organisation und ihre Mitarbeiter denken primär in Abteilungen oder in Berufsgruppen. Es ist wenig hilfreich darauf zu warten, dass sich diese Denkweise nachhaltig verändert. Also nutzen wir diese Sichtweise und denken künftig in Mini-Unternehmen. Mini-Unternehmen sind kleine, abgeschlossene Einheiten, in denen starke Teams miteinander arbeiten, in denen sich die Menschen gut kennen, sich vertrauen oder die zumindest über einen längeren Zeitraum ein Gefühl von Zusammengehörigkeit entwickeln können. Mini-Unternehmen agieren im Shopfloor-Management-System als eigenverantwortliche Verbesserungs-einheiten, die selbst alles daran setzen, ihre Kunden zufriedenzustellen. Nicht nur der Patient ist ihr Kunde, sondern jedes Mini-Unternehmen im Unternehmen. Seite 23 PATIENTENERWARTUNGEN IN ZIELE VERWANDELN Eine Organisation und ihre Mitarbeitenden benötigen konkrete Orientierungspunkte für ihr tägliches Handeln. Diese leiten sich direkt aus den Erwartungen ihrer Patienten ab. Pa7entenerwartungen definieren 1 Erwartungenin strategischen Prozesszielen konkre7sieren 2 DenProzess beschreiben 3 Strategische Prozessziele opera7onalisieren Mini-Unternehmen lassen sich über Prozessziele miteinander verzahnen. So entsteht eine Verflechtung gegenseitiger Kunden-/Lieferantenbeziehungen. Voraussetzung für dieses System sind eine klare Richtung (Nordstern) und strategische, operationalisierte Prozessziele, die sich aus Kundenerwartungen ableiten. Das Operationalisieren von Erwartungen in Prozessziele erfolgt in der Regel in vier Schritten. 1. Patientenerwartungen definieren 2. Erwartungen in strategischen Prozesszielen konkretisieren 3. Den Prozess beschreiben 4. Strategische Prozessziele operationalisieren Prozessziele erfüllen drei Kriterien: • Sie müssen messbar und von der Unit weitgehend selbst kontrollierbar bzw. steuerbar sein. • Die Anzahl der Ziele sollte beherrschbar sein und fünf bis zehn nicht überschreiten. • Sie sollten einen Bezug erkennen lassen zu den übergeordneten Unternehmenszielen und eng verbunden sein mit den Kunden- und Lieferantenzielen anderer Units. 4 Seite 24 STANDARDBASIERTES ARBEITEN „Der Versuch, Kaizen vor der Standardisierung der Arbeitsabläufe durchzuführen, gleicht dem Vorhaben, ein Haus auf Treibsand zu bauen. Vielleicht gelingt es Ihnen, das Haus fertig zu stellen, aber es wird schnell versinken!“ Jeffrey K. Liker, “Der Toyota Weg“ Standards und Regeln sind die wohl größte Herausforderung für jede Krankenhausorganisation. Medizin gilt als Kunst, Ärzte als Künstler. Das wesentliche Merkmal eines Künstlers ist denn auch seine Freiheit, die ihn als Künstler ausmacht; die berühmte künstlerische Freiheit. Die Kultur der Freiheit bestimmt seit Jahrzehnten die Krankenhauskultur. Das gilt mitnichten nur für die Ärzteschaft, sondern durchzieht die gesamte Organisation. Die Durchsetzung der Einhaltung von Regeln und Standards in einer Krankenhausorganisation werden zu einem wahren und permanenten Kraftakt, wie er in keinem noch so mittelmäßig organisierten Industriebetrieb je zu finden wäre. Dabei bilden Standards und Regeln das Fundament jeder funktionierenden, effizienten Prozessorganisation. Standards regeln eine Organisation. Sie legen medizinische Handlungen bzw. die Art und den Umfang von Diagnostik und Therapie fest, regeln Prüfintervalle und was/wie genau geprüft wird. Sie regeln ein Bestellsystem oder sogar, was genau wo abgelegt/gelagert wird. Regeln und Standards schränken die Individualität des Einzelnen zu Gunsten der Stabilität des Gesamtsystems ein. In einem Standardprozess soll das Zusammenwirken von Mensch, Material und Maschine so gestaltet werden, dass aus einem definierten Prozessinput immer das gleiche Standardergebnis hinsichtlich Sicherheit, Qualität, Kosten und Zeit resultiert. Es soll mit dem gleichen Input also immer der gleiche Output entstehen. Standardeinsatz Standardprozess Standardergebnis Mensch Sicherheit Qualität Material Kosten Methode Maschine Zeit Seite 25 SHOPFLOOR MANAGEMENT - FÜHRUNG VOR ORT Qualität und Wirtschaftlichkeit entstehen im Behandlungsprozess, dort, wo Patienten versorgt, Diagnosen gestellt und therapiert wird. Qualität entsteht nicht am Schreibtisch und in den Konferenzräumen. Führung wieder näher an das Tagesgeschäft heranzubringen ist ein wichtiger Hebel, um Führungskultur zu verändern. Richtung geben, Ziele definieren und operationalisieren, den Prozess entwickeln, Handlungsfelder/Probleme identifizieren und Lean-Techniken anwenden, das sind die Zutaten, mit denen Organisationen effizienter werden sollen und können. Im industriellen Sektor werden diese Methoden seit vielen Jahren erfolgreich angewendet. Sie sind letztlich jedoch austauschbar. Es sind die Führungskräfte, die Veränderungen anstoßen, sie installieren und den dann jeweils neu erreichten Zustand mit Hilfe von Standards und Regeln konsequent absichern. Nachhaltige und dauerhafte Verbesserungen sind in einer Organisation nur dann zu erzielen, wenn Führungskräfte zum Motor der Veränderung werden und ihre originäre Vorbildfunktion spürbar leben. Jeder Prozess benötigt einen Treiber, einen Besessenen. Keine Methode lebt aus sich selbst heraus. Bei dieser Erkenntnis handelt es sich ganz gewiss nicht um eine literarische Plattitüde. In einem Shopfloor-System bekommen Führungskräfte konkrete Aufgaben. Wenn sie diese Aufgaben nicht erfüllen, scheitert der Prozess. Sie sorgen für offene Kommunikation, für die nötige Information und schaffen vollständige Transparenz. Sie entwickeln Kompetenzen bei sich und ihren Mitarbeitenden, sie sind Helfende, Ideengeber, Hürdenüberwinder und Einforderer zugleich. Aus diesem guten Grund beginnt jeder Veränderungsprozess immer bei den Führungskräften eines Unternehmens. Der Versuch, Veränderung von „Unten“ über die operative Ebene in eine Organisation quasi einzuschleusen in der Hoffnung, Führungskräfte mit Veränderungskultur schleichend zu infizieren, kann im Einzelfall gelingen. Mit Sicherheit kostet er die Beteiligten sehr viel Kraft und Mühe. In der Regel wird dieser Versuch jedoch scheitern. Kontinuierliche Verbesserung ist kein Selbstläufer, der sich wie ein perpetuum mobile fortsetzt, ist er einmal angestoßen. Wirkliche Erfolge stellen sich erst ein, wenn Führungskräfte sich vor Ort am (verpönten) Tagesgeschäft beteiligen und ihren Veränderungsprozess aktiv unterstützen. Dies gilt für Geschäftsführer, Chefärzte, Pflegeleitungen ebenso wie für Oberärzte oder sonstige Führungsbeteiligte einer Organisation. Hier liegt die größte und kritischste Hürde, über die Führung springen muss. An dieser Stelle bietet sich die beste Möglichkeit des Scheiterns oder auch die größte Chance, sich von seinen Wettbewerbern abzuheben. Seite 26 KOMPETENZEN AUFBAUEN Wer das Verhalten von Menschen verändern möchte, muss bei seinen Kompetenzen beginnen. ©lassedesignen/Fotalia.com Wer etwas nicht kann, der kann es auch nicht leisten. Dann wird es auch nicht passieren. Viele Konflikte in einer Krankenhausorganisation entstehen aus der Fehleinschätzung, dass Widerstände, falsches Handeln oder gar Verweigerung aus Arroganz, Egoismus oder Unfähigkeit (beim Anderen) entstehen. Die meisten Widerstände resultieren tatsächlich aus der Angst vor dem Versagen oder der schlichten Nicht-Kompetenz, eine Aufgabe erfolgreich auszuführen. Diese Nicht-Kompetenz kann sich auf spezielle Tätigkeiten oder ganze Tätigkeitskomplexe beziehen, wie zum Beispiel professionelle, methodische Verbesserungsarbeit oder, im Extremfall, sogar auf wirksames Führungsverhalten. Der Aufbau von Kompetenzen wird zu der Managementaufgabe, durch die Verbesserung, herausragende Ergebnisse und entscheidende Wettbewerbsvorteile erst erreicht werden. Maschinen können ergänzt, Bauten vergrößert oder neue Techniken eingesetzt werden. Unternehmens-, team- und prozessbezogenes Wissen der Mitarbeitenden dagegen schaffen eine nicht zu kopierende Einzigartigkeit, wenn ihr Wissen und die spezifischen Anforderungen einer Organisation eng miteinander verzahnt werden. In einer komplexen Organisation entstehen Einzigartigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit dann, wenn die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden exakt dem entsprechen, was eine Organisation benötigt und diese Organisation genau so „gebaut ist“, dass alle Aufgaben von diesen Mitarbeitenden mit genau den zur Verfügung stehenden Ressourcen perfekt ausgeführt werden können. Die Methoden Shopfloor Management und Lean Management basieren auf dem Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung in kleinen Schritten und des permanenten Lernens von Mensch und Organisation. Es geht also im Kern um Kompetenzen und um Lernen. Seite 27 VERÄNDERUNG STEUERN Mini-Unternehmen sind Ausschnitte des Unternehmens und Teil des Ganzen. Damit alles zusammenpasst, was zusammenpassen muss, sind geeignete Werkzeuge zur Steuerung nötigt. Erfolgreiche Veränderungsprozesse setzen effiziente Steuerungsstrukturen voraus. Eine solche Struktur versetzt die Geschäftsführung erst in die Lage, Verbesserungsarbeit im Unternehmen fokussiert zu steuern und dabei einen direkten Einblick in und Zugriff auf das operative Geschehen zu erhalten. Diese neue Struktur wird erhebliche Dynamiken entfachen und andere Beteiligte erfordern. Neue Arbeitsweisen werden sich einspielen, die sich stark von den etablierten Ritualen existierender Gremien unterscheiden. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, eine neue Parallelstruktur zu installieren - eine Verbesserungsstruktur. Diese Struktur ist höchst unternehmensspezifisch. Deshalb soll das folgende Beispiel nur ein Beispiel sein. Es wird ein Lenkungsausschuss (LA) eingerichtet, dem mindestens die Geschäftsführung und ggf. ein Vertreter des Betriebsrates angehören. Dieses Gremium muss ohne Einschränkungen entscheidungsfähig sein. In Konzernen verfügen der Konzern und seine Töchter jeweils über eigene Lenkungsausschüsse. Verantwortlich für den Erfolg eines Mini-Unternehmens ist in der Regel der Chefarzt, auch wenn seine formale Zuständigkeit nur selten eindeutig geklärt ist. KonzernLenkungsausschuss LA GmbH1 MU11 LA GmbH2 MU12 MU13 Vorstand/ Geschäftsführung Betriebsrat LA GmbH3 MU14 MU15 Regelkommunika7onwöchentlich Seite 28 MU16 Verwaltungsleiter Pflegedirektor, Ärztlicher Direktor Betriebsrat VON ALT ZU NEU Eine Organisation in eine lernende Organisation zu transformieren, bedeutet einen Kulturwechsel. Für diesen Prozess existiert keine Blaupause. Er entwickelt sich in kleinen Schritten und höchst individuell. Heute bin ich mir sicher, dass ein Krankenhaus zunächst die Struktur und die Fähigkeit entwickeln muss, sich selbst kontinuierlich zu verändern. Sie muss in der Breite des Unternehmens verbesserungsfähig werden, bevor sie sich in den methodischen Feinheiten z.B. von Leaninstrumenten verzettelt. Deshalb favorisiere ich heute die stufenweise Einführung eines Shopfloor Management Systems in der ganzen Breite des Unternehmens. Einmal in Bewegung gesetzt, lassen sich im Laufe der Zeit die Methoden aus dem umfangreichen Lean Werkzeugkasten einführen und nutzen. Die folgende Vorgehensweise zur Einführung eines Shopfloor Managements Systems in einem Krankenhaus soll Ihnen ein Beispiel geben. Die größte Herausforderung, vor dem das Management eines Unternehmens steht, sind weder fachlicher, noch methodischer Art. Es ist die schiere Masse von Menschen in einer Krankenhausorganisation, die es im Idealfall zu erreichen gilt. Ein Shopfloor Management System lässt sich leichter mit leistbarem Aufwand einführen, wenn neben den Basiselementen (siehe unten) auch vielfältige digitale Möglichkeiten genutzt werden, um Kommunikation und Training effizient durchzuführen und Synergien zu nutzen. StrategieundZieleder GeschäXsführung 1 OberärzteSta7onsleitung KurzschulungZieleund Methodik 6 Lenkungs-/Berichtssystem installieren 2 TeamKurzschulungZiele undMethodikproUnit 7 DreiChangeUnitsmit Kernteamund Verantwortlichen definieren 3 4-TageMethodentraining Kernteam(proUnit) 8 Unterstützerteam definieren(Coaches) 4 4-TageZiel-und Maßnahmenworkshop (proUnit) 9 FührungskräXetraining Chefärzte/Pflegeleitung 5 BegleitendesFührungs- undProzesscoaching 10 Seite 29 SHORT SUMMARY • Das Unternehmen Klinik wird in Mini-Unternehmen eingeteilt, die in eigener Verantwortung stehen, interne und externe Lieferanten- und Kundenziele zu erfüllen. • Es entsteht ein Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten in einem Unternehmen, verbunden durch Ziele und Vereinbarungen. • Für jede Einheit werden dezidierte, ehrgeizige Entwicklungsziele definiert. Es wird vollständige Transparenz geschaffen. • Regelkommunikation wird eingeführt. • Standardbasiertes Arbeiten wird eingeführt. • Kompetenz von Mitarbeitern wird aufgebaut. • Führung begibt sich in mehrfacher Weise in den Prozess der Verbesserung: sie fordert, hilft und entscheidet vor Ort. • Es wird eine Verbesserungsorganisation errichtet. • Verbesserung wird zur Unternehmensstrategie erklärt. © Trueffelpix/ Fotalia.com Seite 30 IMPRESSUM Die Texte in diesem Buch sind mit großer Sorgfalt erarbeitet worden. Dennoch können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Eine Haftung des Verlages oder des Autors, gleich aus welchem Rechtsgrund, ist ausgeschlossen. Die in diesem Buch wiedergegebenen Bezeichnungen können Warenzeichen sein, deren Benutzung durch Dritte für deren Zwecke die Rechte der Inhaber verletzen kann. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Bearbeitungen sonstiger Art sowie für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Dies gilt auch für die Entnahme von einzelnen Abbildungen und bei auszugsweiser Verwendung von Texten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http:// wwwdnb.dnb.de abrufbar. Impressum: © 2016 Jörg Gottschalk Herausgeber: Jörg Gottschalk, Berlin Verlag: epubli GmbH, Berlin Bildnachweis Titelbild: © texelart / fotalia.com ISBN: 978-3-7375-8248-3 Seite 31 Wirksam führen - Ärztinnen und Ärzte in Führung Krankenhausorganisation verstehen Mitarbeiter führen - Qualität und Ergebnis verbessern. Im Buchhandel und als eBook erhältlich. ISBN: 978-3-7375-5769-6 (Gebundene Ausgabe) ISBN: 978-3-7375-6489-2 (Taschenbuch) Seite 32 Diplom-Kaufmann Coach Jörg Gottschalk Anschrift: Markgrafenstraße 29a 13465 Berlin [email protected] www.nordstern-institut.de Seite 33
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