Tierärztliche Klinik für Kleintiere und Pferde, Starnberg Klinik für Pferde, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Die Kastration des Hengstes - Altes, Neues, Stolpersteine - C.P. Bartmann „Das Pferd in der Entwicklung“, Gestüt Birkhof und Merial GmbH, 22. August 2015, Donzdorf Kastration des Hengstes häufigster elektiver Eingriff in der Pferdechirurgie - durchgeführt in Praxis und Klinik • verschiedene anerkannte Methoden • Methodenfreiheit • Komplikationsrate 6 – 43,8 % - Art und Häufigkeit methodenimmanent (Keller u. Hartmann 1996, Schumacher 1996, Shoemaker 2004) → Leitfäden zu tierärztlichen Tätigkeiten in der Pferdepraxis 1. Fortpflanzung beim Hengst und Methoden der Unterdrückung der Fortpflanzungsfunktion Fortpflanzung Hengst physiologische Situation • Hodenabstieg in das Skrotum - Ende Gravidität bis 10 Tage post natum • Geschlechtsreife ∅ im Alter von 15 Monaten - rasse- und umweltabhängig - Hengstverhalten, Kopulationen auch vorher • Zuchtreife im Alter von 2 bis 3 Jahren Unterdrückung der Fortpflanzung beim Hengst Suppression der gonadalen Funktion - hormonell - immunologisch - chirurgisch → Kastration • Zeitpunkt der Kastration des Junghengstes → empfohlen zwischen Alter 1 – 2 Jahre - Vorbeuge hengsttypischen Verhaltens - Haltungsmanagement - möglichst maskuliner Phänotyp - androgen-stimulierter Schluss Wachstumsfugen? Hormonelle Reduzierung des Hengstverhaltens Gestagene - negative Rückkopplung LH ↓ • Altrenogest, Regumate® equine (Fa. MSD/Intervet) - tägliche orale Applikation 0,088 mg/kg KGW • Verminderung der Libido (Badzinski u. Squires 1984) • Verkleinerung der Testes • Abfall Serumtestosteron → Dopingrelevanz Altrenogest - FN Reglement: verbotene Substanz - FEI Reglement: verbotene Substanz Immunol. Unterdrückung des Hengstverhaltens immunologisch durch GNRH-Vakzine - Ak Bildung - keine Ankopplung GnRH an Rezeptoren • Anti-GnRH Equity® equine (Fa. Pfizer Animal health, Australia) - wiederholte Vakzinierung - Verkleinerung Hoden nicht signifikant (Wenzinger et al. 2010) - deutliche Reduzierung störenden Verhaltens (Wenzinger et al. 2010) → keine nationale oder EU-Zulassung - keine Umwidmung und Anwendung legal möglich → Reversibilität unsicher - cave Zuchteinsatz! Kastration vollständige Entfernung der Keimdrüsen (Müller 1990) - Ausschaltung hormonell-funktioneller Wirkungen - Ausschaltung der Befruchtungsfähigkeit - Erleichterung der Nutzung und Haltung des Tieres • Werkvertrag, keine Heilbehandlung • erlaubte Ausnahme Amputation - gemäß § 6 (1) TschG → auch medizinische Indikation möglich - Hodentumor, Orchitis 2. Vorbereitung und Aufklärung Vorbereitung der Kastration elektiver, planbarer Eingriff • • • • Voruntersuchung Aufklärung Überprüfung Tetanusprophylaxe Operationsplanung - Methode - Ort - Anästhesie • Begleitmedikation Voruntersuchung Kastration • Allgemeinuntersuchung (Glitz et al. 2010) - Narkosefähigkeit • klinisch-andrologische Untersuchung (Bartmann 2010) - Adspektion - Palpation Skrotum und Inhalt - Palpation Leistenspalt → Eingriff möglich - ungestörtes Allgemeinbefinden - klinisch-andrologisch unauffällig → im Verdachtsfall weiterführende Untersuchungen Aufklärung vor Kastration Leitlinien zur Aufklärungspflicht in der Pferdepraxis (GPM und BTK 2002) • Narkose - keine besondere Aufklärung erforderlich - beim klinisch unverdächtigen Pferd • Kastration - typische Risiken und Komplikationen der Methode - Art und Weise des Eingriffs - Alternativen falls entscheidungserheblich → Sorgfaltspflicht besteht immer - auch bezüglich Dokumentation 3. Durchführung der Kastration Kastration - Methoden Vielzahl beschriebener Verfahren (Gerhards 2003, Schneider 2005) - Methodenfreiheit für anerkannte Verfahren der Veterinärchirurgie • Narkose - stehend, sediertes Pferd und Infiltrationsanästhesie - Allgemeinanästhesie • anatomischer Zugang - skrotal - inguinal • Ligatur und/oder Quetschung des Samenstrangs - unbedeckt - bedeckt - unbedeckt mit Wiederverschluss des Processus vaginalis • mit und ohne Verschluss Hautwunde Aseptische Kastration unter Allgemeinanästhesie I vorzugsweise in Op - Wahrung steriler Verhältnisse erforderlich • Rückenlage - aseptische Vorbereitung Operationsfeld Vorbereitung des Operationsfeldes antiseptische Vorbereitung erforderlich • Entfernung der Haare - unterschiedliche Behaarung - Scheren oder Rasieren • Hautreinigung - Povidon-Jod-Seife 3x2 min - Chlorhexidin-Seife • Desinfektion (nicht Penisschleimhaut) - Povidon-Jod, Alkohol - Chlorhexidin_Glukonat, NaCl • Abdeckung Operationsfeld Aseptische Kastration unter Allgemeinanästhesie • Hautschnitt am Hodensack • Vorlagern des vom Scheidenhautfortsatz bedeckten Hodens • Doppelligaturen mit Gewebebrücke auf Gefäßteil des Samenstrangs und Samenleiter • Absetzen Hoden und Nebenhoden • Teilresektion Processus vaginalis • Wiederverschluss des Processus vaginalis mit M. cremaster • intrakutaner Hautverschluss Aseptische Kastration unter Allgemeinanästhesie II Nachsorge adspektorische Kontrolle Operationsbereich • intraskrotale Nachblutung - Kontrolle und ggf. Drainage • Ödembildung - Skrotum oder Präputium - bei geringgradiger Ausprägung unbedenklich • Serom - ggf. Punktion oder Drainage → Nachsorge nur bei Komplikation erforderlich Bedeckte Kastration unter Allgemeinanästhesie I auch unter „Feldbedingungen“ - Injektions- oder Infusionsnarkose • Rücken- oder Seitenlage - Antisepis Operationsfeld • Operation - skrotale Inzision - Vorlagern des von Tunica vaginalis bedeckten Hoden - Quetschung des bedeckten Samenstrangs (Sand‘sche zange) - gesicherte Ligatur auf bedeckten Samenstrang - Absetzen des Hodens, Kontrolle Hämostase - kein Wundverschluss → Kontrolle Wunde - Sicherstellung Abfluss Wundexsudat Bedeckte Kastration unter Allgemeinanästhesie II Kontrolle Allgemeinbefinden und Operationsbereich Nachsorge und Nachbehandlung • Sicherstellung Abfluss Exsudat - kontrollierte Bewegung - ggf. Öffnen verklebte Hautwunde mit Finger (Handschuh) • bei deutlicher Ödembildung - Hydrotherapie, Spülung Kastration des stehenden Hengstes meist ökonomische Gründe Vermeidung Risiko Allgemeinanästhesie • offene Kastration • sichere Methode? - erhöhtes Risiko Darm- und Netzvorfall - Risiko für Operateur • besondere Aufklärung → Aufstallung 1-4 Tage → Kontrolle Wunde - Darm- oder Netzvorfall - Sicherstellung Abfluss Wundexsudat Laparoskop. Kastration des stehenden Hengstes Samenstrangligatur oder –dissektion (Rijkenhuizen u. Grinwis 1999) - Hoden werden im Skrotum belassen, Fibrosierung - verschiedene Techniken, (Röcken 2013) → cave: Revaskularisierung möglich (Wilson 1999Voermans et al.2006) - keine sofortige Erfolgskontrolle - echte Kastration? Kastration - Medikation Tetanusprophylaxe - entsprechend Ausgangssituation - Dokumentation? (Feige 2015) - ggf. Simultanimpfung oder Vakzinierung • Antibiotika - Berücksichtigung Leitlinien/Anmerkungen BTK und GPM - perioperative Prophylaxe - „single shot“ (Bartmann et al. 2005) - Wirkspiegel soll bereits während Eingriff vorliegen - Penicillin, Amoxicillin, Cefquinom möglich - nicht obligatorisch Kastration - Schmerzmanagement adäquate Schmerztherapie indiziert (Kästner 2015, Lebelt 2015) - Gewebeschaden immer von Entzündung begleitet - Schmerz behindert Heilung und Allgemeinbefinden • NSAIDs perioperativ - z.B. Flunixin-meglumin oder Firocoxib - „drug stacking“ ohne Wirkungserhöhung, aber Toxizität ↑ - COX-2-selektive NSAID sicherer Magen-Darm, nicht Niere • Unterdrückung des aufsteigenden nozizeptiven Signals - Lokal- oder Leitungsanästhesie - Samenstranganästhesie → präoperative Applikation NSAID + Lokalanästhesie - effektivste Variante (Lebelt 2015) 4. Kastrationskomplikationen Akute Kastrationskomplikationen unmittelbares Handeln erforderlich • Hämorrhagie - Nachuntersuchung, Lokalisation Blutung - A. testicularis: chirurgische Blutstillung erforderlich - Hodenhüllen: spontanes Sistieren oder Tamponade • Darmvorfall - fehlender oder insuffizienter Verschluss Scheidenhautfortsatz - unmittelbare Säuberung und Reposition des Darms - Hautverschluss - Klinikeinweisung • Netzvorfall - Herausziehen, Ligieren und Absetzen des Netzanteils Subakute und chronische Kastrationskomplikationen • Funiculitis et Vaginitis phlegmonosa - Exsudatabfluss sichern, Antibiotika • Leistenabszess - cave Peritonitis • Samenstrangfistel • Vaginalsackzyste - ggf. auch Omentum beteiligt • Verwachsungen des Samenstrangs (Echte et al. 2006) - Bewegungsstörung → überwiegend chirurgische Therapie erforderlich Verlauf nach vollständiger Kastration • rascher Abfall der peripheren Sexualsteroide - basale Werte innerhalb von 3-5 Tagen - Rückgang hormonell induzierten Hengstverhaltens • Befruchtungsvermögen - in Mehrzahl der Fälle innerhalb weniger Tage getilgt - in Einzelfällen noch bis zu vier Wochen gegeben (Klug et al. 1976) → dominantes Verhalten auch bei Wallachen möglich → im Verdachtsfall - Kryptorchismus auch bei „kastrierten“ Pferden ausschließen - hoher Anteil voroperierter Pferde bei Kryptorchiden (Bartmann u. Klug 2001) 5. Abweichungen von der normalen Hodenlage Kryptorchismus und sexuelle Zwischenstufen Voruntersuchung: Kryptorchismus Vorbericht Adspektion, Palpation Skrotum und Inhalt - Verdacht und Feststellung vor der Operation • ggf. weiterführende Untersuchungen - transrektale Palpation und Sonographie - transkutane Sonographie - Laparoskopie → cave Übernahmeverschulden bei Operation Kryptorchismus - Diagnose überwiegend bei adultem Pferd - bei Fohlen nur Palpation und Sonographie • klinisch - transskrotale Palpation - transrektale Palpation • Sonographie - transkutan inguinal (Jann u. Jains 1990) - transrektal (Bartmann u. Klug 2001) • Endokrinologie - Anti-Müller-Hormon - HCG-Stimulationstest, „Cox-Test“ (Cox et al. 1986) • Laparoskopie (Röcken 1998) Maldescensus testis – Kryptorchismus • Formen des Kryptorchismus (von Plocki u. Lauk 1985, Wissdorf et al. 2010) - inguinal - unvollständig abdominal - vollständig abdominal - „Wiederaufstieg“ des Hodens anatomisch nicht erklärbar • häufig unilateraler Kryptorchismus - kontralateraler Hoden skrotal oben: skrotaler Hoden unten: unvollständig abdominaler Kryptorchismus → keine Entfernung nur des skrotalen Hodens sinnvoll - Mangel jetzt maskiert - Werkvertrag nicht erfüllt - hoher Anteil bereits voroperierter Kryptorchiden (Bartmann u. Klug 2001) Sexuelle Zwischenstufen Verdacht bei klinischer Voruntersuchung gonadales Geschlecht entspricht nicht Exterieur • Pseudohermaphroditismus masculinus - häufig - Phänotyp weiblich, ggf. markante Klitoris - intraabdominale Hoden • Pseudohermaphroditismus femininus - Phänotyp männlich , ggf. Spaltbildungen Penis - Ovarien → weiter Abklärung und Entscheid Leitfäden – Kastration des Hengstes Leitfäden zu tierärztl. Tätigkeiten in der Pferdepraxis (GPM und BTK 2013, Schüle 2015) • Voruntersuchung • Verschiedene Operationsverfahren - Unterschied Aufwand, Kosten, Erfolg, Risiken • individuelle Aufklärung erforderlich • anerkannte Kastrationsmethoden möglich - unbedeckte Kastration ♂ > 36 Monate nicht empfehlenswert • bedeckte Kastration, allg. Anästhesie, Primärverschluss - derzeit sicherstes Verfahren • Komplikationen müssen erstversorgt werden können Fazit Kastration Hengst häufiger Eingriff in der Pferdechirurgie - komplikationsbehaftet • verschiedene Methoden - Narkose - Zugang, Verschluss • keine absolut sichere Methode - aber Risikominimierung möglich → → keine „Einschränkung“ durch Leitfäden tierärztliche Sorgfaltspflicht
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