Meditation über die Illustration zur Jahreslosung 2016 „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ Jesaja 66, 13 A. Einleitung Es schien mir nicht schwer, bei der Losung für das Jahr 2016 ein Bild im Kopf zu haben. Bei Gesprächen mit Freunden wurde mir zwei Motive vorgeschlagen, die mich beide bewegten und auf die ich beide nach einer kurzen Beschreibung des Dargestellten (1.) eingehen möchte: Zum einen das Bild der ein Kind umarmenden Mutter (2.). Zum anderen das symbolhafte Bild eines Baumes (3.). Anschließend will ich die gefundene Umsetzung noch weiter begründen (4.) und der Meditation eine Art Skopus (B.) ans Ende stellen. 1. Das Dargestellte Dargestellt ist eine mit einem Kopftuch bekleidete und dadurch als solche identifizierbare Muslima, die einen kleinen Junge auf dem Arm trägt und ihm mit der linken Hand über den Rücken streichelt. Die Szene ist technisch mit Blei- und Graphitstiften skizziert und mit blau und orangetönen koloriert. Dabei rücken die blauen Farbteile in den umgebenden Hintergrund, während die orangenen Teile sich zentriert von oben herab auf die abgebildeten Personen ergießen, die Berührungsflächen zwischen Muslima und Jungen erfassen, sowie das Gesicht des Letzteren konturieren und in einem Farbstrudel die Personen umgeben und sie damit von dem bläulichen Hintergrund abgrenzen. Die Muslime hat die Augen geöffnet und wirkt besorgt. Der Junge hat die Augen geschlossen und scheint zu schlafen. An den Händen der Muslima lassen sich durch einen stärkeren Bleistiftgebrauch Spuren erahnen, die an Christi Wundmale erinnern. Oben und unten wird das Bild von den Worten der Jahreslosung eingerahmt: der obere Rahmen ist durch einen dunkelgehaltenen Balken textfeldlich begrenzt; der untere Teil der Jahreslosung ist freier im Bild verortet und vollzieht teilweise in der Bewegung den orangenen Farbstrudel nach. Die Trennung des Textes erfolgte nach dem Wort „trösten“. Der obere Text ist in gelben und orangenen Druckbuchstaben gehalten. Der untere Text ist in schwarzen freier gesetzten Buchstaben gesetzt. Textlich ersetzt zudem das Wort „werde“ das originale Wort „will“. 2. Frau mit Kind auf dem Arm Als ich mit Freunden über dieses Projekt sprach, wurde sofort das Bild einer Frau, die ein Kind tröstend in den Arm nimmt, aufgeworfen. Die Frau, die auf das vom Fahrradunfall aufgeschlagene Knie pustet und mit einem Pflaster und einem Streicheln den Schmerz und den Schock verfliegen lässt. Die Mutter, die das trostbedürftige Kind in dem Arm wiegt, bis es Ruhe findet und einschläft. Das Bild bietet sich schon vom Wortlaut der Losung an, denn eine Mutter kann schlicht nur eine Frau sein. Dieses Bild ist auch präsent und es überdauert die Lebensphasen, die ich als Mensch durchleben kann. Das Besondere an dem Bild liegt in der Geste der Berührung, in ihrer Distanzlosigkeit. Dieser Kontakt zum betroffenen Menschen, der in dessen schmerzerfüllte Isolation hineinreicht und ihn wieder in eine hilfespende Beziehung nach außen setzt. Diese mütterliche Berührung hat im vergangenen Jahr in Deutschland seine eigene Öffentlichkeit erfahren, als Bundeskanzlerin und „Mutti“ Angela Merkel während eines „Bürgerdialogs“ mit einer Rostocker Schulklasse etwas unbeholfen auf das palästinensische Mädchen Reem, die mit ihren Eltern ein vorläufiges Bleiberecht in Deutschland erhalten hatte, zuging und ihr über die Wange streichelte, nachdem Reem nach einem Gespräch über die aktuelle Flüchtlingslage und -politik mit Kanzlerin Merkel anfing zu weinen.1 Der daraufhin durch die Öffentlichkeit gehende Diskurs über diese Geste zeigt, wie schwer sich scheinbar das Bild der tröstenden Mutter mit dem der starken Kanzlerin vereinbaren ließ. Vielleicht erklärt es auch die offensichtliche Unsicherheit Merkels in dieser Situation. Mir erschien diese Geste als die einzig passende zu sein, um Trost zu spenden, denn mögen Worte auch noch so viel Liebe und Fürsorge enthalten und noch so gut überlegt sein, so ist es doch die Berührung, die zum Trost ausgestreckte Hand, die diesen Worten eine unmissverständliche Form zu geben vermag. Damit war eine mütterliche Berührung sprachbildlich vorgegeben und beschränkte gleichzeitg bei nicht rein abstrakter Malweise die Motivwahl. Auch bot sich das Bild an, um eine ganz eigene (neue?) Form göttlicher Darstellung an. Sicherlich ging es nicht darum sich ein Bild von Gott zu machen, doch gibt sich Gott selbst mit dem anthropomorphen Zuspruch der mütterlichen Trostgeste ein Bild, das den Reiz beinhaltete, nicht unbedingt Gott als Frau, aber doch eine Frau als Trägerin göttlichen Trostes darzustellen. 3. Der symbolische Baum Den Vorschlag auf das symbolische Bild eines Baumes zurückzugreifen fand ich anfangs nachvollziehbar, greift er doch Assoziationen zur „Mutter Natur“ auf. Zum bedingungslosen Schutz, den ein Baum unter seinen weiten Ästen bietet und der ebenso eine tröstliche Erfahrung verkörpern kann. Auch greift dieses Motiv den pantheistischen Gedanken der Gotteserfahrung in der Natur auf. Doch zum einen erschien mir dieses Motiv zu passiv, als dass es dem aktiven Zuspruch der Losung nach gerecht werden konnte – insbesondere bei Ersetzung des Wortes „will“ durch „werde“ – zum anderen empfand ich, dass gerade die dem Text eingegebene und beschriebene anthropomorphe Bildlichkeit von Gottes Trost durch dieses Motiv wieder untergraben worden wäre. 1 http://www.welt.de/politik/deutschland/article144106520/Merkel-nicht-emotional-beschraenkt-nursprachlich.html (Abruf vom 23.12.15). Dass ich das Motiv des Baumes anfangs reizvoll fand, lag daran, dass ich nach einen Bild gesucht habe, dass sich nicht allzu intuitiv aus der Jahreslosung ergab, so dass der Betrachter des Bildes auch noch Raum zum Interpretieren haben konnte und nicht bereits alles schon vom Lesen der Losung Erspürte in dem Bild wiederfände. Die trostgebende Geste um Kanzlerin Merkel aufgreifend, stand für mich auch das Bedürfnis im Raum ein Bild zu malen, das unmissverständlich Trost beinhaltete und doch eine Form göttlicher Mächtigkeit ausstrahlte, also quasi ganz menschlich und ganz göttlich daher kommen sollte. 4. Umsetzung Unter den beschrieben Eindrücken und Bestrebungen war für mich die leitende Frage folgende: „Welches Bild kann heute mütterlicher Trost ausdrücken und gleichzeitig unmissverständlich und aufrüttelnd göttlichen Trost auszustrahlen?“ Diesem Bedürfnis bin ich dadurch nachgegangen, dass ich weg von meiner eigenen romantisch kindlichen Vorstellung der tröstenden Mutter ging und danach gefragt habe, was für Bilder die heutige Zeit bereithält. In diesem Zusammenhang die Flüchtlingskriese aufzugreifen erschien mir der richtige Weg. Das Bild der tröstenden muslimischen Mutter beantwortet gleichermaßen die Frage danach, wo in der Welt erkennbar mütterlicher Trost gebraucht wird. In der praktischen Umsetzung zeigt sich dies aus folgendem: Die orangenen Farbflächen als warme und Nähe suggerierende Farben schaffen den Rahmen des Geborgenen. Sie unterstreichen die für den Trost so notwendigen Berührungen. Sie gehen sogar so weit, dass in der Berührung und durch den Trost dem zu Tröstenden quasi „ein Gesicht gegeben wird“. Fast als wollte Gott sagen: „Ich sehe dich! Dein Gesicht ist mir nicht fremd! Ich nehme mich deiner an in deinem Schmerz und ich hole dich heraus aus deiner anonymen Isolation, die dein Kummer bei dir verursacht!“ Der bläuliche Hintergrund stellt dabei als kalte und Ferne suggerierende Farbe den unbehaglichen und feindlichen, ja dunklen Grund des Kummers dar, der die Bitte um Trost erst aufwirft. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die Strichführung im Blau, die an Regenschleier erinnert. Gleichzeitig ist die Wahl der Muslima zunächst als Vermittlerin göttlichen Trostes im Rahmen einer christlichen Jahreslosung in vielfacher Hinsicht spannungsreich. Sie verneint exklusivistisches Heilsverständnis und knüpft im Hinblick auf Gottesbegegnung an dem Menschen und nicht an dessen religiös-kultischen Einbindung an. Es ist eine Absage an patriarchische Strukturen in jedweder Gesellschaft und diese Absage ergibt sich nicht etwa aus einer überspitzten Interpretation des Textes, sondern ist dem Text selbst immanent. Dabei soll auch ruhig Galater 3, 28 mitklingen. Zum Schluss und mit dem ähnlichen Gedanken ist ihr auch tendenziell ein Gedanke von Allerlösung beigestellt: Dem Grunde nach ließe sich die Muslima auch schlicht als Sinnbild von für göttlichen Trost verstehen, das zwar auch die eben vorangestellten Intentionen ebenso gut ausfüllen würde, jedoch als bloßes Sinnbild nicht den Ausdruck enthält, dass Gott selbst uns trösten will – genau dahin geht nach meinem Verständnis aber der Zuspruch und nicht etwa in eine fast humanistische Auslegung von Matthäus 25, 40. Die Darstellung göttlicher Präsenz in der Trostgeste wird hier durch die angedeuteten Stigmata an den Händen der Muslima deutlich und sind gleichzeitig die größte Provokation, denn in ihr liegt wohl eine Überlagerung von muslimischer Religion und Christi Ich-bin-Wort von Weg, Wahrheit und Leben, welches wohl nach weiter Ansicht den Glauben an Jesus Christus als „Teil“ des dreieinigen Gottes bedingungslos einfordern. Die damit aufgeworfene Frage: „Kann Jesus Christus und damit Gott selbst in einer muslimischen Mutter nicht bloß sinnbildhaft, sondern realpräsent sein?“ bleibt in dem Bild offen, schwebt über der gesamten Deutung und soll an dieser Stelle auch keine Antwort finden. Diese Frage allein beinhaltet jedoch m. E. die erwünschte göttliche Mächtigkeit des Bildes. In Bezug auf die Frage nach der Allerlösung sei ein Spruch meines alten Religionslehrers rezitiert: „Ein Narr, der sie predigt! Ein Esel, der nicht daran glaubt!“ Denn: Absolute Bedingungslosigkeit und damit die in der Freiheit eines Christenmenschen angesprochene größte Wirkung an überfließender Liebe kann die göttliche Liebe nur entfalten, wenn sie auf den plakativen Vorwurf: „Du kannst ja machen was du willst, Gott vergibt dir nach deinem Glauben ja eh alles!“ antwortet mit: „Ja!“2 Der Austausch der Worte „will“ durch „werde“ ist im Grunde ein Versehen. Im Nachhinein empfinde ich aber, dass diese Wortwahl den Zuspruch der Losung unterstreicht. Die Trennung der Textteile begründet sich darin, dass ich den ersten Teil dem noch distanzierten rein göttlichen Zuspruch zuschreibe, wohingegen der zweite anthropomorphe Teil die weltliche Gestalt des Trostes anzeigt und sich damit voll in die abgebildete Szene der Muslima eingeben sollte. B. Skopus Lasst uns gespannt und aufmerksam sein, wie Gottes ganz persönlicher und realer Trost uns erreichen wird. 2 Dieser letzte Abschnitt dient im Wesentlichen nicht der Interpretation des Bildes, stellt aber meinen persönlichen Hintergrund dar, vor dem das Bild nun mal gemalt wurde.
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