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FB Gk BGB II (Suyr/Schmid), SoSe 2015
FB 12 – Das Vermächtnis – Lösung
DAS VERMÄCHTNIS
SCHR AT/BT: § 285 BGB, DRITTSCHADENSLIQUIDATION, SCHADENSBEGRIFF
LÖSUNG:
A. V gegen D
V gegen D aus § 823 I BGB
V könnte gegen D einen Anspruch aus §
823 I BGB haben.
Dazu müsste D ein in § 823 I BGB geschütztes Rechtsgut des V verletzt haben.
a) In Betracht käme hier das Eigentum an
dem Porsche. Dazu müsste V Eigentümer
des Porsche geworden sein. Zunächst war
E Eigentümer.
aa) Durch den Tod des E könnte N im Wege der Universalsukzession gem. § 1922 I
BGB Eigentümer des Porsche geworden
sein. Dazu müsste N Erbe gewesen sein. In
Betracht käme hier eine Erbeinsetzung
durch Testament gem. § 1937 BGB. Dies
setzt ein wirksames Testament des E mit
entsprechendem Inhalt voraus. Ein solches
Testament nach § 2247 BGB liegt laut
Sachverhalt vor. Somit wurde N Erbe. Damit erlangte er gem. § 1922 I BGB Eigentum an dem Porsche.
bb) V könnte Miteigentümer an dem Porsche geworden sein, wenn er als Miterbe
eingesetzt wurde. V wurde aber nur der
Porsche „vermacht“. Damit liegt ein Vermächtnis im Sinne des § 1939 BGB vor.
Gem. § 2174 BGB gibt das Vermächtnis V
lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch
gegen den Erben auf Übereignung (Trennungsprinzip!) des Porsche. Daher hat V
kein Eigentum an dem Porsche erlangt.
Somit liegt auch keine Verletzung seines
Eigentums durch D vor.
Fraglich ist, ob der Anspruch des V auf
Übereignung des Porsche ein sonstiges
Recht iSd § 823 I BGB darstellt. Aus der
beispielhaften Aufzählung des § 823 I BGB
lässt sich schließen, dass von § 823 I BGB
nur absolute Recht geschützt werden. Absolute Rechte sind solche, die Abwehransprüche gegenüber jedermann gewähren.
Fraglich ist also, ob der schuldrechtliche
Anspruch aus § 2174 BGB ein absolutes
Recht darstellt.
Da der schuldrechtliche Anspruch aus §
2174 BGB auf Übereignung dem Vermächtnisnehmer nur ein Recht gegenüber
dem Erben einräumt, handelt es sich um
ein relatives Recht. Zum Teil wird aber bei
der ähnlichen Konstellation des Versendungskaufs ein „wirtschaftliches Eigentum“ angenommen und dies dem „echten“ Eigentum als absolutem Recht gleichgestellt. Dies würde aber einen an sich
rein schuldrechtlichen Anspruch systemwidrig einem dinglichen Anwartschaftsrecht (bspw. durch Vormerkung gesicherter Anspruch auf Übereignung einer Immobilie, § 883 BGB) gleichstellen. Daher
ist eine solche Gleichstellung abzulehnen.
Somit stellt der Anspruch aus § 2174 BGB
kein sonstiges Recht iSd § 823 I BGB dar.
Ergebnis: Daher hat V keinen Anspruch
gegen D aus § 823 I BGB.
Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht
ersichtlich.
Folglich hat V keine Ansprüche gegen D.
b) Möglicherweise kommt aber die Verletzung eines sonstigen Rechts in Betracht.
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FB 12 – Das Vermächtnis – Lösung
B. V gegen N
a) Da N aufgrund der Erbschaft und des
damit verbundenen Vermächtnisses dazu
verpflichtet ist, dem V den Wagen herauszugeben, liegt ein Schuldverhältnis vor.
I. V gegen N aus § 2174 BGB
V könnte gegen N einen Anspruch auf
Herausgabe und Übereignung des Porsche
gem. § 2174 BGB haben.
1. Dazu müsste V zunächst bezüglich des
Porsches Vermächtnisnehmer iSd § 2174
BGB geworden sein. Da E gestorben ist
und V in seinem Testament den Porsche
„vermacht“ hat, ist dies unproblematisch
der Fall.
2. Ferner müsste N Beschwerter iSd des §
2174 BGB sein. Gem. § 2147 S.2 BGB ist
grundsätzlich der Erbe beschwert, es sei
denn der Erblasser hätte etwas anderes
bestimmt. Dies ist hier jedoch nicht der
Fall. Da N Erbe geworden ist (vgl. o.), ist er
auch Beschwerter iSd § 2174 BGB.
Zwischenergebnis: Somit hat V grundsätzlich einen Anspruch gegen N auf Herausgabe und Übereignung des Porsche gem. §
2174 BGB.
3. Der Anspruch auf Herausgabe und
Übereignung des Porsche könnte aber
gem. § 275 I BGB untergegangen sein. Da
der Porsche irreparabel zerstört wurde, ist
der Anspruch des V auf Übergabe und
Übereignung erloschen.
Ergebnis: Somit hat V gem. § 275 I BGB
keinen Anspruch gegen N aus § 2174 BGB.
II. V gegen N aus §§ 280 I S.1, 283 S.1 BGB
V könnte gegen N einen Anspruch auf Zahlung von 100.00 € Schadensersatz gem. §§
280 I S.1, 283 S.1 BGB haben.
1. Dazu müsste N eine Pflicht aus dem
Schuldverhältnis verletzt haben.
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b) Fraglich ist, welche Pflicht N verletzt
hat. Da N von seiner Leistungspflicht gem.
§ 275 I BGB befreit ist, begründet die
Nichtleistung an sich keine Pflichtverletzung. Allerdings geht die mittlerweile als
herrschend anzusehende Meinung im Fall
der nachträglichen Unmöglichkeit i.S.v. §
283 BGB davon aus, dass die Pflichtverletzung schlicht im Ausbleiben der Leistung
infolge Unmöglichkeit liegt. Mithin ist eine
Pflichtverletzung gegeben
2. Diese Pflichtverletzung müsste N gem. §
280 I S. 2 BGB zu vertreten haben. Nach §
276 I S. 1 BGB hat N Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu vertreten. Ein vorsätzliches oder
fahrlässiges Handeln des N ist jedoch nicht
ersichtlich. Somit hat N die Pflichtverletzung nicht zu vertreten.
Ergebnis: V hat gegen N keinen Anspruch
auf Zahlung von 100.000 € Schadensersatz
aus §§ 280 I S.1, 283 S.1 BGB.
III. V gegen N aus § 285 I BGB
V könnte aber gegen N einen Anspruch auf
Abtretung dessen Anspruchs gegen D
gem. § 285 I BGB haben. Nach dieser Vorschrift kann der Gläubiger der aufgrund
von Unmöglichkeit einen Anspruch verliert
vom Schuldner die Herausgabe des sog.
stellvertretenden commodum verlangen,
d.h. eines Ersatzes oder Ersatzanspruchs
für den geschuldeten Gegenstand, den der
Schuldner aufgrund des zur Unmöglichkeit
führenden Umstands erlangt.
N wurde durch die Zerstörung des Porsche
gem. § 275 I BGB von seiner Leistungspflicht frei. Als stellvertretendes commodum kommt hier ein Anspruch des N ge-
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gen D aus § 823 I BGB auf Zahlung von
100.000 € Schadensersatz in Betracht.
1. Dazu müsste D ein in § 823 I BGB geschütztes Rechtsgut des N verletzt haben.
a) In Betracht kommt hier das Eigentum
des N an dem Porsche. Dazu müsste N
Eigentümer des Porsches geworden sein.
Dies ist – wie bereits oben geprüft – durch
Universalsukzession gem. § 1922 I BGB
geschehen. Somit hat D durch die Zerstörung des Porsches das Eigentum des N
verletzt.
b) Das Zurücksetzen mit dem eigenen Wagen durch D stellt auch eine adäquat kausale Verletzungshandlung dar.
c) Diese müsste rechtswidrig gewesen
sein. Hier indiziert die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
d) Dieses Verhalten der D müsste ferner
schuldhaft gewesen sein gem. § 276 I S.1
BGB. Da D beim Rückwärtsfahren nicht
zurückgeschaut hat, liegt hier ein grob
fahrlässiges Verhalten vor. Somit handelte
D schuldhaft.
2. Fraglich ist aber, ob N einen Schaden
erlitten hat, da er den PKW sowieso an V
hätte übereignen müssen, er also keinen
dauerhaften Teil des wirtschaftlichen
Vermögens des N darstellte.
a) Ein Teil der Literatur vertritt die Ansicht,
dass N dennoch ein Schaden entstanden
sei. So sei hier nach dem „normativen
Schadensbegriff“ dem N allein deshalb ein
Schaden entstanden, weil sein Eigentum
zerstört worden sei – auch als „normativer Eigenschaden“ bezeichnet. Dabei käme es nicht darauf an, dass der PKW für N
keinen dauerhaften Teil seines Vermögens
darstellt, solange die Übereignung nicht
erfolgt ist. Diese Drittbeziehung gehe den
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Schädiger nichts an. Nach dem subjektiven Schadensbegriff komme es auf die
Zweckrichtung des verletzten Vermögensgutes an. Der Schaden liegt dann in der
nicht mehr möglichen Zweckerreichung,
hier in der nicht mehr möglichen Übereignung.
Dem kann so nicht zugestimmt werden. Es
ist für einen Vermögensschaden schon
nach dem Allgemeinverständnis erforderlich, dass das Gesamtvermögen des Geschädigten eine Einbuße erlitten hat. Diese liegt aber nicht vor, wenn der zerstörte
Vermögensgegenstand bereits zum Zeitpunkt der Zerstörung mit einer Verbindlichkeit in gleicher Höhe belastet war. Entsprechend wird auch nach der sog. Differenzhypothese vorgegangen, die die gegenwärtige Vermögenslage mit der ohne
das schädigende Ereignis bestehenden
vergleicht. Auch hier muss die Übereignungsverpflichtung zum Abzugsposten
werden.
Sofern auf die Zweckrichtung abgestellt
wird, liegt allenfalls ein immaterieller
Schaden vor, der gem. § 253 II, I BGB nicht
ersetzt werden kann. Darüber hinaus hatte N dem V auch keinen Schadensersatz zu
leisten, was eine entsprechende Einbuße
hätte darstellen können. N ist somit kein
Schaden entstanden.
b) Möglicherweise kann N aber den Schaden des V über § 823 I BGB nach den
Grundsätzen der Drittschadensliquidation
von D ersetzt verlangen. Dies setzt die
Anwendbarkeit der Drittschadensliquidation voraus.
Anmerkung:
Die Drittschadensliquidation ist ein von
Rechtsprechung und Lehre entwickeltes
gewohnheitsrechtliches Rechtsinstitut, das
dazu dient gewisse – wohl vom Gesetzgeber nicht gewollte – Lücken im Schadensersatzrecht zu schließen, die sich vor allen
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Dingen daraus ergeben, dass im deutschen
Recht das sog. Tatbestandsprinzip gilt.
Danach kann ein mittelbar Geschädigter
keine Ansprüche gegen den Schädiger geltend machen, sondern nur der Gläubiger
der verletzten Pflicht. Diese Lücken ergeben sich nach hM vor allen Dingen in drei
Fallgruppen. Dies sind zum einen die obligatorische (d.h. schuldrechtliche) Gefahrentlastung, die mittelbare Stellvertretung und die sog. Obhutsfälle. Als weitere
Fallgruppen werden auch die Treuhandverhältnisse und entsprechende rechtsgeschäftliche Vereinbarungen genannt.
Kennzeichnend für die Fallgruppen der
Drittschadensliquidation ist, dass Schaden
und Anspruch zufällig (dh vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigt) auseinanderfallen. Es gibt einen Anspruch
ohne Schaden und einen Schaden ohne
Anspruch. Um hier den Schädiger nicht
von diesem Zufall profitieren zu lassen und
unbillig zu entlasten, wird nunmehr der
Schaden zum Anspruch gezogen. Da
dadurch der Nichtgeschädigte den Anspruch erhält (den Schaden des Dritten
liquidiert  Drittschadensliquidation)
wird nunmehr dem Dritten ein Anspruch
auf Abtretung gem. § 285 I BGB gewährt.
Die Drittschadensliquidation hat in der
Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung (in der die Notwendigkeit der Anwendung ohnehin höchst umstritten ist)
enorm an Bedeutung verloren. Denn die
Problematik des Versendungskaufs nach §
447 I BGB – der wichtigste Fall dieser Fallgruppe – ist zum einen durch das Schuldrechtmodernisierungsgesetz
entschärft
worden, da § 447 BGB gem. § 474 IV BGB
grundsätzlich nicht mehr für den häufigen
Fall des Verbrauchsgüterkaufs gilt. Zum
anderen steht mittlerweile gem. § 421 I S.
2 HGB dem Empfänger einer Fracht ein
eigener Schadensersatzanspruch gegen
den Frachtführer zu.
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aa) Zunächst müsste bei V ein Schaden
entstanden sein. Da V hier der Porsche mit
einem Marktwert von 100.000 € entgangen ist, mithin seinem Vermögen ein entsprechender Zuwachs vorenthalten wurde, liegt ein Schaden vor.
bb) Ferner dürfte V kein eigener Anspruch
wegen dieses Schadens zustehen. Hier hat
V keinen Anspruch gegen D oder N, wie
oben geprüft.
cc) N müsste einen eigenen Anspruch gegen D haben. Hier hat N wie oben geprüft
einen Anspruch aus § 823 I BGB gegen D.
dd) Und schließlich dürfte N selbst kein
eigener Schaden entstanden sein. Das ist
der Fall (s.o.).
ee) Als Rechtsfolge wird somit der Schaden des V zum Anspruch des N gezogen,
sodass N nunmehr die 100.000 € Schadensersatz von D verlangen kann.
Zwischenergebnis: Damit steht N gegen D
ein Anspruch aus § 823 I BGB in Höhe von
100.000 € zu.
3. N müsste diesen Anspruch infolge des
Umstands erlangt haben, der zur Unmöglichkeit führte. Da hier die Zerstörung des
Wagens durch D zur Unmöglichkeit führte
und N infolge dieser Handlung der D gegen diese ein Schadensersatzanspruch in
Höhe von 100.000 € aus § 823 I BGB in
Verbindung mit den Grundsätzen der
Drittschadensliquidation zusteht, ist dieses
Tatbestandsmerkmal gegeben.
Somit ist N gem. § 285 I BGB dazu verpflichtet, diesen Anspruch an V abzutreten.
Ergebnis: V steht gegen N ein Anspruch
auf Abtretung dessen Anspruchs gegen D
gem. § 285 I BGB zu.
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