Kapitel 3: Die dynamische Sicht auf Signale © 2015 Georg Dorffner 91 Dynamische Systeme • Ein System x n g x n 1 heißt diskretes dynamisches System • Interessant: Was passiert, wenn das System sich selbst überlassen wird (immer neue Werte von x berechnet werden)? • Fixpunkte, Attraktoren, Zyklen, Chaos • Wieder deterministische Sicht: Ein scheinbar verrauschtes Signal kann Resultat eines relative einfachen dynamischen Systems sein © 2015 Georg Dorffner 92 Analyse dynamischer Systeme • Klassisches Beispiel: Logistische Gleichung x n axn 1 1 xn 1 • Bifurkationen (dynamische Eigenschaften ändern sich): Vom Fixpunktattraktor zu Zyklen zum chaotischen Attraktor © 2015 Georg Dorffner 93 Bifurkationen © 2015 Georg Dorffner 94 Eigenschaften des Chaos (“strange attractor”) • • • • Kein Punkt wiederholt sich exakt (sonst Zyklus) Sieht wie komplexes Signal aus Aber bleibt innerhalb von Grenzen (“Attraktor”) Sensitivität auf Anfangsbedingungen: © 2015 Georg Dorffner 95 Expontentieller Anstieg • Entfernung zweier Punkte • Zyklus: • © 2015 Georg Dorffner chaotischer Attraktor: 96 Dynamisches System mit Rauschen Letzendlich nicht mehr zu unterscheiden, Eigenschaften von Chaos verschwinden © 2015 Georg Dorffner 97 Dynamische Features eines Signals • Lyapunov-Exponent λ Z t et Z 0 Abstand zweier Punkte • Correlation Dimension – Dimensionalität, des von den Werten eingenommenen Raumes – Ist fraktal (keine ganze Zahl) • Entropie – Mass der Ordnung • Nichtlinearität / Komplexität – Schätzung zB. mit neuronalem Netz © 2015 Georg Dorffner 98 Beispiel: EEG (Stam 2005) • Schlaf-EEG: – Schlafstadien entsprechen unterschiedlichen dynamischen Systemen • Koma und Anästhesie: – Erhöhung der Correlation Dimension • Epilepsie: – Anfall als hoch-nichtlineares Phänomen • Aber: Ergebnisse sehr umstritten – Oft nicht ausreichend Daten für eine schlüssige Schätzung © 2015 Georg Dorffner 99 Zusammenfassung • Deterministische Sicht auf Signale: – Struktur des ganzen Signals – Transformation möglich, verlustfrei • Stochastische Sicht auf Signale: – Signal und Rauschen (Zufall) – Signal/Rausch-Verhältnis – Schätzung der Parameter • Dynamische Sicht auf Signale: – Einfacher nichtlinearer Zusammenhang als Grundlage – Gemischt mit Rauschen © 2015 Georg Dorffner 100 Kapitel 4: Klinische Signalverarbeitung – Anwendungen und spezielle Methoden © 2015 Georg Dorffner 101 Mustererkennung in Signalen • Mustererkennung weit gefasst: Experte (Arzt, Assistent) soll relevante Information im Signal erkennen können • Computer unterstützt in der Aufbereitung • Beispiele: – Übersicht über Aufnahmen Zeitbereich – Frequenzbereich – Quantifizierung von Effekten (z.B. Medikamente) – Interpretation oder Lokalisation von Signalen • „signal-based“: Das ganze Signal wird betrachtet • „pattern-based“: Wellenformen sollen erkannt werden • „feature-based“: Methoden des maschinellen Lernens © 2015 Georg Dorffner 102 Beispiel: EEG-Spektren • Stationarität – kleine Windows, averaging • Schwingungen im EEG (vs. EKG), Frequenzen repräsentieren Grundaktivität • Welch-Methode: – – – – Überlappende Fenster Störungsfrei (Artefaktfrei – siehe später) Tukey-Windowing Mittelung © 2015 Georg Dorffner 103 Frequenzbänder • Basierend auf Erfahrung werden oft bestimmter Frequenzabschnitte („Bänder“) unterschieden, z.B. EEG (Beispiel, nicht standardisiert): – – – – – – Delta: 0.1-3Hz Theta: 4-7Hz Alpha: 8-12Hz Sigma: 12-16Hz Beta: 16-36Hz Gamma: >36Hz (vorherrschend im Tiefschlaf) („Daydreaming“, Schläfrigkeit) (Wach in Ruhe) (Schlafspindeln) (kognitive Aktivität) (komplexe kognitive Aktivität, Lernen) 3500 3500 3000 3000 2500 2500 2000 2000 2000 1500 1500 1500 1000 1000 1000 500 500 500 0 Delta Theta Alpha © 2015 Georg Dorffner Sigma Beta Gamma 0 3500 3000 2500 Delta Theta Alpha Sigma Beta Gamma 0 Delta Theta Alpha Sigma Beta Gamma 104 Darstellung von Frequenzbereichen • Beispiel: Schlaf-EEG • Zeitbereich sagt wenig aus (nur Amplitude) • Frequenzbereich: Deltaband Alpha/Thetaband Tiefschlafphasen © 2015 Georg Dorffner Leichtschlaf/wach 105 Time frequency plot • Ziel: Wie stellt sich das gesamte Spektrum im Zeitverlauf dar? • Überlappende Ausschnitte (Fenster), FFT = „Short time Fourier transform“ (STFT) • 2-dim. Plot: Frequenz über Zeit, Amplitude oder Power farbcodiert Frequenz FFT FFT Zeit 1 0 0 5 0 0 -5 0 -1 0 0 0 © 2015 Georg Dorffner 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1 0 106 Beispiel 100 50 0 -50 -100 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 100 90 80 Frequency 70 60 50 40 30 20 10 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Time tieffrequente Anteile © 2015 Georg Dorffner hochfrequente Anteile 107 Beispiel: Schlaf-EEG • Aufnahme während der ganzen Nacht 55 50 45 40 Frequency 35 30 25 20 15 10 5 0.5 1 1.5 2 Time Tiefschlaf Netzbrumm (50Hz) 2.5 4 x 10 Alpha Bewegung/Störung • Vergleich: Analogie zur (kont.) Wavelet-Transformation © 2015 Georg Dorffner 108 Darstellung von Medikamenteffekten • • • • „Pharmaco-EEG“ Ruhe-EEG (5s-Fenster) Vor und nach Hormonbehandlung Alpha erhöht (Vigilanz) Saletu et al., Maturitas 43, 165-181,2002 © 2015 Georg Dorffner 109 EEG Topographie • Darstellung der Verteilung des Effekts • Mehrelektroden-Aufnahme • Werte werden interpoliert Pre→ „topographische Karte“ treatment • Gemittelt über mehrere Personen Placebo (n=16) Climodien 2/3 (n=16) After 2 months of therapy Saletu et al., Maturitas 43, 165-181,2002 © 2015 Georg Dorffner 110 EEG DIFFERENCES BETWEEN 9 REPRESENTATIVE PSYCHOTPROPIC DRUGS AND PLACEBO IN NORMALS TOTAL POWER ABSOLUTE DELTA THETA ALPHA 1 ALPHA 2 50 mg chlorpromazine (sedative neuroleptic) BETA 3 mg haloperidol (nonsedative neuroleptic) RELATIVE DELTA THETA 75 mg imipramine (sedative antidepressant) ALPHA1 ALPHA2 20 mg citalopram (nonsedative antidepressant) BETA 30 mg clobazam (daytime tranquilizer) CENTROID DELTATHETA ALPHA 2 mg lorazepam (nighttime tranquilizer) BETA 20 mg d-amphetamine (psychostimulant) TOTAL CPZ50 HAL3 IMI75 CIT20 CLB30 LOR2 AMP20 MET20 PYR600 Saletu et al., Meth and Find Exptl Clin Pharmacol 9(6)385-408, 1987 © 2015 Georg Dorffner 20 mg methylphenidate (psychostimulant) 600 mg pyritinol (nootropic) 111 EEG DIFFERENCES BETWEEN 9 MENTAL DISORDERS PATIENT GROUPS AND CONTROLS TOTAL POWER ABSOLUTE DELTA THETA ALPHA 1 ALPHA 2 Schizophrenics with a predominantly plus symptomatology (n=18) BETA RELATIVE DELTA Schizophrenics with a predominantly minus symptomatology (n=30) THETA ALPHA1 Major depression (n=60) ALPHA2 Generalized anxiety disorder (n=41) BETA Agoraphobia (n=21) CENTROID DELTATHETA ALPHA Obsessive-compulsive disorder (n=12) BETA Multi-infarct dementia (n=24) TOTAL Senile dementia of the Alzheimer type (n=24) SCH+ SCH- DEP GAD PHO OCD MID DAT ALC Saletu et al., Meth and Find Exptl Clin Pharmacol 9(6)385-408, 1987 © 2015 Georg Dorffner Alcohol-dependent patients (n=29) 112 Artefakte in Signalen • • Artefakt: Jeder Signalbestandteil, der nicht zur gemessenen Quelle gehört (z.B. nicht kortikale Aktivität im EEG) Arten: – Übersprechen elektrophysiologischer Signale anderer Quellen z.B. EMG, EOG, EMG im EEG – Externe elektromagnetische Felder z.B. Netzfrequenz („line interference“), elektrische Geräte, MRI – Mechanische Artefakte z.B. Bewegung, Elektrodenverrutschung durch Schwitzen – Aufnahmeartefakte z.B. Übersteuern • Beeinflussen das Spektrum und müssen für die Frequenzanalyse berücksichtigt werden – Minimierung – Erkennung und Eliminierung des Signalabschnittes © 2015 Georg Dorffner 113 Beispiele im EEG • Anderer et al., Neuropsychobiology 40, 150-157, 1999. Muskel (hochfrequent) EKG Bewegung © 2015 Georg Dorffner 114 Methoden zur Minimierung • Digitale Filterung – Wenn Spektrum des Artefakts bekannt und nicht mit Spektrum des Signals überlappt – z.B.: 50Hz-“Notch-Filter“ (band-stop), Tiefpass gegen Muskelartefakte • Trennung anhand eines Signal-Modells: Matched Filters • Subtrahieren der Artefaktquelle – Wenn unabhängig auch gemessen – Z.B: Subtrahieren von EKG oder EOG aus EEG • Trennung des Artefakts als unabhängige Quelle – Independent Component Analyses (siehe Kapitel 5) • Wichtig: Die meisten Methoden verzerren dennoch das zu messende Signal! © 2015 Georg Dorffner 115 Beispiel Artefakt-Minimierung • EOG deutlich im EEG erkennbar • Subtraktion anhand des EOG-Kanals © 2015 Georg Dorffner 116 Methoden zur Artefakt-Erkennung • Erkennung des Artefakts als Muster (Ereignis) – Siehe Kapitel 6 • Erkennung des Artefakts anhand eines Modells des artefaktfreien Signals – Autoregressive Modellierung: Wenn Vorhersage längere Zeit außerhalb des Konfidenzintervalls – Klassifikation anhand von Signaleigenschaften Siehe Kapitel 7 © 2015 Georg Dorffner 117 Artefakt-Erkennung und „Rejection“ © 2015 Georg Dorffner 118 Matched filters • Suche Filter h yn h k nk xn • sodass Signal-Rausch-Verhältnis maximal wird • wobei xn als verrauschtes Signal gesehen wird (vgl. Autoregressive Modelle) xn s n n © 2015 Georg Dorffner 119 Anwendungen ICA • Blind source separation, z.B. Tonsignale • Identifizierung zugrundeliegender Prozesse, z.B. Finanzdaten, EEG Flexer et al. 2004: Entfernung von Artefakten • Merkmalserkennung • Dimensionsreduktion, Denoising © 2015 Georg Dorffner 120 Noch ein Beispiel, ICA • Rosipal & Dorffner 1999 • ICA zur Unterstützung der Erkennung von Schlafspindeln SpindelKanal Originalsignale © 2015 Georg Dorffner Independent Components 121 Zusammenfassung: „signal-based“ • Signale können in Zeit- und Frequenzbereich dargestellt werden – letzteres oft sehr hilfreich • Time-frequency Ansätze geben ein Gesamtbild des Signals • EEG-Signale können topographisch dargestellt werden • Ein wesentliches Element der signal-basierten Mustererkennung ist die Minimierung oder Erkennung von Artefakten © 2015 Georg Dorffner 122 Erkennung von Wellenformen • Klinisch relevantes Ereignis kann ein bestimmtes Wellenmuster sein • Ereignis ist „transient“ = zeitlich begrenzt • Computerunterstützte, automatische Erkennung • Beispiele: – Typische Ereignisse im Schlaf-EEG (Spindel, K-Komplex) – Epileptischer Anfall – Beinbewegung im EMG • „pattern-based“: Das transiente Ereignis steht im Mittelpunkt © 2015 Georg Dorffner 123 Thresholding im Zeitbereich • EKG: Maxima über Schwellwert: R-Zacken → Herzrate aus Abständen berechnen 1500 1000 500 0 -5 0 0 -1 0 0 0 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 9000 10000 • Bein-EMG: Wenn Anstieg x% über „baseline“: „leg movement“ 400 200 0 -200 -400 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 4 x 10 © 2015 Georg Dorffner 124 Thresholding im Frequenzbereich • Z.B. Spindeln im Schlaf-EEG, Bandpass 12-14Hz 100 50 0 -50 -100 -150 0 5 10 15 20 25 30 35 40 5 10 15 20 25 30 35 40 10 5 0 -5 -10 0 • • Schwellwert: Amplitude, Minimallänge → Spindelkandidaten Wichtig: Phasenverschiebung muss berücksichtigt werden (zur Lokalisation der Spindel) © 2015 Georg Dorffner 125 Averaging • Beispiel: „Event-related potentials“ • EEG von mehreren Stimulus-Reaktionen gemittelt N100 N200 P200 © 2015 Georg Dorffner P300 126 Model-based Detection • Annahme: Form des Ereignisses ist bekannt • Kann als Template oder anhand von Eigenschaften beschrieben werden • Beispiel: „Rapid Eye Movements“: Mindestanstieg erforderlich Die beiden Augensignale müssen gegengleich sein © 2015 Georg Dorffner 127 Beispiel: Formenvergleich Template: Korrelation Position → Wavelet‐Transformation © 2015 Georg Dorffner Wellenform erkannt 128 Mustererkennung Feature-Based: Klassifiaktion (Maschinelles Lernen) • Plotten von Feature-Vektoren als Punkte (für jedes Zeitfenster) • Ziel: Finden von Trennlinie (Entscheidungsgrenze), sodass Fehler minimiert • Stochastisches Problem: Exakte Trennung nicht möglich Feature 2 Feature 1 © 2015 Georg Dorffner 129 Features zur Signalbeschreibung • Spektrale Features – Mittlere Amplitude/Power pro Frequenzband – Wavelet-Koeffizienten – Koeffizienten eines autoregressiven Modells • Statistische Features – Momente – Hjorth-Parameter • Dynamische Features – Chaos-Theorie © 2015 Georg Dorffner 130
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