Eröffnungsrede von Seraina Rohrer, Direktorin

51. Solothurner Filmtage 21.-28. Januar 2016
ERÖFFNUNGSREDE VON SERAINA ROHRER, DIREKTORIN
Solothurn, 21. Januar 2016
Sperrfrist: 18 Uhr
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Bundesrat,
Liebe Filmschaffende,
Sehr geehrte Damen und Herren
Haben Sie vor kurzem jemanden manipuliert?
Haben Sie vielleicht einen Orgasmus vorgetäuscht? Oder gar jemanden erschossen?
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Ich hoffe nicht!
Es sei denn, sie sind Schauspielerin oder Schauspieler. Für sie gehört dies nämlich zu
ihrem Beruf. Immer wieder schlüpfen Sie in neue Rollen. Heute sind Sie eine fiese
Intrigantin. Morgen eine glühende Liebhaberin. Und in ein paar Wochen vielleicht ein
Transvestit. Sie geben Helden und Gutmenschen ein Gesicht. Genauso wie Verlierern und
Bösewichten.
Ihre Arbeit ist aufregend und aufreibend. Am Set warten Sie oft stundenlang auf ihren
Einsatz. Ist er dann da, muss alles stimmen:
die Bewegung, die Mimik, die Tonalität Ihrer Stimme.
Manchmal erhalten Sie dafür einen Lohn, manchmal aber auch nur ein Bier.
Vorher haben Sie sich während Wochen in Ihre Figur eingedacht. Sie wissen, wie der
Rocker, den Sie verkörpern, sein Steak möchte. Sie wissen, wie er fühlt. Sie fühlen wie er
fühlt. Wenn die Szenen im Kasten sind, ist es vorbei:
Sie geben die Lederjacke der Kostümbildnerin zurück und heben die Hand zum letzten
Rockergruss.
Jedenfalls bis zur Premiere! Dann plötzlich sind Sie wieder da; auf der Leinwand. Das
Publikum bewundert Ihr Spiel. Sie werden hofiert, fotografiert und manchmal auch
ignoriert.
Schauspielerinnen und Schauspieler geben dem Schweizer Film ein Gesicht. Sie geben
ihm IHR Gesicht.
Und so sieht dies aus im Programm der 51. Solothurner Filmtage.
VISUELLER TEIL
Die tanzende Frau am Strand, die Sie soeben gesehen haben, ist unser diesjähriger
Ehrengast. Sie kann sinnlich tanzen, leidenschaftlich lieben und genussvoll leiden. Sie
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stand für grosse internationale Regisseure vor der Kamera, so zum Beispiel für Michael
Haneke.
Liebe Ursina Lardi, auf die Begegnung mit dir und deinen Weggefährten freue ich mich
besonders.
Und natürlich auf deine Filme.
In den nächsten Tagen rücken wir die Arbeit von Ihnen, liebe Schauspielerinnen und
Schauspieler, ins Rampenlicht.
Ganz speziell freut mich, dass die bekannte deutsche Schauspielerin Julia Jentsch in der
diesjährigen Jury des «Prix de Soleure» Einsitz nimmt. Herzlich willkommen.
Zusammen mit dem rumänischen Regisseur Calin Peter Netzer und der Schweizer
Botschafterin Heidi Tagliavini werdet ihr die 9 nominierten Filme ansehen und einen
Gewinner küren.
Hinter jeder erfolgreichen Frau – sie vermuten es – steht eine andere Frau!
Eine Frau, der wir vertrauen, eine die weiss, zwischen wem das Zusammenspiel passt,
wo es funkt und wo nicht.
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Im Film sind dies die Casting-Verantwortlichen.
Ausgeübt wird der Beruf primär von Frauen.
Die Erfolgsrezepte und Geheimnisse der filmischen Partnervermittlung erfahren Sie im
«Fokus»-Programm. Es freut mich besonders, dass so viele europäische Casterinnen nach
Solothurn reisen.
Ursina Lardi, Bruno Ganz oder Kacey Mottet Klein, sie alle geben dem Schweizer Film
ein Gesicht. Aber nicht nur! Sie spielen auch in europäischen Filmen tragende Rollen.
Nicht selten kommen internationale Koproduktionen dank des Casts zustande.
Die Vielseitigkeit unserer Schauspieler befruchtet die europäische Zusammenarbeit.
Mehr noch: sie ist heute zentral für den Schweizer Film. Denn an internationalen
Filmfestivals feiern vor allem europäische Koproduktionen Erfolge.
Ein gelungenes Beispiel ist der Film «Youth» von Paolo Sorrentino. Der Gewinner des
europäischen Filmpreises wurde fast vollständig in den Schweizer Bergen gedreht. Neben
Michael Kaine, Jane Fonda und einem fast echten Diego Maradona ist auch Heidi Maria
Glössner auf der Schatzalp zur Kur.
Den inspirierenden Austausch mit Oscar-Preisträger Sorrentino in Ehren: so wie die Altherren im Sanatorium in ihrer verlorenen Jugend suhlen, sollen sich unsere Filmemacher
dereinst nicht an ihr fehlendes kreatives Mitspracherecht erinnern müssen.
Erfreulich ist deshalb, dass die Schweiz in Zukunft attraktiver wird für produktionelle
Hauptrollen.
Die neue Standortförderung des Bundes stärkt den Drehort Schweiz und begünstigt
majoritäre Koproduktionen.
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Das neue Förderinstrument ist wichtig, ganz besonders in der heutigen politischen
Situation.
Zwei Jahre nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative und in der Folge
davon die Sistierung des bilateralen Vertrags MEDIA durch die EU zeigt sich:
Der Schweizer Film verliert an Attraktivität.
Es lohnt sich für europäische Verleiher nur noch in Ausnahmefällen, «reine» Schweizer
Filme ins Kino zu bringen.
Für die meisten Schweizer Produktionen gilt heute: sie sind europäisch schwer
vermittelbar.
Liebe Politikerinnen und Politiker, sehr geehrte Damen und Herren, wollen wir das?
Meine Damen und Herren, wir alle bestimmen mit, welche Rolle die Schweiz in Zukunft in
Europa und der Welt spielt. Wir entscheiden, ob wir als Statisten, in Nebenrollen oder in
Hauptrollen auftreten.
Abstimmungsvorlagen wie die Durchsetzungsinitiative missachten nicht nur die
Menschenrechte, sie verstärken auch die Tendenz, dass der Schweizer Film und letztlich
die Schweiz weder Haupt- noch Nebenrollen, sondern gar keine Rolle mehr spielt. Nicht
einmal mehr als Statisten dürfen wir dann auftreten.
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Deshalb laden wir Europa nach Solothurn ein.
Erstmals bringen vier Vertreter von den renommierten Filmfestivals in Cannes, Turin,
Karlsbad und Amsterdam einen Lieblingsfilm aus ihrem Programm mit und erklären,
nach welchen Kriterien sie Filme auswählen.
Definitiv seine Rolle gefunden hat Mano Khalil, Regisseur des Eröffnungsfilms «Die
Schwalbe». Vor fast 20 Jahren ist er als Flüchtling in die Schweiz gekommen, heute zählt
er zu den wichtigen Schweizer Regisseuren.
Lieber Mano, für deinen Dokumentarfilm «Unser Garten Eden» hast du die Holzhäuschen
und Gemüsebeete der Schweizer Schrebergärten vermessen.
Später hast du einfühlsam einen Imker aus Kurdistan porträtiert, der in der Schweiz
versucht Fuss zu fassen.
Ich freue mich sehr, die 51. Solothurner Filmtage mit deinem Spielfilmdebut zu eröffnen.
Einem Film von grosser Aktualität.
Ich möchte danken! Allen voran den Filmschaffenden!
Ein besonderer Dank geht an unsere Hauptsponsorin, die Swiss Life. Ich freue mich
ausserordentlich, dass sie ihr Engagement für weitere drei Jahre verlängern wird.
Und auch unsere Medienpartnerin, die SRG SSR, trägt dazu bei, dass wir die Vielfalt des
Schweizer Filmschaffens präsentieren können.
Danken möchte ich zudem der Raiffeisen und Audi. Besonders freut mich, dass die
Swisscom neu als Sponsorin mit dabei ist! Die Technik verantworten unsere Partner
Protronic und Auviso.
Die Solothurner Filmtage sind nur möglich, weil zahlreiche Mitarbeitende mit
Engagement dafür sorgen, dass die Schweizer Filme und ihre Macher während den
kommenden Tagen im Zentrum stehen.
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Ihnen meine Damen und Herren wünsche ich nun viel Freude beim Entdecken.
Lassen Sie sich auf alle möglichen Rollen ein!
Leiden Sie mit, lieben Sie mit und morden Sie mit!
Aber aus Rücksicht auf Ihre Sitznachbarin, vergessen Sie nie:
Es ist nur ein Film!
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