Fall 1 (BGHZ 130, 196; 149, 247; BVerfGE 102, 347; 107, 275 – H.I.V. positive) Das Unternehmen Benetton S.p.A. (B) vertreibt Textilien und veröffentlichte 1993 in einer firmeneigenen Zeitschrift eine Werbeanzeige. Diese zeigt eine Doppelseite füllend - den oberen Teil eines menschlichen Gesäßes, dem rechts in breiter blauer Schrift der Stempel "H.I.V." mit dem schräg versetzten Zusatz "POSITIVE" aufgedrückt ist. Etwas abgesetzt von diesem Stempelaufdruck befinden sich - mit einem rechteckigen grünen Feld unterlegt die in weißer Schrift gesetzten Worte "UNITED COLORS OF BENETTON". In der linken unteren Ecke der Anzeige steht der Satz: "COLORS, ein Magazin über den Rest der Welt, in Benetton Filialen und ausgewählten Zeitungsläden erhältlich." K, die Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs e.V. (Sitz Frankfurt), macht dagegen einen Anspruch aus § 8 Abs. 1 UWG geltend, da sie diese Anzeige für menschenverachtend hält. B hingegen beruft sich auf die Meinungsfreiheit. Besteht der Anspruch? 1 2 Lösungsskizze Fall 1 – Allgemeiner Fallaufbau Anspruchsgrundlage: Anspruch aus § 8 Abs. 1 Satz 1 iVm. einem der Tatbestände der §§ 3 bzw. 7 UWG, 1. Aktivlegitimation des Gläubigers nach § 8 Abs. 3 UWG 2. Vorliegen einer geschäftlichen Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. 3. Unlauterkeit der geschäftlichen Handlung nach §§ 3 bis 7 UWG 4. Andauern der Störung, Wiederholungsgefahr bzw. drohende Wiederholungsgefahr (§ 8 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 UWG) und 5. Fehlende Verjährung nach § 11 UWG. 3 Lösungsskizze Fall 1 (2) Anspruch der A gegen B aus § 8 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 3, 4 Nr. 1 UWG. 1. Aktivlegitimation nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG: Die Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs e.V. (Sitz: Bad Homburg, Registergericht: Frankfurt) ist eine Unternehmensvereinigung zum Zweck der Selbstkontrolle der Wirtschaft im Hinblick auf die Einhaltung des Wettbewerbsrechts. Sie wurde 1912 gegründet, hat heute mehrere 1000 Mitglieder und setzt das UWG durch eigenständiges Vorgehen gegen Verletzer durch. 2. Geschäftliche Handlung nach § 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG? (a) Verhalten eines Trägers (b) zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens (c) vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss (d).... 4 Lösungsskizze Fall 1 (3) d) Problem: Fördert B hier den Absatz oder den Bezug von Waren bzw. die Durchführung eines Vertrages über Waren? In Betracht kommt auch eine erlaubte Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bzw. die Ausübung der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Überlegung: B äußert sich kritisch zu einem gesellschaftlichen Problem, der Abstempelung HIV-Kranker und nutzt dazu lediglich die hohe Aufmerksamkeit, die ihre unternehmerische Tätigkeit auf dem Markt genießt. Fehlt dabei der Marktbezug? (1) Das Foto stellt keinen konkreten Bezug zum Angebot von B her, sondern lässt diesen bewusst offen => sozialkritischer Beitrag zu einer aktuellen Diskussion (2) Allerdings ist das Foto mit der Firma von B gekennzeichnet, so dass doch ein Bezug zum Unternehmen hergestellt wird. BGHZ 149, 247 und UWG-Schrifttum bis dahin: Schockwerbung, die dadurch für Aufmerksamkeit sorgt, dass der Verbraucher emotional angesprochen wird und sich auf der Grundlage eines negativen emotionalen Erlebnisses den Firmen- oder Markennamen einprägt. Die negativen Emotionen verblassen dabei regelmäßig mit der Zeit, die Einprägung der Firma bleibt => Verletzung der Menschenwürde, weil Kranke zum Objekt einer Werbestrategie gemacht werden. § 4 Nr. 1 UWG als allgemeines Gesetz iSd. Art. 5 Abs. 2 GG, das von der Menschenwürde getragen ist. 5 Lösungsskizze Fall 1 (4) BVerfG 107, 275: Betroffen ist hier die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, weil B in einem Verlagserzeugnis ihre Meinung zum Ausdruck bringt. Die Anzeige beinhaltet keine Verletzung der Menschenwürde, sondern überlässt dem Betrachter die Interpretation des Geschehens. Keine Verspottung, Verharmlosung usw. Man kann kommerziellen Anzeigen nicht die Bezugnahme auf menschliches Leid verbieten, weil sie dann einen Großteil der Lebenswirklichkeit ausblenden müssten. => Nach dem maßgeblichen Verständnis des BVerfG: Keine geschäftliche Handlung nach § 3 Abs. 1 UWG und damit erst recht kein Lauterkeitsverstoß (§ 4 Nr. 1 UWG). Eigene Kritik: BVerfG-Beschluss ist Fehlentscheidung, weil er die Wirkung der Schockwerbung nicht klar erkennt. Diese spricht den Verbraucher auf einer Instinktstufe an und nutzt irrationale Gefühle (Ekel und Wut), um einen Wettbewerbsvorteil durch Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Werbung setzt darauf, dass wegen des nachlassenden Erinnerungsvermögens der Verbraucher, die herausgestellten Unternehmenskennzeichen erinnert, die damit verbundenen negativen Emotionen hingegen vergessen werden. Dies widerspricht den Anliegen des § 3 Abs. 2 Satz 1 UWG, den Verbraucher zu einer informierten Entscheidung zu veranlassen effizientesten Angebot zum Erfolg zu verhelfen. 6 und damit dem Lösungsskizze Fall 1 (5) 3. Ergebnis: Folgt man der Auffassung des BVerfG, ist der Anspruch aus § 8 Abs. 1 iVm. §§ 3, 4 Nr. 1 UWG mangels geschäftlicher Handlung unbegründet. 7
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