Experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis und andere Nagetiermodelle
für Multiple Sklerose
Ingo Kleiter
St. Josef-Hospital, Klinik für Neurologie,
Ruhr-Universität Bochum (RUB)
Berlin, 21.05.2015
Übersicht
2
• 
Multiple Sklerose und andere demyelinierende Erkr. des ZNS
• 
Geschichte der EAE
• 
Tiermodelle der MS
• 
Praktische Durchführung der EAE
• 
Belastungen durch EAE
• 
Erfolge und Misserfolge des experimentellen Modells
• 
Zusammenfassung
Multiple Sklerose (MS)
•  Häufigste autoimmun-entzündliche Erkrankung des Menschen
•  Neurodegenerative Komponente
•  Weltweit 2.5 Mio., in D ca. 160.000-200.000 Patienten
•  Erkrankungsbeginn meist 20.-30. LJ
•  Frauen > Männer
•  Häufigste Ursache für frühe und dauerhafte Behinderung
•  Risikofaktoren: genet. Disposition,
virale Infekte, Vit. D, Nikotin,
Ernährung/Mikrobiom?
3
Compston, Lancet 2002
Messung der Behinderung bei MS
EDSS (Expanded Disability Status Scale):
•  Krankheitsskala von 0 – 10
•  zeigt Ausmaß der neurologischen Defizite (=„Ausfälle“)
4
Kurztke, Neurology 1983
Histopathologie der Multiplen Sklerose
Mikrogliaaktivierung
Entzündungsinfiltrate
5
Demyelinisierung
+ Remyelinisierung
Oligodendrozytenuntergang
Axonale Schädigung
Immunpathologie der MS
Immunsystem
Wanderung
„Patrouille“
MS-spez. verändert
- MHC II
„Erkennung“
- IL2R
Prägung
- IL7R
Immunzellen
(Lymphozyten)
DEGENERATION
Gliose
?
Entzündung
Antigen
(Myelineiweiß)
?
Infektion
6
?
Freisetzung
Lokale
Reaktivierung
Periphere
Aktivierung
Einwanderung
Gehirn und
Rückenmark
Spektrum autoimmun-entzündlicher Erkr.
Zentrales
Nervensystem
MS und
Varianten
Peripheres
Nervensystem
GBS und
NMO
Varianten
CIDP
ADEM
Synaptische
Autoimmunität
(z.B. NMDAR)
7
Paraneoplastisch
MAG-PNP
POEMS-Syndr.
u.v.a
Para-/post-infektiös
Post-Vakzinierung
Myasthenie
LEMS
Geschichte der EAE
1885
Louis Pasteur gewinnt TollwutImpfstoff aus dem getrockneten
Gehirn von infizierten Kaninchen
1888
Erste Berichte von Fällen von
Paralyse nach Tollwut-Impfung
8
Folie adaptiert von F. Lüder
1925
Koritschoner und Schweinburg
beobachten Paralyse von Kaninchen
nach wiederholter Injektion von
menschlichem Rückenmarkshomogenat
1933
Thomas Rivers
injiziert Affen mit
Extrakten aus
Kaninchenhirn
(bis zu 85 mal)
und beobachtet
Paralyse und histologisch Infiltration
sowie
Demyelinisierung
Rivers, JEM 1933
Tiermodelle der MS
Nagetiere u.v.a. Säugetiere
Demyelinisierung (Marmoset-Affen)
1. Autoimmun-entzündliche
•  EAE: experimentelle allergische (autoimmune) Enzephalomyelitis
nur in genetisch suszeptiblen Stämmen (z.B. C57B6, SJL, Biozzi)
2. Virus-induzierte Demyelinisierung
•  Theiler-Virus (TMEV)
3. Chemische Demyelinisierung
•  Cuprizone, Lysolecithin, u.a.
Mausmodelle
4. „Genetische“ Demyelinisierung
•  Shiverer-Maus
•  Knockout-Modelle für Myelinproteine (PLP, MOG, u.a.)
•  Oligodendrozytendepletion durch Diphteriatoxin
9
MS ist sehr heterogen, jedes Tiermodell deckt nur
Teilaspekte der menschlichen Erkrankung ab
Heterogenität der EAE-Modelle
•  aktive EAE (Immunisierung mit Myelinantigenen)
•  passive EAE (Transfer Myelin-spezifischer T-Zellen)
•  Myelin-Antigen-spezifischer T-Zell-Rezeptor (transgener TZR)
•  Myelin-Antigen-spezifischer B-Zell-Rezeptor (transgener BZR)
•  Transfer Myelin-spezifischer Antikörper, z.B. MOG-AK (zu aktiver
EAE oder mit Myelin-spez. T-Zellen oder intrazerebral + LPS)
•  Stereotaktische Injektion von TNFα/IFNγ in Corpus callosum
in subklinisch immunisierten C57B6-Mäusen („targeted EAE“)
•  Humanisierte Modelle (humaner TZR, Übertragung humaner
T-Zellen oder von KM auf RAG1-/-)
klinischer Verlauf und Histopathologie abhängig von verwendetem
Antigen/T-Zelllinie/TCR-Spezifität und Mausstamm
10
Praktische Durchführung der EAE
Aktive EAE:
aktive Immunisierung mit Myelin-Antigen:
•  MOG(35-55) Peptid
•  PLP(139-151) Peptid
•  MOG Protein
•  u.v.a.
Adoptive-transfer EAE:
•  Immunisierung von Maus A (s.o.)
•  Restimulation und Transfer von Myelin-spezifischen T-Zellen auf Maus B
Mouse A
11
Mouse B
Ablauf der aktiven Immunisierung
Beispiel: EAE in C57/BL6 Mäusen
•  8-12 Wochen alte Tiere, wenn möglich nur weibl.
•  50-200 µg MOG(35-55)-Peptid in 200 µl einer 1:1 Emulsion aus
Peptid (in PBS) und Komplettem Freund´schen Adjuvans (KFA)
+ abgetötete Mykobakterien
•  2x 100 µl subcutan an den Flanken injiziert
•  Immunisierung unter Anästhesie mit 2.5-3.5% Isofluran
•  Am Tag der Immunisierung und nach 48h:
100-500 ng Pertussistoxin intraperitoneal
12
Rolle der Adjuvantien
1. Freund´sches Adjuvanz
•  Aktivierung des angeborenen Immunsystems
•  Lokaler Entzündungsreiz (Gefahr der Entstehung von Entzündung,
Indurationen, Schmerzen und ulzerierende Nekrosen)
2. Inaktivierte Mykobakterien (=komplettes Freund´sches Adjuvanz)
•  Aktivierung des angeborenen Immunsystems
•  Th1-Immunantwort (Voraussetzung für Induktion der EAE)
3. Pertussistoxin
•  T-Zell-Aktivierung
•  „Öffnung“ der Blut-Hirn-Schranke
•  Erhöht Inzidenz und Schweregrad der EAE
13
EAE Beispiel
14
Kleiter, JNI 2007
Transgene EAE-Modelle (ohne Immunisierung)
15
Ben-Nun, J Autoimmun 2014
Optikospinale Enzephalomyelitis (OSE)
TZR und BZR
für MOG33-35
spezifisch
T Zelle:
Vβ11 Kette
B Zelle:
IgH Kette
-  Keine Erkrankung bei Eradikation des Darm-Mikrobioms
-  Untersuchung autoimmuner Pathogenese im Darm
16
?
Krishnomoorthy, JCI 2006
Berer, Nature 2011
Bewertung des Krankheitsverlaufs
Tägliche Beurteilung von:
1.  Gewicht
2.  Allgemeinzustand (Fell, Körperhaltung, Körperöffnungen, u.a.)
3.  Spontanverhalten (Schlafen, Reaktion auf Reize, Motorik,
Koordination)
4.  EAE Score
bei klassischem EAE-Modell aufsteigende Paresen
andere Modelle (z.B. at-EAE mit Th17-Zellen,
TCRMOG in SJL) zeigen u.a. cerebelläre Symptome
17
EAE Scoringsysteme
0 keine Symptome
0 Keine Symptome
1 schlaffe Schwanzlähmung
1 reduzierter Schwanztonus
2 teilweise Lähmung der Hinterpfoten oder
Ataxie
2 schlaffe Schwanzlähmung
3 vollständige Lähmung (Plegie) der
Hinterpfoten
3 Fehlen refelektorische Ausgleichbewegungen beim
Gehen
4 Gangataxie , Hinterbeine nicht mehr ganz gestreckt
4 zusätzlich Lähmung der Vorderpfoten
5 leichte Lähmung der Hinterbeine
4.5 moribund
6 Plegie eines Beines oder mittelgradige Lähmung
beider Beine
5 tot
7 Hinterbeine vollständig gelähmt (Plegie)
8 Beginnende Parese der Vorderbeine (Tetraparese)
9 Moribund
10 Wegen des Zustandes getötet; gestorben
18
Versorgung der Tiere
•  Tiere werden täglich gewogen und beurteilt
•  Die erkrankten Tiere werden in geeigneter Weise am Käfigboden
mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt, wenn die normale Futterbzw. Wasseraufnahme aufgrund der Lähmungen erschwert ist
•  Bei der täglichen Beobachtung wird die Blasenentleerung bei
Tieren mit Blasenentleerungsstörungen ggf. durch manuelles
Ausmassieren unterstützt
•  Abbruchkriterien werden beachtet und Tiere ggf. euthanasiert
19
Belastungen durch EAE
•  Durch Immunisierung:
KFA
abgetötete Mycobakterien
PTX
•  Durch Erkrankung an sich:
Lähmungen
gestörte Nahrungsaufnahme
gestörte Darm-/Blasenfunktion
Bewegungsstörung (Ataxie)
Beurteilung Belastungsintensität:
mäßig, 1x, Dauer Minuten
gering bis erheblich, Tage
•  Durch Behandlung (medikamentös, o.a.):
Injektionen (i.p., i.v.)
meist gering, 1-2x tägl, Minuten
Orale Gabe (schlundieren)
abhängig von Therapie
mögliche NW der Therapie
20
Definition von Abbruchkriterien
•  Alle Parameter (Gewicht, AZ, Verhalten, EAE-Score) werden
berücksichtigt
•  Tiere mit kompletter Lähmung der Hinterpfoten (EAE-Score 3
bzw. 7), bzw. mit >20% Gewichtsabnahme zum
Ausgangsgewicht bzw. mit sonstiger hochgradiger
Belastung werden euthanasiert
•  Auch das Vorhandensein mehrerer geringer bzw. mittelgradiger
Belastungen kann zum Abbruch führen
•  Während die Tiere am Gipfel der Erkrankung (Dauer bis
mehrere Tage) mittel- bis hochgradiger Belastung ausgesetzt
sind, ist das Ausmaß der ggf. nach dem ersten Schub dauernd
bestehenden Symptomatik im allgemeinen deutlich geringer
21
Ziel: Vermeidung von Belastungen
•  Fallzahlplanung und Verwendung ausreichender
Gruppengröße um valide Aussagen zu erreichen und
Wiederholungsversuche zu vermeiden
Problem: Zucht transgener Tiere, Inzidenz EAE
•  Sachgemäße Immunisierung zur Vermeidung Ulzerationen
nur 1x immunisieren, weit auseinanderliegende Stellen an Flanken,
Alkoholreinigung, Antigen sterilfiltrieren, Inokulum klein halten (< 100 µl)
•  Erhöhung Inzidenz der Erkrankung durch Pertussistoxin
•  Verwendung genetischer Modelle (z.B. OSE)
•  ggf. aktiver Komparator statt Placeboarm
22
Bochum EAE Score Sheet
23
Bochum EAE Score Sheet
24
Erfolge und Misserfolge des Modells
•  Beiträge zum Verständnis der Immunpathologie der MS
(u.a. Th1, Th17, MHC, Blut-Hirn-Schranke)
•  Entwicklung der meisten MS-Medikamente im EAE-Modell
Table. The Long and Winding Road from Proof of Concept in Experimental Autoimmune Encephalomyelitis to US Food and
Drug Administration Approval: Ranging from a Quarter of a Century to More Than a Decade
Year of Publication
of Proof of Concept in EAE
Year of FDA
Approval
Glatiramer Acetate
Mitoxantrone
1971
1987
1996
2000
Natalizumab
1992
2004
2005 withdrawn
2006 reinstated
Therapeutic
Approved Indication
Approved for RR-MS
Approved for secondary progressive MS,
worsening RR-MS
Approved for RR-MS
EAE ! experimental autoimmune encephalomyelitis; FDA ! US Food and Drug Administration; RR-MS ! relapsing-remitting multiple
sclerosis; MS ! multiple sclerosis.
•  Nicht alle Ansätze ließen sich auf Menschen übertragen
(IFN-gamma,
u.a.)
lications
have demonstratedTNF-alpha-Antag.,
the virtues of TNF itself, anti-CD3,
for these drugs when used alone.69,70 Other combina65
thus
highlighting
the
pitfalls
of
blockade.
One reason
tions
of therapies might be tried in the EAE model, to
• 
Unterschiedliche
Pharmakokinetik,
u.a.
for this confusion is that a molecule such as TNF may
search for synergies or unexpected adverse interactions.
Steinman, Ann Neurol 2006
have
“janus-like
effects,”
giving benefit in some
aspects
Drug
development is not only
costly,
it is remark• 
für
einige
MS-Subtypen
keine
Modelle
verfügbar
Farooqi,
J Neurochem
2010
25
Immuntherapien der MS
Immunsystem
KM-Transplantation
Fingolimod
„Erkennung“
Prägung
Antigen-basierte Therapie
T-Zell-Rezeptor-Vakzinierung
„globale“ Immunsuppress.
bzw. Immunmodulation:
!  IFN, GA
!  Mitoxantron
!  Fumarat
!  Laquinimod, Teriflunomid
Antigen
(Myelineiweiß)
26
„selektive“
Immunintervention:
!  Rituximab
!  Alemtuzumab
!  Daclizumab
Immunzellen
(Lymphozyten)
Lokale
Reaktivierung
Periphere
Aktivierung
α4-Integrin-Antagonisten
Impfung?
Infektion
Wanderung
„Patrouille“
Einwanderung
Freisetzung
Gehirn und
Rückenmark
Zusamenfassung
•  Die EAE ist ein wichtiges Modell zur Erforschung entzündlicher
und degenerativer Erkrankungen des ZNS
•  Die EAE hat bereits einen wesentlichen Beitrag zur Klärung von
Immunpathologie und Therapie der MS geleistet
•  Sowohl MS wie EAE sind bezüglich ihrer Immunpathologie
heterogen
•  Unterschiedliche Modelle bilden jeweils Teilaspekte der MS ab
•  Klassisches Modell ist die Immunisierung mit Myelinantigenen
•  Belastungen durch EAE lassen sich reduzieren
27
Gerne beantworte ich ihre Fragen
28
Kleiter, St.Josef-Hospital Bochum