Gibt es eine Transformation des kulturellen Geschmacks? Eine

Gibt es eine Transformation des kulturellen Geschmacks? Eine kritische Bilanz der internationalen Forschung zur Omnivore-Univore-These
Debora Eicher, Katharina Kunißen, Gunnar Otte und David Binder
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die auf Richard A. Peterson zurückgehende Omnivore-Univore-These hat sich im Laufe der
vergangenen zwei Jahrzehnte zu einem etablierten Forschungsfeld der internationalen Kultursoziologie entwickelt. Im Zentrum steht die Beobachtung, dass kultureller Konsum nicht mehr
ausschließlich dem Gegensatz zwischen hoch- und populärkulturellen Präferenzen folgt. Vielmehr zeichnen sich der These zufolge vor allem höhere soziale Schichten durch einen vielseitigen, kosmopolitischen, symbolische Grenzen überschreitenden Geschmack aus („Omnivore“), während untere soziale Schichten im Kulturkonsum eher einseitig orientiert sind („Univore“). Ob die These zutrifft, ist jedoch genauso umstritten wie die daraus abgeleitete Diagnose
einer Transformation der von Pierre Bourdieu postulierten Homologie von Sozialstruktur, Geschmack und Lebensstil.
Eine Bilanz der empirischen Forschung fällt angesichts der Vielzahl vorliegender Studien und
ihrer Uneinheitlichkeit im oftmals empiristischen Vorgehen nicht leicht. In unserer Bestandsaufnahme der Forschung haben wir rund 200 empirische Studien in über 20 Ländern identifiziert. Unterschiede bestehen – neben den raumzeitlichen Kontexten – in der Definition der zentralen Konzepte, der theoretischen Begründung der These, der Operationalisierung, den untersuchten Populationen, den Untersuchungsmethoden und den erzielten Befunden. Unser Beitrag
systematisiert die internationale Forschung, benennt zentrale Probleme und Ergebnisse und entwickelt einen Vorschlag zu einem konsistenteren Vorgehen bei künftigen Überprüfungen der
Omnivore-Univore-These. Da im Vergleich zur regen internationalen Forschung für den
deutschsprachigen Raum nur wenige Studien zum Thema vorliegen, versteht sich der Vortrag
auch als Anregung für mehr empirische Forschung in Deutschland, Österreich und der Schweiz.