- Gottesdienstinstitut Nordkirche

„…dahin wie ein Schatten..“:
Gottesdienst mit Bildbetrachtung zum Gedenktag der „Reichskristallnacht“
am 9. November 2014
Ablauf:
Glocke, Orgelvorspiel
Lied mit der Gemeinde gesungen: Wenn der Herr einst die Gefangen ihrer Bande ledig
macht, EG 298,1-3
Begrüßung
Verse aus Psalm 102
Gedanken: „Schatten“
Musik
Bild „Befragung“
Gedanken zur Entstehung des Bildes
Musik
Bild-Ebene „Fenster-Glas“
Gedanken
Musik
Bild-Ebene „Blutrote Tinte“
Gedanken
Musik
Bild-Ebene „Spinnweben“
Gedanken
Musik
Gedenken und Gebet (die Gemeinde erhebt sich)
7 Konfirmandinnen und Konfirmanden entzünden Kerzen
Gemeinsam gesprochen: Vater unser
Segen
Lied, mit der Gemeinde gesungen - im Stehen: „Verleih uns Frieden“, EG 421(2x)
Orgelnachspiel
Glocke
________
Musik: Johannes Peters-Drewelies
Küsterdienst: Michael Metan
Künstlerische Grafiken und Texte: René Blättermann
Texte: Almuth Jürgensen
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Eine Glocke
[auf der Leinwand: Bild“ Acqua“]
Orgelvorspiel
Lied mit der Gemeinde gesungen: Wenn der Herr einst die Gefangen ihrer Bande ledig
macht, EG 298,1-3
1. Wenn der Herr einst die Gefangenen
ihrer Bande ledig macht,
o dann schwinden die vergangenen
Leiden wie ein Traum der Nacht;
dann wird unser Herz sich freun,
unser Mund voll Lachens sein,
jauchzend werden wir erheben den,
der Freiheit uns gegeben.
2. Herr, erhebe deine Rechte,
richt auf uns den Vaterblick;
rufe die verstoßnen Knechte
bald ins Vaterland zurück.
Ach, der Pfad ist steil und weit,
kürze unsre Prüfungszeit;
führ uns, wenn wir treu gestritten,
in des Friedens stille Hütten.
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3. Ernten werden wir mit Freuden,
was wir weinend ausgesät;
jenseits reift die Frucht der Leiden,
und des Sieges Palme weht.
Unser Gott auf seinem Thron,
er, er selbst ist unser Lohn;
die ihm lebten, die ihm starben,
bringen jauchzend ihre Garben.
(Bibellied, Autor: Samuel Gottlieb Bürde (1753 - 1831))
Begrüßung (Almuth Jürgensen)
Willkommen zum Gottesdienst.
Wir danken und gedenken in diesem Gottesdienst.
Wir danken Gott, dass wir in Zeiten leben und an Orten wohnen, die Freiheit, Friede und
Jauchzen (EG 298) kennen - wie in der soeben gesungenen Psalmvertonung.
Wir gedenken der Menschen, die zu einer Zeit in Deutschland lebten, in der ihnen ihre
Freiheit, ihr Lebensrecht und ihr Leben mit Gewalt genommen wurden.
Vor genau 76 Jahren, bei den Novemberprogromen in den Nächten vom 9.-12. November
1938, wurden im damaligen Deutschen Reich hunderte Menschen ermordet und verhaftet.
Mehr als 1400 Synagogen und Bet-Stuben brannten. Jüdische Friedhöfe, jüdische Geschäfte
und Wohnungen von Juden wurden zerstört.
Der 9. November 1938 war ein vorläufiger Höhepunkt der Menschenverachtung in der Zeit
des Nationalsozialismus. Menschen wurden verfolgt und ermordet aufgrund ihres
Glaubens, ihrer Religion, ihrer Überzeugung.
Auch in unserer Region gab es am 9.11.1938 Zerstörung, Leid, Tod. Das Leben von
Andersgläubigen und Andersdenkenden - ihr Tagewerk, ihre heiligsten Dinge - wurden
zerstört und vernichtet.
Menschen wurde Leid angetan – in den Tagen des 9. November 1938 – und bereits viele
Jahre, Tage und Stunden zuvor – und viele Stunden, Tage und Jahre nach dem 9. November
1938.
14 km nördlich von Stockelsdorf, in Ahrensbök, wurde bereits 1933 ein Konzentrationslager
errichtet. Im Oktober des Jahres 1933, noch im gleichen Jahr der Machtübertragung an die
Nationalsozialistische Regierung.
In Ahrensbök lebten und arbeiteten Häftlinge - mehrere Monate unter menschenunwürdigen Bedingungen. Untergebracht war das Konzentrationslager in einem Haus, in
dem zuvor ein Fabrikdirektor mit seiner Familie gewohnt hatte.
3
Heute gibt es in dem ehemaligen Direktorenhaus eine Gedenkstätte für das KZ Ahrensbök.
Durch Ausstellungen und Gespräche wird dort an die Schrecken jener Jahre erinnert.
Besonders an die Schrecken aus der Anfangszeit der Nazis - dem Jahr 1933 – und ebenso an
das grauenhafte Ende, als 1945 der Todesmarsch von Häftlingen aus Auschwitz durch
Lübeck, Bad Schwartau nach Glasau, Siblin, Süsel führte.
----------------------Seit zwei Wochen ist in den Räumen der Gedenkstätte Ahrensbök eine Ausstellung von
René Blättermann zu sehen.
René Blättermann ist Stockelsdorfer.
Wir freuen uns, dass er heute in diesem Gottesdienst die Verbindung zwischen Stockelsdorf
und der Gedenkstätte Ahrensbök bekräftigt.
(René Blättermann)
Vielen Dank –Es ist mir eine Ehre, zum zweiten Mal eine meiner Grafiken in einem
Gottesdienst hier in der Kirche vorzustellen..
Erstmalig stelle ich meine Kunst in einer Gedenkstätte aus.
In den vergangenen elf Monaten sind für diese Ausstellung mehrere neue Grafiken
entstanden.
Ich habe dafür in den Räumen des ehemaligen Konzentrationslagers fotografiert und aus
verschiedenen Fotografien die künstlerischen Grafiken komponiert.
Sie konfrontieren uns mit Objekten des ehemaligen KZ Ahrensbök.
(Almuth Jürgensen)
Nach diesem Gedenk-Gottesdienst gibt es für Sie, liebe Gottesdienstbesucherinnen und –
besucher, die Möglichkeit, mit zur Ausstellung in Ahrensbök zu fahren.
------------René Blättermanns Ausstellung in Ahrensbök trägt den Namen „…dahin, wie ein Schatten..“
„Dahin wie ein Schatten“ ist ein Psalm-Zitat. Diese Redewendung begegnet uns in
mehreren Psalmen – auch in Psalm 102.
Sie finden die Worte (zum Mitsprechen) auf dem Gottesdienstblatt.
HERR, höre mein Gebet
und lass mein Schreien zu dir kommen!
Verbirg dein Antlitz nicht vor mir in der Not, neige deine Ohren zu mir;
wenn ich dich anrufe, so erhöre mich bald!
Denn meine Tage sind vergangen wie ein Rauch,
und meine Gebeine sind verbrannt wie von Feuer.
Mein Herz ist geschlagen und verdorrt wie Gras,
dass ich sogar vergesse, mein Brot zu essen.
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Mein Gebein klebt an meiner Haut
vor Heulen und Seufzen.
Ich bin wie die Eule in der Einöde,
wie das Käuzchen in den Trümmern.
Ich wache und klage
wie ein einsamer Vogel auf dem Dache.
Täglich schmähen mich meine Feinde,
und die mich verspotten, fluchen mit meinem Namen.
Denn ich esse Asche wie Brot
und mische meinen Trank mit Tränen
vor deinem Drohen und Zorn,
weil du mich hochgehoben und zu Boden geworfen hast.
Meine Tage sind dahin wie ein Schatten,
und ich verdorre wie Gras.
Du aber, HERR, bleibst ewiglich
und dein Name für und für. Amen
(René Blättermann)
Mit dieser Grafik (auf die Leinwand weisen) haben wir zu diesem Gottesdienst eingeladen.
Die Grafik hat den Titel ACQUA - DAHIN WIE EIN SCHATTEN.
Das Foto eines eisernen Brunnendeckels aus dem jüdischen Ghetto in Venedig ist in diese
Grafik eingearbeitet.
Wasser ist Leben.
Brunnen waren überlebensnotwendig, - sowohl für das Volk Israel auf der Wanderung durch
die Wüste, als auch für die städtische Bevölkerung des mittelalterlichen Venedig.
Wenn im Mittelalter die Menschen durch unerklärliche Krankheiten starben, bezichtigte
man immer wieder die Juden der Brunnenvergiftung. Das Brunnenvergiften wurde als
Verbrechen schwer geahndet.
Auf dieser Grafik ist die zweite Ebene der Schatten eines Scherenschnittes, das in jüdischen
Häusern die Laubhütte des Sukkotfestes schmückte: des Laubhüttenfestes – ein
Erntedankfestes im September/Oktober jeden Jahres.
Zu erkennen ist der Umriss eines Granatapfels und eines springenden Hirsches – Zeichen für
Anmut und Lebenskraft.
Eine Grafik mit Schatten: - ein persönlicher Zugang ist es, der mich zu diesem Bild und zu
diesem Titel gebracht hat.
1934 im Jahr der endgültigen Festigung der totalitären Führerdiktatur der
Nationalsozialisten verließen meine Großeltern, Jenny Blättermann geborene Lewenthal
und Isaac Blättermann, mit ihrem 13 jährigen Sohn Nicolaus - Nesanel, meinem Vater,
Deutschland.
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Sie gingen zur Familie meiner Großmutter nach Jassi in Moldawien.
Da hatten sie noch 9 Jahre zu leben.
Im September 1942 wurden alle deportiert.
---------------Mein Vater hat niemanden wiedergesehen und wir haben niemanden kennengelernt.
Für uns blieben sie wie Schatten.
„dahin wie ein Schatten…": Dieses Bibelzitat, Titel meiner Ausstellung in der Gedenkstätte
Ahrensbök, ist mir deshalb sehr nah.
((„…dahin wie ein Schatten“: Unter diesem Titel hatte 1992 der Lübecker Journalist Albrecht
Schreiber bereits eine Ausstellung über Juden und Jüdinnen in Lübeck konzipiert)).
Musik [mit Choralzitat „Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen KlepperEG 16]
Bild „Befragung“
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(René Blättermann)
Dieses Bild heißt „Befragung“
Zu sehen ist der Blick eines Inhaftierten Menschen auf eines der beiden Fenster des
Verhörraumes im Keller des ehemaligen KZ.
Es ist versehen mit dem Text:
„Sie halten mich fest. Sie klagen mich an.
Mein Blick durchs eiserne Gitter des Fensters sieht nicht die Freiheit draußen,
sondern Willkür und Schrecken.“
Was aber ist noch in dem Bild zu sehen und was verbirgt sich dem Blick,
was erzählt das Bild?
Musik [Motiv aus „Wer einst die Gefangenen“, EG 298]
Bild-Ebene „Fenster-Glas“
(René Blättermann)
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Fenster-Glas.
Auf dieser ersten Bildebene sehen wir eines der Fenster im Verhörraum des ehemaligen KZ
Ahrensbök: vergittert ganz schwach zu sehen sind Gitterstäbe – gefangen.
Allein. Ohnmächtig. Eingekerkert.
Trübe das GLAS mit mattfarbigem FIRNIS –
verhangen; wie mit Algenbelag; kein Durchblick ist möglich -.
(Almuth Jürgensen)
Glas – geschaffen für Ausblick, Durchlässigkeit und Licht.
Glas mit seiner Kühle - und es benötigt enorme Hitze, durch die es überhaupt entsteht.
Ein kleineres, edles Trinkglas wird im jüdischen Hochzeitsritus unterm Baldachin zertreten:
als Erinnerung an die Zerstörung des jüdischen Tempels.
Inmitten der größten Freude, inmitten der Feier der Liebe: die Erinnerung an Vertreibung,
an Trauer und Schrecken.
Glas in Kristallen, funkelnd und glitzernd.
Kristallglas - kostbare Schalen und Kronleuchter, geschliffenes Glas als Prisma aller Farben.
Kristalle, die die Blicke auf sich ziehen – Kristall mit faszinierender Wirkung.
Kristall - als beschönigendes Wort missbraucht nach dem 9. November 1938, der
sogenannten „Reichskristallnacht“.
Elegant und schrecklich, die Sprache des Dritten Reichs.
(René Blättermann)
Ein Fenster im Verhörraum des KZs
Es zeigt wie zerbrechlich und hauchdünn der FIRNIS, der Anstrich der Zivilisation ist,
aufgerissen lange vor der Reichskristallnacht.
Musik [mit Choralzitat. „Aus tiefer Not“, Luther-Melodie EG 299]
Bild-Ebene „Blutrote Tinte“
8
(René Blättermann)
Blutrote Tinte.
Das Direktorenhaus in Ahrensbök war in jenen Jahren auch eine Schule, - ein Ort „völkischer
Erziehung“.
Auf einem der hölzernen Pulte finden sich blutrote Tintenflecken. Die zweite Bildebene.
(Almuth Jürgensen)
Tintenflecken, aufgesaugt vom Holz, - in rot, in schwarz, in blau.
Tinte: „Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben“ ((Pilatus im Prozess um Jesus,
Johannesevangelium 19,22)).
Anordnungen, auch Verhöhnung als Medium der Macht.
Geschrieben mit Tinte.
Passeintragungen aus jenen Jahren der Verfolgung von Andersdenkenden,
Andersglaubenden - mit dunkler Tinte in den Amtsstuben: Der Eintrag „Sarah“ für Jüdinnen
und „Israel“ für Juden.
Bewilligungen für Ausreisen.
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Dokumente, die gestempelt und unterschrieben waren, die man stets bei sich trug. Mit
Tinte unterzeichnete Lebensversicherungen eines Menschen im Ghetto ((an Jurek Szarf
denken)).
Tinte und Unterschriften, von denen Leben abhingen.
Unterzeichnete Dokumente, die die Flucht möglich machten - Tinte, mit der auch
gefälschte Papiere hergestellt wurden.
Tinte - Nummern aus Tinte, die in Konzentrationslagern den Menschen in die Haut geritzt
wurden.
Ein Überlebender, dem mit 10 Jahren die Häftlingsnummer mit Tinte in den Unterarm
tätowiert wurde - auf die Frage, ob seine Kinder und Enkel ihn gefragt hätten, was das für
eine Nummer sei: „Natürlich, und ich habe ihnen gesagt, das ist eine gute Nummer, wie
eine Medaille. Sie beweist, dass ich da war und überlebt habe. Diese Leute wollten uns
töten, sie haben es nicht geschafft.“i
(René Blättermann)
In der Gedenkstätte in Ahrensbök befinden sich auf einer der hölzernen Schulbänke blutrote
Tintenflecken.
Die Köpfe der Kinder, die auf dieser Schulbank saßen, wurden mit rassenbewusster Blutund-Boden Ideologie getränkt, vergiftet.
Ein Pakt sollte geschlossen werden, mit ihrem später vergossenen Blut unterschrieben.
Musik [mit Choralzitat „Aus tiefer Not“, EG 299]
Bild-Ebene „Spinnweben“
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(René Blättermann)
Spinnweben.
Die dritte Ebene im Bild zeigt ein Detail des zweiten Fensters im Verhörraum.
schon damals morbide, Vergeblichkeit, Hoffnungslosigkeit, Verfall, Untergang und Tod
kündend.
Im Vordergrund: Spinnenfäden.
Ein Spinnennetz, kristallen glänzend im Morgentau, lockt, schön anzuschauen, verlockend.
Wer sich aber darin verfängt und verstrickt, der verdirbt.
(Bildwechsel zu „Acqua“, s.o.)
Wir gedenken.
Primo Levi schrieb: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“
So BEFRAGEN wir uns und sind wachsam.
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(Almuth Jürgensen)
Wachsam sein und gedenken.
Eine der Grafiken, die in Ahrensbök ausgestellt sind, hat als Motiv den Schatten einer
Menora, eines siebenarmigen Leuchters. –
Die Grafik ist den Menschen gewidmet, - zumeist Juden - , die ganz am Ende des zweiten
Weltkrieges, 1945, auf dem „Todesmarsch“ von Auschwitz nach Ostholstein starben. Von
tausend Häftlingen, die mit dem ostholsteiner Bauernsohn Max Schmidt - dem Lagerleiter
des Auschwitz-Nebenlagers Fürstengrube - im Januar 1945 auf ihren schweren Weg gingen,
erreichten zweihundert Ostholstein.
Sie waren Schatten ihrer selbst.
Auf der Grafik René Blättermanns sehen wir den Schatten desjenigen siebenarmigen
Leuchters, den die Stockelsdorfer Kirchengemeinde besitzt (zeigen). Er wird sonst im
Gemeindehaus in einer Vitrine verwahrt.
Die Menora: Eines der bekanntesten Symbole des Judentums.
Mose trug für das Gotteszelt eine Menora durch die Wüste.
Mehrere siebenarmige Leuchter schmückten das Allerheiligste an Salomos Tempel – vor
2000 Jahren in Jerusalem, bevor der Tempel durch die Römer im Jahre 70 nach Christi
zerstört wurde.
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Die Menora ist ein Zeichen des Gedenkens, der Erinnerung.
Aber auch ein Zeichen für Leben und Wachsen: eine Menora ist einem Baum nachgebildet.
Im vergangenen Jahrhundert stand diese Menora auf dem Altar, hier in der Stockelsdorfer
Kirche. Ein Foto in der Chronik der Kirchengemeinde (Buch zeigen) zeigt einen meiner
Vorgänger mit der Bibel in der Hand am Altar - vor eben diesem Leuchter.
Die sieben Kerzen brennen. Das Foto ist vermutlich
Anfang der 30er Jahre entstanden.
Dieser Leuchter sei irgendwann gegen Ende der 30er
Jahre des 20. Jahrhunderts aus dem gottesdienstlichen
Gebrauch entfernt worden, wurde mir erzählt.
Vermutlich, weil während des Nationalsozialismus dieses
Symbol des Judentums eben nicht den heiligen Tisch
unserer christlichen Kirchen dominieren sollte.
Was mag die Pastoren jener Jahre bewogen haben, diese
Menora angezündet in unsere Mitte zu holen? Zeichen der Erinnerung an Zerstörung –
leuchtendes, strahlendes Symbol des Wachsens.
Der Leuchter hat sich im Gemeindehaus – in den Schränken, auf den Tischen, bei
Gemeindeveranstaltungen – erhalten. Das ist gut so.
Meine Tage sind dahin wie ein Schatten,
Du aber, HERR, bleibst ewiglich
und dein Name für und für. Amen
Musik [Choralzitat EG 299]
Gedenken und Gebet (die Gemeinde erhebt sich)
[6 Konfirmandinnen und Konfirmanden gehen auf die Bank neben dem Gebetbaum und
entzünden Kerzen, still, ohne Musik]
Lasst uns beten.
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Gott, wir gedenken der Menschen, die vor sieben Jahrzehnten ihrer Rechte, ihrer
Gotteshäuser und ihres Lebens beraubt wurden – durch die Hände deutscher Bürger und
vor den Augen der deutschen Bevölkerung. (Kerze)
Gott, wir bitten für die, deren Verwandte durch Nationalsozialisten getötet wurden und die
um ihre Angehörigen trauern. (Kerze)
Gott, wie bitten für die, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt haben. Lass sie Ruhe
finden vor bedrohlichen Bildern ihrer Kindheit. Lass sie deinen Frieden in sich tragen.
(Kerze)
Wir beten für alle, die in Gefahr sind und deren Menschenrechte missachtet werden. Gott,
wir bitten dich heute für alle Menschen, die unter Krieg leiden. (Kerze)
Gott, wir bitten für religiöse Minderheiten: stärke uns Menschen, die Freiheit des Anderen
zu achten. Gott, wir beten für Frieden zwischen den Religionen. (Kerze)
Wir bitten für alle Menschen, die auf der Flucht sind. Für die, die bei uns hier eine neue
Heimat suchen. (Kerze)
Wir bitten für die Menschen, die das Gedenken an die Schrecken des Nationalsozialismus
wach halten, die die Orte der Erinnerung mit Leben füllen. (Kerze)
Wir beten für die jüdischen Gemeinden - dass Freiheit und Friede (EG 298) die Menschen
und ihre Räume erfülle, dass ihre Münder voller Lachen (Ps 126) sei. (Kerze)
Gott, wir lassen nun noch in der Stille Kerzen entzünden
für unsere Bitten
für die Menschen, an die wir heute besonders denken. (einige Kerzen)
- Stille –
Gott, Du bist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag
((Dietrich Bonhoeffer)).
Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. - Amen.
Segen
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Gott segne dich und behüte dich.
Gott lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig.
Gott erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden. Amen
Lied mit der Gemeinde gesungen, im Stehen: „Verleih uns Frieden“, EG 421(2x)
Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott zu unsern Zeiten
Es ist ja doch kein ander nicht
Der für uns könnte streiten
Denn du, unser Gott, alleine
(Text und Melodie: Martin Luther)
Orgelnachspiel
Glocke
---------------Nachweise:
o Das Foto der Menora mit Pastor Heinrich Vietig ist aus 100 Jahre Kirche zu Stockelsdorf, Lübeck
2003, S. 57.
o Das Foto des vorhergehenden Gemeindehauses in der Ahrensböker Str 5 ist im Besitz von Pastor
Hans-Eberhard Schultz.
o Die Worte des Überlebenden sind von Thomas Buergenthal, amerikanischer Bürger und Richter am
Internationalen Gerichtshof in Den Haag, in: „Der Tagesspiegel“, 14.5.2007, s. www.gra.ch/langde/gra-glossar/124
Im Anschluss an diesen Gottesdienst sind Sie eingeladen zu Kaffee im Mittelgang der Kirche.
Die Kollekte (am Ausgang) ist heute – im gesamten Kirchenkreis Ostholstein - für die
Gedenkstättenarbeit in Ahrensbök bestimmt.
Um ca. 11.15 Uhr steht auf dem Kirchvorplatz der Gemeindebus bereit, der Sie mitnimmt zu
einem Besuch der Gedenkstätte Ahrensbök. René Blättermann zeigt Ihnen dort weitere
Bilder; eine Gedenkstätten-Mitarbeiterin ist für Fragen zur Geschichte vor Ort.
Der Zeitpunkt der Rückfahrt von der Gedenkstätte richtet sich nach Ihren Wünschen.
Die Adresse der Gedenkstätte Ahrensbök ist: Flachsröste 16, 23623 Ahrensbök (direkt an der
B 432 gelegen).
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Text René Blättermann 8.11.2014
1934 im Jahr der endgültigen Festigung der totalitären Führerdiktatur der
Nationalsozialisten verließen meine Großeltern Jenny Blättermann geborene Lewenthal
und Isaac Blättermann mit ihrem 13 jährigen Sohn Nicolaus - Nesanel, meinem Vater,
Deutschland.
Sie gingen zur Familie meiner Großmutter nach Jassi in Moldawien.
Da hatten sie noch 9 Jahre zu leben.
Im September 1942 wurden alle deportiert.
Mein Vater hat niemanden wiedergesehen und wir habe sie niemals kennengelernt.
Für uns blieben sie wie Schatten.
Und „dahin wie ein Schatten…"
Dieses Bibelzitat, Titel meiner Ausstellung in der Gedenkstätte Ahrensbök,
(geht auf eine Idee von Albrecht Schreiber, aus dem Jahr 1992 zurück,
und) war mir deshalb sehr nah.
In dieser Ausstellung zeige ich auch das Bild BEFRAGUNG, dass ich heute mitbringen durfte
um es Ihnen zu zeigen.
Zu sehen ist der Blick eines Inhaftierten Menschen auf eines der beiden Fenster des
Verhörraumes
im Keller des ehemaligen Direktorenhauses in Ahrensbök. Eines der ersten KZs.
Es ist versehen mit dem Text:
Sie halten mich fest. Sie klagen mich an.
Mein Blick durchs eiserne Gitter des Fensters sieht nicht die Freiheit draußen,
sondern Willkür und Schrecken.
Was aber ist noch in dem Bild zu sehen und was verbirgt sich dem Blick,
was erzählt das Bild…
(GLAS)
Auf der ersten Bildebene sehen wir eines der Fenster, vergittert, trübe, das GLAS mit
mattfarbigem FIRNIS,
zeigt wie zerbrechlich und hauchdünn der FIRNIS der Zivilisation ist, aufgerissen lange vor
der Reichskristallnacht
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(BLUTROTES HOLZ)
Was das Direktorenhaus zu dieser Zeit auch war - eine Schule, Ort völkischer Erziehung.
Auf einer der Schulbänke finden sich blutrote Tintenflecken. Die zweite Bildebene.
Die Köpfe der Kinder wurden mit rassenbewusster Blut und Boden Ideologie vergiftet.
Ein Packt sollte geschlossen werden, mit ihrem später vergossenen Blut unterschrieben.
(SPINNWEBEN)
Die dritte Ebene im Bild zeigt ein Detail des zweiten Fensters,
schon damals morbide, Vergeblichkeit, Hoffnungslosigkeit, Verfall, Untergang und Tod
kündend.
Im Vordergrund Spinnenfäden. Das Spinnennetz verlockend, kristallen glänzend im
Morgentau, lockt,
fängt, verstrickt und verdirbt es seine Opfer. Ist es erst zu Ende gesponnen, wie schwer ist es
zu zerstören.
(GEDENKEN)
Wir gedenken, weil was geschah eben nicht unvorstellbar ist.
Primo Levi schrieb: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“
So BEFRAGEN wir uns und sind wachsam.
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