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Berliner Zeitung - Der komplizierte Alltag im Köpenicker Flüchtlingsheim
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Berlin - 03.06.2015
CONTAINERDORF IN BERLIN
Der komplizierte Alltag im Köpenicker
Flüchtlingsheim
Von Julia Haak
Seit fünf Monaten wohnen in Berlin-Köpenick Flüchtlinge in
einem Containerdorf zusammen. Befürchtungen von
Anwohnern, der Supermarkt würde leergekauft oder die
Kriminalität könnte steigen, haben sich nicht erfüllt. Aber
wie sieht der Alltag in der Unterkunft aus? Ein Besuch.
Um kurz nach acht hält ein Mannschaftswagen der Polizei vor
dem Köpenicker Containerdorf. Die Beamten holen einen Mann
Angekommen: Bewohner des
aus Eritrea ab, der seit Februar hier wohnt. Er kann noch ein paar
Sachen einpacken. Dann fahren die Polizisten mit ihm davon.
Flüchtlingsheims in Berlin-Köpenick.
Foto: Acud/Lars Reimann
Als alles vorbei ist, setzt sich Heimleiter Peter Hermanns auf eine
Bank und zündet sich eine Zigarette an. „Der Mann ist
suizidgefährdet. Er sollte heute ins Krankenhaus kommen“, sagt er. Hermanns Mitarbeiter haben den
Polizisten ein ärztliches Gutachten gezeigt. Die Beamten zeigten einen Abschiebebefehl, weil der Mann in
Italien einen Asylantrag gestellt hatte. Der Abschiebebefehl zählte mehr. Hermann nimmt einen tiefen Zug
aus seiner Zigarette. Es ist früher Vormittag, und der Heimleiter sieht bereits erschöpft aus.
Seit fünf Monaten gibt es das Containerdorf in Berlin-Köpenick. Innerhalb von sechs Wochen wurden hier
am Rand der Wohnsiedlung Allende II Bäume gerodet, das Terrain planiert und Container zu zwei
Behelfsbauten zusammengefügt. Dann zogen die Flüchtlinge ein. Am Anfang gab es aufgeregte Proteste
von Nachbarn, und Rechtsextreme nutzten den Unmut für ihre Zwecke aus. Es entstand die
Gegenbewegung „Allende hilft“.
Unangenehmes Ritual
In Anbetracht der rasenden Geschwindigkeit, in der sich am östlichen Rand Berlins die Welt verändert hat,
ist es geradezu überraschend, dass es nicht zu großen Zusammenstößen gekommen ist. Der Protest ist
einfach abgeflaut. Befürchtungen, der Supermarkt würde leergekauft, der Bus überfüllt sein, die
Kriminalität steigen, haben sich nicht erfüllt. Nur ein Ritual ist übrig geblieben. „Jeden Mittwoch treffen
sich etwa 20 Leute an der Straßenecke“, erzählt der Heimleiter. Sie stehen dann da rum. Sie machen
nichts, aber sie sind da. Das empfinden unsere Bewohner als Provokation, was es ja auch ist. Das Heim
bekommen die nicht weg, aber das hält sie nicht davon ab zu zeigen, dass ihnen das nicht gefällt.“ Peter
Hermanns bleibt deshalb mittwochs immer etwas länger.
Heute ist es ruhig. Die Kinder sind in der Schule, viele der Erwachsenen in der Stadt unterwegs. Eine Frau
mit Kopftuch sitzt am Rand des Sandkastens und telefoniert. Ein Mann gießt die Kräuter in den Beeten, die
die Bewohner selbst angelegt haben. „Garten der Hoffnung“ steht auf der Gießkanne.
Ein Sozialarbeiter kommt den Sandweg herauf und schildert dem Heimleiter, dass er einen Bewohner
schon wieder beim Rauchen erwischt hat, obwohl das in den Häusern verboten ist und der Betreffende
bereits zweimal abgemahnt wurde. „Lass ihn noch einmal helfen, sonst muss er ausziehen“, sagt
Hermanns. Minuten später sieht man einen Mann übers Grundstück gehen und Zigarettenkippen in einen
Eimer sammeln. Der Raucher büßt seine Strafe ab.
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Berliner Zeitung - Der komplizierte Alltag im Köpenicker Flüchtlingsheim
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386 Flüchtlinge leben in Köpenick. Jeweils zu zweit wohnen sie zusammen, eingeteilt nach Religion und
Sprache. Jedes Zimmer bietet Platz für zwei Betten, zwei Schränke, zwei Stühle, Tisch und Kühlschrank.
Familien mit Kindern bewohnen nebeneinander liegende Räume mit Verbindungstür. 60 Menschen teilen
sich Küche und Waschraum. Es gibt Putzpläne. Jeden Tag ist ein anderes Zimmer mit der Reinigung der
Gemeinschaftsflächen dran.
Zwei Männer sprechen den Heimleiter im Flur an. „Es war wieder alles vollgeschmiert“, sagt der eine.
Peter Hermanns weiß sofort, was gemeint ist. Irgendjemand verrichtet sein Geschäft auf dem
Badezimmerboden. Ob aus Protest, einer psychischen Störung heraus oder weil Sitztoiletten schlicht
unbekannt sind, ließ sich bisher nicht feststellen. „Wir werden alles desinfizieren lassen. Und dann mit dem
Wachschutz versuchen herauszufinden, wer das ist“, sagt er.
Wachmann Ramazan Demirtas hat das Gespräch mit angehört und nickt. Im Dienst sind immer vier
Wachmänner gleichzeitig, zwei überwachen aus einem kleinen Zimmer heraus den Eingangsbereich, damit
keine Unbefugten eindringen, zwei patrouillieren über das Gelände. Sie sind auch abends noch da, wenn
die Sozialarbeiter Feierabend haben. Dann geraten sie manchmal zwischen die Fronten. „Einige Bewohner
trinken und sind laut, anderen gefällt das nicht. Die Kinder machen Krach. Und im Wohnhaus gegenüber
wohnt ein Mann, der sich immer wieder beschwert“, sagt Wachmann Demirtas. Für Ruhe sorgen kann echt
schwer sein, findet er, und fühlt sich hin und her gerissen zwischen Aufpasser, Beschützer und Kumpel.
Demirtas ruft das Wachbuch im Computer auf. Hier verzeichnen die Wachleute, was so passiert. Alle zwei
Stunden ein Eintrag. Manchmal steht da: „Keine Vorkommnisse“. Für 0 Uhr der vergangenen Nacht lautet
der Eintrag: „betrunkener Bewohner aggressiv. WS beschimpft und angegriffen. Polizei alarmiert,
Hausverbot.“ Es folgt der Name eines Bewohners, der ausziehen musste. „Er hat uns bedroht. Das können
wir nicht gebrauchen. Die Leute wollen hier friedlich leben“, sagt Demirtas.
Heimleiter Hermanns würde gern Bewohnerräte für ein besseres soziales Miteinander gründen. Manches
regelt sich aber auch von allein. Weil die Backbleche immer geklaut wurden, schließen Bewohner sie jetzt
in ihren Zimmern ein. Wer eins braucht, klopft und holt es sich. „Es ist kein Gefängnis hier, und wir wollen
auch niemanden hospitalisieren“, sagt Hermanns.
Etwa ein Jahr sollen die Flüchtlinge jeweils in Köpenick bleiben. In dieser Zeit sollen sie ihr Asylverfahren
vorantreiben, Sprachkurse machen, sich um die Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse bemühen und
schließlich eine Wohnung und einen Job finden. So die Theorie. „Wir hatten schon welche, die in eine
Wohnung gezogen sind, aber wenige“, sagt Hermanns. Es gibt einfach nicht genug Wohnungen in Berlin.
An der Wand des Flurs hängen Zettel: Stricken montags, Impfen dienstags, dreimal die Woche
Deutschunterricht. Ein Liniennetzplan für BVG und S-Bahn hängt auch dort und ein Briefkasten für
Beschwerden. Hinter der Wand sitzt Stefanie Fuchs. Sie hat die Unterstützerorganisation „Allende hilft“
mitgründet, und als sie von einem Bürojob im Heim hörte, hat sie sich dafür beworben. Sie ist die Erste,
die neue Bewohner im Heim kennenlernen. An diesem Tag wartet Stefanie Fuchs auf zwei Neuzugänge, sie
sind noch nicht da. Hinter ihr an der Wand hängen Zimmerschlüssel. Auf dem Tresen stehen
Eingangskörbe für die Post. Sie kommt hauptsächlich von Behörden.
Heute zum Beispiel wurde Ibrahim Hamdwli mitgeteilt, dass er kein Geld mehr bekommen wird. Hamdwli
kommt aus Aleppo, Syrien, ist 32 Jahre alt, Geografielehrer und seit neun Monaten in Deutschland. Sein
Aufenthaltsstatus ist geklärt. Nun ist das Jobcenter für ihn zuständig.
Als die Sozialarbeiterin Helena Klaßen in Ibrahim Hamdwlis Zimmer kommt, um die Lage zu besprechen,
stellt er erst mal Joghurt, Oliven und Fladenbrot auf den Tisch. Helena Klaßen sagt, dass sie schon beim
Jobcenter angerufen habe, es habe nur eine Unterschrift auf einem Formular gefehlt. Die kann er
nachreichen. „Du musst jetzt einen Integrationskurs machen“, sagt sie. Sie spricht deutsch mit ihm,
obwohl sie fließend Arabisch kann. Er soll die Sprache lernen. Wegen einer Wohnung könne er sich an eine
freiwillige Helferin wenden, die dienstags ins Heim kommt und den Flüchtlingen mit dem Papierkram hilft:
Schufa-Auskunft, Wohnberechtigungsschein, Wohnungssuche.
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Es ist Mittag. Kinder kommen aus der Schule. Ein 14-Jähriger stellt sich Peter Hermanns in den Weg. Er
muss ihm unbedingt einen Kartentrick zeigen. Osama ist in Libyen geboren, er ist Palästinenser. Als seine
Familie vor drei Monaten nach Köpenick kam, sorgte er für Unruhe in der Nachbarschaft: Er schrieb seinen
Namen in den Schnee aufs Autodach. „Die Nachbarn dachten, jetzt kommen Terroristen“, sagt Peter
Hermanns.
Er muss jetzt zu einer Besprechung. Das Heim will mehr Kinderbetreuung anbieten und einen Jugendclub
gründen. Es fehlt Personal. Eine Schülerin kommt dazu. Sie will ein zweiwöchiges Praktikum im Heim
absolvieren, eine Hilfe, immerhin. Aber sie hat noch mehr anzubieten. „Ich kann in meiner Schule
rumfragen. Da sind viele, die gern helfen würden“, sagt sie. Die Sozialarbeiter lächeln. Es gibt sie, die
Menschen, die ihre Freizeit opfern, um zu helfen. Es könnten allerdings noch viel mehr sein.
Samir fährt Rad
Im leerstehenden Schulgebäude gegenüber stapeln sich Kartons mit Kleidung bis unter die Decke, die
Berliner für die Flüchtlinge abgegeben haben. Noch hat niemand Zeit gefunden, die Kisten auszupacken.
In anderen Räumen hängen Hosen, Blusen, Pullover, Jacken an Kleiderstangen. Schuhpaare stehen
nebeneinander. Jeden Freitag öffnet die Kleiderkammer für ein paar Stunden, und die Flüchtlinge können
sich etwas aussuchen.
In einem Raum stehen nur Fahrräder. Ronald Opperbeck, 59 Jahre alt, Frührentner, will im Heim eine
Fahrradwerkstatt eröffnen. Er greift sich zwei Räder, schiebt sie nach draußen, von überall her kommen
Kinder angelaufen, und schon ist Opperbeck die Räder los. Samir, zehn Jahre alt, aus Palästina, dreht
Runden. Er strahlt. „Jetzt gib es mal her. Ich muss es erstmal durchgucken“, ruft Opperbeck schließlich.
„Nur noch eine Minute“, antwortet Samir und fährt weiter und weiter. Andere Kinder schleppen noch mehr
kaputte Räder an, räumen Opperbecks Werkzeugtasche aus und reiben sich gegenseitig mit Kettenöl ein.
„Eine Herausforderung“, sagt Opperbeck. Aber wenigstens weiß er, dass seine Fahrradwerkstatt ein Erfolg
wird.
Mittlerweile ist es Abend geworden. In den Küchen wird gekocht. Ein älteres Paar schleppt große Taschen
durchs Tor. Überall stehen die Leute jetzt in Gruppen zusammen und unterhalten sich. Die Sozialarbeiter
fahren nach Hause. Wachmann Ramazan Demirtas bricht zu seinem Rundgang auf.
Flüchtlinge in Berlin
Knapp 7000 Flüchtlinge
sind in diesem Jahr bereits
in Berlin eingetroffen –
dreimal so viele wie im
Vorjahr. Mindestens 20.000
werden bis Jahresende
erwartet. Das Landesamt
für Gesundheit und
Soziales (Lageso) ist kaum
noch in der Lage, ihnen
eine Unterkunft zu
beschaffen.
Rund 65 Unterkünfte
werden gegenwärtig für die
Unterbringung von
Flüchtlingen genutzt. In
den Heimen leben mehr als
15.000 Asylsuchende.
Zudem sind Asylsuchende
in Hostels und Wohnungen
untergebracht. 25.000
Menschen beziehen in
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Berlin derzeit finanzielle
Mittel nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz.
Das Containerdorf in
Köpenick ist eins von
sechs, die das Land Berlin
errichten will. Das zweite
steht in Buch. Der
Internationale Bund
beherbergt in Köpenick im
Auftrag des Landes 386
Flüchtlinge und beschäftigt
sechs Sozialarbeiter, zwei
Erzieher, zwei
Verwaltungskräfte, zwei
Hausmeister, Heimleiter
und Stellvertreterin.
Freiwillige Helfer können
sich unter folgender
Telefonnummer melden:
20459-7910.
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