KONTAKTLINSE FACHBEITRAG Die moderne Minisklerallinsenanpassung – eine einfache Lösung für komplizierte Augen? – ein Einblick in die tägliche Praxis Ausgehend von vielen Berichten in Fachzeitschriften und Vorträgen, die man auf verschiedenen internationalen Tagungen in den letzten Jahren verfolgen konnten, wollten die Mitarbeiter der Müller-Welt Contactlinsen GmbH in Stuttgart die Chance der Anpassung moderner Minisklerallinsen nutzen. Besonders für komplizierte Hornhäute, die bisher nur unter Kompromissen mit cornealen Linsen zu versorgen waren, sollten diese neuen Geometrien eine erfolgversprechende Lösung sein. Die Anpassung klassischer Sklerallinsen hatte sich bereits über Jahrzehnte gehalten allerdings nur zu einem sehr geringen Prozentsatz. Mit den neuen Materialien und Geometrien wollten die Anpasser einen neuen Anfang starten und haben dazu in den letzten vier Jahren im Rahmen von zwei Bachelorthesen und auch noch danach über 250 Augen mit modernen Minisklerallinsen versorgt. Dieser Artikel soll einen Einblick in die tägliche Praxis des Instituts mit Erfolgen geben, aber auch mit Schwierigkeiten und Fragen, die sich in dieser Zeit ergeben haben. Es soll gezeigt werden, dass der Hype, der momentan um diese Linsen entstanden ist, vielleicht auch weniger erfahrene Anpasser dazu verleiten könnte, mit diesen Linsen zu arbeiten. Das kann aber ganz schnell zu Schwierigkeiten führen, mit denen man im Vorfeld nicht gerechnet hat. Ein regelrechter Hype um die Anpassung moderner Minisklerallinsen hat in den letzten Monaten Deutschland erreicht. Aufgrund der vielen positiven Erfahrungen, die in Amerika und Großbritannien bereits seit Jahren mit Sklerallinsen gemacht werden, und aufgrund der neuen Minisklerallinsen, die auf den deutschen Markt strömen, erscheint nun vielen Anpassern diese Linse als einfachste Lösung zur Versorgung komplizierter Augen. Dies hört man mittlerweile von Seiten der Lieferanten, aber auch von Seiten der Krankenkassen. Die Erfahrungsberichte der langjährigen Anpasser aus Amerika und Großbritannien lassen die Anpassung dieser Linsen sehr einfach erscheinen. Es ist nicht notwendig, viel über die komplexe Hornhautform beispielsweise eines Transplantats zu wissen, da dieser Bereich einfach überbrückt wird und auch die lästigen Tragekomfortschwierigkeiten sogar bei trockenen Augen gehören mit diesen großen Linsen der Vergangenheit an – so die Meinung mancher Anwender. Im Kontaktlinsen-Institut Müller-Welt, in dem sich auch die Anpassung der klassischen Sklerallinsen nie ganz verloren hat, haben die Kontaktlinsen-Spezialisten in den letzten drei bis vier Jahren auch bereits über 250 Augen mit modernen Minisklerallinsen versorgt. Zudem wurden bereits zwei Bachelorthesen zu dieser Thematik durchgeführt, die ebenfalls in nächster Zeit veröffentlicht werden. Abb. 1: Guter Sitz einer Minisklerallinse auch bei Blickbewegungen. Abb. 2: Corneallinse mit mäßigem Sitz bei ausgeprägtem Keratokonus und keiner ganztägigen Verträglichkeit, aber keiner Geduld mehr von Kundenseite, da der vorherige Anpasser angeblich „unendlich gepröbelt“ hätte. Abb. 3: Gleiches Auge wie in Abbildung 2 versorgt mit einer Minisklerallinse, spontan 16 Stunden Tragezeit. 84 DOZ 11 | 2014 Im Rahmen dieser Studien und im Laufe der Zeit konnten die Mitarbeiter viele Erfahrungen mit diesen Linsen gewinnen und stellten fest, dass diese Möglichkeit nach wie vor die sicherste und beste Variante zur Versorgung irregulärer Augen die corneale formstabile Kontaktlinse. Hier schöpfen die Anpasser alle Möglichkeiten aus bis hin zu komplizierten Geometrien und grenzlimbaler Anpassung. Erst wenn das nicht zum Erfolg führt, ist die überbrückende Anpassung mit Hilfe von Minisklerallinsen ein Thema. Dann meistens mit gutem Erfolg, leider aber nicht immer. Im Vorfeld zu erkennen, in welchem Fall eine solche Versorgung gelingt, und in welchen man auf unlösbare Schwierigkeiten stößt, ist den Spezialisten im Laufe der Jahre bislang nicht gelungen, aber sie sammeln jeden Tag mehr und mehr Erfahrungen, worauf man achten muss und finden Lösungen für sich stellende Probleme. Wo diese im Laufe der Anpassung entstehen können und was die Bedenken im Hinblick auf diese „neue“ Versorgungsvariante für irreguläre Hornhauten sind, soll nachstehend näher erläutert werden. Abb. 4: Optimale Dicke des Tränenreservoirs. Voraussetzungen für die Anpassung Abb. 6: Aufsetzen einer Minisklerallinse (vorab gefüllt mit unkonservierter Kochsalzlösung). Bevor man in die Anpassung von Minisklerallinsen einsteigt, muss man sich darüber im Klaren sein, dass Minisklerallinse nicht gleich Minisklerallinse ist. Die Definition besagt, dass es sich hier um formstabile Kontaktlinsen im Durchmesserbereich von 15 bis 18 mm handelt. Allerdings liegen die feinen Unterschiede in der Geometrie und damit in der Anpassung der Linsen. Es gibt Hersteller, die Linsen in diesem Durchmesserbereich fertigen, die den Auflagedruck gleichmäßig auf Hornhaut und Sklera verteilen. Andere Hersteller arbeiten mit einer Rückflächengeometrie, die die Hornhaut komplett überbrückt und bei denen der gesamte Druck der Linse auf der Sklera liegt. Mit der Anpassung dieser Linsen haben sich die Mitarbeiter von Müller-Welt näher beschäftigt. Grundsätzlich möglich ist dies abhängig von verschiedenen Bedingungen am Auge ab einem Durchmesser von 14,5 mm bis hin zu 18 mm. Oberhalb dieser Grenze spricht man bei gleicher Anpass-Philosophie dann von Fullsklerallinsen. „Wir wissen schlichtweg nicht, wie der Verlauf der Sklera aussieht.“ Die Anpassung all dieser Sklerallinsen erfolgt über die Scheiteltiefe. Hier hat jeder Hersteller sein eigenes Konzept, ebenso wie bei dem Aufbau der peripheren Geometrie. Hier haben die Anpasser bisher keinerlei Messmöglichkeiten. Sie wissen schlichtweg nicht, wie bei ihren individuellen Kunden der Verlauf der Sklera aussieht, die zentralen messbaren Bereiche geben darüber keinerlei Anhaltspunkt. Somit können die Anpasser in diesem Bereich nur empirisch vorgehen. Auf welche Schwierigkeiten man aufgrund dieser Tatsache stoßen kann, wird im Verlauf später noch erörtert. Ziel bei einer überbrückenden Anpassung ist eine Dicke des Tränenreservoirs, die der halben Hornhautdicke entspricht. Denn nur dann kann gewährleistet werden, dass die Hornhaut ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird, wenn die Tränenflüssigkeit sich unter der Linse nicht austauscht. Abb. 5: Größenunterschied Corneallinse und Minisklerallinse. Die erste Hürde bei der Anpassung: Das Handling Sind nun alle Voraussetzungen für die Anpassung einer solchen Linse erfüllt, ist die erste Hürde, die der Anpasser nun nehmen muss das Aufsetzen einer ersten Messlinse. Dies ist nicht deshalb eine Hürde für den Anpasser, weil die Handhabung an sich so schwierig ist, sondern weil hier zuerst einmal der Kunde überzeugt werden muss. Ganz gleich, wie gut man den Kunden auf diese große Linse vorbereitet hat, oder welche Vorteile man dem Kunden mit dieser Linsen zusichern kann. (Abb. 5) Selbst, wenn es für den individuellen Kunden die einzig erfolgversprechende Lösung darstellt, ist die Angst und Unsicherheit des Kunden angesichts einer solch großen Linse nicht kalkulierbar. Und das Besondere ist, dass die Linse vorab mit Kochsalzlösung gefüllt werden muss, bevor sie aufgesetzt wird, und „es darf auch nichts verschüttet werden“ beim Aufsetzen, denn dann hätte man höchstwahrscheinlich ungewollt Luftblasen unter der Linse! (Abb. 6) Es gibt durchaus Kunden, für die diese Angst ein unüberwindliches Hindernis ist, und die Anpassung scheitert an so vermeintlich einfachem wie dem Handling. Auch wenn im Rahmen der Anpassung die Linsen vom Anpasser sicher aufgesetzt wird, DOZ 11 | 2014 85 u KONTAKTLINSE FACHBEITRAG muss es der Kunde am Ende doch selbst können. Und dabei tun sich trotz intensiven Übens selbst geübte Linsenträger manchmal schwer. Die perfekte Passform einer Minisklerallinse Im nächsten Schritt steht dann die Optimierung der Passform. Das Ziel, eine Tränenlinse zu kreieren, die ungefähr der halben Hornhautdicke entspricht, ist sicher bei „normalen Hornhäuten“ ein guter und erreichbarer Leitfaden. Bei irregulären Hornhäu- Abb. 7: Unregelmäßiges Tränenreservoir, ist hier unumgänglich, um apexialen Touch zu verhindern. ten stößt man hier ganz schnell an seine Grenzen. Wenn man beispielsweise bei einem starken Keratokonus den apexialen Bereich sicher überbrücken will (Abb. 7), ist zwangsläufig in der Peripherie der Hornhaut die Tränenlinse deutlich dicker als die angestrebte halbe Hornhautdicke. Das lässt sich nicht vermeiden und fraglich bleibt dann die Langzeitwirkung im Laufe des ganztägigen Tragens auf die Hornhaut und den Limbus. Die Peripherie und den Sitz der Linse auf der Sklera können „normale“ Anpasser nur im Licht der Spaltlampe mit Hilfe all ihrer Erfahrung beurteilen. Dass dies manchmal nicht alleine ausreicht, zeigen Messungen, die im Rahmen einer der bei Müller-Welt geschriebenen Bachelorthesen mit dem OCT (Abb. 8, 9, 10) durchführt wurden. Mit der Spaltlampe kann man einfach nicht sehen, ob Nervenfasern limbusnah durch die Minisklerallinse eventuell zu stark gedrückt werden und wie tief diese Linse einsinkt und dadurch das sensible Gewebe im Limbusbereich belastet. Ein Einsinken selbst ist nicht zu verhindern. Deshalb sollte eine Messlinse nicht nur frisch aufgesetzt, sondern nach einiger Tragezeit noch einmal beurteilt werden. Erst dann kann man feststellen, ob es zu Blanching (einem Abklemmen von Blutgefäßen, Abb. 11) kommt und ob der Sitz so tolerierbar ist, oder welche Änderungen in der Geometrie für die Rezeptlinse vorgenommen werden müssen. Nach Absetzen der Linsen kommt es immer zu einer Einrötung der Bindehaut. Das Tragen einer Minisklerallinse Abb. 8: OCT-Aufnahme: Reaktion der Bindehaut im Auflagebereich. Abb. 9: OCT-Aufnahme: Einsinken der Minisklerallinse in die Bindehaut mit Wechselwirkung in der peripheren Hornhaut. Abb. 10: OCT-Aufnahme: Bindehautschwellung, bzw. Faltenbildung durch Sogwirkung. 86 DOZ 11 | 2014 Steht die Rezeptlinse fest, kann bei einem neuen Termin die Handhabung und die Eingewöhnungszeit besprochen werden. Um am Ende ein erfolgreiches Tragen für den Kunden zu erreichen, muss der Anpasser viel Zeit einplanen. Die Handhabung ist deutlich anders, sodass es selbst geübte Linsenträger erst Überwindung kostet und dann viel Übung erfordert, um hier sicher zu hantieren. Die Müller-Welt-Mitarbeiter bestehen darauf, dass der Kunde ihnen die korrekte Handhabung vorführt und weisen auf alles hin, was unter Umständen auftreten kann. Zum Beispiel kommt es nach Absetzen der Linsen immer zu einer Einrötung der Bindehaut (Abb. 12), da hier plötzlich wieder mehr Blut durch die Gefäße strömen kann. Dies beunruhigt die Träger dieser Linsen stark, auch wenn es physiologisch unbedenklich ist, und muss in jedem Fall im Vorfeld erklärt werden. Ein weiteres Problem sind oft zu lange Tragezeiten. Glücklich über beschwerdefreies Sehen und einen sehr guten Tragekomfort, werden die vorgegebenen Tragezeiten sehr oft überschritten. Dies kann unter Umständen zu schwereren Komplikationen führen, wenn die Hygiene dann nicht stimmt, sogar mit unvorhersehbaren Folgen. Aber auch die andere Variante ist denkbar. Nicht selten können keine zufriedenstellenden Tragezeiten erreicht werden, da sich der Tränenfilm, der sich unter einer solchen Linse nicht austauscht, eintrübt. In der Theorie wäre hier die Lösung, die Linse einfach erneut mit frischer Flüssigkeit aufzusetzen. In der Praxis zeigt sich aber, dass dies oft aufgrund von Irritationen am Auge nicht möglich ist. Abb. 11: Blanching: Die Blutgefäße der Bindehaut werden durch die Minisklerallinse gequetscht. Abb. 12: Gerötetes Auge nach Abnehmen einer Minisklerallinse. Auch optisch ist häufig eine tolle Sehleistung für den Kunden zu erreichen, aber eben auch nicht immer. Meistens kommt es im Vergleich zur Sehleistung mit Corneallinsen in den ersten Tagen zu einer Visusreduktion, die sich dann bei entspannter Hornhaut wieder verliert. Aber auch darüber muss der Kunde aufgeklärt werden, damit die Anpassung nicht vorschnell abgebrochen wird. Nicht selten kommt es aber auch zu Schattenbildung oder Restastigmatismen, die nicht zufriedenstellend ausgeglichen werden können. Fazit Nach nunmehr bald vier Jahren Erfahrung auf diesem Gebiet und über 250 versorgten Augen können die Kontaktlinsen-Spezialisten von Müller-Welt eines sicher sagen: Die Möglichkeit der überbrückenden Anpassung mit Hilfe dieser Minisklerallinsen schließt insbesondere auch durch die neuen Materialien und Linsendesigns eine Lücke in der Versorgungslandschaft. Sie sind aus der täglichen Praxis nicht mehr wegzudenken. Aber mit wachsender Erfahrung in diesem Bereich sind die Mitarbeiter nicht nur erfolgreicher in der Anpassung geworden, sondern auch kritischer im Umgang mit den Fragen, die diese Linsen für sie in der Praxis aufwerfen. Solange es noch keine sicheren Messmethoden für den Verlauf der Hornhautperipherie, des Limbusbereichs und der Sklera gibt, sind die Anpasser auf einen hohen Erfahrungsschatz in der Linsenanpassung und der Beurteilung angewiesen, um empirisch sicher zu besten und tragbaren Minisklerallinsen zu kommen. Es darf nicht unterschätzt werden, welcher hohe Zeitaufwand im Rahmen der Anpassung entsteht, wenn seriös mit diesem Thema umgegangen werden soll, und dass dieser Zeitaufwand auch Geld kostet. Es ist dann eben doch nicht ganz so einfach, wie man sich das angesichts der vielen positiven Berichte, die man aus Amerika und Großbritannien lesen kann, vorstellt. Das konnten auch die Mitarbeiter des Stuttgarter KontaktlinsenInstituts auch in den beiden Studien feststellen, die sie zuletzt zu diesem Thema durchgeführt haben. In Kürze werden diese zur Veröffentlichung kommen und viel detailreicher auf die Anpassung dieser Linsen und die dabei auftretenden Schwierigkeiten aber auch auf gefunden Lösungen eingehen. Die Kontaktlinsen-Anpasser sind froh, dass sie heute diese Linsen zur Verfügung haben, aber haben auch noch viele offene Fragen bezüglich der Langzeitverträglichkeit und welche Auffälligkeiten, die sie manchmal an den betroffenen Augen feststellen können, tolerierbar sind, und welche nicht. Bei Corneallinsen bewegen sie sich auf relativ sicherem Terrain. Ihre Erfahrungen in der Anpassung sind hier aufgrund von Jahrzehnten so gewachsen, dass sie sicher einschätzen können, was sie am Auge tun, und welche Auswirkungen das hat. Bei den Minisklerallinsen stehen sie erst am Anfang. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass es richtig ist, den internationalen Kollegen im Hinblick auf diese Linsen zu folgen. Aber sie sollten in ihrer eigenen Praxis überprüfen, wie gut diese Linsen bei deutschen Kunden anwendbar sind. Zum einen, weil im deutschen Markt evtl. andere Alternativen zur Verfügung stehen als den internationalen Kollegen und zum anderen, weil relativ wenig über den Bereich am Auge bekannt ist, der durch diese Linsen belastet werden könnte, messtechnisch und physiologisch. Deshalb wird bei Müller-Welt bei Fremdkunden, die bisher noch nicht dort versorgt wurden, aber mit dem Wunsch einer Skleralversorgung zu ihnen kommt, zunächst immer geprüft, ob es nicht doch eine corneale Alternative für sie gibt. Erst die nächsten Jahre werden zeigen, wie es mit Minisklerallinsen oder Sklerallinsen generell und der überbrückenden Anpassung in Deutschland weitergeht – man darf gespannt sein, wohin dieser Weg führen wird. n Autoren: Corinna Jonske Dipl.-Ing.(FH) Kontaktlinsen-Spezialistin Müller-Welt Contactlinsen GmbH Stuttgart Uwe Bischoff Dipl.-Ing.(FH) Geschäftsführer Müller-Welt Contactlinsen GmbH Stuttgart Anzeige Eine große Auswahl an Fachbüchern zur Aus- und Weiterbildung finden Sie im Online-Shop www.doz-verlag.de DOZ 11 | 2014 87
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