Artikel über den Balkan-Basketball

Tribüne: Balkan-Basketball
Bal(l)kan-Philosophie
Tübingens Trainer Igor Perovic (l. mit Branislav Ratkovica): „In Serbien ist Basketball eine Lebenseinstellung“
Wenn sich aus den für diesen Bericht geführten Gesprächen mit
serbischen und kroatischen Trainern der kleinste gemeinsame
Nenner in Bezug auf die Basketball-Philosophie bzw. -Grundstruktur ableiten lässt, dann muss
an dieser Stelle der Headcoach der
Licher BasketBären, Igor Starcevic,
zitiert werden, der seine Sicht auf
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03/04 • 2011
die „Balkan-Basketballschule“ mit
drei Worten beschreibt: „Respekt,
Disziplin und Leidenschaft.“ Vor allem die Disziplin besitzt bei allen
Trainern einen sehr hohen Stellenwert. Disziplin in Sachen Training.
Disziplin in der Umsetzung von
Vorgaben. Disziplin im Sinne des
Teams und der persönlichen Einstellung. Doch woher kommt dieser
Wunsch nach positivem Gehorsam,
basketballerischer Gefolgschaft
und wahrer Passion? Ist es der eigene Anspruch des Coaches, der
auf die Spieler projiziert wird? Oder
doch ein Stück weit Kultur, Erziehung und Lebenseinstellung, die
sich im Spiel und den Trainingseinheiten widerspiegelen? „Ich denke,
dass sich im ehemaligen Jugosla-
wien gemachte Lebens- und Trainingserfahrungen bei vielen kroatischen und serbischen Coaches in
deren Spiel und deren Basketballarbeit wiederfindet“, so der 41-jährige Headcoach des Regionalligisten MTV Kronberg, Miljenko „Milo“
Crnjac. Sein Berufskollege Pedja
Glisic, von Makkabi Frankfurt,
spricht von einem „eher weniger
demokratischen“ Coaching-Stil.
Beide Betreuer, wie übrigens alle anderen Trainer auch, haben
ihre sportliche Grundausbildung
im Südosten Europas genossen.
Dort, wo ein eiserner Wille, aber
auch physische und vor allem psychische Ausdauer gefragt war und
ist. Eigenschaften, die auch der in
Zagreb geborene Ex-Bundesligaprofi Kresimir „Kresi“ Miksa von
seinen jungen Spielern beim MTV
Stuttgart einfordert: „Geduld, Geduld, Geduld und harte Arbeit“.
Vorgemacht ist bekanntermaßen
nachgemacht. So kommt es allen Beteiligten zu Gute, dass sie
sich selbst im leistungsorientierten Sportumfeld bewegt und bei
diversen Profi-Klubs trainiert und
gespielt haben. Ob nun Igor Starcevic u. a. in Belgien; Milo Crnjac,
Igor Perovic, Dejan Kostic und Kresi
Miksa in Deutschland oder Pedja
„Freddie“ Glisic als semiprofessioneller Fußballer in der hessischen
Oberliga bei Rot-Weiß und Eintracht Frankfurt. Alle wissen was
es heißt, erfolgreich zu sein – aber
auch was es heißt, respektvoll mit
den Spielern umzugehen und sich
akribisch auf Matches vorzubereiten. Ob Spielsysteme oder gutes
Scouting, kaum etwas wird dem
Zufall überlassen. „Kontrollierte
Spielweise“, wie es Miljenko Crnjac
nennt. „Konsequentes Auftreten
und sich an Verabredungslagen
halten“, so der 43-jährige Glisic.
„Abmachungen“, die, wie Glisic,
auch der C-Lizenzinhaber Miksa
mit seinen Spielern trifft. Wird sich
seitens der Akteure auf dem Court
nicht an die spielerischen und taktischen Vereinbarungen gehalten,
Fotos: Lothar Thoss, imago
Gibt es eine kroatische oder serbische Basketball-Philosophie? Existiert so etwas wie eine jugoslawische Basketballschule? Ist eine Linie erkennbar, die sich unweigerlich durch das Basketballspiel und die Arbeit serbischer
oder kroatischer Coaches zieht? FORWARD hat den Versuch unternommen, einen roten Faden zu spinnen, um
die Motivation und die Philosophie einiger Trainer aus dem ehemaligen Jugoslawien zu durchleuchten.
Tribüne: Balkan-Basketball
iGor STarCeViC
Alter: 38 Jahre
Herkunft: Kroatien
Lizenz: B
Verein: TV Lich (ProB Süd)
MiLJenKo CrnJaC
Alter: 41 Jahre
Herkunft: Kroatien
Lizenz: B
Verein: MTV Kronberg
(1. Regionalliga Südwest)
PedJa GLiSiC
Alter: 43 Jahre
Herkunft: Serbien
Lizenz: A
Verein: TuS Makkabi Frankfurt
(2. Regionalliga Südwest/
Nord)
Für Coach Igor Starcevic (hier mit seiner Tochter) umfasst die jugoslawische Schule drei Kernelemente: Respekt,
Disziplin und Leidenschaft
kann auch mal, so der 43-jährige
Gießen-Pointers-Trainer, Dejan
Kostic, „die etwas lautere BalkanMentalität“ zu Tage treten. Wobei Emotionen wahrlich nichts
Länderspezifisches sind. Dann
schon eher die Verbundenheit zu
den großen serbischen und kroatischen Spielern, Klubs und Trainern. „Ich bin mit Partizan Belgrad,
Jugoplastika Split und Cibona Zagreb groß geworden. 1987 muss
es gewesen sein, da gewannen
diese Vereine alle europäischen
Titel, die es zu gewinnen gab. Die
jugoslawischen Klubs dominierten
Europa.“ Es ist Freude, aber auch
ein kleinwenig Stolz, die die Sätze
des 36-jährigen Igor Perovic begleiten. Da ist die Rede von „Lifestyle“, einer Lebenseinstellung –
aber auch von „hard work“, wenn
der Headcoach der Walter Tigers
Tübingen über die serbische Basketballschule sinniert.
Harte und ehrliche Arbeit, wie sie
auch der ehemalige Langener
Igor Starcevic von seinen Schützlingen erwartet: „Jede Sekunde
Spielzeit muss sich der Spieler erarbeiten. Und er muss immer alles
geben.“ Eisern anmutende Worte. Doch müssen Basketballer, so
Starcevics Trainerpendant Pedja
Glisic: „Ihre Ziele maximal und rigoros verfolgen, um sich zu verbessern.“ Aber nicht nur die Ergebnisse ihrer sportlichen Laufbahn
unterstreichen die Worte der Coaches, sondern auch die Resultate
ihrer Arbeit in ihrem Heimatverein.
So führte u. a. Crnjac den MTV
Kronberg bis in die damalige 2.
Bundesliga Süd, Dejan Kostic die
Gießen Pointers in die ProB und
Glisic den TuS Makkabi Frankfurt
von der Kreisliga bis in die Regionalliga.
Bemerkenswerte Leistungen, die
auch die großen Trainer des Balkans vollbracht haben und mitunter immer noch vollbringen: Aleksandar „Aca“ Nikolić, Dušan „Duda“
Ivković, Božidar „Boža“ Maljković,
Želimir „Željko” Obradović und
Svetislav Pešić. Virtuose Trainer,
die abgefärbt haben. Männer, die
wahren Basketball-Einfluss und
positiv-gestalterische Macht besaßen und besitzen. Charismatische
Basketball-Lehrer, die beeindrucken. Coaches mit visionärem Einfluss, der auf die heutige Trainergeneration einwirkt. Ein Wirken,
das nicht heißt: abkupfern, kopieren oder gleichmachen. Sondern
eher meint, seine eigene Philosophie zu entwickeln. „Ein konkretes
Trainervorbild habe ich nicht. Ich
schaue vielmehr nach wirkungsvollen Bausteinen anderer Coaches und entscheide, ob ich diese
in meine Arbeit einfließen lassen kann“, so der B-Lizenzinhaber
Crnjac. Eine Meinung, die die anderen „Balkan-Trainer“ teilen,
hat doch jeder der Betreuer seine individuelle Marschroute. Tübingens Perovic spricht von seiner „own philosophy“ und „good
relations“ innerhalb seiner Mannschaft. Der 1993 nach Deutschland
gekommene Kostic versucht „Spaß
und Fleiß zu kombinieren“ und
„keine Trainingseinheit wie die
andere aussehen zu lassen“. Dem
38-jährigen Starcevic kommt es darauf an, dass „alle zusammen verteidigen“ und „der einzelne Spieler
mehr als nur seine eigene Rolle auf
dem Feld sieht“. Der schwäbelnde Kroate Miksa sieht in „Spielern
mal an der kurzen, mal an der langen Leine zu halten“ einen wichtigen Faktor. Und der ehemalige
Fast-Profifußballer Glisic legt Wert
auf „die Rekrutierung der richtigen
Spieler“, sodass der „Zusammenhalt innerhalb des Teams groß ist
und auch erhalten bleibt“.
Nun gibt es aber nicht nur Mentalitätsunterschiede und infrastrukturelle Differenzen zwischen
Deutschland, Kroatien und Serbien, sondern auch gesellschaftliche. Steht auf dem Balkan primär
der sportliche Leistungsgedanke im Vordergrund, wo, so Crnjac:
„Untalentierte Spieler erst gar
nicht in die Halle kommen dürfen,
sondern nur hungrige Akteure“, ist
der Basketball in Deutschland eher
Breitensport orientiert. Aber nicht
nur der Freizeit- und Spaßeffekt
trägt dazu bei, dass das orangene Leder im ehemaligen Jugoslawien einen höheren Stellwert besitzt als in den hiesigen Gefilden,
sondern auch die Verknappung
der persönlichen Freizeit der Jugendlichen in Deutschland, hervorgerufen durch längere Schulzeiten und, so Glisic: „Ein teilweise
KreSiMir MiKSa
Alter: 38 Jahre
Herkunft: Kroatien
Trainerlizenz: C
Verein: MTV Stuttgart
(1. Regionalliga Südwest)
deJan KoSTiC
Alter: 43 Jahre
Herkunft: Serbien
Trainerlizenz: A
Verein: VfB Gießen Pointers
(ProB Süd)
iGor PeroViC
Alter: 36 Jahre
Herkunft: Serbien
Trainerlizenz: A
Verein: Walter Tigers Tübingen
(BBL)
zu fürsorgliches und verwöhnendes Elternhaus.“
Um zum Schluss allerdings auf
die Ausgangsfrage zurückzukommen, ob es denn eine serbische
oder kroatische Basketballschule
gibt, darf an dieser Stelle Svetislav
Pešić zitiert werden, der sich im Lumani-Blog wie folgt dazu äußert:
„Man kann sagen, dass es eine
Jugo-Schule des Basketballs gibt,
falls nicht, kann man aber ganz
deutlich sagen, dass es eine JugoMethodik des Trainings und eine
Jugo-Methodik der Sichtung und
Selektion von Spielern und Jahrgängen gibt.“
Wie vieles andere im Leben ist
auch die Frage nach der „jugoslawischen Basketballschule“ eine Frage des persönlichen Standpunktes und der eigenen Sichtweise.
Martin Schenk
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