- Kunsthistorisches Museum

DE
Fäden der Macht
14. juli bis 20. september 2015
»Es erscheint von vornherein als eine höchst
undankbare Aufgabe, den Reichtum und die
Schönheit dieser Sammlung [der Tapisseriensammlung des Kunsthistorischen Museums] mit Worten zu schildern, undankbar
schon deshalb, weil den wenigsten bewußt
ist und bewußt sein kann, welch ergreifende
und beglückende Wirkung von Werken der
Bildwirkerei ausgehen kann. Es handelt sich
keineswegs nur um die Freude des Kunsthistorikers, dem sich plötzlich unerwarteterweise ein überreiches, ganz unbekanntes Studienmaterial eröffnet, sondern um einen Kunstgenuß reinster und höchster Art, der sich
auch dem wissenschaftlich ganz Unvorbereiteten mitteilen muß.«
Aus: Ludwig Baldaß, Die Wiener
Gobelinsammlung, Wien [1920]
einführung
Die Verwendung luxuriöser Textilien zum
Schmuck besonderer Räumlichkeiten ist bereits für die ältesten Kulturkreise belegt. Im
Mittelalter waren kostbare Textilien vorrangig im höfischen Bereich zu finden, wo sie
dem hohen repräsentativen Anspruch der jeweiligen Regenten und des Adels entsprachen.
Insbesondere Tapisserien erfreuten sich großer Beliebtheit. Ihr luxuriöser Charakter kam
allein schon durch die Verwendung wertvoller Materialien wie Gold- und Silberfäden,
Seide und Wolle sowie die langjährige und damit kostenintensive Anfertigung zum Ausdruck.
Die in den Tapisserien dargestellten Themen
hatten dem repräsentativen und zugleich propagandistisch instrumentalisierten Charakter
dieses narrativen Mediums zu entsprechen.
Das Leben bei Hofe war dabei ebenso beliebt
wie historische Ereignisse, mythologische Themen oder antike Geschichten; hinzu traten
Erzählungen aus dem Alten oder Neuen Testament sowie Heiligenlegenden. Die bisweilen in zeitgenössischer Tracht nahezu lebensgroß dargestellten Inhaltsträger dienten als
Identifikationsfiguren. Sie fungierten als Repräsentanten eines höfisch-elitären Kreises,
zu dem auch die Besitzer solcher Tapisserien
zählten. Für den heutigen Betrachter sind die
monumentalen Wandbehänge wichtige Zeugnisse des höfischen Lebens sowie der bei Hofe
propagierten Ideale.
Insbesondere Brüssel konnte sich im 16. Jahrhundert einen Namen als Hochburg der Tapisserieproduktion machen. Namhafte Künstler wie Barend van Orley, Pieter Coecke van
Aelst, Michiel Coxcie und Jan Cornelisz. Vermeyen schufen die Entwürfe für die monumentalen Textilien. Einige ihrer Arbeiten sind
in der Ausstellung zu sehen. Die Käufer entstammten einem elitären Kreis, der sich die
kostspieligen Artefakte leisten konnte. Zu ihnen zählten auch Mitglieder des Hauses Habsburg. Insbesondere die exzeptionellen Tapisserieankäufe Kaiser Karls V. (1500–1558) gelten als legendär und setzten für die übrigen
europäischen Höfe einen entsprechend hohen Maßstab. Sie sind bezeichnend für den
einstigen Stellenwert der Tapisserie, die höher geschätzt wurde als die Malerei.
Dieses Booklet, das mit freundlicher Unterstützung des Vereins der Freunde des KHM
erscheint, bietet Ihnen detaillierte Objektbeschreibungen bei freier Bewegung aus unterschiedlichen Entfernungen in den Ausstellungsräumen.
1
Die dem Neuen Testament entlehnten Darstellungen aus dem Leben des Apostels Paulus gehören zu den populärsten Tapisseriepro-
Der Apostel
jekten des 16. Jahrhunderts. Sie wurden über
Paulus vor König
einen Zeitraum von etwa 30 Jahren nicht we-
Agrippa
niger als neun Mal ausgeführt. Der französi-
Serientitel: Szenen aus
dem Leben des Apostels
Paulus
Entwurf: Pieter Coecke
van Aelst, um 1529/30
Hergestellt unter Paulus
van Oppenem (?),
Brüssel, um 1535
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T III/3
sche König Franz I., der englische König Heinrich VIII. sowie Maria von Ungarn zählten
eine solche Serie zu ihrem Bestand. Das hier
gezeigte Objekt gehört zu einer Serie aus ehemals herzoglich-lothringischem Besitz.
Als Christenverfolger war Paulus zunächst bei
der Steinigung des später heiliggesprochenen
Stephanus zugegen. Durch seine Begegnung
mit dem auferstandenen Jesus wurde er jedoch bekehrt und verbreitete fortan als Missionar das Evangelium. In der Tapisserie steht
er im Vordergrund auf den Stufen der Loggia,
in der Gericht gehalten wird. Ihm gegenüber
thront König Herodes II. Agrippa mit seiner
Schwester Königin Berenike und Porcius Festus.
1A
Diese Vorstudie zur im selben Raum ausgestellten Tapisserie ist an der Basis der vordersten Säule mit dem Schriftzug »Pieter van
Vorbereitende
Aelst« bezeichnet. Die Tapisserie gibt die Vor-
Studie für die
lage – dem Herstellungsprozess geschuldet –
Tapisserie Der
spiegelverkehrt wieder. Sie reduziert die Kom-
Apostel Paulus
position zudem und fokussiert nur auf die
vor Agrippa
mittlere Szene, wodurch die massive Loggia,
Pieter Coecke van Aelst,
um 1529/30
Feder in Braun auf
bräunlich getöntem
Papier, laviert, weiß
gehöht
Wien, Albertina, Inv.Nr. 7851
in der Gericht gehalten wird, gewichtig das
Bildfeld füllt. Diese verrät deutlich Coeckes
frühes Interesse an klassischer Architektur.
Die Skizze schließt inhaltlich an die Ankunft
des Paulus in Caesare (Kapadokien) nach seinem Aufenthalt in Jerusalem an und zeigt im
Gegensatz zur Tapisserie zwei weitere Begebenheiten: Die Erzählung beginnt im rechten
Bildhintergrund, wo Paulus mit dem römischen Procurator von Judea, Antonius Felix,
und seiner Frau Drusilla zusammentrifft. Im
linken Bildhintergrund findet die Episode mit
der Einschiffung des Paulus nach Rom ihren
Abschluss.
2
Abraham ist als Stammvater Israels eine der
bedeutendsten Figuren des Alten Testaments.
Sein unerschütterlicher Glaube wie auch sei-
Abraham und
ne Loyalität und Charakterstärke hatten eine
Melchisedek
große Vorbildfunktion. Der englische König
Serientitel: Geschichte
des Patriarchen
Abraham
Entwurf: Pieter
Coecke van Aelst,
zugeschrieben, um
1537/38
Hergestellt unter Willem
de Kempeneer und
einer unidentifizierten
Manufaktur, Brüssel,
um 1550
Wolle, Seide
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T II/4
Heinrich VIII. besaß eine dem Patriarchen
Abraham gewidmete Serie. Die Wiener Serie
trägt hingegen das Wappen von Karl, Herzog
von Chevreuse (1524–1574), einem Cousin Herzog Karls III. von Lothringen.
Im linken Bildhintergrund beginnt die Erzählung mit den kriegerischen Auseinandersetzungen, um den gefangen genommenen Lot,
Abrahams Neffen, aus den Händen des Königs von Elam zu befreien. Im Zentrum stehen Abraham und Melchisedek von Salem
(Jerusalem), der »König der Gerechtigkeit«.
Letzterer hat seine rechte Hand zum Segensgestus erhoben. Die von den Kämpfen erschöpften Krieger werden im linken Bildmittelgrund versorgt.
3
Das Buch Josua, das sechste Buch des Alten
Testaments, berichtet von der kriegerischen
Eroberung Kanaans durch die israelitischen
Die Gibeoniter
Stämme. Der hier gezeigte Behang bildet den
bereden Josua,
Bund zwischen Josua und einer Gesandtschaft
mit ihnen einen
der Gibeoniter ab. Diese gaben mittels ver-
Bund zu
schlissener Kleidung, altem Brot und zerris-
schlieSSen
senen Weinschläuchen eine weite Anreise vor,
Serientitel:
Darstellungen aus dem
Buch Josua
Entwurf: Pieter Coecke
van Aelst, vor 1538
Hergestellt unter
Jan Dermoyen und/
oder Gielis Imbrechts,
Brüssel, vor 1544
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XIX/5
um den Feldherrn zum Abschluss eines Bundes zu bewegen. Als Josua drei Tage später
nach Gibeon kam und den Betrug entdeckte,
musste er die Gibeoniter auf Grund seines
Schwurs verschonen.
Die Wiener Josua-Serie ist die einzig erhaltene dieses Themas. Sie gehörte wahrscheinlich
ehemals Kaiser Karl V. Der repräsentative Anspruch des textilen Mediums zeigt sich gerade in den zerschlissenen Kleidern der Gibeoniter, die unter verschwenderischer Fülle kostbarer Edelmetallfäden hergestellt wurden.
4
In Darstellungen der Todsünden standen den
Betrachtern die Folgen eines lasterhaften Lebens beredt vor Augen. Der belehrende Cha-
Die Trägheit
rakter prägt auch den vorliegenden Behang.
(Acedia)
Die personifizierte Trägheit sitzt auf einem
Serientitel: Die sieben
Todsünden
Entwurf: Pieter Coecke
van Aelst, um 1533/34
Hergestellt unter
Willem de Pannemaker,
Brüssel, um 1548/49
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XXXV/5
von zwei lustlosen Eseln gezogenen Triumphwagen. Angeführt wird der Zug von Somnus,
dem Schlaf, der auf seiner Fahne eine Schnecke trägt. Drei Opfer werden vom Wagen der
Trägheit überrollt. Die beiden monumentalen
Figuren eines älteren und eines jüngeren Mannes im rechten Bildvordergrund könnten Alexander den Großen und seinen Lehrer Aristoteles darstellen, welcher den jungen makedonischen Prinzen vor einem von Faulheit
und Hemmungslosigkeit geprägten Leben bewahrte.
Die editio princeps dieser Serie gehörte König Heinrich VIII. von England. Bei der in
Wien erhaltenen Serie handelt es sich um eine
spätere nach denselben Vorlagen gefertigte
Auflage.
5
Der von Pieter Coecke van Aelst kreierte
Holzschnittfries war wohl ursprünglich als
Vorlage zur Überführung in Tapisserien ge-
Ces moeurs et
dacht. Diese wurden allerdings niemals ange-
fachons de fair
fertigt. Seine Inspiration hat Coecke einer Rei-
de Turcz (Sitten
se nach Konstantinopel im Jahr 1533 zu ver-
und Gebräuche
danken, die er wohl im Auftrag mehrerer
der Türken)
Brüsseler Manufakturen unternahm, um Sultan Süleyman den Prächtigen zum Ankauf von
Entwurf: Pieter Coecke
van Aelst
1553 publiziert von
Mayken Verhulst
Holzschnitt
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. KK 6624,
Nr. 134
Tapisserien zu bewegen.
Liest man den Fries von links nach rechts, so
beginnt er mit der Darstellung eines Feldlagers bei Nacht. Am vorderen Bildrand im Zentrum hat Coecke sich möglicherweise selbst
porträtiert. Mit Beginn der vierten Szene widmet er sich ganz der Welt der Osmanen, um
im abschließenden Segment Sultan Süleyman
den Prächtigen zu Pferd vor der Kulisse Konstantinopels abzubilden. Nahezu die gleiche
exotische Figur hat versatzstückartig in die in
diesem Raum ausgestellte Tapisserie mit Darstellung der Trägheit Eingang gefunden (Nr. 4).
6
Die Metamorphosen Ovids übten eine große
Faszination aus und wurden in der bildenden
Kunst vom Mittelalter bis zum Barock viel-
Vertumnus naht
fach zitiert. Im 14. Buch findet sich die Erzäh-
Pomona als Win-
lung von Pomona, einer römischen Göttin der
zer
Baumfrüchte, die nichts mit Männern im Sinn
Serientitel: Vertumnus
und Pomona nach den
Metamorphosen des
Ovid
Entwurf: Pieter Coecke
van Aelst, Brüssel, um
1544
Hergestellt in Brüssel,
zwischen ca. 1548 und
1575
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XX/4
hatte. Sie wurde von Vertumnus, einem Gott
der Jahreszeiten, verehrt. Der Verwandlungskünstler erschien vor ihr in acht verschiedenen Gestalten – etwa wie hier als Winzer –,
sein Werben blieb jedoch erfolglos. Erst als er
die Gestalt einer alten Frau annahm und eine
ermahnende Geschichte erzählte, konnte er
ihr Herz erweichen und gab sich ihr schließlich zu erkennen.
Der besondere Reiz der Serie liegt in der Ansiedlung der einzelnen Episoden in Gartenlandschaften der Renaissance. Hängen alle
neun Tapisserien der Serie in einem Raum,
formieren sie sich zu einer fiktiven Landschaftskulisse im Innenraum.
7
Die Große Galerie im Schloss Fontainebleau,
70 km südlich von Paris gelegen, wurde 1528
bis 1530 vornehmlich von den italienischen
Danae
Serientitel:
Mythologische
Darstellungen, sog.
Fontainebleau-Serie
Vorlage: Francesco
Primaticcio
Karton: Claude Badouin
u. a., 1539/40
Hergestellt von Jean Le
Bries, Pierre Le Bries
u. a., Fontainebleau,
1540/47
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T CV/1
Künstlern Francesco Primaticcio und Rosso
Fiorentino entworfen. Um sich an jedem beliebigen Ort mit dieser modernen Kulisse umgeben zu können, ließ Franz I. die Architektur – zumindest teilweise – in Tapisserien überführen. Bei der Umsetzung in das textile
Medium wurden sowohl die Fresken als auch
Stuckatur und Holzverkleidung der Galerie
berücksichtigt. Ebenso wie die Galerie selbst
sollten auch die Tapisserien Franz I. als Person und als französischen König idealisieren
sowie den universellen Anspruch seiner Herrschaft legitimieren. Dass eine bereits existierende Innenarchitektur als Vorlage für Wandbehänge diente, ist einzigartig in der Tapisseriekunst des 16. Jahrhunderts.
Dieses Objekt finden Sie in der Kunstkammer
des Kunsthistorischen Museums, Saal XXIX.
8
Ein integraler Bestandteil des Herrscherzeremoniells war der Thronbaldachin. Er dominierte in der Regel den Raum, zog die Blicke
Thronbaldachin
Entwurf: Hans
Vredeman de Vries
und Michiel Coxcie
(Figuren)
Manufaktur: FNVG,
Brüssel, um 1561
1561 datiert
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XLV/1-8
auf sich und diente der unzweifelhaften Identifizierung des Potentaten. Beim Wiener Objekt handelt es sich um eines der seltenen vollständig erhaltenen, in Tapisserietechnik hergestellten Exemplare dieser Art.
Im Zentrum der von Hans Vredeman de Vries
entworfenen illusionistischen Architektur
thronen Pluto, der Gott der Unterwelt, und
seine Gemahlin Proserpina, die Tochter der
Ceres. Die beiden Inschriften beziehen sich
auf den Mythos von der Entstehung der Jahreszeiten durch Plutos Entführung der von
ihm begehrten Proserpina in die Unterwelt.
In den vier Medaillons werden demzufolge
die vier Jahreszeiten mittels ihnen zugeordneter Szenen dargestellt.
9
Die immerwährende Aktualität der Jahreszeiten und Monate prädestinierte sie geradezu
als Sujets für eine Überführung in Tapisse-
Juni – Merkur mit
rien in Form von vier- bzw. zwölfteiligen Seri-
dem Zeichen des
en. Eine besondere Ausprägung findet die Dar-
Krebses
stellung der Monate im 16. Jahrhundert in der
Serientitel:
Die zwölf Monate,
sog. Groteskenmonate
Entwurf: nach 1556
Hergestellt in Brüssel,
um 1560/70
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XI/6
Entwicklung der sog. Groteskenmonate, zu
denen auch das vorliegende Objekt gehört.
Dieses wird durch den markanten roten Hintergrund sowie die groteske Motivik geprägt.
Der Monat steht unter dem Schutz des römischen Gottes Merkur, der als Symbol für seine Schirmherrschaft über die Gelehrsamkeit
von einem Hahn begleitet wird. Von den einst
so üppigen Attributen sind dem Götterboten
der Flügelhelm und der Caduceus geblieben.
In seiner linken Hand hält er das Sternzeichen des Krebses.
Die kleinen links und rechts neben Merkur
platzierten Szenen bilden die Schafschur, als
deren Erfinder Merkur galt, sowie eine Kirschenernte ab.
Weitere Tapisserien dieser Serie können Sie
im Gemälde von Josef Jungwirth in Kabinett
14 sehen (Nr. 20).
10
Die in Wien erhaltene Tugendserie umfasst
den Glauben, die Hoffnung, die Liebe, die
Klugheit, die Gerechtigkeit, die Mäßigung so-
Fortitudo
Serientitel: Die sieben
Tugenden
Entwurf: Michiel
Coxcie, um 1545
Hergestellt unter Frans
Geubels, Brüssel, vor
1549
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XVII/7
wie die hier präsentierte Stärke.
Die personifizierte, gerüstete Fortitudo sitzt
im Zentrum der Komposition. Zu ihren Füßen liegt der sie bewachende Löwe, allgemein
ein Zeichen für Stärke. In der umgebenden
Landschaft ist links Jaël gezeigt, die gemäß
der biblischen Erzählung (Buch der Richter)
mit einem Hammer einen Zeltpflock in den
Schädel des schlafenden Sisera treibt. Rechts
findet sich Simson, eine weitere Figur aus dem
Buch der Richter, der den Tempel der Philister zum Einsturz bringt. Im Hintergrund ist
schließlich Judith zu sehen, die den assyrischen Feldherrn Holofernes enthauptet (Buch
Judith). Bei den Protagonisten der marginalen Szenen handelt es sich, so grausam ihre
Taten auch erscheinen mögen, um biblische
Helden mit Vorbildcharakter. Ihr Mut und
ihre Stärke wurden auf die Besitzer der Objekte übertragen.
11
Die Taten des aus der griechischen Mythologie bekannten Herkules waren vom 15. bis
zum 17. Jahrhundert beliebte Sujets in der flä-
Herkules
mischen Kunst. Die Besitzer solcher Tapisse-
schlägt mit der
rienserien identifizierten sich mit dem Hel-
Keule die Köpfe
denmut und der Kraft dieses Heros. Manche
der lernäischen
Potentaten stilisierten sich sogar als von Her-
Hydra ab
kules abstammend.
Serientitel: Die Taten
des Herkules
Entwurf: um 1550/60
Hergestellt unter
Michiel van Orley,
Oudenaarde, um 1550/65
Wolle, Seide
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T CI/2
Nachdem Herkules den nemëischen Löwen
erwürgt hatte, dessen Fell er sodann als Panzer und dessen Kopf er als Helm trug, galt die
zweite der ihm abverlangten Aufgaben der Bezwingung der Hydra von Lerna, eines neunköpfigen Ungeheuers. Es galt als unbesiegbar
und unsterblich, denn wenn einer der Köpfe
abgeschlagen wurde, wuchsen zwei neue nach.
Herkules ist im direkten Kampf mit der Hydra zu sehen, während sein Cousin Iolas eine
Fackel in die blutenden Wunden stößt und so
das Nachwachsen der abgetrennten Köpfe verhindert.
12
Mit dem in der Renaissance wachsenden Interesse am antiken Rom und der vermehrten
Publikation von Texten römischer Geschichts-
Der Raub der
schreiber stieg auch die Popularität der Grün-
Sabinerinnen
dungsgeschichte Roms bzw. der Zwillingsbrü-
Serientitel: Szenen aus
der Sage von Romulus
und Remus
Entwurf: um 1560
Hergestellt unter Frans
Geubels, Brüssel, ab
1560
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XXI/8
der Romulus und Remus. In Tapisserienserien wurde zumeist der Heldenmut der Brüder
gepriesen, die zu Vorbildern und Identifikationsfiguren der Fürsten avancierten.
Romulus regierte die von ihm gegründete
Stadt sehr umsichtig. Der wachsenden Zahl
männlicher Einwohner stand jedoch ein Defizit an Frauen gegenüber. Er lud die benachbarten Städte zu einem Kampfspiel ein, bei
dem sich die Römer der anwesenden jungen
Sabinerinnen bemächtigten. Die beiden Paare im Vordergrund der Tapisserie muten im
Umgang miteinander allerdings eher liebevoll
an. Der repräsentative Charakter des mit zahlreichen Edelmetallfäden ausgeführten Objektes steht eindeutig im Vordergrund.
13
Die militärischen Leistungen des 1545 zum
Gouverneur und 1548 zum Vizekönig von Portugiesisch-Indien ernannten Dom João de Cas-
Vorführung der
tro waren für Portugal von weitreichender his-
erbeuteten
torischer Bedeutung. In Anlehnung an die gro-
Rüstungen und
ßen Tapisserie-Projekte seiner Zeit – etwa die
Waffen
Glorifizierung des erfolgreichen Tunis-Kriegs-
Serientitel: Taten und
Triumph des Dom João
de Castro
Entwurf: um 1550/57
Hergestellt unter
Bartholomeeus
Adriaensz. (?), Brüssel,
nach 1557
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XXII/9
zuges Kaiser Karls V. (Nr. 14) – dürfte Castro
selbst den Plan für eine Serie mit Darstellung
seiner eigenen Erfolge entwickelt haben.
Der unbekannte entwerfende Künstler erhielt
offenbar genaue Berichte der militärischen
Unternehmungen sowie des Triumphzugs und
des feierlichen Empfangs in Goa nach der Befreiung der Festung Diu, die über Monate von
der Armee des Königs von Cambaia belagert
worden war. Er war aber selbst wohl nie vor
Ort. Vielmehr fängt er den Charakter des fernen Landes durch exotisch anmutende Motive wie Turban, Elefanten oder Kamele ein,
die nicht zuletzt durch die spektakulären Tapisserien und Holzschnitte Pieter Coeckes van
Aelst bekannt waren.
Eine weitere Tapisserie dieser Serie finden Sie
in der Kunstkammer des Kunsthistorischen
Museums, Saal XXV.
13 a
Nach den erfolgreichen Kampfhandlungen
zieht Dom João de Castro am 22. April 1547
triumphierend in Goa ein. Der kleinformati-
Der Triumph
ge Entwurf zeigt den Marsch der portugiesi-
des Dom João de
schen Krieger verschiedener Waffengattun-
Castro in Goa
gen. Sie werden von Musikern begleitet.
Flämisch, nach 1550
Federzeichnung auf
Papier, braun laviert,
auf Karton kaschiert
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. KK 9996
Gleichzeitig werden voller Stolz – wie im Kontext feierlicher Triumphzüge üblich – die Gefangenen und Trophäen (Rüstungen, Helme
und Lanzen) vorgeführt. In zwei kleinen Karren der mittleren Bildebene sitzen in vegetabilem Umfeld wahrscheinlich die Ehepaare,
die Dom João bei seinem Kriegszug unterstützten, indem sie u. a. finanzielle Mittel anboten,
die Festung bewachten und Soldaten verköstigten.
Die im selben Raum ausgestellte Tapisserie
gibt die Skizze seitenverkehrt wieder. Sie dürfte also auf einem Flachwebstuhl von der Rückseite hergestellt worden sein.
14
Die Popularität der Tapisserien mit Darstellungen des Kriegszuges Kaiser Karls V. gegen
Tunis spiegelt sich in ihrer vielfachen Repro-
Ein erfolgloser
duktion. Noch im 18. Jahrhundert wurde nach
Ausfall der
den erhaltenen zehn Kartons (zwei waren ver-
Türken aus
loren) eine Serie für Kaiser Karl VI. (reg. 1711–
La Goleta
1740) angefertigt, der sich gerne mit Karl V.
Serientitel:
Der Kriegszug Kaiser
Karls V. gegen Tunis 1535
Entwurf: Jan Cornelisz.
Vermeyen
Hergestellt unter
Jodocus de Vos, Brüssel,
zwischen 1712 und 1721
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T X/9
verglich und in vielerlei Hinsicht dessen Tradition fortführte. Im vorliegenden, zu dieser
Serie gehörenden Stück, ist das Kap von Karthago mit Blick gen Osten zu sehen. Im Hintergrund wird man der Lagune von Tunis und
der Festung La Goleta ansichtig.
Karl V. ist zu Pferd in der hinteren Bildebene
gezeigt. Der Vordergrund wird hingegen von
berittenen Osmanen beherrscht, die beherzt
in die Schlacht ziehen. Die grausame Vorgehensweise der kaiserlichen Feinde steht am
rechten vorderen Bildrand beredt vor Augen,
wo osmanische Fußsoldaten ihrem Anführer
die abgeschlagenen Köpfe zweier Gegner als
Trophäen präsentieren.
.
14 a
Erfolgreiche militärische Unternehmungen
waren beliebte Sujets für Tapisserien. Ein prominentes Beispiel ist die Serie zum Kriegszug
Zehn Tapisserie-
Kaiser Karls V. gegen Tunis 1535. Sie huldigt
Kartons: Der
den strategischen Qualitäten des Kaisers, sei-
Kriegszug Kaiser
nem Mut und seiner Stärke und feiert ihn als
Karls V. gegen
Beschützer der christlichen Welt gegen die
Tunis
Osmanen. Die Entwürfe für die insgesamt
Jan Cornelisz. Vermeyen
und Pieter Coecke van
Aelst
Brüssel, 1546/50
Kohlestift, koloriert
mit Aquarell bzw.
Gouachefarben
Wien, Kunsthistorisches
Museum,
Gemäldegalerie, Inv.Nrn. 2038–2047
zwölf Tapisserien wurden erst elf Jahre nach
dem Kriegszug vom Hofmaler Jan Cornelisz.
Vermeyen angefertigt. Da dieser den Kaiser
als zeichnender Kriegsberichterstatter nach
Tunis begleitet hatte, standen ihm am Ort des
Geschehens angefertigte Zeichnungen und
Skizzen zur Verfügung. Bei der Ausführung
der originalgroßen Vorlagen für die Wirker
wurde Vermeyen vom flämischen Maler Pieter Coecke van Aelst unterstützt. Von den ursprünglichen zwölf Kartons sind zehn erhalten. Sie bilden jeweils eine oder mehrere Phasen des Kriegszuges ab.
Die Kartons befinden sich im 2. Obergeschoss
des Kunsthistorischen Museums.
14 B
Die von Jan Cornelisz. Vermeyen entworfenen Tapisserien mit Darstellungen des Kriegszugs Kaiser Karls V. gegen Tunis waren der-
Die Landung des
art populär, dass sie nicht nur über Jahrhun-
Heeres am Kap
derte wiederholt gewirkt wurden, sondern
von Karthago
bereits im 16. Jahrhundert auch als grafische
Frans Hogenberg nach
Jan Cornelisz. Vermeyen
Um 1555/60
Kupferstich
Aus: Michael Aitsinger,
De leone Belgico, 1583 (?)
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Bibliothek,
Inv.-Nr. 13.189
Reproduktionen des Kupferstechers und Radierers Frans Hogenberg (1535–1590) in Umlauf kamen.
Das vorliegende Blatt ist der Ankunft des Heeres an der tunesischen Küste im Juni 1535 gewidmet. Die Stadt ist im Bildhintergrund zu
erkennen. Sie wird von der in der Lagune gelegenen Festung La Goleta geschützt. Das im
Vordergrund platzierte Flaggschiff ist dasjenige des kommandierenden Admirals Andrea
Doria. Er selbst sitzt in Begleitung einer Frau
in der Achterdeckkanzel, während der Bootsmann vom Bug aus mit der Maatenpfeife das
Einholen der Latinersegel befehligt.
15
Heraldische Behänge waren fixe Bestandteile einer herrschaftlichen Tapisseriensammlung. Deutlicher als bei jedem anderen Sujet
Tapisserie mit
äußert sich in diesen Stücken der politische
Wappen Kaiser
und dynastische Anspruch des Eigentümers.
Karls V.
So auch im vorliegenden, aus dem Besitz Kai-
Entwurf: um 1540
Hergestellt unter
Willem de Pannemaker,
Brüssel, um 1540
Wolle, Seide, Lahn
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. T XXXIII/3
ser Karls V. stammenden Wandbehang. Er
zeigt den kaiserlichen doppelköpfigen Adler
mit dem gevierten Wappen Karls: im gespaltenen Herzschild Flandern und Tirol. Das erste Geviert ist nochmals geviert in Kastilien
und León. Daneben gespalten in Aragón und
Sizilien. Dazwischen in eingebogener Spitze
der Granatapfel Granadas. Das dritte Geviert
ist geteilt in Österreich und Alt-Burgund, das
vierte in Neu-Burgund und Brabant.
Der florale Hintergrund symbolisiert das im
wahrsten Sinne des Wortes blühende Reich
des Kaisers. Auch bei seiner Abwesenheit
konnten Behänge dieser Art seinen territorialen Anspruch vertreten.
Eine weitere Tapisserie dieser Serie finden Sie
in der Kunstkammer des Kunsthistorischen
Museums, Saal XXX.
16
Medaillen sind in einem umfassenden Sinn
als »soziales Medium« zu verstehen: Sie signalisieren nicht nur den gesellschaftlichen Sta-
Medaille auf
tus, sondern konnten als intellektuelle Sam-
Kaiser Karl V.
mel-, Tausch- und Geschenkobjekte auch so-
Hans Reinhart d. Ä.
1537
Gold (Guss)
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Münzkabinett,
Inv.-Nr. 696bβ
ziale Bindungen und politisch-diplomatische
Netzwerke etablieren und stärken. Sie dienen
in besonderer Weise der Erinnerung an Personen und dokumentieren das gesteigerte Interesse am Individuum seit der Renaissance.
Der Porträtkunst gelang es überzeugend, den
Eindruck vermeintlicher Lebensechtheit und
damit Wirkungen, Assoziationen und Botschaften beim Betrachter zu erzielen, selbst
wenn die dargestellte Person und damit ihr
Bildnis frei erfunden war. Aus Medaillenporträts lässt sich hingegen ablesen, wie eine Person ihrer Um- und Nachwelt erscheinen wollte oder sollte. Dadurch gewährt die Medaillenkultur Einblicke in das Selbstverständnis
der Menschen.
Die Medaillenkunst stand stets im Schatten
der »größeren« Künste, weshalb sie in Kunstausstellungen immer wieder übersehen oder
vergessen wird bzw. nur als Illustration vorkommt. Das Kunsthistorische Museum bemüht sich daher seit vielen Jahren, gerade dieses Medium immer wieder in seine Ausstellungen einzubeziehen.
Unter den Medaillen ist ein 1537 entstandenes
Stück auf Kaiser Karl V. hervorzuheben. Es
zeigt auf der Vorderseite das Brustbild des
Herrschers mit Szepter und Reichsapfel, auf
der Rückseite einen feldfüllenden doppelköpfigen Adler mit einem Wappenschild auf der
Brust. Dieser entspricht, abgesehen von der
zusätzlich angebrachten Vliescollane, weitgehend jenem Adler, der die Tapisserie mit dem
Wappen Kaiser Karls V. (Nr. 15) ziert, die etwa
zeitgleich in Brüssel angefertigt wurde.
Gerade diese Medaille entspricht in besonderer Weise den Intentionen der Ausstellung:
Die Darstellung des Herrschers ist raumgreifend und repräsentativ, das Wappen auf der
Gegenseite steht stellvertretend für den Potentaten. Auch die Ausführung ist kostbar. Allerdings ist die sorglose Nacharbeit augenscheinlich. Entsprechende Stücke ermöglichten es neben ihrer repräsentativen Funktion,
große Summen ohne Verlust des Ansehens zu
verschenken, wobei die Qualität eben zweitrangig war – es war unverfänglicher, eine einzelne Medaille als 50 Dukaten und somit
»Geld« zu übergeben.
17
Giovanni Paolo Negroli schuf für Erzherzog
Ferdinand II. von Österreich, den späteren
Landesherrn von Tirol, die sogenannte »Ro-
Romanische
manische Rüstung« für Mann und Ross. Zum
Rüstung
überwiegenden Teil besteht die Rüstung aus
Art des Giovanni Paolo
Negroli
Mailand, 1545/50
Eisen, Messing,
vergoldete und
versilberte Metallteile,
Leder
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Hofjagd- und
Rüstkammer, Inv.Nr. A783
einem Kettenhemd, welches aus zwei Arten
von Ringen – mattgrauen aus Eisen und golden blitzenden aus Messing – besteht. Diese
Kettenringe sind zu Mustern zusammengefügt. Ergänzt wird das Kettenhemd mit aus
Eisen getriebenen Verstärkungsstücken mit
phantastischen Formen. Die Schulterstücke
und die offene Sturmhaube haben die Form
phantasievoller Gesichter, die Kniebuckel erscheinen als Löwenköpfe und die vergoldeten Kappen der Panzerstiefletten sind als nackte Zehen ausgebildet. Die Rüstung all’antica
gibt dem Künstler die Möglichkeit zum spielerischen Umgang mit einzelnen Elementen
der antiken Welt und vermag den Betrachter
mit phantasievollen Gebilden und realistischen Details zu überraschen.
18
Wir wissen zwar nicht, ob dieses Kupferbild
ein bestimmtes Ereignis verewigt, kennen aber
zumindest den Ort, an dem der aus Nord-
Nächtliches
deutschland gebürtige Maler Wolfgang Heim-
Bankett
bach (um 1613 – nach 1678) sein nächtliches
Wolfgang Heimbach
Wien (?), 1640
Kupfer
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Gemäldegalerie,
Inv.-Nr. 599
Bankett angesiedelt hat: die Ritterstube der
Wiener Hofburg. Das 1640 datierte Gemälde
nimmt sofort durch den geheimnisvollen Zauber des Lichtes gefangen, das den langen Tisch
und die Gesichter der um ihn versammelten
Gäste in eine gleißende Helligkeit taucht, während die Rückenfiguren gespenstische Schatten im Vordergrund werfen. Es lässt nicht zuletzt die Tapisserien, die zwischen den Fenstern angebracht sind, kräftig aufscheinen, so
dass nicht nur einige der Bildthemen, sondern
sogar zwei von Heimbachs Vorlagen selbst
identifiziert werden konnten. So gehören die
beiden linken Wandbehänge, die den Triumph
der Nächstenliebe (links außen) sowie den Triumph der Mäßigkeit darstellen, zu einer um
1560 in Brüssel gewirkten Folge der sieben Tugenden.
19
Das Gemälde zeigt ein großes Festmahl Kaiser Leopolds I. und seiner Gemahlin Margarita Teresa. Der Anlass dieser sog. »Wirt-
Hoftafel unter
schaft« ist nicht mehr bekannt. Schauplatz ist
Kaiser Leopold I
der damalige Tanzsaal, der in der Mitte des
Jan Thomas
Flämisch, 1666
Leinwand
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Gemäldegalerie,
Inv.-Nr. 7660
17. Jahrhunderts der wichtigste Ort für Feiern
und Theateraufführungen in der Wiener Hofburg war. Rechts im Hintergrund ist ein Ofen
zu sehen, in der Mitte der Durchgang zum
Vorsaal. Die zwei sichtbaren Wände und die
Fensterfront in Richtung des Rosstummelplatzes, des heutigen Josefsplatzes, sind zu diesem Anlass mit Tapisserien behängt.
Jan Thomas (1617–1678) gelang es in beeindruckender Weise, eine wimmelnde Menge mit
mehr als sechzig Porträts darzustellen, wobei
jede besondere Tracht und jedes wichtige
Schmuckstück erkennbar ist. Zudem hat der
Maler genau beschrieben, welche Speisen gerade aufgetragen sind. Das Bild ist auf Lichteffekte berechnet. Beim Schein der vielen Kerzen, die vom Plafond bis in den Bereich der
Tapisserien abgehängt sind, schimmern die
bei deren Anfertigung verwendeten Edelmetallfäden und schaffen somit ein glanzvolles
höfisches Ambiente.
20
Indem der Wiener Stadtrat Kaiser Karl I. und
Kaiserin Zita huldigt, erkennt er in Form eines Staatsaktes die Autorität des Monarchen
Huldigung des
an und gelobt Treue. Als Rahmen dieses Ze-
Wiener
remoniells dient ein mit Tapisserien ausgestat-
Stadtrates vor
teter Raum. Dabei spielen die Einzelheiten
Kaiser Karl I.
der jeweiligen Darstellung eine geringere Rol-
Josef Jungwirth
1917
Leinwand
Privatbesitz
le als die repräsentative Funktion der Tapisserien zur Betonung des staatsrechtlichen Vorganges und als Statussymbol des hohen Ranges des Kaisers.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand keine
wesentliche Produktion von Wandbehängen
für den Wiener Hof mehr statt, aber es wurden die Jahrhunderte alten Tapisserien der
Vorfahren genutzt, um dadurch dynastische
Kontinuität zu suggerieren. Das Kaiserpaar
stellt sich somit in die Tradition ihrer Vorgänger und erhält dadurch herrschaftliche Legitimation. Wie zahlreiche ältere Darstellungen
ähnlicher Rituale halten auch Gemälde wie
dieses den bedeutungsvollen Moment fest und
vermitteln die glanzvolle Inszenierung der Zeremonie, die hier anhand wertvoller und althergebrachter Tapisserien aufgewertet wurde.
21
Freydal ist eines der prachtvollsten Turnierbücher der Renaissance. Es entstand um
1512/15 für Kaiser Maximilian I. und enthält
Freydal – Ein
255 reich vergoldete Miniaturen. Diese zeigen
Turnierbuch Kai-
64 ritterliche Turniere, die jeweils aus zwei
ser Maximilians I.
Kämpfen zu Pferd sowie einem Fußkampf be-
Süddeutsch, um 1512/15
Papierklebeband,
273 Blätter, davon
255 mit aufgeklebten
Miniaturen Temperaund Aquarellmalerei
über Federzeichnung,
Gold- und Silberhöhung
Wien, Kunsthistorisches
Museum, Kunstkammer,
Inv.-Nr. KK 5073
stehen. Jedes dieser Turniere endet mit einem
Tanz- und Kostümfest, einer sog. Mummerei.
Das Turnierbuch Freydal zählt zu den großen
grafischen Projekten, die Kaiser Maximilian I.
zu propagandistischen Zwecken schaffen ließ.
Neben der Ehrenpforte und dem Triumphzug
gehören dazu auch die Bücher Weisskunig
und Theuerdank. Freydal bildet mit diesen
beiden Büchern eine Trilogie, in der die Biografie des Kaisers in literarisch-allegorisch
überhöhter Form wiedergegeben wird.
22
1508 lud Kurfürst Friedrich III. zu einem Turnier in Wittenberg. Dieses Ereignis wurde von
Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553), der seit 1505
Das Turnier mit
als Hofmaler des Fürsten tätig war, in einer
dem Simson-
Serie von Holzschnitten festgehalten. In die-
Teppich
sem Blatt ist der enge Turnierplatz wiederge-
Lucas Cranach d. Ä.
1509
Holzschnitt
Wien, Albertina, Inv.Nr. DG 1929/126
geben, in der Mitte zwei Ritter im Lanzengefecht; umgeben werden sie von zahlreichen
anderen Rittern zu Pferd und zu Fuß. Ein Teil
der Balustraden mit dem exklusiven Publikum
ist ebenfalls zu sehen. Von einem dieser Balkone hängt eine Tapisserie herunter, die Simson bei seinem Kampf mit dem Löwen zeigt.
Turniere waren oft Teil eines bedeutenden höfischen Ereignisses. Tapisserien spielten dabei als bewegliche, kostbare Dekorationselemente eine ganz besondere Rolle und dienten
der Schaustellung von Macht, Reichtum und
höfisch-ritterlicher Eleganz.
Zu den Aufgabengebieten eines Hofmalers gehörte häufig auch die Planung und Ausstattung solcher Festlichkeiten. Gut möglich, dass
Lucas Cranach das hier geschilderte Ereignis
nicht nur im Bild, sondern auch in der Realität selbst so in Szene gesetzt hat.
23 // 24
In seinem Turnierbuch beschreibt der kaiserliche Ehrenherold Francolin die Ereignisse
anlässlich des 1560 zu Ehren Kaiser Ferdi-
Das groSSe festli-
nands I. und Herzog Albrechts V. von Bayern
che Bankett in
in Wien und Umgebung ausgerichteten pom-
der Tafelstube
pösen Festes. Dieses dauerte vom 24. Mai bis
der Hofburg
zum 24. Juni an. Begleitet von Einzügen der
anlässlich des
Teilnehmer in die Stadt, Jagden, Turnieren mit
Wiener Turniers
Tanz und Mummerei (Maskerade), Schein-
1560 //
kämpfen, Festessen etc. handelte es sich bei
Der groSSe Hof-
diesem Ereignis sicher um eines der spekta-
ball im Festsaal
kulärsten im Österreich des 16. Jahrhunderts.
Die erste Illustration (Nr. 23) zeigt ein Prandi-
Hans Sebald Lautensack
Radierungen
Aus: Hans Francolin,
Warhafftiger Ritterlicher
Thate […], 1560
Wien, Theatermuseum,
Inv.-Nrn. GS GFeS4242
und GS GFeS4243
um, ein zweites Frühstück bzw. Mittagessen, in
der großen Tafelstube der Hofburg in Wien. Am
Kopf der langen Tafel sitzen der Kaiser und seine Gemahlin Anna unter einem Baldachin. Ihnen gegenüber ist ein Schaubuffet aufgebaut,
das im Kontext einer solchen repräsentativen
Begebenheit nicht fehlen durfte. Beeindruckend
ist auch der Dekor mit repräsentativen Tapisserien, die bis zum Deckenansatz reichen.
Die zweite Illustration (Nr. 24) bildet den eigens für die Begebenheit auf der Spanischen
Bastei (Burgbastei) errichteten Festsaal ab.
Auch hier sind die Wände mit Tapisserien dekoriert. Der Kaiser sitzt zentral im Bild mit
seinen Töchtern und weiblichen Gästen auf
einer Tribüne, wiederum unter einem Baldachin aus kostbarem Gewebe.
25
Am 25. Oktober 1555 empfing König Philipp II.
von Spanien aus den Händen seines Vaters,
Kaiser Karls V., in der Aula Magna des Schlos-
Die Abdankung
ses Binche in Brüssel die Souveränität über
Karls V. 1555
die Niederlande. Diese Amtshandlung des Kai-
Frans Hogenberg
Um 1556/72
Kupferstich
Amsterdam,
Rijksmuseum,
Inv.-Nr. RP-P-OB-78.784-10
sers fand, wie viele zuvor, vor einem angemessenen textilen Dekor statt. An den Wänden
sind Tapisserien aus Tournai montiert, die für
die Kapitel des Ordens vom Goldenen Vlies
angefertigt worden waren. Der Thron des Kaisers ist durch einen Baldachin ausgezeichnet,
auf dem der doppelköpfige Adler, Symbol des
Kaisertums, zu sehen ist. Er wird von der Collane des Ordens vom Goldenen Vlies umgeben. Philipp kniet vor dem Thron.
Unter den Anwesenden befinden sich nicht
nur Exponenten diverser Höfe, sondern auch
der Staatsmann und spätere Kardinal Antoine
Perrenot de Granvelle sowie die Schwester
des Kaisers, Maria von Ungarn, welche die
Statthalterschaft der Niederlande 25 Jahre lang
innehatte.
26
Von besonderem Interesse im Hinblick auf
den in Wien verwahrten Tapisserienbestand
sind die Sammelaktivitäten der Herzöge von
Die Vermählung
Lothringen. Ein Teil der Wandbehänge, die in
Maria Theresias
den Besitz des letzten lothringischen Herzogs
Wien, 1736
Radierung
Wien, Albertina, Wiener
Historische Blätter, Bd. 2,
Nr. 35
Franz Stephan (1708–1765) übergegangen waren, ist noch heute im Kunsthistorischen Museum erhalten. In diesem Kontext ist Franz
Stephans Eheschließung mit Maria Theresia,
der Thronerbin des letzten habsburgischen
Kaisers Karl VI., im Jahr 1736 maßgeblich. Wie
im Bild zu sehen, war anlässlich der Vermählung die Augustinerkirche in Wien mit Tapisserien geschmückt.
Als Franz I. Stephan 1765 starb, fiel sein Erbe
an das Haus Habsburg-Lothringen. Ein zu diesem Erbe gehörendes spektakuläres Objekt
ist der in dieser Ausstellung präsentierte
Thronbaldachin (Nr. 8). Dieser ist wahrscheinlich auf Herzog Karl III. von Lothringen
(1543–1608) zurückzuführen, der 63 Jahre die
Geschicke des Landes bestimmt hatte. Einen
Einblick in Karls umfangreichen Tapisserienbestand geben die anlässlich seines Todes angefertigten Stiche nach Vorlagen von Friedrich Brentel, von denen sich einer ebenfalls
in diesem Raum befindet (Nr. 29).
27 A–C
Séance de S. M. des Ducs et de tous
les Officiers de la Couronne
(Die Vorstellung seiner Majestät
Illustrationen
des Herzogs und der Amtsträger
zur Krönung
der Krone)
Ludwigs XIV.
Aus: Jean le Pautre,
Cérémonies du Sacre de
Louis XIV, 1654
Kupferstiche
Wien, Albertina,
Historische Blätter,
Bd. 11, Nrn. 34 bis 36
Jean Le Pautre (1618–1682) gehört zu den bedeutendsten Dekorationskünstlern und Kupferstechern seiner Zeit. Seine Illustrationen
zur Krönung Ludwigs XIV. (1638–1715) im Jahr
1654 stellen eine einzigartige Quelle zum Ablauf dieses komplexen Zeremoniells dar.
Der Kupferstich zeigt die Vorstellung des zu
krönenden Königs in der Kathedrale zu Reims.
In Anwesenheit der Herzöge und Träger der
Großämter der französischen Krone leistet
der zukünftige König den Eid. Danach werden die versammelten Adeligen gefragt, ob sie
Ludwig als König akzeptieren wollen. Nach
erfolgter Zustimmung werden die königlichen
Insignien gesegnet.
Die Illustration gibt den Blick auf einen Teil
des Langhauses der Kathedrale frei. Nicht nur
die eigens errichteten Tribünen, sondern vor
allem die Wände selbst sind vollständig mit
Tapisserien verkleidet, die – wie Nr. 27 B zeigt
– sogar bis in die Zone der Triforien reichen.
Sacre et Couronnemens du roi
(Salbung und Krönung)
Die wichtigste Zeremonie im Zuge der Krönungsfeierlichkeiten zum französischen König ist die Salbung (Sacre). Nur dieser Akt ist
für die Gültigkeit der Krönung entscheidend.
Er stellt das von Gott gegebene Recht zu regieren und die symbolische Vereinigung des
Königs mit der christlichen Kirche dar.
Der Kupferstich zeigt den Blick durch das
Langhaus der Kathedrale von Reims zum
Chor, wo der zu krönende König vor dem Altar kniet. Weltliche und geistliche Würdenträger sowie die Hofgesellschaft, für die im Langhaus eigens Logen errichtet wurden, nehmen
an den Feierlichkeiten teil.
Die Langhaus- und Chorwände sind unterhalb der Triforien mit kostbaren Tapisserien,
die in zwei Reihen übereinander aufgehängt
wurden, geschmückt. Weitere Wandteppiche
umkleiden die mächtigen Pfeiler. Auch das
Gestühl im Langhaus ist von textilem Dekor
hinterfangen. Die reiche Verwendung dieser
repräsentativen Ausstattungsobjekte verwandelt die bischöfliche Kathedrale in eine königliche Krönungskirche.
Le roi séant dans son trône pendans
la célébration de la messe, après
son sacre (Der König sitzt nach seiner Salbung während der Pontifikalmesse auf seinem Thron)
Dieses Blatt ist das letzte in der Serie der Illustrationen zur Krönung Ludwigs XIV. In feierlichem Geleit schreitet der König nach dem
Sacre (Nr. 27 B) zum Aufgang auf eine lettnerartige Tribüne, wo er unter einem Baldachin
thronend an der Pontifikalmesse teilnehmen
wird. Links und rechts davon erwarten den
Souverän bereits jene sechs geistlichen und
sechs weltlichen Hochadeligen, die dem Erzbischof während des Sacre assistierten. Im linken vorderen Eck des Kupferstiches steht die
Loge der Königinmutter, Anne d’Autriche
(1601–1666), in der sie zusammen mit ihrem
Gefolge dem Ablauf der Zeremonie beiwohnt.
Wie schon auf den beiden anderen Blättern
ist auch hier die reichhaltige Wandverkleidung durch Tapisserien gut zu erkennen. Bei
der Auswahl der dargestellten Szenen waren
neben historischen und mythologischen vor
allem die Taten der Apostel nach Raffael besonders geschätzt. Zusätzlich zeigt dieser Kupferstich eine weitere Verwendung von textilem Dekor, die Logen- und Thronverkleidung.
28
Seit dem 16. Jahrhundert nobilitierten kostbare Wandbehänge Staatsakte und andere zeremonielle Anlässe. Sie schmückten nicht nur
Le Roy allant à
Innenräume, sondern auch Straßenzüge und
l’Eglise (Der
Plätze, wie dieser Kupferstich aus einem der
König auf seinem
prunkvollsten französischen Zeremonienbü-
Weg zur Kirche)
cher eindrucksvoll veranschaulicht.
Aus: Pierre Dulin u. a.,
Le Sacre de Louis XV,
Roy de France et de
Navarre, dans l’Eglise
de Reims, 1722
Kupferstich
Wien, Albertina, Inv.Nr. Cim.I.30.
Dieses Blatt zeigt den feierlichen Krönungszug des damals 12-jährigen Ludwig XV. (1710–
1774) zur Kathedrale von Reims. Der zukünftige König und sein Gefolge schreiten auf einem Laufsteg, der mit kostbarem Stoff
ausgelegt ist. Links und rechts wird er von behelfsmäßigen Stellwänden flankiert, die innenseitig, nur für die Teilnehmer des Krönungszuges sichtbar, vollständig mit luxuriösen Tapisserien dekoriert sind. Damit ist dem
Volk, wie im Krönungsritus vorgeschrieben,
vor dem Ende der offiziellen Zeremonie der
Blick auf den König versagt. Erst nach den
Feierlichkeiten können alle Untertanen des
Königs die prachtvolle Dekoration bestaunen,
die damit nun zwei weitere wichtige Funktionen erfüllt: die königliche Repräsentation
und die politische Machtdemonstration.
29
Die lothringischen Herzöge verfügten ebenso
wie andere europäische Fürstenhäuser über
eine umfangreiche Tapisseriensammlung. Ei-
Der Leichnam
nen Einblick in den qualitätsvollen Bestand
Karls III. von
und seine Verwendung gewährt eine 1609 pu-
Lothringen
blizierte Stichfolge mit Texten des Zeremoni-
Aus: Friedrich Brentel,
Les Pompes Funèbres
de Charles III (1608)
Publiziert von Jean
Savine, Nancy, 1609
Kolorierter Kupferstich
Wien, Österreichische
Nationalbibliothek,
Inv.-Nr. 839501-I
enmeisters Claude de La Ruelle. Sie dokumentiert die Trauerfeierlichkeiten anlässlich des
Todes von Herzog Karl III.
Im herzoglichen Palast in Nancy wurde eine
Bühne aufgebaut, auf der unter einem Baldachin der Leichnam des Herzogs aufgebahrt
war. An den Wänden waren zwei Tapisserienserien mit biblischen Themen montiert: Szenen aus dem Leben Moses sowie Szenen aus
dem Leben des Apostels Paulus. Auf dem Stich
kann die Moses-Thematik eindeutig identifiziert werden. Wahrscheinlich handelt es sich
um die noch heute in Wien erhaltenen Tapisserien desselben Inhalts aus dem Nachlass
Kaiser Franz I. Stephans.
30
Der Kupferstich bildet die Fronleichnamsprozession am 12. Juni 1648 in Paris ab. Gezeigt
ist eine im Hof des Palais Royal aufgebaute
Le reposoir du
Festarchitektur, zu deren Seiten Tapisserien
Saint Sacrement
unter freiem Himmel hängen. Es handelt sich
(Das Fronleich-
um eine spätere Auflage der berühmten Apos-
namsfest in Paris
teltapisserien. Die Entwürfe dazu waren 1515
am 12. Juni 1648)
von Papst Leo X. bei Raffael in Auftrag gege-
Stefano della Bella
Um 1648
Kupferstich
Privatbesitz
ben worden. Die Entscheidung, die erste als
Dekor für die Sixtinische Kapelle gedachte
Auflage in einer Brüsseler Manufaktur anfertigen zu lassen, war von weitreichender Bedeutung für die flämische Tapisserieproduktion. Der erstmalige intensive Kontakt mit den
Errungenschaften der italienischen Renaissance führte nämlich zu einer Stilrevolution
auf dem textilen Sektor.
Bei den im Kupferstich della Bellas zu sehenden Tapisserien handelt es sich um eine spätere Auflage der berühmten vatikanischen Serie. Sie gehörte zum Besitz der französischen
Krone und implizierte die Anwesenheit des
Potentaten. Obwohl es sich um einen kirchlichen Festtag handelt, wird durch ihre Präsentation demnach eindeutig ein weltlicher
Bezug hergestellt.
31
Eine leicht verblichene historische Tapisserie,
wohl aus dem späten 18. Jahrhundert, zeigt
eine verführerisch schöne Landschaft mit Bäu-
gone
Nives Widauer (*1965 in
Basel, lebt und arbeitet
in Wien)
2011
Videoprojektion auf
einer Tapisserie
Leihgabe der Künstlerin
men, Reihern, einem Ibis. Darauf projiziert
Nives Widauer in einer Endlosschleife die Videosequenz einer mit einem Mantel bekleideten Frau, die ruhig in die Tiefe der Landschaft
schreitet, in der sie schließlich ganz verschwindet, gefolgt von einem eigentümlichen Schatten. Bevor sich diese Szene wiederholt, gibt
sich kurz die braun-beige-grüne Farbigkeit der
Tapisserie zu erkennen – der eben noch stimmungsbildende Blauton ist also ein wichtiges
Element des Videos, das sich wieder und wieder über das unbewegte Relikt legt.
Mit dieser sensiblen filmischen Überlagerung
lädt die Künstlerin suggestiv zur Identifikation mit der Rückenfigur ein und schafft ein
subtiles Spannungsfeld zwischen Zeiten und
Realitäten, dem historischen Material und
dem ganz heutigen, immateriellen Video, zwischen Gegenwärtigkeit und Verschwinden.
Die digitale Pixelstruktur des Videos überblendet das analoge Fadenraster der Tapisserie
und die daraus resultierende Unschärfe erzeugt eine Offenheit der Deutung, die lange
in uns nachwirkt.
32
Wie eine Piratin plündert Margret Eicher mehr
oder weniger aktuelle Medienbilder unterschiedlichster Herkunft, collagiert und mon-
GroSSe See-
tiert sie am Bildschirm und lässt die hybriden
schlacht
Resultate sodann in Flandern, dem Ursprungs-
Margret Eicher (*1955
in Viersen, lebt und
arbeitet in Ladenburg)
2003
Digitale Montage/
Jacquardgewebe
(Auflage 3)
Karlsruhe, ZKM |
Zentrum für Kunst und
Medientechnologie
land der historischen Tapisseriekunst, auf einem digital gesteuerten mechanischen Webstuhl in das textile Medium übertragen. Mit
dem Thema der Seeschlacht begibt sie sich
auf ein klassisches Terrain machtpolitischer
Repräsentation und unterstreicht dies noch
durch das Zitat einer offensichtlich historischen Tapisserie-Bordüre, die das Kampfgeschehen umrahmt. Dieses aber stammt aus einer ganz anderen Epoche: Pearl Harbour 1941!
Die Künstlerin zitiert jedoch nicht ein Foto
des realen Geschehens, sondern sie verarbeitet einen Film-Still aus der wegen mangelnder Authentizität viel kritisierten Verfilmung
von Michael Bay (Hauptdarsteller: Ben Affleck) aus dem Jahr 2001. Die Kombination mit
Fantasy-Flugsauriern und dem ein Krokodil
bändigenden Tarzan nach einem Bild des einflussreichen Fantasy- und Science-FictionIllustrators Frank Frazetta (1928–2010) offenbart die kritische Ironie, mit der Eicher gleichermaßen zeitgenössische und historische
Bildmedien befragt.
33
Die außerordentlich unbehagliche Wirkung
dieses Werkes verdankt sich nicht nur dem
zentralen Motiv, einem sein Maschinengewehr
Das groSSe Rasen-
abfeuernden Soldaten, sondern ebenso der ir-
stück
ritierenden Kombination von Bildgegenstän-
Margret Eicher (*1955
in Viersen, lebt und
arbeitet in Ladenburg)
2013
Digitale Montage/
Jacquardgewebe
(Auflage 3)
Karlsruhe, ZKM |
Zentrum für Kunst und
Medientechnologie
den und Bildebenen. Während die Hintergrundlandschaft wohl auf einer historischen
Tapisserie beruht, sind einige der Pflanzen im
Vordergrund Zitate aus einem der berühmtesten Aquarelle Albrecht Dürers: Das große Rasenstück (1503)!
Die umgebende Bordüre überlagert unten die
Menüleiste eines Ego-Shooter-Computerspiels,
wodurch der Realitätsgrad des Kriegers unterminiert wird. Sein Gewehr trägt die Aufschrift »SIMULATION«, während in der Menüleiste eine Textzeile die Ununterscheidbarkeit von Zeichen und Realität behauptet.
Eicher bezieht sich hier direkt auf die gesellschaftskritische Simulationstheorie Jean
Baudrillards. Und dies im Medium der
Machtrepräsentanz schlechthin, der Tapisserie bzw. der Simulation einer solchen! Diese
aggressive Kombination von high and low,
von Affirmation und Subversion lässt geradezu halluzinatorisch alle Maßstäbe verschwimmen; hierauf verweisen ebenso unübersehbar
wie humorvoll die gewaltigen Fliegenpilze.
VORTRAGSREIHE*
Do, 16.7.
Tapestries from the era of Charles V and The
17.30 Uhr
Notre-Dame du Sablon in Brussels
Dr. Ingrid De Meûter
Königliche Museen für Kunst und Geschichte
– Jubelparkmuseum, Brüssel
Vortrag in englischer Sprache
Do, 30.7.
Tapisserien – fragile Kunstwerke! Zur Herstel-
17.30 Uhr
lung, Konservierung und Pflege
André Brutillot
Tapisseriekonservator, ehemals Bayerisches
Nationalmuseum, München
Do, 3.9.
Warum Tapisserie? Die Macht eines repräsentati-
17.30 Uhr
ven und politischen Mediums im 16. Jahrhundert
Dr. Katja Schmitz-von Ledebur
Kunsthistorisches Museum Wien
Di, 8.9.
Aus der Reihe »Alte Meister im Gespräch« (in
19 Uhr
Kooperation mit dem Dorotheum)
Flanders and Italy. Italian artists as designers of
flemish tapestries in the 16th century (1510–1550)
Prof. Dr. Guy Delmarcel
Emeritus Professor für Kunstgeschichte der
Katholischen Universität Leuven
Vortrag in englischer Sprache
Bitte um Anmeldung unter [email protected]
MITTAGS-
Beginn 12.30 Uhr
FÜHRUNGEN*
Dauer ca. 30 Min.
Treffpunkt: Vestibül
di, 7.7.
Der Triumph der Liebe
Dr. Rotraut Krall
di, 14.7.
Triumphzug des João de Castro
Dr. Rotraut Krall
di, 21.7.
Herkules und die lernäische Hydra
Mag. Andreas Zimmermann
di, 28.7.
Jaël tötet Sisera
Mag. Andreas Zimmermann
di, 4.8.
Die Schlacht in den Ruinen von Karthago
Mag. Barbara Herbst
di, 11.8.
Baldachin
Mag. Daniel Uchtmann
di, 18.8.
Danae
Mag. Barbara Herbst
di, 25.8.
Raub der Sabinerinnen
Mag. Daniel Uchtmann
* Teilnahme frei mit gültigem Museumsticket,
Anmeldung nicht erforderlich (Ausnahme 8.9.)
kuratorinnen-
Mi, 22.7., 16 Uhr
führung*
Mit Dr. Katja Schmitz-von Ledebur
Treffpunkt: Vestibül
überblicks-
Do, 19 Uhr
führungen
Sa/So 11 und 15 Uhr
Dauer: ca. 60 Min., Teilnahme € 3
Treffpunkt: Vestibül
SPEZIAL-
Mi, 9.9. und 16.9.
FÜHRUNGEN*
jeweils 16 Uhr
Dauer: ca. 60 Min.
Mit Mag. Andreas Zimmermann
Treffpunkt: Vestibül
KINDER-
Sa, 5.9. und 19.9.
FÜHRUNGEN**
Wolle an der Wand – Teppiche als Bilder
5- bis 8-Jährige: 15 Uhr
9- bis 12-Jährige: 16 Uhr
* Teilnahme frei mit gültigem Museumsticket,
Anmeldung nicht erforderlich
** Eintritt für Kinder gratis, ermäßigter Eintritt
für begleitende Erwachsene, Führung gratis,
Anmeldung nicht erforderlich
PRIVATE
Wünschen Sie eine private
FÜHRUNGEN
Führung in der Sonderausstellung
oder in unseren Sammlungen?
T +43 1 525 24 - 5202
Mo–Fr, 9–16 Uhr
[email protected]
öffnungszeiten
14. Juli bis 20. September 2015
Di–So, 10 bis 18 Uhr; Do bis 21 Uhr
Juli und August täglich geöffnet!
katalog
Katja Schmitz-von Ledebur, Fäden der Macht.
Tapisserien des 16. Jahrhunderts aus dem
Kunsthistorischen Museum
ISBN 978-3-99020-098-8
T +43 1 525 24 - 6904
www.khm.at/unterstuetzen/freunde-des-khm
Dieses Booklet erscheint mit freundlicher Unterstützung des Vereins der Freunde des KHM
Grüsse aus dem
Wir verschicken die Karte innerhalb der EU
Kunsthistori-
für Sie. Einwurf in der Ausstellung oder im
schen Museum
Shop!
Außen: Herkules schlägt mit der Keule die
Köpfe der lernäischen Hydra ab // Tapisserie
aus der Serie »Die Taten des Herkules«
(Ausschnitt) // Hergestellt um 1550/65
Herausgeber
Dr. Sabine Haag, Generaldirektorin
Kunsthistorisches Museum Wien
Burgring 5, 1010 Wien
© KHM-Museumsverband
konzept
Katja Schmitz-von Ledebur
autoren
Barbara Herbst (Nr. 22)
Rotraud Krall (Nrn. 27, 28)
Stefan Krause (Nr. 21)
Guido Messling (Nr. 18)
Matthias Pfaffenbichler (Nr. 17)
Katja Schmitz-von Ledebur (Einführung,
Nrn. 1, 1 A, 2–13, 13 A, 14, 14 A, 14 B, 15, 23–26,
29, 30)
Daniel Uchtmann (Nrn. 19, 20)
Heinz Winter (Nr. 16)
Andreas Zimmermann (Nrn. 31–33)
lektorat
Annette Schäfer
grafik
Nina Fuchs
Partner