Die Relation Resilienz, Geschlecht und Gesundheit Dr. Antje Richter

Die Relation Resilienz, Geschlecht und Gesundheit
Dr. Antje Richter-Kornweitz, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie
für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.
Resilienz
Resilienz boomt. In der Forschung, abzulesen an Tausenden von Artikeln
wissenschaftlicher Literatur. Sie boomt aber auch in populär-wissenschaftlichen
Veröffentlichungen.
Dabei ist das Konstrukt „Resilienz“ alles andere als „einfach zu verstehen“ oder
anzuwenden. Überdies gehen die Meinungen darüber auseinander, wie Resilienz zu
definieren ist.
Ist es ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal? Eine gegebene Größe, die einige besitzen,
andere jedoch nicht?
oder ...
... eher das Ergebnis der Bewältigung von Belastungen, wenn günstige Bedingungen
zusammen treffen?
Nach Bengel & Lyssenko (2012, 24) versteht man darunter „disziplinübergreifend die
Toleranz eines Systems gegenüber Störungen bzw. die Widerstandskraft von
Systemen“.
Auch das klingt eher kompliziert.
In diesem Beitrag wird unter Resilienz die „Widerstandskraft von Individuen angesichts
belastender Lebensereignisse“ verstanden (Bengel & Lyssenko 2012, 24) und Resilienz wird als Ergebnis eines positiv verlaufenden Bewältigungsprozesses
gesehen, bei dem verschiedenste Faktoren günstig zusammenwirken.
Die Geschichte der Resilienz ist mittlerweile bekannt. Die Insel Kauai als
Entdeckungsort des Phänomens, die Euphorie der Forscherinnen Werner & Smith, die
dort eher zufällig darauf stießen und im Anschluss bei Kindern und späteren
Erwachsenen gezielt nach gesund erhaltenden Faktoren angesichts diverser
schwerwiegender Risikofaktoren suchten. Vorangebracht haben das Thema aber
auch die Faszination und lebenslange Forschungsaktivitäten von Sir Michael Rutter,
Glen Elder und anderen.
Die Begeisterung drückte sich in Begriffen aus, wie „Super-Kids“, „Unbesiegbare“,
„Invulnerable“, „Überlebenskünstler“, „Kinder, die schwimmen, obwohl alles dafür
spricht, dass sie untergehen“, etc. Aus dem Blickwinkel der zuvor vor allem
pathogenetisch orientierten Wissenschaft wurde die Bewältigungskompetenz von
Menschen zuvor tatsächlich unterschätzt. Dies sollte nun mit einem auf das Positive
ausgerichteten Perspektivwechsel nachgeholt werden.
Die reine Begeisterung ist größerer Nüchternheit gewichen, auch weil man entdeckte,
dass es komplizierter war, als ursprünglich gedacht. Denn das Phänomen Resilienz
lässt sich nicht in einem einfachen Wenn-Dann-Modell erklären, seine Erforschung ist
methodisch sehr aufwendig. Es ergaben sich Probleme bei der Definition,
unübersichtliche Überschneidungen zu anderen psychologischen Konstrukten, ein
Mangel an Vergleichbarkeit der Studien untereinander, etc.
1
Betrachtet man die Forschungshistorie, werden die Entwicklungsschritte deutlich. Zu
Beginn hat man speziell nach Faktoren gesucht, die zu einer günstigen Entwicklung
beitragen. Es waren vor allem Kinder im Fokus der Forschung. Danach versuchte man
zu entschlüsseln, wie diese Faktoren sich wechselseitig beeinflussen und
zusammenspielen. Aufbauend auf diesem Wissen wurden im nächsten Schritt
Maßnahmen zur Förderung von Resilienz und wirksame Präventionsstrategien
entwickelt und gegenwärtig sollen diese Erkenntnisse um die der neurologischen,
molekularbiologischen und -genetischen Forschung erweitert werden. Außerdem
gerieten Erwachsene immer mehr in den Fokus der Resilienzforschung (vgl. Bengel &
Lyssenko 2012).
Die Theorie wird komplexer und verliert doch nicht an Reiz. Denn folgende Fragen, die
auf die Kennzeichen von Resilienz zielen, sind unverändert aktuell:

Warum machen manche eine positive, gesunde Entwicklung trotz hohem
Risiko-Status?

Warum haben manche
Stressbedingungen?

Warum zeigen manche eine positive bzw. schnelle Erholung von traumatischen
Erlebnissen?
eine beständige
Kompetenz unter extremen
Ann S. Masten (2001, 216) nannte Resilienz einmal das Wunder des Alltags (ordinary
magic): „Die größte Überraschung der Befunde auf diesem Gebiet ist das Gewöhnliche
an der Resilienz. (...) Was immer wieder erstaunt und möglicherweise auch zum Irrtum
verleitet, resiliente Menschen verfügten über ganz besondere, möglicherweise
magische Kräfte, ist einfach die Fähigkeit auch unter außergewöhnlichen Umständen
zu „funktionieren.“
Indem Resilienz derart vom Sockel herab ins Alltagsgeschehen geholt wird, eröffnen
sich neue Blickwinkel und Verständnismöglichkeiten dieses Phänomens. Die
Entzauberung hilft, es begreifbarer zu machen und Bestand und Lücken des
Verstehens zu kartographieren.
Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Forschung gehört, Resilienz nicht als etwas
„Gegebenes“, als feste Qualität, starres Merkmal, stabile und überdauernde
Persönlichkeitseigenschaft zu verstehen, sondern - als etwas - „Erworbenes“.
Das heißt, Resilienz ist nicht einfach da! Es gibt nicht dieses „einmal resilient, immer
resilient“. Resilienz ist das Ergebnis einer Entwicklung in Interaktion mit der Umwelt.
Dabei wirken verschiedenste (Schutz-)Faktoren in einem Prozess der Bewältigung
zusammen – in einem Prozess, der anhaltend Förderung benötigt, der aber auch durch
positive Vor-Erfahrungen beflügelt und gestärkt werden kann. Neben der Forderung
auf Resilienz mit einer Prozessperspektive zu schauen, ist Folgendes maßgeblich:
1. Resilienz ist eine variable Größe, kann Schwankungen unterliegen und ist
phasen- und bereichsspezifisch angelegt; sie beruht z.B. auf
bereichsspezifischen Ressourcen, die durch Interaktion mit der Umwelt
erworben wurden.
a. Wer sich gegenüber einem bestimmten Stressor (z.B. Verkehrsunfall)
resilient zeigt, kann in anderen Situationen durchaus größere
Bewältigungsprobleme aufzeigen (z.B. beim Tod des Lebenspartners).
b. Anpassungs- und Bewältigungsleistungen können individuell - in
verschiedenen Lebensbereichen - unterschiedlich ausgeprägt sein; ein
2
Mädchen/Junge/Frau/Mann kann z.B. sogenannte academic resilience
trotz erheblicher Belastungen im Entwicklungsverlauf zeigen, aber
Schwierigkeiten haben, soziale Beziehungen aufzubauen.
c. Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens als resilient
gelten, können zu anderen Zeitpunkten wesentlich vulnerabler
erscheinen.
Als
Beispiel
kann
der
Entwicklungsverlauf
Heranwachsender
genannt
werden.
Auch
wenn
frühere
Entwicklungsübergänge wie der Eintritt in Krippe, der Übergang
Kindergarten/Schule trotz bestehender Belastungen gut gemeistert
wurden, können in späteren Entwicklungsphasen, in der Pubertät oder
beim Übergang Schule/Beruf, größere Schwierigkeiten auftauchen (vgl.
auch Bengel & Lyssenko, 2012).
Entscheidend wirkt sich hierbei oft das Zusammenspiel von Risiko- und Schutzfaktoren
aus. Dieses sowie generell das Konstrukt der Schutzfaktoren sind zentral für das
Verständnis der Resilienz. Zu den Schutzfaktoren gehört beispielsweise die
Selbstwirksamkeitserwartung, also die subjektive Erwartung, Anforderungssituationen
aus eigener Kraft bewältigen zu können. Als Schutzfaktor gilt ebenso soziale
Unterstützung. Zu den Zielen der Resilienzforschung gehört es, Schutzfaktoren zu
identifizieren, Modelle ihres Zusammenwirkens zu erstellen und Interventions- und
Präventionsansätze zu entwickeln.
Was protektiv wirkt, hängt von individuellen und von Kontextfaktoren und deren
Wechselwirkungen ab. Risikomildernde bzw. schützende Bedingungen haben im
Bewältigungsprozess eine Schlüsselfunktion. Das heißt: Das Vorhandensein von
Schutzfaktoren moderiert insbesondere bei einer Kumulation von Risikofaktoren die
Wahrscheinlichkeit bzw. den Grad einer Störung. Dabei können sich die Effekte
risikoerhöhender bzw. -mildernder Faktoren addieren und den Grad der Belastung
bestimmen (vgl. auch Wustmann 2005).
Schützende Bedingungen zu erhöhen sowie Risikoeinflüsse zu mindern, ist ein
entscheidendes Ziel der Resilienzförderung. Entsprechende Konzepte sollten
multidimensional entwickelt werden. Denn Resilienz entsteht als hochkomplexes
Zusammenspiel von individuellen Merkmalen und Merkmalen der Lebensumwelt.
Schutzfaktoren wirken auf verschiedenen Ebenen (auf der individuellen, der familiären,
der außerfamiliären und auf der gesellschaftlichen Makroebene), auf die bei
Interventionen Bezug genommen werden sollte. Dies spricht gegen allzu simple
Konzepte von Prävention und Intervention in gefährdeten Zielgruppen und gegen rein
risiko- oder verhaltensorientierte Maßnahmen. Und vor allem - gegen individuelle
Schuldzuschreibung für Misserfolge bei der Bewältigung von Belastungen. Es spricht
vielmehr dafür, nicht nur individuell, sondern auch im engeren und weiteren
Lebensumfeld anzusetzen, Interventionen nicht nur risikoorientiert, sondern ebenso
ressourcen- und prozessorientiert zu planen (vgl. Masten 2001).
Hier
treten
die
Gemeinsamkeiten
zwischen
Resilienzforschung
und
Gesundheitswissenschaften überdeutlich hervor. Auch die Gesundheitsförderung
setzt am engeren und weiteren Lebensumfeld. Sie orientiert sich dabei am
sozialökologisch beeinflussten Modell der sozialen Determinanten von Gesundheit.
Gesundheit
3
Entstehungshintergrund und Gemeinsamkeiten
Der Perspektivwechsel von der Defizit- zur Ressourcenperspektive und die
Konzentration auf Ressourcen kennzeichnen auch die Entwicklungen im Bereich der
Gesundheitswissenschaften und stehen für einen neuen Zeitgeist. Dem entsprach
auch der Ansatz der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Gesundheit als
umfassendes (d.h. körperliches, geistiges und soziales) Wohlbefinden zu verstehen
(vgl. Franke 2008). Gesundheit wird nun nicht mehr als einmal erreichter und dann
unveränderlicher Zustand, sondern als eine lebensgeschichtlich und alltäglich immer
wieder neu und aktiv herzustellende Balance verstanden.
Das bis dahin vorherrschenden „Risikodenken“ wird perspektivisch erweitert, um
psychosoziale Determinanten sowie umfeld- und verhältnisbezogene Faktoren
einzubauen.
Prävention
wird
im
Rahmen
eines
mehrdimensionalen
sozialökologischen Gesundheitsmodells gesehen, - womit die WHO einen
bedeutenden Impuls zur Stärkung der Bedeutung von Schutzfaktoren gab.
Antonovsky
Aaron Antonovski gebühren hier viele Verdienste. Er richtete den Blick auf den Einfluss
von Umweltfaktoren und forderte verstärkte interdisziplinäre Forschung. Hervorragend
ist auch die Besonderheit seiner Fragstellung, die Blickrichtung auf Gesundheit, die es
erst erlaubte, wesentliche Antworten zu finden und den entscheidenden
Richtungswechsel der Forschung begünstigte. Dazu kommt seine Position, die
Widerstandsfähigkeit angesichts von Belastungen hänge stark von gesellschaftlichen
Gegebenheiten ab.
Kontextabhängigkeit von Gesundheit
Gesundheit wird seitdem in ihrer Kontextabhängigkeit gesehen. Sie ist abhängig von
den Rahmenbedingungen des Lebens und den sich wechselseitig beeinflussenden
körperlichen, seelisch-geistigen und sozialen Faktoren, für die das Modell der sozialen
Determinanten von Gesundheit steht.
Unterstützende und damit schützende Faktoren
Faktoren, die Gesundheit stärken, Auswirkungen von Belastungen reduzieren
und/oder eine positive Anpassung an die Umgebung fördern können, haben einen
hohen Stellenwert (in der Gesundheitswissenschaft wie auch in der
Resilienzforschung) und werden als personale und soziale Ressourcen aufgelistet. Sie
können auf verschiedenen Ebenen lokalisiert werden, d.h. auf der personalen, in der
Familienkonstellation, -situation und -atmosphäre, im außerfamiliären Umfeld (in
Settings wie Nachbarschaft, Quartier, Kindergarten, Schule), dem gesellschaftlichen
Kontext.
Prozessperspektive
Gemeinsamkeiten bestehen zudem in der Prozessperspektive. Auch Gesundheit ist
„in Entwicklung“,- nicht als ein einmal erreichter und dann unveränderlicher „Zustand“, sondern prozesshaft und lebensgeschichtlich zu sehen. Dazu gehört die alltäglich
immer wieder neu und aktiv herzustellende Balance zwischen Risiken und
Ressourcen, die eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen)
wie auch der äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen beinhaltet.
Subjektiv wahrgenommener Gesundheitsstatus
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Dabei gilt der subjektiv wahrgenommene Gesundheitsstatus als wesentliches
Kriterium gesundheitsbezogener Lebensqualität1; d.h. die eigene Einschätzung des
Wohlbefindens nimmt einen hohen Stellenwert in gesundheitsbezogenen
Untersuchungen ein.
Der Faktor Geschlecht
In diesen Kontext ist der Faktor Geschlecht einzuordnen. Die epidemiologischen
Befunde der Kinder- und Jugendgesundheitsforschung beispielsweise zeigen, dass
sich bereits im Kindes- und Jugendalter deutliche Geschlechtsunterschiede in der
gesundheitlichen Lage und im gesundheitsrelevanten Verhalten identifizieren lassen
und geschlechtsspezifische Muster entstehen (vgl. Kolip 2009).
In der Resilienzforschung wurde man ebenfalls auf die Bedeutung des Geschlechts hier im Prozess der Belastungsbewältigung - aufmerksam. Insbesondere das
weibliche Geschlecht wurde hier des Öfteren als Schutzfaktor hervorgehoben.
Beispiel:
Mädchen schienen unter den resilienten Kindern der Kauai-Studie eindeutig stärker zu
sein als Jungen. Sie zeigten seltener Verhaltensauffälligkeiten und hatten ein
positiveres Bild von sich als Jungen. Außerdem war der Anteil der Frauen, die widrige
Lebensumstände in der Kindheit und im Erwachsenenalter bewältigen konnten, größer
als der Anteil der Männer. Diese Ergebnisse trugen dazu bei, dass „weibliches
Geschlecht“ immer wieder als Schutzfaktor genannt wurde. Dies sollte aber nicht dazu
verleiten, vorschnell eine höhere Resilienz bei Mädchen bzw. Frauen zu vermuten (vgl.
Werner 1999).
Es lohnt sich jedoch sorgfältig hinzuschauen und die zugehörigen Variablen genauer
zu
betrachten,
vergleichbar
dem
Vorgehen
in
der
Kinderund
Jugendgesundheitsforschung.
Betrachtet man Ergebnisse der Resilienzforschung, in denen unter den Variablen im
Forschungsansatz stärker differenziert wird, wird deutlich, dass es bei der Entwicklung
von Resilienz / Vulnerabilität wesentlich auf das Zusammenspiel des Faktors
Geschlecht
mit
weiteren
Faktoren
ankommt
(wie
„Geschlecht/Sozialstatus/Lebensalter“ oder „Geschlecht/Erziehungsorientierungen in
der Familie“).
Beispiel:
Erziehungsorientierungen in der Familie, die kindliche Resilienz stärken können,
divergieren nach Werner (1999) folgendermaßen in ihren Auswirkungen auf Mädchen
und Jungen:
Jungen, die eine resiliente Entwicklung aufweisen, kommen oft aus Haushalten mit
klaren Strukturen und Regeln, in denen ein männliches Familienmitglied (Vater,
Großvater, älterer Bruder) als Identifikationsmodell dient und in denen Gefühle nicht
unterdrückt werden.
1
Gesundheitsbezogene Lebensqualität (Health-Related Quality of Life, HRQoL) ist ein multidimensionales „Konstrukt“ aus
physischen, psychischen und sozialen Dimensionen und schließt deutlich mehr ein als lediglich Aussagen zum individuellen
Gesundheitszustand. Wesentliche Orientierung ist hierbei die subjektive Wahrnehmung durch den Probanden (vgl. RobertKoch-Institut:
http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/G/Gesbez_Lebensq
ualitaet/Inhalt/Lebensqualitaet.html )
5
Mädchen, die eine resiliente Entwicklung aufweisen, kommen oft aus Haushalten, in
denen sich die Betonung von Unabhängigkeit mit der zuverlässigen Unterstützung
einer weiblichen Fürsorgeperson verbindet, z.B. der Mutter, Großmutter, älteren
Schwester.
Die Gesundheitswissenschaften sind voller Belege für Abhängigkeiten von
Geschlecht/Lebensalter/Vulnerabilität und könnten somit möglicherweise zur
Aufklärung
phasenspezifisch
auftretender
Resilienz
beitragen.
Ähnliche
Zusammenhänge berichtet die Resilienzforschung auch über das Zusammenwirken
von Geschlecht/Sozialstatus/Lebensalter/Vulnerabilität sowie - generell vernachlässigt
– den Einfluss des gesellschaftlichen gesellschaftliche Kontextes auf die Entwicklung
von Resilienz.
Wechselwirkungen zwischen Geschlecht, Sozialstatus und weiteren Variablen
über den Lebenslauf
Ingrid Schoon (2008) hat resilienzfördernde Faktoren über den Lebensverlauf hinweg
untersucht und dazu die Wechselwirkungen von gesellschaftlich-historischem Kontext,
sozialem Status der Eltern, Schulleistungen, sozialem Status im Erwachsenenalter
sowie psychischem Wohlbefinden im Erwachsenenalter geschlechtsdifferenziert in
den Fokus genommen. Dazu hat sie die Daten der britischen Geburtsjahrgänge von
1958 und 1970 vergleichend analysiert. Sie kam zu folgenden zentralen Ergebnissen.
Resilienz gemessen an höheren schulischen Leistungen im Kindesalter bei gleichzeitig
niedrigem Sozialstatus geht einher mit...:

mehr überdurchschnittlichen schulischen und beruflichen Abschlüssen,

weniger Verhaltensproblemen,

mehr Vollzeitbeschäftigung im Erwachsenenalter
... in Relation zu Gleichaltrigen ohne diesen schulischen Erfolg im Kindesalter bei
ebenso niedrigem Sozialstatus. Als besonders einflussreich erweisen sich dabei
Wechselwirkungen von Geschlecht, Sozialstatus und gesellschaftlich-historischem
Kontext.
Nach Schoon (2008) bestehen innerhalb der Gruppe der untersuchten Frauen
erhebliche Unterschiede je nach Sozialstatus, die trotz bereichsspezifischer Resilienz
nicht ausgeglichen werden können:

Frauen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus berichten trotz resilienter
Entwicklung im schulischen Bereich von höheren Stressbelastungen als
privilegiertere Frauen ohne diesen frühen schulischen Erfolg.

Dasselbe gilt für Männer mit frühem Schulerfolg aus Familien mit niedrigem
Sozialstatus im Vergleich zu statushöheren Männern ohne diesen schulischen
Erfolg.
Durch Schoons Kohortenvergleich (der Jahre 1958 bzw. 1970) wird darüber hinaus
deutlich, wie sehr die Entwicklung vom gesellschaftlich-historischen Hintergrund sowie
vom sozio-ökonomischem Status der Herkunftsfamilien abhängt.

Die Stressbelastung hat sich bei den Jüngeren (d.h. den 1970 geborenen)
gegenüber den Älteren (d.h. den 1958 geborenen) im Alter von etwa dreißig
Jahren bei beiden Geschlechtern nahezu verdoppelt.
6

Eine
leichte
Verschlechterung
wird
außerdem
bezüglich
der
Lebenszufriedenheit, der Kontrollüberzeugung und bei Depressionen berichtet
(vgl. Schoon, 2008, S. 53ff).
Ähnliche, d.h. geschlechtsspezifisch differierende, Ergebnisse ergeben sich auch bzgl.
der „Kontrollüberzeugung“:

Frauen berichten generell mehr Kontrollüberzeugung als Männer, vor allem bei
früher „akademischer Resilienz“. Letztendlich entscheidend wirkt hier jedoch
abermals der Sozialstatus: Frauen wie Männer aus statushöheren
Elternhäusern bestätigen generell einen höheren Grad an Kontrollüberzeugung
als jene aus statusniedrigen, auch wenn die ehemals Statushöheren früher in
der Schule weniger erfolgreich waren.
Zu den zentralen Ergebnissen ihrer Studie gehört folgende Erkenntnis: Auch allgemein
anerkannte Resilienzfaktoren wie „früher schulischer Erfolg“ können die frühen
Erfahrungen sozialer Ungleichheit nur geringfügig abmildern. Sie bewirken im
Lebensverlauf bei Frauen wie Männern niedrigere Kontrollüberzeugungen, einen
höheren Grad an Depressionen und weniger Lebenszufriedenheit im Vergleich zu
Statushöheren. (vgl. Schoon 2008, S. 104ff).
Was heißt gelungene Anpassung?
Abschließend ein Hinweis auf eine weitere Unschärfe im Resilienzkonstrukt, die sich
weiterhin hält. Nach Schoon (2008) zielt Resilienz auf psychische
Widerstandsfähigkeit trotz erhöhter Risiken und auf „gelungene Anpassung“ im
Entwicklungsverlauf. Verschwommen bleibt jedoch, anhand welcher Kriterien
Anpassung als gelungen bewertet werden kann. Auf welche Bereiche des
gesellschaftlichen Lebens sollte sich diese Anpassungsleistung beziehen? (vgl. auch
Masten 2001 und Bengel et al 2009).
Die Einordnung des Begriffs Anpassung in entwicklungspsychologische oder
pädagogische Konzepte erlaubt es zwar, das Aufwachsen von Kindern in ein System
zu bringen, welches Entwicklung als Abfolge von mehr oder weniger gelingenden
Entwicklungsschritten sieht. Aber wie sind darin die zuvor genannten Ergebnisse
einzuordnen, wie die Langzeitperspektive auf Resilienz (wie – ganz plakativ - „mehr
Depressionen, weniger Lebenszufriedenheit“)?
Die Bewertung der Ergebnisse bleibt jedoch (zwangsläufig) normativ und
eindimensional. Sie orientiert sich an verschiedensten - quasi absolut gesetzten –
Auflistungen von Entwicklungsaufgaben, die in Abhängigkeit vom Lebensalter
bewältigt werden müssen (vgl. 13. Kinder- und Jugendbericht 2009; Weiß 2011).
Unklar bleibt die Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung dieses Prozesses, die sich
in gesundheitswissenschaftlichen Studien als so relevant erwiesen hat. Oder anders
gefragt: Was ist subjektiv als Ergebnis gelungener Anpassung zu sehen? Und vor
allem, wie können Mädchen und Jungen/Frauen und Männer ihrer so passiv
definierten Rolle entkommen, um endlich als „handelnde Subjekte“ in Erscheinung zu
treten?
Ingrid Schoon (2008) untersucht in ihrer Resilienzstudie Lebenszufriedenheit,
Kontrollüberzeugung, Stressbelastung und Depressionsraten bei Frauen und Männern
im späteren Erwachsenenalter, die ehemals wegen ihrer Erfolge bzw. Misserfolge im
schulischen Bereich als „resilient“ bzw. „(nicht-resilient) eingestuft wurden. Ihre
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Ergebnisse liefern ein Bild der gesundheitlichen Situation ihrer Untersuchungsgruppe
mit Langzeitperspektive und erweitern so die bisherigen Erkenntnisse der
Resilienzforschung um eine neue Dimension. Vor dem Hintergrund der dabei deutlich
zutage tretenden Prozesshaftigkeit und Kontextabhängigkeit resilienter Entwicklung,
stellt sich auch Schoon der Frage, wer eigentlich die Kriterien gelungener Anpassung
festlegt.
Gesucht werden verallgemeinernde Faktoren, anhand derer sich „gelungene
Anpassung“ erfassen lässt, ohne unreflektiert normativ und differenzblind zu sein. Da
Resilienz phasen- und situationsspezifisch zu betrachten ist und eine als gelungen
bezeichnete Entwicklung in einem einzelnen Bereich nicht gleichzeitig auch auf andere
übertragen werden kann, sollte der Rahmen nicht zu eng sein und unbedingt mehrere
Ebenen (kognitive, emotionale, soziale) sowie die zeitliche Dimension umfassen.
Nach Bengel et al (2009) sollte eine erweiterte Definition von Resilienz neben
externalen auch internale Anpassungskriterien beachten. Entsprechend wären das
eigene Erleben und die Frage nach der subjektiven Bedeutung von Anpassung stärker
zu gewichten und Kriterien zu berücksichtigen, die Aussagen über das subjektive
Wohlbefinden ermöglichen. Bei alleiniger Anwendung externaler Kriterien (wie z.B.
akademische Leistungen) bleibt ansonsten offen, welche Rolle in diesem Kontext
Variablen wie die Erwartungen „der Anderen“ hinsichtlich eines „typischen“
geschlechtsspezifischen Verhaltens bei Mädchen und Jungen haben. Es gibt hier
hohen Klärungsbedarf: Was bedeutet gelungene Anpassung gemessenen an dem,
was ich bzw. andere für gelungen oder erfolgreich halten? Sind es eventuell eher sozial
erwünschte und den allgemeinen Erwartungen gerecht werdende Verhaltensweisen,
die als Ausdruck von Resilienz gelten?
Eine gelungene Anpassung könnte man nach diesem Schema z. B. bei einem
Mädchen vermuten, das trotz hoher Risikokonstellation nach außen gute akademische
Leistungen und ein unauffälliges Verhalten im Umgang mit Gleichaltrigen zeigt, obwohl
es gleichzeitig Essstörungen oder selbstverletzendes Verhalten entwickelt hat. Die
Frage ist: Gilt es trotzdem als resilient?
Ein anderes Mädchen mit ähnlicher Risikokonstellation kann weniger gute
Schulleistungen vorweisen, hat vielleicht einen hohen Bewegungsdrang und neigt zu
ausagierendem Verhalten. Es kommt deswegen in der Gruppe gleichaltriger Mädchen
weniger gut zurecht, hat aber ein durchschnittliches Körpergewicht und hohe Fitness.
Erwachsene fühlen sich aber eher durch ihr ausagierendes Verhalten gestört. Zu
fragen ist: Gilt es als nicht-resilient?
Wir haben es hier mit einer hohen Kontextabhängigkeit in der Bewertung je nach
kulturellem Hintergrund, sozialer Statusgruppe oder eben nach Geschlecht zu tun. Hier
bieten Fragen nach subjektiv erlebter Gesundheit, wie: „Wie würden Sie selbst ihr
Wohlbefinden aktuell beurteilen?“ mehr Information und könnten helfen, die
Ergebnisse präziser zu gewichten.
Denn, die Verortung des weiblichen Geschlechts als ein Schutzfaktor kann ja auch
darauf beruhen, dass Mädchen häufiger als ruhig-liebenswert-hübsch wahrgenommen
werden (und oft dazu erzogen werden, zu gefallen) als Jungen, was ihre Akzeptanz
durch Erwachsene positiv beeinflusst. Positive Rückmeldungen, die sie daraufhin
erhalten, könnten wiederum positive Wechselwirkungen im Anpassungsprozess
ausgelösen.
Dass Mädchen damit auch auf gesellschaftliche Erwartungen reagieren können, sich
so zu verhalten, dass ihr Geschlecht klar erkannt wird, ist ein zentraler Aspekt der
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Gesundheits- und Geschlechterforschung, der in der Resilienzforschung (noch) relativ
undiskutiert bleibt. Die Bewertung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale als Ausdruck
von Resilienz durchläuft also ebenfalls den Prozess der kulturellen und
gesellschaftlichen Formung, der auch vor Forscherinnen und Forschern nicht halt
macht.
Mehr Gendersensibilität in der Resilienzforschung!
Werner
(2007)
berichtet
von
psychosomatischen
Symptomen
und
Befindlichkeitsstörungen bei ehemaligen Risikokindern aus der Kauai-Studie, die als
Erwachsene leistungsfähig und erfolgreich waren und als „resilient“ beurteilt wurden.
Diese Probanden beiderlei Geschlechts beschreiben jedoch insgesamt mehr
gesundheitliche Probleme als andere. Der größere Teil der Männer wies
Gesundheitsprobleme auf, die auch als Stressreaktionen interpretiert werden können,
wie Rückenschmerzen, Übergewicht, Magengeschwür, Schwindel, etc. (Werner nach
Lösel/Bender 1996).
Auch hier kommen Fragen auf: Sind diese Phänomene Folgen der Belastungen? Oder
Folgen der Anpassung? Wie kann diese Unschärfe in die Gesamtbewertung des
Entwicklungsverlaufs einfließen? Die Suche nach Methoden zur Messbarkeit von
subjektivem
Wohlbefinden
und
die
Operationalisierung
der
subjektiv
wahrgenommenen,
„erlebten“
Gesundheit,
mit
denen
sich
die
Gesundheitswissenschaft seit längerem beschäftigt, ist für die Resilienzforschung von
enormer Bedeutung.
Die gemeinsame Diskussion zentraler Annahmen der Resilienzforschung und der
Gesundheitswissenschaft sollte nicht nur ihre Nähe zeigen, sondern ist auch als
ausdrückliche Aufforderung zu einer verstärkten Interdisziplinarität gedacht.
Lohnenswert könnte es sein:

den Stellenwert der subjektiven Wahrnehmung von Wohlbefinden im
Resilienzkonstrukt zu erhöhen

in- und externale Kriterien für eine gelungene Anpassung entsprechend zu
gewichten

und somit Kinder und Jugendliche als Mädchen und Jungen und Menschen als
Männer und Frauen und vor allem als handelnde Subjekte in den Mittelpunkt
ihrer Arbeiten zu stellen.
Prof. Dr. Antje Richter-Kornweitz
Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen
Telefon: 0511 / 388 11 89 - 33
[email protected]
http://www.gesundheit-nds.de/index.php/aboutus/team/58-antjerichter
Literatur
Grundlage dieses Vortrags ist der Beitrag von Richter-Kornweitz, Antje: „Gleichheit und Differenz – Die
Relation zwischen Resilienz, Geschlecht und Gesundheit“, in: Zander Margherita (Hrsg.): Handbuch
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Resilienzförderung, VS Verlag, Wiesbaden 2011. Dort ist auch eine Liste der verwendeten Literatur zu
finden. Sie ist zu ergänzen um:

Bengel, Jürgen / Lyssenko, Lisa (2012): Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im
Erwachsenenalter. Köln 2012.

Franke, Alexa: Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern 2008

Weiß, Hans: Was brauchen Kinder? -- Lebens- und Entwicklungsbedürfnisse von Kindern. In: Gerda
Holz, Antje Richter-Kornweitz: Kinderarmut und ihre Folgen. Wie kann Prävention gelingen? Ernst
Reinhardt Verlag, München, 2011
Die gesamte Literaturliste ist auf Anfrage erhältlich unter: [email protected]
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