Presse - BySusann

Brigitte, Nr.8, Mi 1.4.2015
dossier
Psychologie
Kann ich mich
wirklich
neu erfinden
Ein anderer Mensch werden? Mutiger, kompromissloser oder auch
unbeschwerter? Oft denken wir: Es steht doch fest, wer man ist. Dabei
ist Veränderung fast immer möglich. Diese fünf Frauen wissen, warum
Br ig it t e. de 8/ 2 015
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dossier
Es spricht überhaupt nichts dagegen, der
Mensch zu bleiben, der man ist. Richtig
spannend wird das Leben aber erst, wenn
man sich fragt, wer man alles sein könnte
M
enschen brauchen Sicherheit. Deswegen ist es ja auch
so beruhigend zu wissen,
wer man ist. Was man kann
und was nicht, wie einen andere einschätzen, in welchen Situationen man
die Nerven verliert und wann man ganz
ruhig bleibt. Man spielt auf seiner Gefühls- und Talente-Klaviatur, ohne dabei
den falschen Ton anzuschlagen. Meistert
Beziehungen, Konflikte, das Leben. Bis sich
irgendwann die uralte
Frage stellt: Ist das eigentlich alles? Bin das
ich? Kann ich an
diesem Ich, das mich
­
seit zwanzig, dreißig,
fünfundsechzig Jahren
durchs Leben begleitet,
etwas entdecken, das
mich überrascht? Welche Sehnsüchte,
Fähigkeiten, Abgründe stecken eigentlich in mir? Und wieso lebe ich nicht wie
dieser Typ, der letztens beim Abend­
essen mit Freunden dabeisaß? Der zwar
seit Jahren keinen festen Wohnsitz, da-
für aber einen ziemlich coolen Rucksack
hat. Dieser Typ, dem man neugierigwehmütig zuhörte, und die ganze Zeit
dachte man: „Könnte das nicht auch ich
sein?“ Genauso wie die Sicherheit brauchen wir nämlich auch die Veränderung.
Aber wie genau oder ob sie tatsächlich
stattfindet – darüber streitet sich die
Wissenschaft. Sehr strenge Hirnforscher
meinen: Der Mensch ist, wie er ist – daran lässt sich durch
nichts und wieder
nichts etwas drehen.
Dennoch
einigen
sich in den letzten Jahren mehr und mehr
Wissenschaftler auf
den Kompromiss, dass
die Persönlichkeit und
ihre Fähigkeit, sich zu
verändern, zwar eine
Sache von Veranlagung, aber eben auch
der Erfahrungen ist, die wir machen. Der
bekannte Neurologe Joachim Bauer ist
jedenfalls überzeugt davon, dass wir einen freien Willen und damit die Fähigkeit zu Selbstbestimmung besitzen.
in uns
steckt
mehr als
die person,
die wir
zeigen
106 B r i git te .de
8 /2 015
Ich verschwand sofort in der letzten
Reihe, wenn fremde Menschen zu­
sammenkamen. Egal ob Familienfest,
­Konferenz oder Elternabend. Nur nicht
auffallen, nicht diskutieren müssen!
Meine Unsicherheit konnte man mir
regelrecht ansehen: Ich trug fast aus­
schließlich Grautöne. Einmal kaufte
mein Mann mir spontan ein farbenfro­
hes Outfit. Zu Hause schaute ich ihn
ratlos an. Wie konnte er glauben, dass
ich solche Farben tragen würde? Einen
Tag später brachte ich die Sachen
kleinlaut zurück. Dann kam Kilian auf
die Welt. Mein Sohn war von Geburt an
mehrfach schwerstbehindert. Er lernte
nie sprechen und laufen und musste
über eine Sonde ernährt werden.
Mein Leben änderte sich radikal. Und
ich mich gezwungenermaßen auch.
Ich spürte tief in meinem Herzen, dass
diesem Kind meine Liebe und Fürsorge
allein nicht reichen würden. Dass Kilian
eine Mutter brauchte, die mutig und
selbstbewusst für seine Bedürfnisse
einstand. Denn je älter er wurde, desto
häufiger kam es zu Konflikten mit
Ärzten und Ämtern. So verfrachtete ihn
die Schulbehörde liegend mit dem
Krankenwagen in eine Sonderschule.
Obwohl man ihm die Strapazen deut­
lich ansehen konnte. Einige Ärzte woll­
ten ihn wieder und wieder operieren.
Ungerührt davon, dass sich sein Zu­
stand damit verschlechterte. Aus Liebe
zu meinem Sohn lernte ich, nach vorn
zu treten und lautstark „Nein!“ zu sa­
gen. Von Mal zu Mal fiel es mir leichter.
Bei einem integrativen Zirkusprojekt,
das ich ehrenamtlich unterstützte,
verliebte ich mich in die Haltung des
Clowns: Er darf scheitern und jammern.
Aber dann steht er auf und macht wei­
ter. So wie ich. Heute stehe ich selbst
mit roter Nase auf der Bühne, gehe in
Kinderhospize und spreche auf
Tagungen über die Kraft des Humors.
Als Kilian mit 16 Jahren starb, hatte ich
gelernt, dass ich meiner Unsicherheit
am besten mit Gelassenheit und
Humor entgegentrete.
»früher
war ich
unsicher,
heute
bin ich
selbstbewusst«
tanja landes
F oto matt hi as schmi e del protoko ll s il i a wi eb e
»Der Weg
zu dir fuhrt
durch das
Ganze«
Tanja Landes, 46,
Künstlerin aus Heilbronn,
veränderte sich durch
die Geburt ihres
behinderten Sohnes
dossier
»früher
war ich
ein sorgenmensch,
heute
vertraue
ich auf
mein
schicksal«
Judith Döker, 41,
Schauspielerin aus Berlin,
entdeckte sich neu, als sie
durch eine Krise ging*
F ot o m a r c u s h ö h n Lo c a t i o n „t h e b e r l i n S t o r e “ P r ot o ko ll M e i k e W e r k m e i s t e r
judith döker
Als ich beschloss, dass ich etwas ändern muss, hatte ich gerade eine
schmerzhafte Trennung hinter mir, auch
beruflich lief es nicht. Ich machte mir
viele Sorgen, war ängstlich, unentspannt. Heute, drei Jahre später, bin
ich positiv, unbeschwert und fröhlich.
Wie ich mich so verändert habe? Indem es mir in der Krise gelang, mein
Leben aus einem anderen Blickwinkel
zu sehen: Ich hatte keinen Partner, kein
Kind, keinen Job, aber ich war unglaublich frei. Ich lernte nach und nach,
Schwierigkeiten nicht mehr persönlich
zu nehmen, sondern sie als eine Art
Rätsel zu betrachten. Vorher habe ich
mich oft ohnmächtig gefühlt, wenn
etwas schiefging. Nun versuchte ich zu
hinterfragen: Was hat das mit mir zu
tun? Was kann ich daraus lernen? Und
erkannte: Wenn ich ruhig und optimistisch bleibe, öffnet sich eine andere Tür.
Eine davon führte mich nach Mumbai,
wo ich zwei Jahre lang lebte. Mein
­bester Lehrer in dieser Zeit war Nakul,
ein indischer Schauspieler, in den
ich mich verliebte. Ich habe nie zuvor
jemanden getroffen, der über so viel
­Vertrauen ins Schicksal verfügt. Wenn
ich ins Grübeln verfiel, bat er mich, mir
zwei Fragen zu stellen: „Hast du alles
Nötige getan?“ Und: „Kannst du ­heute
noch irgendetwas tun?“ Wenn ich dann
verstünde, dass ich die Sache nicht
mehr beeinflussen könne, sollte ich
mich lieber um schöne Dinge kümmern. Mit eiserner Disziplin hielt ich
mich daran und tatsächlich: Die meisten Probleme lösten sich in Luft auf.
Seitdem mache ich mich nicht länger
verrückt. Durch meine neue Entspanntheit trat viel mehr Leichtigkeit und Freude in meinen Alltag, sogar, als ich nach
der Trennung von Nakul nach Berlin
zurückkehrte. Manchmal meldet sich
zwar noch mein alter Alarmknopf, dann
halte ich inne und denke: Früher hätte
diese Situation mir den Tag verdorben,
heute weiß ich es zum Glück besser.
*Judith Döker: „Judith goes to Bollywood.
Wie ich in Indien den Erfolg suchte und die Liebe
fand“ (320 S., 14,99 Euro, btb Verlag)
Und schätzt: „Dass der ‚Text‘ der Gene
etwa 30 Prozent ausmacht und die ‚Erfahrungen‘ rund 70 Prozent.“
Unsere Persönlichkeit mag also geprägt sein durch unsere Biologie, durch
die Menschen, die uns umgeben und die
Umstände, in denen wir leben. Zeit und
Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren,
manches, was in uns steckt, verwischt,
manches wird unsichtbar. Entweder, weil
wir es nicht brauchen. Oder, weil es konträr zu dem Bild steht,
das andere von uns
haben sollen. Oder
das wir selbst gern
von uns hätten. Dennoch – die Strahlkraft, die von der Idee
des Neubeginns ausgeht, ist groß. Egal,
wie oft schon Menschen daran scheiterten – sie nutzt sich
einfach nicht ab. Der Wunsch nach echter Veränderung sitzt tiefer, als dass man
ihn mit einer neuen Frisur, einem neuen
Mann oder einem neuen Job dauerhaft
befriedigen könnte.
Dabei erscheint der Unterschied zwischen „Sich-verändern“ und „Sich-neuerfinden“ nur auf den ersten Blick mar­
ginal. Es bedeutet jedoch etwas gewaltig
anderes, sich vorzunehmen, von nun
selbstbestimmter, kompromissloser oder
liebevoller zu leben, als einfach nur
pünktlicher im Büro zu erscheinen.
sehnen. Dafür müssen wir schon tiefer
schürfen, ehrlich mit uns und unseren
Bedürfnissen sein, um danach Schicht
für Schicht freizulegen. All das, was wir
in uns spüren, aber nicht trauen zu leben. Denn das ist die eigentliche Entdeckung, darauf kommt es an. Schon der
Dramatiker Friedrich Hebbel sagte: „Der
Weg zu dir führt durch das Ganze“.
Das Problem ist nur: Je länger wir mit
unseren Schichten leben, desto lieber
glauben wir, dass sie
tatsächlich zu uns gehören – dass wir das
sind. Oder wir reden
uns ein, dass wir uns
vielleicht noch mit
20, aber doch nicht
mehr mit 52 ändern
können.
Blödsinn!
Und nichts als eine
Ausrede. Die Entdeckung unseres neuen
Ichs ist nämlich nicht allein unserem jugendlichen Alter Ego vorbehalten – gerade später, mit 60 oder 70 Jahren, befinden wir uns noch einmal in einer Phase,
in der wir unser Leben und unsere Art, es
zu füllen, neu bewerten. Und gegebenenfalls ändern (siehe auch das Interview ab
Seite S. 110). Weil wir angesichts unserer
eigenen Endlichkeit verstehen, dass es
nichts bringt, andere verändern zu wollen – sondern, dass wir damit nur bei
uns selbst anfangen können.
Vielleicht geht es also letztendlich gar
nicht darum, uns wirklich neu zu erfinden, sondern eben nur darum, uns neu
zu entdecken. Also, holen Sie die Schaufel heraus und fangen Sie an zu graben.
nichts ist
fur immer.
auch unser
selbstbild
nicht – zum
gluck
N
ur verändern wir uns ehrlicherweise meistens erst dann, wenn
es nicht mehr anders geht: Weil
das Herz in letzter Zeit zu oft stolpert
und der Arzt Bewegung fordert. Weil der
Job schlecht bezahlt ist, aber das Leben
teuer. Weil der Partner mit Auszug
droht, wenn wir nicht endlich anfangen,
gelassener aufs Leben zu blicken. Diese
Art der Veränderung wird von außen an
uns herangetragen, wir können uns ihrer
nicht erwehren, und sie ist auch nicht
immer unbedingt das, wonach wir uns
Merle Wuttke, 39,
arbeitet seit Jahren daran,
ihre Ungeduld in den Griff
zu bekommen. Sie dachte,
drei eigene Kinder würden
dabei helfen und sie
quasi nebenbei lehren,
eine Art Zen-Haltung zum Leben zu
­entwickeln. Leider musste sie feststellen,
dass eher das Gegenteil der Fall ist
Br ig it t e. de 8/ 2 015
109
dossier
Marla Doe, 27,
Burlesque-Tänzerin aus
Köln, veränderte sich durch
ihre Bühnen-Auftritte
Veränderungen begleiten unser Leben.
Wie sehr wir sie zulassen, bestimmen wir selbst,
sagt die Psychologin Prof. Dr. Jule Specht
BRIGITTE: Kann man sich als Erwachsener noch grundlegend verändern?
JULE SPECHT: Ja. Es gibt unterschiedli­
che Arten der Veränderung: die beabsich­
tigte und die, die mehr oder weniger von
selber kommt. Mit Letzterer beschäftige
ich mich als Persönlichkeitsforscherin
vorwiegend. Aber eine Person, die sich
ändern will, kann das auch.
Wirklich? Millionen von uns scheitern
doch ständig an ihren Vorsätzen.
Man kommt im Leben immer wieder in
Situationen, in denen man merkt: So wie
ich bin, habe ich Schwierigkeiten, mit
­etwas klarzukommen. Wenn ich ins Be­
rufsleben einsteige, wird von mir erwar­
tet, dass ich gewissenhaft bin. Der Chef
guckt komisch, wenn ich zu spät komme;
ich kriege Probleme mit den Kunden,
wenn ich unzuverlässig bin. Da baut sich
ein gewisser sozialer Druck auf, der dazu
führt, dass Menschen sich verändern, in
diesem Fall gewissenhafter werden.
Wie läuft so etwas genau ab?
Nicht so, dass Sie sich abends überlegen:
Ab morgen ändere ich meine Persönlich­
keit. Es ist ein Prozess. Meistens beginnt
er in einem Lebensbereich: Jemand
nimmt sich vor, pünktlicher zu sein, und
macht das bei der Arbeit. Wenn er darü­
ber hinaus seinen Schreibtisch im Büro
in Ordnung hält und sich das auf andere
Lebensbereiche überträgt, er also pünkt­
lich zu Verabredungen kommt und auch
daheim sein Bett macht – dann kann
man von Persönlichkeitsveränderungen
110 B r i git te .de
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sprechen. In diesem Fall hätte sich also
die Gewissenhaftkeit der Person erhöht.
Gibt es Phasen im Leben, in denen sich
der Mensch besonders stark ändert?
An sich ist die Persönlichkeit eines Men­
schen sehr stabil. Grundlegende Per­
sönlichkeitseigenschaften variieren nur
leicht. Aber es gibt Altersphasen, in
denen man besonders sensibel ist für
­
Veränderungen. Die eine geht bis zum
Alter von ungefähr 30 Jahren – da verän­
dern sich viele Personen besonders stark.
Wenn man dann seine erwachsene Rolle
gefunden hat – das dauert heutzutage
oft auch länger, bis 35, 40 – kommt eine
vergleichsweise stabile Phase im mittle­
ren Alter. Diese ist stabiler als das junge
und hohe Alter, aber nicht so sehr, als
dass keine Veränderungen möglich sind.
Und ab 60, 70 kommt es bei vielen noch
mal zu starken Veränderungen.
Tatsächlich, noch einmal im Alter?
Da verändert sich der Mensch oft sehr
viel mehr, als man denken würde. Ältere
Personen sind verträglicher als jüngere,
also altersmilde, aber auch in der Regel
weniger offen für neue Erfahrungen, also
konservativer.
Was verstehen wir überhaupt unter
diesem Begriff „Persönlichkeit“?
Das ist die individuelle Besonderheit im
Denken, Fühlen und Handeln. Persön­
lichkeitsmerkmale wurden systemati­
siert und „Big Five“ genannt: Extra­ver­sion, Neurotizismus, Verträglichkeit,
Gewissenhaftigkeit, Offenheit für neue
»früher
fühlte ich
mich
einfach
nur dick,
heute
bin ich
sinnlich«
marla doe
F ot o s e l i n a p f r ü n e r p r ot o ko l l m e r l e w u t t k e
Bin das
wirklich ich?
In meiner Kindheit und Jugend war das
Verhältnis zu meinem Körper ­geprägt
von dummen Sprüchen, in denen sehr
oft das Wort „fett“ vorkam. Ich trug
mit zehn Jahren Klamotten, die für
14-Jährige waren. Um schlank zu sein,
machte ich Diäten und blickte wahn­
sinnig kritisch auf meinen Körper, entwickelte eine starke Strenge gegenüber mir selbst. Das Problem ist: Wenn
man nicht der „Norm“ entspricht und
deswegen zur Zielscheibe wird, igelt
man sich entweder ein, oder man
­erfindet sich neu. Ich tat beides. Als
­Jugendliche versteckte ich mich unter
„Gothic“-Klamotten, und als Erwachsene entwickelte ich ein neues Verhältnis
zu meinem Körper. Vor drei Jahren
sprang ich, nachdem ich ein paar Burlesque-Workshops gemacht hatte, ins
kalte Wasser und tanzte das erste Mal
auf der Bühne. Es war eine winzige Bar,
der Abstand zum Publikum betrug ge­ra­de mal einen halben Meter. Ich war
nervös, doch sobald ich mein Kostüm
­anhatte und Marla Doe (mein Künstlername) wurde, passierte etwas in mir:
Die Sorge, dass das Publikum mich zu
dick finden könnte, rückte ins Abseits.
Es ist furchtbar anstrengend, sich nicht
von außen erschüttern zu lassen, wenn
Menschen fragen, ob man sich selbst
dick findet. Ich möchte auch gar nicht
propagieren, dass Burlesque der
Schlüssel zur Selbstliebe ist. Aber für
mich war es eine große Stütze und
Prüfung. Heute akzeptiere ich mich.
Ich mag meine Kurven – und meinen
Hintern ganz besonders. Genuss ist
für mich sehr wichtig, das Leben ist
zu kurz, um sich zu geißeln. Natürlich
achte ich auf meine Ernährung und
mache Sport, aber ich habe nicht mehr
das Bestreben, Kleidergröße 34/36 zu
erreichen. Dita van Teese sagte mal:
„Du kannst der süßeste, saftigste Pfirsich sein, und es wird dennoch immer
Menschen geben, die keine Pfirsiche
mögen.“ So sehe ich das auch. Es gibt
Menschen, die mögen mich, und es
gibt Menschen, die finden mich un­attraktiv. Das ist in Ordnung, solange
ich bei mir bleibe. Sicher fühle ich mich
auch nicht immer sexy. Aber heute
bin ich dankbar, dass ich mich nicht
mehr für meinen Po schäme, sondern
dafür sogar Komplimente bekomme.
dossier
»früher
war ich
fremdbestimmt,
Christine Finke, 48,
wie pünktlich und wie strukturiert sie
auftritt.
Komme ich mit meiner ganz individuellen Ausprägung dieser Persönlichkeitsmerkmale auf die Welt?
Einige Wissenschaftler meinen, die Persönlichkeit sei durch Gene und Gehirn
weitestgehend vorbestimmt und kaum
veränderbar. Andere glauben an die Prägungen der Umwelt. Ich denke, dass der
genetische Einfluss etwa genau so groß
ist wie der Einfluss der Umwelt. Das
lässt sich aus Zwillingsstudien folgern.
Wer mehrere Kinder hat, weiß: Das eine
ist schon als Baby fröhlicher, das andere
sorgenvoller. Bleibt das so?
Nein, die Persönlichkeit ändert sich über
die gesamte Lebensspanne. Die „Big Five“
lassen sich bereits im Alter von zehn,
zwölf Jahren gut erkennen, aber die Ausprägung wird sich danach bei den meisten Menschen noch weiterentwickeln.
Es heißt doch immer, mit sechs Jahren
sei die Persönlichkeit quasi ausgereift.
Wir wissen mittlerweile, dass das nicht
stimmt. Es kommt darauf an, was man
erlebt. Welche Ereignisse gibt es in meinem Leben? Welche
Erwartungen werden
an mich gestellt? Man
verändert sich am
ehesten, wenn man
sich konkrete Ziele
vornimmt. Zum Beispiel: „Beim nächsten
Treffen werde ich lieber zehn Minuten zu
früh als zu spät dran sein.“ Wer das eine
Zeit lang übt, kann seine Eigenschaften
durchaus ändern. Und wenn man merkt:
Das kommt gut an bei meiner Umgebung, dann versucht man es auch in
­andere Lebensbereiche zu übertragen.
Aber ein ewiger Nörgler grantelt doch
garantiert auch noch mit 72.
Nein, nicht unbedingt! Denn gerade im
hohen Alter finden oft massive Umbewertungen statt. Vielen Menschen ist
dann besonders wichtig, sich zu fragen:
alles lässt
sich uben.
auch neue
eigen­
schaften
112 B r i git te .de
8 /2 015
heute
entscheide
ich«
Früher war ich wie gehirngewaschen,
es zählte nur das, was mein Mann für
wichtig hielt. Mein Mann und ich bildeten eine Meinungseinheit. Wobei es
nur seine Meinung gab. Ich bin 1966
geboren, damals galt: Ein gutes Mädchen muckt nicht auf. Die Meinung der
anderen war mir wichtig. Bei meinem
Mann fing es schleichend an. Ich war
verliebt, er fand blond gut, also kamen
Strähnchen in mein Haar. Mir gefiel es,
wenn er mich bewunderte und umsorgte. Dass er das nur tat, wenn ich
seinem Bild von mir entsprach, merkte
ich erst spät. Er war sehr charismatisch,
übervoll mit Ideen, lustig. Aber es
musste nach ihm gehen. Er bestimmte
sogar, welches Küchenpapier ich zu
kaufen hatte. Fand ich eine seiner
Ideen nicht gut, knallten Türen. Manchmal redete er tagelang nicht mit mir,
manchmal wollte er einen Gegenvorschlag hören. Aber wenn man nur
macht, was der andere will, wird man
leer. Ich wusste bald nicht mehr, was
ich will, schon gar nicht auf Knopfdruck. Das war Wasser auf seine Mühlen: Na, dann muss ich ja entscheiden!
Ich zog mir den Schuh an. Dachte, ich
sei negativ, langweilig, ideenlos. Seine
Manipulationen durchschaute ich lange nicht. Sicherlich auch, weil es bequem war: Kaum Entscheidungen zu
treffen, nimmt einem Lebenslast. Mir
aber nahm es auch meine Lebensfreude. Als ich das verstand, was mehrere
Jahre dauerte, wohl auch, weil wir drei
Kinder haben, trennte ich mich. Vor
diesem Schritt hatte ich Angst, schwer
fiel er mir nicht – keine Sekunde lang.
Ich erkläre mir das so: Das Negative
und Ideenlose in mir war er gewesen.
Er hatte mir dieses Siegel übergestülpt,
und ich nahm die Rolle an. Als ich
­meinen Mann abstülpte, verschwand
auch das Negative. Heute entscheide
ich. Ich mache nichts mehr, hinter dem
ich nicht stehe. Manchmal verletzt
das andere. Aber ich habe so lange im
eisig kalten Wasser gelegen – es gab
nur zwei Möglichkeiten: erfrieren oder
eben ganz neu anfangen.
christine finke
F oto matt hi as schmi e del protoko ll m adl e n ot t ensc hläge r
Erfahrungen. Diese Eigenschaften hat
­jeder, aber in unterschiedlichen Ausprägungen.
Wie kam man auf diese „Big Five“?
Viele Psychologen haben versucht, die
Persönlichkeit zu beschreiben. Dann gab
es mehrere Kollegen, die sich dachten:
Um eine Persönlichkeit zu beschreiben,
nutzt der Mensch Wörter. Also griffen
sie zu Wörterbüchern und suchten all
die Wörter raus, die Denken, Fühlen,
Handeln von Menschen beschreiben,
etwa: schüchtern, draufgängerisch, jähzornig, verklemmt, schlampig usw.
Unterscheiden sich die Begrifflichkeiten
in anderen Sprachen, Kulturen und
­Zeiten denn gar nicht?
Interessanterweise gleichen sie sich
weltweit sehr stark. Natürlich wissen wir
alle, dass fünf Oberbegriffe nicht ausreichen, um eine individuelle Persönlichkeit zu beschreiben. Aber grob können
wir damit gut hantieren.
Was beschreiben die „Big Five“?
Da ist erstens die emotionale Stabili­
tät. Sie beschreibt, wie gut eine Person
mit Stress umgehen
kann, wie selbstsicher
sie ist, wie wenig
­Sor­gen, Angst und
­Är­ger sie verspürt.
Den ­Ge­genpol nennen
wir Neurotizismus.
Dann haben wir zweitens die Extraversion,
also ob jemand eher
extra- oder introvertiert ist. Es geht hier
auch um soziale Dominanz, Gesellig­keit,
Fröhlichkeit usw. Drittens, die Offen­
heit für neue Erfahrungen: Ist jemand
offen gegenüber anderen Ideen, Kul­
turen, Denkweisen – oder hängt die
Person eher konservativ an dem, was
­
sie kennt. Viertens, die Verträglichkeit:
Wie sehr vertraut eine Person anderen,
wie freundlich ist sie – oder wie dick­köpfig oder egozentrisch. Und fünftens
die ­
Gewissenhaftigkeit, also wie or­
dentlich eine Person, wie pflichtbewusst,
Journalistin, Bloggerin
(mama-arbeitet.de) und
Stadträtin in Konstanz,
entdeckte sich neu, als sie
ihren Mann verließ
dossier
»früher
dachte ich,
mein Leben
sei bereits
vorbei,
susann till, 72,
machte sich vor drei
Jahren mit einer kleinen
Feinkost-Produktion selb­
ständig – und lernte ganz
neue Seiten an sich kennen
heute
stecke ich
wieder
mittendrin«
F ot o i lo n a h a b b e n p r ot o ko l l m e r l e w u t t k e
susann till
114 B r i git te .de
8 /2 015
Vor ein paar Jahren hatte ich eine sehr
schlechte Phase, körperlich ging es mir
überhaupt nicht gut. Ich musste mich
schwierigen Operationen unterziehen
und wusste nicht, ob ich noch einmal
auf die Beine kommen würde. Ich sah
mich selbst schon im Pflegeheim sitzen
und dachte, mein Leben sei vorbei.
Meine Kinder und Freunde machten
sich große Sorgen um mich. Doch dann
spürte ich etwas in mir, einen großen
Willen: „Nein, das kann es jetzt nicht
gewesen sein.“ Und weil ich gern
koche und zu Weihnachten an meine
Familie immer selbst gemachte Chutneys verschenkt habe, fing ich wieder
damit an – auch um mich von meinen
Sorgen und Schmerzen abzulenken.
Ich bestellte 100 Gläser im Internet
und legte los: Stellte mich beim Amt
für Lebensmittelhygiene vor, ließ mich
von einer Unternehmerhilfe be­raten,
schnippelte Gemüse und Obst und
kochte. Freunde probierten die Chutneys, mein Sohn meldete mich bei
­Facebook an, ein Freund half mir bei
der Vermarktung meiner Produkte.
Plötzlich konnte ich meine Sachen zur
Verkostung in Feinkostläden in Hamburg und Berlin anbieten. Meine
Beschwerden standen nicht länger im
Vordergrund, sondern mein Leben und
das, was ich noch mit ihm vorhatte. Vor
knapp drei Jahren machte ich mich
dann mit meiner eigenen Firma BySusann (www.bysusann.de) richtig selbständig, mittlerweile arbeiten fünf Minijobber abwechselnd bei mir. Das alles
fordert meinen Kopf, aber ich möchte
unbedingt diese neuen Erfahrungen
machen. Weil ich merke, dass sie mich
verändern: Ich gehe heute ganz anders
auf Menschen zu, fühle mich viel freier
und jünger. Wenn auf Food-Messen
Ältere zu mir an den Stand kommen,
dann sagen sie oft: „Ach, ich hatte auch
mal so einen Traum.“ An mir sieht man,
was dabei herauskommen kann – auch
noch mit 69. Vor einem Jahr hätte ich
mir nicht zugetraut, allein mit dem Auto
und einem Anhänger voller Gläser
nach Berlin zu fahren. Jetzt mache ich
das. Mit 80 möchte ich schließlich mein
Imperium aufgebaut haben.
‚Was täte mir jetzt eigentlich gut? Wie
kann ich glücklich sein?‘ und sich ent­
sprechend zu verhalten.
Ist die Persönlichkeit alles? Bin das
wirklich „Ich“?
Die Persönlichkeit beschreibt die indivi­
duelle Besonderheit einer Person im Ver­
gleich zu anderen. Wenn man die Persön­
lickeit breit auffasst, dann könnte man
sagen, dass sie das gesamte Ich umfasst.
Häufig wird die Persönlichkeit aber enger
gefasst, und es werden etwa körperliche
Unterschiede, wie die Attraktivität, oder
Leistungsunterschiede, die Intelligenz,
ausgeklammert. Darüber hinaus macht
uns natürlich auch aus, mit welchen
Menschen wir zu tun haben, in welcher
Kultur wir leben und welchen Beschäfti­
gungen wir im Alltag
nachgehen.
Aber es gibt Geschich­
ten von Erweckungs­
erlebnissen: Saulus
wurde zum Paulus.
Es gibt tatsächlich
­Lebensereignisse, die
unsere Persönlichkeit
verändern können wie
Krankheiten,
Tren­
nungen, Krisen, aber auch positive Dinge
wie eine neue Beziehung, die Geburt
­eines Kindes. Darüber hinaus gibt es den
berühmten Fall von Phineas Gage. Das
war ein Bahnarbeiter, dem bei einem
­Arbeitsunfall eine Eisenstange durch den
Kopf schoss. Er überlebte und war da­
nach ein komplett anderer Mensch. Doch
nicht wegen des traumatischen Erlebnis­
ses. Sondern weil sein Präfrontalkortex
beeinträchtigt wurde, das ist das Areal im
Stirnbereich, in dem viele Informationen
über die Persönlichkeit gespeichert sind.
Macht es Sinn, mir einen Partner zu
suchen, der mir charakterlich ähnelt?
Es gibt Studien, wonach Paare, deren
­Persönlichkeiten eher ähnlich sind, eine
höhere Wahrscheinlichkeit haben, eine
stabile Beziehung zu führen. Aber die
­Effekte sind sehr gering.
Was ist eine starke Persönlichkeit?
Den Begriff nutzen wir in der Persön­
lichkeitspsychologie nicht. Im Alltag ge­
meint ist vielleicht etwas, das wir Extra­
version oder soziale Dominanz nennen.
Es geht dauernd um Selbstoptimierung,
und deren Ideal ist: extrovertiert, offen,
gewissenhaft, stabil zu sein etc. Schafft
es eine starke Persönlichkeit, diesem
Anpassungsdruck zu widerstehen?
Ich würde sagen: Manche Menschen
passen sich leichter an als andere, weil
sie eine große Bandbreite an Verhaltens­
weisen haben, die im Laufe des Tages
wechseln können. Es gibt Personen mit
einer großen Variabilität und welche, die
sich in unterschiedlichen Situationen
ähnlich sind. An sich ist Anpassungs­
fähigkeit aber meist
von Vorteil.
Eine starke Persön­
lichkeit, die nicht
glaubt, sich dauernd
ändern zu müssen,
weil es die anderen
von ihr erwarten –
so jemand gilt in der
Regel als integer.
So jemand hat für
mich die Merkmale einer gewissenhaf­
ten Persönlichkeit: Er bleibt seinen
Prinzipien treu und verhält sich nicht
­
opportunistisch. Das heißt nicht, dass
es von Nachteil ist, unter Freunden be­
sonders verträglich zu sein, im Job aber
auch den einen oder anderen Konflikt
auszutragen, um wichtige berufliche
Vorstellungen durchzusetzen.
INTERVIEW: Nataly Bleuel *
man kann
nett zu
seinen
freunden
sein, aber
hart im job
Online-Tipp Sind Sie bereit für Veränderungen? Testen Sie sich: www.brigitte.de/aendern
* Interviewerin Nataly Bleuel hat selbst ein
Buch zum Thema geschrieben: „Ich will
raus hier: Anstiftung zum guten Leben“
(208 S., 18 Euro, Herder-Verlag)
Jule Specht, 28, forscht
als Psychologin an der
­Freien Universität Berlin zur
Persönlichkeits­entwicklung.
Auf www.jule-schreibt.de
bloggt sie zu psychologischen Themen
MYWAY, 5/2015
MYWAY, 5/2015
MYWAY, 5/2015
stern, Nr.25, 11.6.2015
extra
Genuss
1
4
2
makellose Fleischspieße und stattliche Porterhouse-Steaks. Das
Fleisch für seine Produkte kommt
von benachbarten Höfen in einer
picobello sauberen Natur. Die Kunden kommen von weit her gefahren, aber Frei verschickt seine Ware
auch – gut vakuumiert und bestens
gekühlt – deutschlandweit.
Preise: 48 Euro/kg fürs Porterhouse*
Kontakt: Meesiger Manufaktur,
17111 Meesiger,
Tel. 039994/79 97 33,
www.meesiger-manufaktur.de
3
4I 5
Daneben und Drum herum
● Natürlich ist die Qualität des Grillguts
wichtig für das Vergnügen. Aber richtig glücklich
werden Ihre Gäste mit guten Beilagen
1I Besser als Brühe
Reste wegwerfen, das konnte
Michael Ziffels in seiner Küche
noch nie. Aber immer nur Brühe
aus den Gemüseabschnitten
kochen? Nein, sprach Ziffels, und
versuchte sich an einem Chutney.
Und machte sodann ein Geschäft
daraus. Seine Pickles und Chutneys, wir sagen es frei heraus, sind
eine Wucht: Angenehm saure
Zitronen, feine Ingwerstückchen,
­pikant abgewürzt mit grünen
Chilischoten, Kreuz- und Schwarzkümmel – so muss ein Pickle
schmecken. Das Ananas-Chutney?
Eine Aromabombe: Die Süße
bringt die Frucht (und etwas
Rohrzucker), für die leichte Schärfe zeichnen wieder Chilis verantwortlich, abgemixt ist alles mit
einer Zitronen-Zimt-Marinade.
Schmeckt toll – und viel besser als
schnöde Gemüsebrühe.
82
11.6.2015
Preise: Ananas-Chutney
6,90 Euro/67 ml; Zitrone-IngwerPickles 6,90 Euro/151 ml*
Kontakt: Ziffels Feinkost‑
manufaktur, 10961 Berlin,
Tel. 030/69 59 95 79, www.ziffelsfeinkost.de
tungszeit – und fühlen sich auf
dem Grill durchaus wohl. Dazu gibt
es bitte Hummus, die KichererbsenSesampaste, die ist ebenfalls vegan!
Und wir klecksen Joghurt daneben
– der ist nur vegetarisch. Sei’s drum:
Wir können damit leben.
2I Preise: Falafel fertig: 3,49 Euro/
200-g-Packung; Hummus: 2,99
Euro/165 g*
Kontakt: Veganbasics, 24106 Kiel,
Tel. 0431/97 99 74 00, www.vegan
basics.de/hersteller/peijo
So werden wir Veganer
Wir erwähnten das schon
mal: Wir sind keine Veganer. Aber
gut – jeder nach seiner Fasson.
Was wir allerdings gar nicht mögen, sind Gäste, die beim Grillen
nach Tofu-Schnitzeln oder SeitanWürsteln fragen. Nein, nein, nein:
Wer kein Fleisch mag, kriegt auch
keinen Ersatz aus Soja. Falafel
aber essen wir alle gern – und es
stört gar nicht, dass sie vegan
sind. Diese drei vorgebackenen
Versionen (klassisch/Paprika/
Curry) sind handwerklich gut gemacht, sparen enorm Zuberei-
3I Unser liebster Flüchtling
Die Schweizer Metzger sind
berühmt, ihre Kunden anspruchsvoll und die Preise entsprechend.
Nur selten verirrt sich ein Standesvertreter nach Deutschland. Hier
ist einer: Ulrich Frei. Am Kummerower See wohnend, stopft er ausnahmslos gute Würste, präpariert
Gewürzte Strandküche
Die Norddeutschen – immer
beim Segeln. Markus Kolberg liebt
das Wasser auch, das Kochen sowieso, und deshalb verzweifelte er
am Gewürzmangel auf seinem Boot
– es fehlte schlicht der Platz. Also
mischte er die Gewürze zusammen,
so raffiniert, dass auch andere etwas davon haben sollten: Mediterran wird’s zum Beispiel mit „Anholt“, wo Salbei, Rosmarin und
Zitronenthymian die Hauptrollen
spielen. „Klitmøller“ ist ein Grillgewürz mit Chili, Knoblauch, Ingwer
und Koriander. Das Masala-Gewürz „Strandby“ ist ideal für Geflügelmarinaden. Die Namen sind
allesamt Dänisch – hier oben im
Norden ist das die Zweitsprache.
Preise: 4,90 Euro/20-g-Dose;
20 Euro/3 Gewürze/Holzkasten*
Kontakt: Strandküche, 24850
Schuby, Tel. 04621/94 97 54,
www.strandkueche.de
5I Perfekte Pflaume
Weil Sie was lernen sollen:
„Coulis“ heißt in der Küchensprache Französisch nichts anderes als
„Püree“ – woraus auch immer.
„Pflaumen-Püree“ klingt aber
langweilig, und darüber reden wir
hier auch nicht: Dieses Coulis wird
aus kleinwüchsigen, fleischigen
Früchten hergestellt, mit Rohr­
zucker und diversen Gewürzen
abgerundet – und schmeckt völlig
abgefahren. Können Sie zu allem
Grillgut essen, wir empfehlen: Das
Fleisch kurz vor Ende der Garzeit
aus der Hitze nehmen und damit
glasieren. Parfait!
Preise: 4,90 Euro/180 g*
Kontakt: Gourmandiserie,
77966 Kappel-Grafenhausen,
Tel. 07822/440 18 08,
www.gourmandiserie.de
4
*Preis zzgl. Versandkosten
extra
Genuss
7
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6
11
9
10
So wird Senf zur Sauce
Schon die Chinesen würzten
vor 3000 Jahren mit Senf, seitdem
ist das eine einfache Sache geblie­
ben: Senfkörner zermahlen, Essig,
Wasser, Salz dazu, fertig ist unsere
liebste Paste. Wobei wir fast aus­
schließlich industriell hergestellten
Senf essen, das ist nicht schlimm,
bei einem derart einfachen Rezept
kann man nichts verkehrt machen.
Man kann aber trotzdem meckern,
so wie Kai Schärtel: Dem Hobby­
koch fehlte immer irgendetwas in
den Supermarktgläsern – ein Aroma,
ein Pfiff, eine Geschmacksüber­
raschung. Der Schwabe begann zu
tüfteln, entwickelte immer mehr
Sorten und hat inzwischen einen
Kundenstamm bis in die SterneGastronomie. Sein Stoff? Himmlisch
– von Mango-Curry bis zu Kirsch­
paprikasenf. Zum Grillen aber
empfehlen wir die Senfsaucen, die
sind großes Kino – vor allem
die Orangenvariante, sie eignet sich
auch als Salatdressing.
Preise: Senf ab 2,30 Euro/40 ml;
Senfsaucen 6,50 Euro/250 ml*
Kontakt: Remstaler Senf­
manufaktur, 73655 Plüderhausen,
Tel. 07181/884 94 27,
www.remstalsenf.de
nur Essig, in einer säurearmen Ver­
sion. Ireneus Frost, junger Bursche
aus Freiburg, bietet fünf Balsame:
Brombeere, Cranberry, Cassis, Him­
beere und Erdbeere, bei den Essi­
gen sind es noch mehr. Die Balsame
aber, versprochen, passen zu
Fleisch und Salaten – wir würden
damit unser Nachtisch-Eis veredeln.
Preise: Beerenbalsame 12,80 Euro/
250 ml; Balsamessige 10,80 Euro/
250 ml*
Kontakt: Ireneus Frost,
79117 Freiburg, Tel. 0761/214 74 21,
www.ireneus-frost.de
8I Mehr Gemüse!
Begriffserklärung, Teil II:
der Unterschied zwischen Relish
und Chutney. Es ist so: Ein Relish
wird nicht gekocht, es bleibt
stückig, wird mit Zucker und Essig
kon­serviert und säuerlich-scharf
gewürzt. Ein Chutney dagegen wird
gekocht und eher pikant
abgeschmeckt. Das alles wusste
Katharina Schwirschke schon von
ihrer Mutter, nach deren Rezepten
hat sie ihr toskanisches Relish (­ 84
Prozent Gemüseanteil) gemacht
und ihr Sweet India Chutney auch.
Stellen Sie beide Gläser neben
das Grillgut auf den Tisch, zählen
Sie von 20 runter – und ersetzen
Sie sodann die Gläser durch neue.
Geschmack ist durchaus betörend:
Das Öl aus der Olivensorte Manaki
ist schön fruchtig und leicht, wie
das milde Öl der Sorte Athinolia
passt es sehr gut in den Sommer­
salat. Das Produkt aus der Koronei­
ki-Olive dagegen ist etwas für
­Geübte: Schön kräftig, mit guter
Pfeffernote – bestreichen Sie
­unbedingt ein Rindersteak damit.
Preise: 4,20 Euro/150 g*
Kontakt: Kathi’s, 42659 Solingen,
Tel. 0212/244 30 16, www.kathis.eu
Preise: ab 4 Euro/250 ml*
Kontakt: Terra Sacra, 13503 Berlin,
Tel. 030/57 70 02 55,
www.olive-joy.com
9I Sortenrein, kalt gepresst
Anna Pouskouri-Reiche und
Johannes Hofmann importieren
ihr Öl von kleinen Bauern auf der
Peloponnes. Die Öle werden vor
Ort kalt gepresst und abgefüllt,
ein jedes ist sortenrein. Das Sorti­
ment ist klein, schon das ein gutes
Zeichen – da begrenzt jemand
sein Geschäft, um die Qualität des
Produkts nicht zu verlieren. Der
10I Unerträglich gut
Wir lassen jetzt mal beiseite,
dass Daniela Marotti in der Küche
ihres toskanischen Bauernhofs
auch ziemlich gute Konfitüren kocht.
Wir haben nämlich in ihrem
Sortiment etwas gefunden, also das
kannten wir noch nicht: Rosmarin­
gelee! Wir haben es auf Brot
gegessen, auf Würsten und Kote­
13
12
15
7I Balsam auf die Koteletts
Das kennen Sie von Grillfest­
mahlen: Am liebsten sind Gästen
jene Saucen, die zu allem schme­
cken, in die man ganz leger auch
den Salat tunken kann. Nun, da
hätten wir etwas für Sie: Beeren­
balsame – richtig gute. Um
­Begriffswirrwarr zu vermeiden:
Beerenbalsame mischt man aus
dem Essig der Frucht und ihrem
Saft – Balsamessige dagegen sind
84
11.6.2015
14
Text: Stephan Draf, Bert Gamerschlag, Beate Wieckhorst; Fotos: Kumicak + Namslau
6I letts verteilt und auf unsere gegrillten Doraden geträufelt – da passten
Zitronennote und Kräuteraroma am
besten. Was schließlich noch übrig
war, haben wir umstandslos aus
dem Glas gelöffelt. Jetzt ist es also
leer – ein sehr trauriger Anblick. Ertragen wir nicht. Holen wir uns neu.
Preise: 4,10 Euro/106 g*
Kontakt: Yoofood/ToscaBio, 97078
Würzburg, Tel. 0931/32 24 60,
www.yoofood.de
11I Über den Wolken? Grillen!
Das kommt dabei raus, wenn
man seinen Job einfach hinwirft:
Eigentlich sollte Paul Gardner Jumbos konstruieren, jedenfalls tun das
Luftfahrtingenieure im Allgemeinen. Nicht so Gardner – zwischen
Auftrieb und Abflug kreierte er:
Grillsaucen. Verkaufte sie zunächst
in seiner Stadt, dann reiste er damit durchs Land. Nun ist der Mann
auch aus dem Saucen-Geschäft
ausgeschieden, seine Kreationen
bleiben: Wir haben uns in die Aprikosen-Ingwer-Variante verguckt –
funktioniert als Beilage, aber
auch zum Glasieren von Grillgut.
Preise: 6,95 Euro/396 ml*
Kontakt: Pepperworld,
28844 Weyhe-Dreye,
Tel. 04203/785 99 22,
www.pepperworldhotshop.de
12I Chutney, ganz weit oben
Die Wahrheit ist: Original
indische Chutneys könnten die
meisten von uns nicht schlucken –
zu scharf, zu pikant, zu anders.
Diese Mischungen aber kommen
aus Stade, aus dem Norden, wo die
Menschen ausgeglichener sind –
und so ist auch ihr Obst verarbeitet: Die Äpfel aus dem alten Land
werden in einem wunderbar
zurückhaltend abgeschmeckten
Chutney verwendet. Insgesamt
gibt es 15 Sorten, und Achtung:
Spargel-Chutney – saisonal, ganz
großartig – ist bald aus!
Preise: 7,50 Euro/150 g*
Kontakt: BySusann, 21680 Stade,
Tel. 04141/642 69, www.bysusann.de
13I Feuermelder
Und falls Sie sich doch mal
im Wortsinn das Maul verbrennen
wollen, bitte sehr: Kaufen Sie sich
Günther Maierhofers Ketchup­
sorte „Burner“ – die Arztrechnung
allerdings geht dann auf Sie. Seine
anderen Kreationen aber können
vernünftige Menschen essen, auch
weil sie alle ohne Geschmacksverstärker und Verdickungsmittel
hergestellt sind. Und das ist neben
dem umwerfenden Geschmack bei
Ketchup etwas Besonderes.
Preise: ab 4,95 Euro/250 ml*
Kontakt: Tomate7, 84034 Landshut, Tel. 0871/330 82 32,
www.tomate7.de
14I Wurst ohne Ende
Was wir uns beim Ver­
kosten oft fragen: Himmel, warum
schmeckt das so gut? Im Falle
dieser Würste ging das noch weiter:
Woher kommt dieser wunderbare
Biss? Warum schrumpeln diese
Würste auf dem Grill um keinen Millimeter? Wir dachten, das geschehe
bei Würsten naturgemäß. Es mag
daran liegen, dass dem Gourmetfleisch offensichtlich kein Wasser
zugesetzt wurde, was leider bei
­jeder Menge Supermarktwürsten –
zwecks Gewichtserhöhung – oft der
Fall ist. Es mag auch daran liegen,
dass hier Ibérico-Fleisch verarbeitet
wurde, von jener Schweinerasse
also, die in Spanien noch frei laufen
und sich wahrhaftig an Eicheln
­sattfressen darf. Wir könnten noch
seitenweise über die leckeren
­Angus-Rindswürste schreiben –
aber ehrlich, wir fänden kein Ende.
Vorschlag: Probieren Sie einfach.
Preise: Iberico 8,95 Euro/5 x 100 g;
Black Angus 7,95 Euro/5 x 100 g*
Kontakt: Gourmetfleisch.de, 41199
Mönchengladbach, Tel. 02166/
96 86 49, www.gourmetfleisch.de
15I Neunmal gut
Zum guten Schluss eine
schöne Geschichte: Zwei Mütter
mit sieben Kindern steuern ihr
Business aus der eigenen Küche.
Und lassen sich vom Nachwuchs
auch nicht ablenken: Ihre Chutneys sind nämlich keineswegs zu
Brei verkocht (und das kommt
auch in kinderlosen Haushalten
vor), sondern sehr schön stückig
belassen. Ob Aprikose/Thymian,
Kürbis oder die dann doch erwachsen-scharfe Habanero-Salsa,
alle schmecken ausgezeichnet –
mit oder ohne Beilagen.
Preise: Chutneys 7,50 Euro/228 ml;
Salsas 7,50 Euro/260 ml*
Kontakt: Annis Made by Mums,
22926 Ahrensburg,
Tel. 0176/84 26 42 52,
www.madebymums.de
11.6.2015
85
stern, viva!, Juli/ August 2015
stern, viva!, Juli/ August 2015
WELT AM SONNTAG, 21. Dezember 2014
DIE ZEIT, 2014
bella, Nr.21, 12. Mai 2015
en
Mein LeFb
rauen
Starke
Diese zwei Frauen haben eine neue
Herausforderung gesucht und gefunden
„Hallo Leben, hier bin ich“
Es ist nie zu spät – das ist das Motto dieser
beiden Frauen. sie starten in der Lebensmitte
noch mal richtig durch. ihre idee: ein altes
hobby wiederzubeleben. Mit großem Erfolg!
Texte: Uta Dietsch und sibylle royal
Susann Till (71)
„Ich entspanne bei der Arbeit.
Nichtstun ist nichts für mich!“
12 bella
allen schwierigkeiten in meinem Leben habe ich auch viel Glück gehabt.
inzwischen führe ich ein team von
sieben Leuten, die mich unterstützen,
allein schaffe ich das gar nicht alles.
ich beliefere mittlerweile 300 Feinkostläden in Deutschland. Die verkostungen mache ich immer selbst,
das würde ich mir nie nehmen lassen.
ich träume davon, ein Kochbuch mit
chutneys zu schreiben. aber ich
komme zu nichts, habe kein freies
wochenende mehr. an manchen tagen arbeite ich 20 stunden. wenn
meine sechsjährige Enkelin Lena anruft und eine Geschichte hören möchte, klemme ich mir den hörer unters
ohr und erzähle eine, während ich mit
dem Kochlöffel in der anderen hand
im Kochtopf rühre. Bis 80 möchte ich
mein imperium aufgebaut haben.“
Sobald sie eine
Leinwand und
Farbe hat, ist
Ulrike glücklich
„Malen ist heute
mein Lebenselixier“
„Ich habe mit
68 Jahren ein
Unternehmen
gegründet.
Ehrlich gesagt
habe ich nie
darüber
nachgedacht,
ob ich zu alt
sein könnte“
Ulrike verlor ihren langjährigen Arbeitsplatz.
Dann besann sie sich auf ihre Leidenschaft.
Heute hat sie gar keine Zeit mehr, der Vergangenheit nachzutrauern.
„Mein Job war wirklich toll: assistentin des kaufmännischen Leiters in einem großen Unternehmen,
viel Eigenverantwortung, 27 Jahre lang. Das
Drama begann, als ein neuer vorgesetzter kam.
Plötzlich wurde ich gemobbt – und von meinem
arbeitsplatz verdrängt. während dieser Zeit
starb auch noch mein Mann. ich stürzte in ein
tiefes Loch. Da ich aber wusste, welche Kräfte in
mir stecken, begann ich zu kämpfen – mit Erfolg.
ich zog einen schlussstrich unter dieses düstere
Lebenskapitel, ich wollte wieder nach vorn blicken.
Meine entscheidende Frage war: was hat dir
denn früher immer viel Freude gemacht? Und
die antwort hatte ich schnell: Es war das Malen –
lange der perfekte ausgleich zu meinem stressigen
Berufsalltag. vor drei Jahren verwandelte ich
das obere stockwerk meines hauses in ein Malstudio und baute die Garage zu einer lichtdurchfluteten werkstatt um. Montagnachmittags stehe
ich jetzt mit vier Frauen zwischen Ende 30 und
Mitte 60 an der staffelei. wir hören entspannende
Musik, malen – je nach stimmung – in acryl, Öl,
mit Kohle oder Bleistift, lachen viel und lernen
voneinander. oft arbeite ich aber auch allein in
der werkstatt, säge und poliere zum Beispiel
specksteine. Und das alles mit der kilometerweiten
sicht auf die menschenleere Feldmark. Einsam
fühle ich mich hier in tespe nie, denn durch das
Malen habe ich einen großen Freundeskreis
gefunden. 2013 gründeten wir den Kulturverein
,wir‘, organisieren workshops oder den tag der
offenen ateliers. Es war ein furchtbar harter weg
für mich – aber jetzt spüre ich, dass ich auf der
Glück bringenden Zielgeraden bin.“
Gu T zu w is se n
Geheim-Tipps für kreative Köpfe
Sind Sie ein Genussmensch?
Am liebsten verwendet Susann Till
Obst aus der Region. Infos auf ihrer
Homepage: www.bysusann.de
20 Sorten
Chutneys hat
Susann Till
mittlerweile
im Sortiment
Fotos: Myway-archiv
Es war ein gesundheitlich schwieriges Jahr, das Susann Till beinahe jede
Kraft gekostet hätte. Bis ihr eine
Idee und ganz viel Glück mehr als
nur neuen Lebensmut brachten.
„Mama, du kannst doch so gut kochen“, sagte mein jüngster sohn im
März 2012 zu mir. Es lag ein scheußliches Jahr hinter mir, ich hatte zwei
schwere operationen und fühlte mich
alt. Eine Zukunft im seniorenheim
war mein horrorszenario. Und dann
mit diesem satz meines sohnes war
plötzlich eine idee geboren, bei der
ich nicht mal sicher war, ob sie funktionieren würde: ich wollte chutneys
machen. so bestellte ich kurzerhand
hundert Gläser und kochte grünes
chutney mit Kiwis, stangensellerie,
weintrauben, grünen oliven, Feigen,
Birnen und allerlei Kräutern. Dann
begann ich verkostungen bei mir zu
hause zu veranstalten, für Frauengruppen, Firmenfeiern, Geburtstage.
alle waren begeistert von meinen
Kreationen. innerhalb der ersten drei
Monate merkte ich schon: Das wird
was Größeres. Mein sohn hat für
mich die homepage gemacht, meine
schwiegertochter das lustige, farbige Logo entworfen. wenn ich etwas
mache, dann richtig. so war ich
schon immer. ich hatte eine Modeschule besucht, habe viel genäht,
zwischenzeitlich ein hotel geführt,
dann wurde ich schwanger. ich habe
zwei söhne großgezogen. Meine beiden Männer sind gestorben, aber ich
habe mich nie unterkriegen lassen. im
Gegenteil: Denen werde ich’s zeigen!“ war immer meine Devise. Bei
Ulrike Hoepfner-Mahnke (60)
wer sich kulinarisch austoben möchte,
kann sich ganz viele anregungen im internet holen. Es gibt tolle Foodblogs im Netz,
auf denen amateure und Profis ihr wissen
preisgeben. wir haben drei ausgesucht.
aber achtung, es könnte ihnen schon
beim anklicken das wasser im Munde
zusammenlaufen.
Für süßes: www.zuckerzimtundliebe.de
Für herzhaftes: www.chefhansen.de
Für Experimentelles: www.ziiikocht.at
Schlägt Ihr Herz für die Kunst?
haben sie früher auch mal gemalt und
bekommen nun Lust, ihr altes hobby wieder aufleben zu lassen? Es gibt neben den
üblichen Malkursen auch Kurse, die von
Museen angeboten werden. oder aber sie
besuchen eine akademie, wie zum Beispiel
die Leipziger sommerakademie. sieben
tage unter professioneller Leitung malen
kostet 360 €. Der Kurs richtet sich an anfänger
und Fortgeschrittene. infos und termine auf
www.leipzig-sommerakademie.de
bella 13
Lust auf Landküche, Nr.3, Mai/ Juni 2015
Land & Leute – By Susann
Susann Till hat eine Marktlücke entdeckt
Mit Chutneys
auf Erfolgskurs
In einer nur fünf Quadratmeter
großen Küche kreiert Susann Till
(71) fruchtig-scharfe Soßen, die
in Norddeutschland zurzeit der
Renner sind. Feinkostgeschäfte
reißen sich um ihre eingekochten Spezialitäten. Wir durften
probieren und erlebten eine
wahre Geschmacksexplosion.
E
Susann Till startet mit
ihrem Feige-OlivenChutney, das aus über
20 Zutaten besteht
igentlich könnte Susann Till schon
lange die Füße hochlegen und ihren
Ruhestand genießen. Doch das war
ihr zu langweilig. „Fotos von Enkelkindern
auf dem Kaffeeklatsch herumzuzeigen
und über Krankheiten zu diskutieren, das
ist nicht so mein Ding“, sagt die 71-Jährige.
Sie hat schon immer gern gekocht. Das war
familiär bedingt: Bereits ihr Vater sammelte
historische Rezepte und verwöhnte seine
Familie mit köstlichen Gerichten. Nach der
Geburt ihres ersten Sohnes durfte Susann
wegen dessen Erkrankung nur frische Zutaten verwenden, und auch ihr zweiter
Mann brauchte eine besondere Kost.
„Ich esse selbst kaum Süßes,
mag es eher pikant“
Rechts: Martina
Prohaska ist
eine der vier
Mitarbeiterinnen
42
Lust auf Landküche 3/2015
Söhne (heute 48 und 50) bei einer Familienfeier mal wieder nach ihren pikanten Soßen
fragten und sagten: „Mama, wenn du etwas
kannst, dann ist es kochen“, kam ihr die Geschäftsidee: Ich mache meine Leidenschaft
zum Beruf! Also wagte die damals 69-Jährige erneut den Schritt in die Selbstständigkeit. „Meine Jungs haben mich zwar für verrückt erklärt“, erinnert sie sich lachend, „aber
das hat mich nicht abgehalten.“
Der Erfolg gab ihr Recht: Mittlerweile lieben
nicht nur Susanns Söhne und Enkel Omas
Chutneys – auch 300 Wein- und Feinkost­
läden sowie ausgewählte Supermärkte
in Norddeutschland zählen zu ihren Abnehmern. Zum Sortiment gehören neben
17 verschiedenen Chutneysorten pikante
Pralinen sowie Cantuccini, das italienische
Mandelgebäck, das wie Zwieback zweimal
gebacken wird. In ihrer Fassung ist es jedoch
nicht übertrieben süß wie das Original, sondern es enthält eine leicht scharfe Note. Alles
Die Biokräuter zerkleinert Susann
Till stets frisch in ihrem Mixer
Lust auf Landküche 3/2015
43
▲
Ganz rechts:
Das Kochen,
Würzen und
Abschmecken
ist Sache der
Chefin
„Liebe geht eben durch den Magen“, erklärt die ehemalige Modedesignerin. „Ich
habe bereits vor dreißig Jahren anders
gekocht als andere. Fertigprodukte waren
bei uns tabu. Außerdem sind sie entweder
zu süß oder geschmacklich nicht rund. Ich
esse selbst auch kaum Süßes, bin eher fürs
­Pikant-Würzige zu haben. Entsprechend sah
unser Speiseplan aus.“
Schon seit Langem kochte sie Chutneys ein,
über die sich die Verwandtschaft zu Weihnachten stets sehr freute. Als ihre beiden
Eine Auswahl der insgesamt 20 verschiedenen Chutneys „By Susann“
Land & Leute – By Susann
Frische Peperoni
schneidet Susann
vor dem Mixen
mit der Schere
klein. Die geben
ein tolles Aroma!
Der 20-Liter-Topf ist
leer, die Gläschen
voll – Susann und
Martina strahlen
nach getaner Arbeit
Martina Prohaska
ist fürs Schnippeln
zuständig: alles
akkurat in gleich
große Stücke
Die Zutaten fürs Feige-Oliven-Chutney
auf einen Blick. Die Oliven lagen bereits
im Topf
Selbst Sterneköche wie Heinz Wehmann
vom Landhaus Scherrer in Hamburg
sind begeistert von so viel Aroma
Schätze in Boxen: Das Würzen ist bei den
fruchtig-scharfen Soßen das A und O
44
Lust auf Landküche 3/2015
Rosmarin und Thymian von den Stielen zu trennen ist wahre Fummelarbeit – für die geschickte Martina Prohaska jedoch kein Problem
Die Soßen eigenen sich zu Brot, Käse, kurz
gebratenem Fleisch und Fisch, Pasta, Salat,
Kartoffeln, Fondue, Raclette, Desserts und als
Grundlage für Suppen.
Die würzigen Soßen
­stammen aus Indien
Sie sind handgekocht, aus frischen, saisonalen Produkten und ohne Farb-, Konservierungsstoffe oder Geschmacksverstärker.
Doch ohne familiäre Hilfe geht es nicht:
„Einer meiner Söhne kümmert sich ums Unternehmerische“, erklärt Susann Till. „Meine
Schwiegertochter ist Webdesignerin und
hat mein Label entworfen. Dafür stand
mein Name Pate: By Susann.“
Für jedes Chutney hat sie eine eigene Farbe
und Nummer kreiert, damit sich die Kunden ihren Favoriten besser merken können.
Geöffnet sind die scharfen Soßen im Kühlschrank bis zu sechs Monate haltbar.
Chutneys stammen ursprünglich aus Indien. Während der Kolonialzeit wurden grüne Mangos in Holzkisten auf dem Schiffsweg erstmals nach England gebracht. Nach
sechs Monaten waren die Früchte reif und
eigneten sich für das perfekte Mango­
chutney. Es wurde 1964 im Berliner Restaurant „Kalkutta“ eingeführt. Aber erst 30 Jahre
Lust auf Landküche 3/2015
45
▲
Limonensaft gibt die fruchtige Frische. Gar nicht
so einfach, die kleinen Hälften auszupressen
entsteht in ihrer winzigen, nur fünf Quadratmeter großen Küche. Als sie damals in dieses
Haus gezogen ist, konnte sie schließlich noch
nicht ahnen, dass dort eine Produktionsstätte
für die deutsche Feinkostbranche entstehen
würde. Im Garten hinter dem Haus wachsen
viele Kräuter, die sie für ihre Chutneys braucht.
Und in den Kisten im ehemaligen Atelier, in
dem sie früher für die Haute Couture Hochzeitskleider und Abendroben schneiderte,
lagern nun Gewürze aus aller Welt. Nebenan
in der Garage hortet Susann Till Obstkästen
mit Mangos, Äpfeln, Birnen und Feigen, dazu
hunderte von Chutneygläsern à 150 g, die für
7,50 Euro bei den Händlern verkauft werden.
Land & Leute – By Susann
Wieder ist eine
Lieferung für
die Läden fertig.
Susann kommt
mit der Produktion kaum
hinterher
Finale: Susann Till befüllt die noch warmen,
gereinigten Gläser mit der gekochten Masse
Zum Schluss wird alles
etikettiert. Auch das
macht die Chefin mit
ruhiger Hand selbst
Fisch auf Zitronen-ChutneySchaum. Chutneys sind toll
zum Verfeinern
Ganz links:
Würzige
Pralinen sind
die neueste
Kreation von
Susann Till
Links: Neben
Pralinen in
verschiedenen
Verpackungen
gibt es auch
Cantuccini
auch Kochkurse an, ist häufiger Gast auf
Messen, und ganz nebenbei schreibt sie an
einem eigenen Kochbuch. Aktuell gibt es
wieder saisonale Exoten wie das Spargel­
chutney. Das Gemüse dafür stammt wie
Nach dem Befüllen müssen die Gläschen in
Teamarbeit schnell geschlossen werden
später hat sich das Chutney in deutschen
Küchen etabliert – mit immer neuen Sorten.
Susann Tills Produkte sind nicht zu süß, weil
sie den Zucker nur in homöopathischen
Dosen verwendet: ein Kilo auf 100 Gläser.
„Die Natur kommt pur ins Glas“, sagt sie. Zu
den Grundzutaten gehören Zwiebeln, Essig,
Zucker und Gewürze, außerdem gemahlene Senfsamen. Dazu kommen Obst- und
Gemüsesorten der Saison. „Beides sollte
man immer kombinieren, dann entsteht
dieses besondere Aroma. Eine Feige, die
aromatisch ja eher verhalten ist, braucht
46
Lust auf Landküche 3/2015
zum Beispiel die Frische in Form von Limette, Trauben oder Kiwi. Um deren Süße noch
herauszukitzeln, benötigt man die Bitterstoffe der Sellerie und der Paprika.
Manchmal landen ihre
­Kreationen im Abfluss
Ich habe beispielsweise ein tolles Aprikosen­
chutney, das braucht den Chicorée als Gegenspieler. Weil ich ja auch die Schale mitverwende, muss ich gutes Obst haben.“
Dazu kommen verschiedene Kräuter, je
nach Geschmacksrichtung. Zunächst wird
der Essig mit wenig Zucker und Zwiebeln
eingekocht. Danach gibt sie je nach Chutney die entsprechenden Zutaten hinzu.
Mehr wird nicht verraten. Firmengeheimnis!
„Es kommt schon mal vor, dass eine neue
Kreation den Weg in den Ausguss findet“,
gesteht Susann Till. „Manches passt einfach
nicht zusammen, oder es schmeckt nicht so,
wie ich es mir vorgestellt habe. Dann fange
ich eben noch einmal von vorn an.“
Bis zu 2000 Gläser werden im Monat produziert. Zu Hause bietet die Chutneyexpertin
Vor knapp zwei Jahren erhielt
Susann Till eine Auszeichnung des
Stader Gründungsnetzwerks
so oft aus den Hofläden in der Nähe, dem
Alten Land. Anschließend steht das Apfel­
chutney auf dem Plan – viel Arbeit, die die
Frühaufsteherin allerdings nicht scheut. „Ich
gehe jeden Morgen um fünf Uhr eine Stunde laufen“, sagt sie.
noch einkochen, aber für Susann ist Chutney sowieso die beste Verjüngungskur! ❦
Weitere Infos unter:
www.bysusann.de
„Mit 80 mache ich mit meiner
­Familie eine Weltreise“
Niedersachsen
Von der Gelassenheit ihrer Chefin profitieren auch die vier Mitarbeiterinnen. „Ich bin
begeistert“, sagt Martina Prohaska, „vor allem
von ihrer Energie. Da kann ich als Frau mittleren Alters noch viel lernen, wenn jemand
mit 71 noch so viel Power hat. Hier herrscht
eine lockere lustige Stimmung. Wir arbeiten
zwar fleißig, aber es macht viel Spaß. “
Susann Till meint: „Bis 80 steht mein Imperium. Dann mache ich mit meiner ganzen
Familie eine Weltreise. Das ist mein Traum.“
Einige scharfe Soßen muss sie dafür wohl
Von Ann-Christin Baßin
By Susann
Susann Till
Harsefelder Str. 62
21680 Stade
Tel. 0 4141/6 42 69
Fax 0 41 41/4113 38
E-Mail: [email protected]
Lust auf Landküche 3/2015
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deli, Nr.3 2015
deli, Nr.3 2015
SAVOIR-VIVRE, März/April 2015
SAVOIR-VIVRE, März/April 2015
Business & People, Juli 2014
tina, Nr.25, 10.Juni 2015
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Aktuell
Unser Gesundheits-Tipp
Susann Till (71) ist unsere
-Frau der Woche
Neustart
statt
Ruhestand
M
ama, wenn du eins kannst, dann ist
das kochen“, sagte ihr jüngster
Sohn im März 2012 zu Susann Till
und brachte damit einen Stein ins
Rollen. Sie hatte ein scheußliches
Jahr hinter sich. „Gesundheitlich ging es mir
überhaupt nicht gut“, erinnert sich Susann Till.
„Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt
wieder auf die Beine komme.“
Was also tun? Umzug ins Seniorenheim? Für
sie der blanke Horror. Stattdessen bestellt sie
100 Schraubgläser und fängt an, in ihrer Küche
in Stade Chutneys zu kochen. Aus Kiwis, Stangensellerie, Weintrauben, grünen Oliven,
Feigen, Birnen und allerlei Kräutern. Sie veranstaltet Verkostungen, für Frauengruppen,
Firmenfeiern, Geburtstage. Ihre Kunden sind
von ihren würzigen Soßen begeistert. „Innerhalb der ersten
drei Monate merkte ich schon:
Das wird was Größeres“, sagt sie.
Ihr Sohn richtet ihr eine
Homepage (www.bysusann.de)
ein, die Schwiegertochter entwirft ein Logo. Schon bald
brummt die kleine Firma: Heute
gibt es 17 verschiedene Sorten
Chutney, und Susann Till beliefert mehr als 300 Feinkostläden
in Deutschland. Ihr Haus ist
schon fast zu klein, und ohne
Mitarbeiter würde sie es gar
nicht mehr schaffen.
„Wenn ich etwas mache, dann richtig“, sagt
sie. „Früher habe ich eine Modeschule besucht,
habe viel genäht, zwischenzeitlich ein Hotel geführt, dann wurde ich schwanger.“ Zwei Söhne
hat sie großgezogen. Ihre beiden Ehemänner
sind gestorben. „Aber ich habe mich nie unterkriegen lassen.“ Im Gegenteil …
Die Staderin hat aus ihrer Küche eine
Chutney-Manufaktur gemacht. Die
würzigen Soßen sind bundesweit gefragt
Text: Uta Dietsch
„Ich entspanne
bei der Arbeit.
Nichtstun ist
nichts für
mich!“, sagt
die 71-jährige
Susann Till
Vorsicht bei chemischsynthetischen Schlafmitteln: Diese können zur
Abhängigkeit und zum
gefürchteten HangOver führen! Ganz
anders wirkt der
Extrakt der Baldrianwurzel: Dieser fördert
den Schlaf ganz natürlich
und erzwingt ihn nicht.
Schluss mit schlechtem
Schlaf und innerer Unruhe
Was wirklich hilft!
W
Susann Till
mit ihrer
Helferin
Martina, die
sie beim
Kochen
unterstützt
„Denen werde ich’s zeigen!“ Das war
immer ihre Devise. „Bei allen Schwierigkeiten
in meinem Leben habe ich auch viel Glück gehabt“, sagt sie mit Dankbarkeit in der Stimme.
Sie hat noch viele Ideen, träumt zum Beispiel
davon, ein Chutney-Kochbuch zu schreiben.
Doch bislang fehlt dafür die Zeit. „Wenn meine
sechsjährige Enkelin Lena anruft und eine Geschichte hören möchte, klemme ich mir den
Hörer unters Ohr und erzähle eine, während
ich mit dem Löffel im Kochtopf rühre.“ n
Fotos: MYWAY Archiv (2), PR
Ihr Vorbild
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christian rach „Ich bewundere ihn, weil
er mit seiner besonderen Art, Ernährung ganz
wunderbar erklären kann. Er bringt das klar und
sehr glaubhaft rüber. Ein Traum von mir wäre,
mal gemeinsam mit ihm zu kochen.“
Kennen Sie auch jemanden, der für Sie die tina-Frau der
Woche sein könnte? Eine Nachbarin oder Freundin? Dann
schreiben Sie uns mit Foto an: Brieffach 3 08 35, 20067 Hamburg,
E-Mail: [email protected]
er eine erholsame Nacht
hinter sich hat, ist am
nächsten Morgen buchstäblich ausgeschlafen: gut erholt,
körperlich und geistig leistungsfähig, kann Stress einem kaum etwas anhaben. Anders ist es, wenn
der Schlaf mal wieder zu kurz
kommt. Millionen Menschen mit
Schlafproblemen sind am Tag danach müde, unkonzentriert, wie
gerädert. Innere Unruhe wird
zum täglichen Begleiter. Was Ihnen dann wirklich hilft: Hochdosierter Baldrian.
Ganz natürlich in
den Schlaf finden
Die schlaffördernde Wirkung des
Arzneibaldrians beruht auf der
Gesamtheit seiner Inhaltsstoffe.
Er steht als wissenschaftlich erprobtes, sicheres Präparat zur
Verfügung, mit dem die Übererregbarkeit der Nerven, Hauptursache von innerer Unruhe und
Schlaflosigkeit, ganz natürlich
reguliert werden kann: Der in
Baldriparan® Stark für die Nacht
enthaltene hochdosierte Extrakt
aus der echten europäischen
Baldrianwurzel sorgt für ausreichend Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) im Körper. GABA
ist der natürliche „Müdemacher“:
Er dämpft wahrgenommene Reize im zentralen Nervensystem.
So finden Sie nachts rasch in den
Schlaf und die Schlafqualität wird
verbessert. Baldriparan® Stark für
die Nacht ist wirksam und verträglich, eine Abhängigkeit ist
nicht zu befürchten.
Ein Dragee genügt
Im Gegensatz zu vielen anderen
Schlafhilfen reicht 1 Dragee aus,
um die gewünschte Wirkung zu
erzielen. Ein- und Durchschlafprobleme werden so natürlich
gelöst, Körper und Geist können sich ungestört erholen und
Sie starten ausgeschlafen, frisch
und leistungsfähig in den neuen
Tag. Zusätzlicher Pluspunkt: Die
Dragees sind frei von Lactose und
Gelatine. Baldriparan® Stark für
die Nacht gibt es rezeptfrei in Ihrer Apotheke.
Unser Tipp:
Hochdosierter
Baldrian.
Baldriparan® Stark für die Nacht. Wirkstoff: Baldrianwurzeltrockenextrakt. Bei nervös bedingten Schlafstörungen.
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
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