Entwicklung der jüdischen Identität 70 Jahre nach der Schoah – Wo

Entwicklung der jüdischen Identität 70 Jahre nach der Schoah –
Wo steht die Wiener Gemeinde heute?1
Susanne Cohen-Weisz
Die Wiener jüdische Gemeinde hat seit der Schoah einen einzigartigen Entwicklungsprozess
durchgemacht.
Ein kurzer Vergleich der Situation vor den späten 1970er Jahren und heute zeigt diese Entwicklung
sehr deutlich. Einige Beispiele:
* Die IKG-Führung
Bis in die späten 70er Jahre, besonders unter der Führung des Bunds Werktätiger Juden (19521981), hat die IKG versucht, kein Aufsehen zu erregen und nicht im Rampenlicht zu stehen. Die IKG
hielt sich von der Öffentlichkeit fern. Sie versuchte jeden Konflikt mit der österreichischen Politik zu
vermeiden in der Hoffnung, Toleranz und staatliche Unterstützung für die Juden in Österreich zu
gewinnen. Alle jüdischen Angelegenheiten wurden mit den österreichischen Behörden und Parteien
hinter verschlossenen Türen besprochen.
Heute hat die IKG eine religiöse, kulturelle, politische und wirtschaftliche Stärke erreicht, die in den
ersten Jahrzehnten nach der Shoah unmöglich erschien. Die IKG agiert heute aktiv und selbstbewusst
auf den österreichischen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bühnen. Sie scheut nicht
öffentliche Debatten und, wenn notwendig, wendet sie sich an Politiker, die Gesellschaft, die Polizei
und Gerichtshöfe. Selbst offenen Konfrontationen geht sie nicht aus dem Weg. Die IKG hat sich
auch zunehmend gegenüber der nicht-jüdischen Gesellschaft geöffnet (Chanukkah-Markt, Tag der
offenen Tür, jüdische Kulturwochen ...) Die IKG-Führung zeigt sich als stolze Juden, die sich nicht
scheuen, als Juden im Rampenlicht zu stehen. Im Gegenteil, die IKG ist daran interessiert, NichtJuden zu zeigen, was das Judentum ist und was es seiner Umgebung an Bereicherung gibt.
* Jüdische Bevölkerung.
Diese Öffnung blieb nicht auf die Repräsentanten der Gemeinde beschränkt.
Bis in die 70er Jahre haben die Juden in 2 Welten gelebt: die äußere Welt, welche den Arbeitsplatz
inkludierte, in welcher sie mit nicht-jüdischen Leuten, die sie fürchteten und denen sie mistrauten,
Kontakt haben mussten. Und die innere jüdische Welt, die Welt der Familie und Freunde. Alle
jüdischen Aktivitäten haben hinter geschlossenen Türen stattgefunden. Die Wiener Juden versuchten,
keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und ihre Jüdischkeit so gut wie möglich vor der nichtjudischen Umwelt zu verbergen aus Angst, Antisemitismus zu schüren. Sie vermieden jegliche
äußerliche Zeichen ihres Judentums. Sie trugen, z.B., Kappen und versteckten ihre Ketten mit Magen
David, Menorah oder Chai unter ihrem Gewand. Sogar Charedim nahmen ihre Kopfbedeckung ab,
wenn sie ein Amt betraten.
Heute zeigen die Wiener Juden ihr Judentum offen. Insbesondere Juden der 2. Nachkriegsgeneration
tragen heute Kippot in der Öffentlichkeit. Sie verwenden das Wort „Jude“ mit zunehmender
Natürlichkeit anstatt dem Ausdruck „mischelanu“, der in den Elterngenerationen oft verwendet
wurde und wird, wenn sie in der Öffentlichkeit über andere Juden sprachen und die Aufmerksamkeit
der Nicht-Juden nicht auf sich ziehen wollten. Heute sagen die Wiener Juden offen „Wir sind
Juden“.
Die Makkabiade, die 2011 in Wien stattgefunden hat, ist ein Zeichen dieses neuen
Selbstbewusstseins als Juden in Wien. Die Spiele waren nicht nur die ersten, die seit 1945 in einem
1
Vortrag im Rahmen des Symposiums 70 Jahre nach dem Ende der Schoa „Chasara lachajim“ / Zurück zum
Leben, Misrachi, Wien, 10.-11. Mai 2015.
deutschsprachigen Land abgehalten wurden, sie waren auch die ersten, bei denen die
Eröffnungszeremonie nicht in einem Stadion, sondern unter freiem Himmel auf einem zentral
gelegenen Platz stattgefunden hat. Die Delegationen marschierten vom Judenplatz zum Rathaus.
Dort wurde die olympische Flamme entzündet und eine 3 Stunden dauernde Zeremonie mit
Ansprachen von IKG-Vertretern, jüdischen Persönlichkeiten und israelischen und österreichischen
Politikern (einschließlich Bundespräsident Heinz Fischer) abgehalten.
* Einstellung zu einer jüdischen Zukunft in Wien
Bis in die späten 1970er hat sich die Wiener Gemeinde als Liquidationsgemeinde gesehen. In den
Augen der Mehrheit der Juden, war es nur eine Sache der Zeit, bis die IKG aufgelöst würde.
Jüdisches Leben war nicht attraktiv, und viele Jugendliche verließen Wien. Die Juden sahen ihr
Leben in Wien als „Kriegsunfall“ und nicht als eine bewusste Entscheidung. Sie saßen auf
„gepackten Koffern“, konnten sich keine Zukunft für Juden in Wien vorstellen, versprachen sich
selbst und ihren Freunden immer wieder, Wien so bald wie möglich zu verlassen. Sie fühlten sich als
Fremde in der Stadt, aber blieben trotzdem hier.
Heute fühlen sich die Wiener Juden in Wien „zu Hause“ und beabsichtigen hier zu bleiben – solange
Österreich eine Demokratie bleibt, die die Sicherheit ihrer jüdischen Bevölkerung vor dem
steigenden linken, rechten und islamischen Antisemitismus schützen kann und will. Die Wiener
Juden haben ihre Koffer eindeutig ausgepackt. Die leeren Koffer wurden jedoch in Reichweite
verstaut, um sie im Notfall schnell wieder packen zu können. Antisemitische Tendenzen werden
genau beobachtet, aber Wien wird trotzdem eindeutig als Heimat betrachtet.
* Infrastruktur
Dieses Gefühl, „zu Hause“ zu sein, hat sich direkt auf die jüdische Infrastruktur in Wien ausgewirkt.
Bis in die späten 1970er hat die IKG nur ein Minimum an religiösen und gesellschaftlichen
Institutionen errichtet, die für die körperlichen und geistigen Bedürfnisse der Gemeinde notwendig
waren. Ein großer Teil der jüdischen Infrastruktur wurde von den Charedischen Gruppen errichtet.
Diese Infrastruktur war jedoch gerade ausreichend, es gab eine koschere Bäckerei, einen
Fleischhauer und einen Supermarkt. Die IKG hat auch keine jüdische Schule errichtet und hatte dies
auch nicht vor. 1952 hatte die IKG das Versteck der Lehrmittel ihrer Vorkriegsschule entdeckt,
welche viele wertvolle Bücher, gut ausgestattete Chemie- und Physiklabors, eine Sammlung an
Mineralien und anderen Sachen beinhaltete, welche als Grundlage für eine neue Schule hätten dienen
können. Anstatt diese für den Unterricht der jüdischen Kinder in Wien zu verwenden oder
aufzubewahren, wurde die ganze Ausstattung nach Israel verschifft, als Geschenk an das Israelische
Unterrichtsministerium.
Viele an die IKG restituierte Immobilien wurden von dieser um geringe Beträge veräußert, manche
an Behörden sogar fast verschenkt.
Heute gibt es in Wien 5 Schulen ( Zwi Peres Chajes-Schule, Lauder-Chabad-Schule, Knaben- und
Mädchen-Talmud-Thora-Schulen von Machsike Hadass und die Talmud-Tora-Schule der Agudas
Israel), sowie die Wiener Yeschiwe, die berufsbildende Schule JBBZ, die Fachhochschule Lauder
Business School, sowie weitere Bildungsinstitutionen.
2008 wurde auch der IKG-Campus errichtet. Dieser Campus mit den auffallenden Gebäuden und
modernsten Einrichtungen ist ein klares Zeichen für das gestiegene Selbstbewusstsein der Wiener
Juden als Juden in Wien, deren Wunsch es ist, ein sichtbarer Teil der Wiener Gesellschaft und
kulturellen Landschaft zu sein, und, was am wichtigsten ist, ein blühendes jüdisches Leben
aufzubauen, um aus Wien eine attraktive Stadt für die Wiener Juden und Juden aus der ganzen Welt
zu machen. Denn es ist der Wunsch der IKG, junge intellektuelle Juden anzuziehen, um die kleine
jüdische Gemeinde zu stärken.
Die jüdische Infrastruktur in Wien ist heute umfangreicher als in anderen europäischen Städten mit
einer größeren jüdischen Bevölkerung.
Berlin
Ca. 11.000
9
3 + 1 Gymnasium
5
Wien
Ca. 8.000
18
5
10
3
4
10
Bevölkerung
Synagogen (a)
Schulen (b)
Supermärkte und
Bäckereien
Fleischhauer
Restaurants
(a)
In Berlin sind viele Synagogen die meiste Zeit fast leer. Von der Synagoge Oranienburger Strasse – dem Symbol der
Renaissance des Judentums – wurde nur die Fassade und die Kuppel wieder aufgebaut und nicht den Hauptraum der
Synagoge. Heute beherbergt die Synagoge Büros der jüdischen Gemeinde, ein Museum über das jüdische Leben in
Deutschland vor dem Krieg und nur einen kleinen Betraum.
(b)
Während an den jüdischen Schulen in Wien nur jüdische Kinder lernen, werden an der Berliner Heinz GalinskySchule und dem Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn auch nicht-jüdische Kinder unterrichtet (am Gymnasium
sind 40% der Schüler nicht jüdisch).
Auch das jüdische Leben in Wien ist viel lebendiger und sichtbarer. Wie z.B. zu Rosch Haschana,
wenn Charedische, modern-Orthodoxe und traditionelle Juden sich am Donaukanal zum Taschlich
treffen.
Was hat zu diesem Aufblühen der Wiener jüdischen Gemeinde geführt?
Was waren die Hauptfaktoren, die das jüdische Leben hier in den letzten 70 Jahren beeinflusst
haben, und wie haben sie dies getan?
Ein Vergleich mit der jüdischen Gemeinde in Deutschland hat eindeutig gezeigt, dass innerstaatliche
politische und gesellschaftliche Entwicklungen die Gemeinden zwar beeinflusst haben, dass jedoch
diese Einflüsse nicht ausschlaggebend für den Wiederaufbau der Gemeinde waren.
In Österreich und Deutschland haben die Juden zur gleichen Zeit begonnen, ihre Koffer auszupacken
und sich „zu Hause“ zu fühlen (seit den frühen 1980er Jahren); ihr Selbstbewusstsein als Juden hat
sich gleichzeitig entwickelt, und sie haben zur gleichen Zeit begonnen, sich gegenüber der nichtjüdischen Gesellschaft zu öffnen. Dies geschah, obwohl die Politik der Deutschen Regierungen
gegenüber der jüdischen Gemeinde viel wohlwollender war als die der österreichischen Regierungen,
insbesondere bezüglich der Vergangenheitsbewältigung, der jüdischen Zuwanderung und der
finanziellen Unterstützung der jüdischen Gemeinden.
Während sich die Bundesrepublik Deutschland als Nachfolgerin des 3. Reichs sah und die
Verantwortung gegenüber den Opfern der Schoah auf sich nahm, hat sich Österreich als „erstes
Opfer Nazi-Deutschlands“ inszeniert, und weigerte sich, Mitschuld zu bekennen und
Mitverantwortung für die Schoah zu übernehmen.
Mitte der 1980er Jahre hat sich die Situation gedreht. In Deutschland hat der Historikerstreit zu einer
Relativierung des Schuldgefühls geführt und das Thema der Deutschen als Opfer der Alliierten
sowie die Frage über die Rolle der Schoah in der Deutschen Identität aufgebracht. Die WaldheimAffäre wiederum führte zu einer neuen öffentlichen Diskussion über die Rolle der Österreicher in der
Schoah. 1991 hat Bundeskanzler Franz Vranitzky zum ersten Mal offiziell zugegeben, dass eine
große Anzahl von Österreichern an der Mordmaschinerie teilgenommen hat. Kurz gesagt, gerade als
die österreichische Gesellschaft begonnen hat, sich mit der Schoah auseinanderzusetzen, haben die
Deutschen versucht, sich von diesem Teil ihrer Geschichte zu verabschieden und mit dem Thema
abzuschließen.
Trotz dieser Entwicklung, unterstützt die Deutsche Regierung ihre jüdischen Gemeinden weiterhin
viel mehr als die österreichische die ihren. Heute erhält der Zentralrat der Juden 10 Millionen Euro
pro Jahr, wahrend die IKG nur 308.000 Euro erhält. (In Deutschland werden die einzelnen jüdischen
Landesverbände und Gemeinde noch zusätzlich von den Bundesländern und Städten finanziell
gefördert).
Trotz dieser deutlich geringeren finanziellen Unterstützung, ist die jüdische Infrastruktur in Wien
viel entwickelter als in Deutschland.
Was war nun ausschlaggebend für die Entwicklung der Wiener jüdischen Gemeinde?
Die Antwort ist: gemeinde-interne Entwicklungen, insbesondere Änderungen in der jüdischen
Gruppenidentität. Diese haben nicht nur das Gemeindeleben, sondern auch die Beziehung der Juden
zu ihrer nicht-jüdischen Umgebung beeinflusst.
Was ist jüdische Gruppenidentität?
* Einerseits: Das Gefühl, eine Gruppe zu sein. Die Gruppenmitglieder fühlen, dass sie wichtige
Gemeinsamkeiten haben und dass diese sich so sehr von jenen anderer Menschen unterscheiden, dass
sie eine eigenständige Gruppe bilden. Gruppenidentität bedeutet eine Zusammengehörigkeit zu den
anderen Gruppenmitgliedern und Abgrenzung von Mitgliedern anderer Gruppen.
* Andererseits: Im Sinne von „Identität der Gruppe“ bezieht sich Gruppenidentität auf den speziellen
Inhalt, die Menge von Bedeutungen, Normen, Werten, Charakteristiken und Zielen der Gruppe, die
sie von der Umgebung unterscheidet.
Der Inhalt der Identität der jüdischen Gruppe umfasst nicht nur religiöse, sondern auch kulturelle,
ethnische und historische Elemente.
Gruppenidentität ist ein fortlaufender Bildungsprozess, der eine Anpassung an wandelnde Realitäten
ermöglicht. Die Identität besteht einerseits aus dauerhaften Elementen und andererseits aus
Elementen, die sich im Laufe der Zeit ändern oder entwickeln, oder neuen Elementen, die unter
besonderen Umständen entstehen (z.B. die Erinnerungen an die Schoah und die Bindung zum Staat
Israel, welche vor 1945 beziehungsweise 1948 nicht existierten)
Meine wissenschaftliche Forschung hat ergeben, dass im Bezug auf die Wiener und deutschen
Gemeinden drei Elemente der Gruppenidentität die Entwicklung der Gemeinden ausschlaggebend
beeinflusst hatten: (1) die Erinnerungen an die Schoah, (2) die Bindung zum Staat Israel und (3) die
Religion. Die unterschiedlichen Entwicklungen dieser Elemente in den letzten 70 Jahren haben die
Wiener und deutschen jüdischen Gemeinden zu dem gemacht, was sie heute sind.
Ich werde jetzt die Entwicklungen der drei Elemente im Laufe der Jahrzehnte und über die
Nachkriegsgenerationen hinweg in Kürze beschreiben. Ich konzentriere mich speziell auf die Wiener
Gemeinde und werde die Entwicklungen in den deutschen Gemeinden zwischendurch ansprechen.
Erinnerungen an die Schoah
Nach dem 2. Weltkrieg sind die Erinnerungen an die Schoah zum Bindeglied zwischen den
Überlebenden geworden. Die assimilierten Juden teilten jetzt eine gemeinsame jüngere
Vergangenheit mit ihren jüdischen Landsleuten, die schon immer eine starke jüdische Identität
hatten. Auch die verschiedenen nationalen und religiösen Gruppen innerhalb der Displaced PersonsBevölkerung, welche vor der Schoah aufgrund der kulturellen Unterschiede und Unstimmigkeiten in
religiösen Angelegenheiten oft keinen Kontakt miteinander hatten, hatten nun ein Gefühl der
Zusammengehörigkeit als eine Gruppe und arbeiteten zusammen, um gemeinsame religiöse und
Bildungseinrichtungen in den DP-Lagern einzurichten.
Die persönliche Schoah-Erfahrung ist daher das Hauptbindeglied aller Überlebenden geworden und
ein zentrales Element in ihrer jüdischen Gruppenidentität.
Gleichzeitig führte die Erinnerung an die Schoah zu einer Abgrenzung zwischen den Juden und ihrer
nicht-jüdischen Umgebung. Die Tatsache, dass die Schoah eine so große Rolle in der Bildung der
jüdischen Gruppenidentität spielte, führte zur Entstehung einer Kluft zwischen der jüdischen und der
nicht-jüdischen Bevölkerung. Die Juden in Wien sahen sich als Opfer in einem Land, das nicht nur
seine Verantwortung für die Schoah leugnete, sondern auch die 2. Republik auf dem Mythos des
„ersten Opfers Nazi-Deutschlands“ aufgebaut hatte, ehemalige Nazis schnell in den öffentlichen
Dienst, das politische Leben und Universitäten integrierte, und die Notwendigkeit der
Entnazifizierung verneinte.
Außerdem entfremdete die Erinnerung an die Schoah und die Rolle der Österreicher (und Deutschen)
in der Schoah die Juden in Österreich (und Deutschland) den Juden im Ausland. Die jüdische Welt
war einer dauerhaften Anwesenheit von Juden im „Land der Mörder“ feindlich gesinnt.
Infolgedessen, lebten die Juden in 2 Welten, versuchten keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen,
versteckten ihre Jüdischkeit vor der nicht-jüdischen Gesellschaft und fühlten sich unbehaglich, dass
sie in Österreich lebten (nicht so schlimm, wie in Deutschland wo Juden behaupteten, sie kämen aus
Holland oder der Schweiz – aber auch Wiener Juden sagten nie: „Wir sind aus Österreich“, sondern
aus „Wien“). Juden flüchteten in ein neues Ghetto. Seine Mauern, Angst, Hass und Misstrauen,
waren unsichtbar, gleichwohl stabiler als jene von einst.
Auch die Nachkriegsgeneration war von der Schoah geprägt. Sie war durch die Erinnerung ihrer
Eltern an die Schoah, deren Ängste, Schmerz und Leid sehr belastet, und das beeinflusste ihre
Identität. Andererseits hatten sie schon eine emotionale Entfernung zur Schoah, die es ihnen
ermöglichte, die Vergangenheit besser zu bewältigen.
In den 1970er Jahren hatte diese Generation schon das Bedürfnis, das von ihren Eltern selbstkonstruierten „Ghetto der Ängste und Isolation“, wie Raphael Seligman es nannte, zu verlassen und
ein Leben zu führen, das nicht ständig von der Schoah geleitet wurde. Sie begannen aus der Rolle der
stillen Opfer auszubrechen, um das Selbstbild des „passiv leidenden“ Juden abzuschütteln. In den
1980er Jahren, haben sie nun unter dem Motto „Niemals wieder“ offen ausgesprochen, was ihre
Eltern dachten, sich aber nicht trauten, in der Öffentlichkeit zu sagen aus Angst, Antisemitismus zu
schüren. Diese Generation setzte der konfliktscheuen Politik gegenüber dem Staat und der nichtjüdischen Gesellschaft, die charakteristisch für die Gemeinde seit 1945 war, ein Ende. Sie begannen
auch, Kontakte und Freundschaften mit Nicht-Juden zu knüpfen.
Die 2. Nachkriegsgeneration begnügte sich nicht mehr damit, nur die Opferrolle abzuschütteln,
sondern wollte die Rolle der Schoah in ihrer Identität reduzieren. Die Schoah war auch im täglichen
Leben der Juden der 2. Generation sehr präsent (man fragte sich bei älteren Personen, was hat er/sie
während der Schoah gemacht?), und sie sahen es für wichtig an, an die Schoah zu erinnern, aber
gleichzeitig wollten sie dass die Schoah nicht weiterhin das zentrale Identifizierungskriterium für die
Wiener Juden bleibt. Sie wollen eine jüdische Gruppenidentität, die nicht weiterhin auf der Schoah,
sondern auf positiven Elementen aufgebaut ist.
Durch die Immigration der Juden aus der Sowjetunion, hat auch die Rolle der Schoah als
Bindungsglied an Bedeutung verloren. Für die Juden aus Georgien und der Buchara waren es nicht
die Erinnerungen an die Schoah, sondern die an den 2. Weltkrieg, die ihre Gruppenidentität in den
letzten Jahrzehnten geformt hatten. Diese Erinnerungen erweckten in ihnen Gefühle von Stolz und
Sieg. Sie sahen sich als Sieger über die Nazis im großen patriotischen Krieg (wie der 2. Weltkrieg in
Russland genannt wird) und nicht als Opfer der Nazis. Die Wiener Juden konnten nicht verstehen,
wieso die Schoah keine Rolle in der Gruppenidentität der Juden aus der Sowjetunion spielte, und
diese wiederum konnten sich mit diesem Opfergefühl nicht identifizieren. Die Erinnerung an die
Schoah wurde daher sogar zu einem Trennungselement zwischen den Juden.
Die Kinder der Juden aus der Sowjetunion, die schon in Wien in die Schule gingen, hatten schon
mehr über die Schoah gelernt und verstanden die Wichtigkeit der Erinnerung daran. Dadurch war die
Schoah kein Trennungselement mehr, aber auch nicht mehr das Bindungselement.
Die Nachkommen der Einwanderer konnten sich trotzdem nicht mit dem Opfergefühl identifizieren.
Wir haben dadurch heute eine 2. und 3. Nachkriegsgeneration, für die die Zentralität der Erinnerung
an die Schoah in der Gruppenidentität wesentlich abgenommen hat. Sie identifizieren die
gleichaltrigen Nicht-Juden nicht als Nazis oder als Schuldige. Daher ist die Kluft verschwunden, und
sie können sich als Teil der Wiener Gesellschaft fühlen.
Bindung an den Staat Israel
Während die Schoah das Leben der Juden belastete, hatte die Existenz des Staates Israel einen
positiven Einfluss auf die jüdische Gruppenidentität.
Besonders der 6-Tage-Krieg hat das Selbstbewusstsein der Juden gestärkt. Der israelische Soldat
wurde zum Sinnbild des starken und mutigen Juden. Israel wurde mit David, der Goliath bezwungen
hat, verglichen. Dieses Bild des David hat die Juden, und besonders die Nachkriegsgeneration
beeinflusst. Sie fühlten sich jetzt als Juden stärker und selbstbewusster und begannen für ihre Rechte
und gegen Antisemitismus zu kämpfen. Sie begannen, die österreichische Regierung offen zu
kritisieren. Israels Sieg hat aber auch zu einem neuen Selbstbewusstsein in ihre Fähigkeit, die
jüdische Gemeinde physisch vor Anschlägen zu beschützen gemündet. Dieses Selbstbewusstsein und
das Gefühl der Verantwortung für andere Juden hat junge Juden dazu gebracht, sich als freiwillige
Sicherheitsleute ausbilden zu lassen, die während des Gebets vor den Synagogen Wache stehen. Dies
hat wiederum einen Gruppenstolz erzeugt, welcher zur Stärkung der jüdischen Identität beitrug.
Nach der Schoah wurde der Zionismus zur einzigen möglichen Art kultureller und nationaler
Identifizierung für alle Juden, auch solche die vor dem Krieg anti-zionistisch eingestellt waren – mit
der Ausnahme einiger assimilierten Juden, wie Bundeskanzler Bruno Kreisky. Juden tauschten ihre
ideologische Opposition gegen eine pragmatische Unterstützung des Staates Israel ein. Die
Gemeinde hat seine Errichtung enthusiastisch begrüßt.
Die Existenz des wiedererstandenen jüdischen Staates hat die Überlebenden psychologisch gestärkt.
Für diese Generation war die Entstehung Israels ein Wunder und dessen Existenz gab ihnen ein
Sicherheitsgefühl. Jetzt hatten sie ein echtes Vaterland. Die Wiener Juden begannen zu fühlen, dass
sie nun in einer freiwilligen Diaspora und nicht in einem aufgezwungenen Exil leben und die
Möglichkeit haben, jederzeit dorthin zu übersiedeln. Dies gab den Juden Sicherheit, und machte das
Leben in Wien leichter zu ertragen. Die Juden sahen das Leben in Wien als provisorisch, eine
Vorbereitung zur Alija.
Der Staat Israel bot den Juden in Wien auch ein Gefühl der nationalen Zugehörigkeit. Während sie
physisch in Wien lebten, war Israel ihre gefühlte Heimat. Israel wurde zum „Identitätsersatz“ (Dan
Diner), da sich die Juden nicht als Österreicher fühlten. Für die Überlebenden war Israel eine Utopie,
für die Nachkriegsgeneration war es die Wirklichkeit und das Symbol jüdischer Wiederbelebung und
Stärke.
Das Gemeindeleben war sehr auf Israel fokussiert, kulturelle Events beinhalteten hauptsächlich
Israelische Folkloreabende, Israel-Basare usw. Und es wurde immer für Israel oder israelische
Organisationen (KKL, Keren Hajessod) gespendet. In Deutschland wurden Juden, die nicht
genügend spendeten (was ‘genügend’ ist, wurde oft von der Gemeindeleitung bestimmt) aus der
jüdischen Gesellschaft ausgeschlossen und nicht mehr zur Torah aufgerufen. 1969, beschlossen die
Münchner und die Frankfurter jüdischen Gemeinden sogar Folgendes: “Alle Spender des
Solidaritätsfonds sollen (a) keine Einladung zu Veranstaltungen von Personen annehmen, die nicht
an der Solidaritätsaktion 1968 teilgenommen haben und somit das jüdische Volk und den Staat Israel
in Zeiten der Not in Stich gelassen haben, (b) nicht deren Gesellschaft suchen, (c) nicht zu
Versammlungen gehen, zu denen diese Personen geladen sind, (d) dieser Beschluss gilt auch für
gesellschaftliche Ereignisse, die in Israel oder im Ausland stattfinden”.
In Wien hat es keine solchen Beschlüsse gegeben, aber das Spenden für Israel wurde genauso ernst
genommen.
Für die Überlebenden hat diese Spende auch dazu gedient, das schlechte Gewissen, in Österreich
geblieben zu sein, zu beruhigen. Bei der Nachkriegsgeneration ging es dann um das schlechte
Gefühl, nicht nach Israel ausgewandert zu sein. Es war ein Ausdruck einer stark Israel-orientierten
Identität.
Die Änderung kam in den 1980er Jahren.
Die Nachkriegsgeneration, die nun schon 30 Jahre in Wien lebte, hörte auf, dauernd über Alija zu
reden. Es hörte sich auch nicht mehr glaubwürdig an. Wien wurde nicht mehr als Warteraum für den
Flug nach Israel gesehen.
In einer Umfrage von 1964 in Deutschland gaben 73% der jüdischen Jugend an, dass sie ihre
Zukunft in Israel sehen und nur 8% planten in Deutschland zu bleiben. 1990 waren 56% der Juden in
Deutschland mit der Aussage, Israel wäre ihre wirkliche Heimat, nicht einverstanden. Leider habe
ich keine Statistiken für Österreich gefunden, da aber die Gemeinden in beiden Ländern die gleiche
Entwicklung durchgemacht haben, nehme ich an, dass das Ergebnis dieser Umfrage auch die
Situation in Wien widerspiegelt. Aber trotzdem standen sie voll und ganz hinter Israel.
Die Nachkriegsgeneration begann nun schon, an eine Zukunft in Wien zu denken. Das wirkte sich
unter anderem auf die Spenden aus. Jetzt wurde ein zunehmender Teil des Geldes in die Wiener
jüdische Gemeinde investiert. Nachdem die Juden beschlossen hatten in Wien zu bleiben, stieg der
Bedarf an jüdischen Institutionen.
Der erste Libanonkrieg 1982 und die 2. Intifada 2000 brachten eine weitere Änderung. Israel war
nun schon ein weniger zentrales Element in der jüdischen Gruppenidentität der 2. Generation. Diese
Generation sieht die Existenz Israels schon als selbstverständlich an. Israel war nicht mehr in seiner
Existenz bedroht. Die Medien zeigten Israel jetzt permanent als den Angreifer, und dies hat die
Einstellung und Meinung der Nicht-Juden, aber auch der Juden beeinflusst. Diese Generation begann
nun auch öffentlich die Politik Israels zu kritisieren – jedoch nicht seine Existenz in Frage zu stellen.
Israel wurde jetzt als normaler und nicht mehr als idealer Staat angesehen mit gesellschaftlichen und
politischen Problemen wie jeder andere Staat auch.
Israel wird jetzt als geistige Heimat angesehen, in die man im Notfall auswandern kann, aber Wien
ist die physische Heimat. Israel ermöglicht es den Juden, in Wien ein sicheres Leben zu führen.
Nachdem sie beschlossen hatten in Wien zu bleiben, investierten sie zunehmend Geld in Wiener
jüdische Institutionen und engagierten sich, jüdisches Leben hier zu stärken. Sie spenden auch
weiterhin für Israel, aber die Bindung zu Israel hat sich geändert. Heute ist die Wiener Gemeinde
nicht mehr von Israel abhängig (Israel war die Quelle des Stolzes, der Kraft und des
Selbstbewusstseins). Die Unterstützung Israels dient heute nicht mehr zur Beruhigung des schlechten
Gewissens, sondern wird einzig als Mitzva (Gebot) angesehen.
Nachdem die Zentralität der Erinnerung an die Schoah – und die dadurch entstandene Kluft zur
nicht-jüdischen Gesellschaft – abgenommen hat und der Staat Israel nicht mehr als Identitätsersatz
diente, sind die psychologischen Hindernisse, sich in Wien zu Hause zu fühlen, aufgelöst. Die Juden
bauten die Gemeinde auf und öffneten sich ihrer Umwelt.
Zuwendung zur jüdischen Religion
Diese Entwicklung hatte aber auch noch eine weitere Folge. Und hier kommen wir zur Beantwortung
der Frage, warum die jüdische Infrastruktur in Wien viel ausgeprägter ist als die in Deutschland,
obwohl beide Gemeinden ihre Koffer gleichzeitig ausgepackt hatten, und obwohl es in Deutschland
viel mehr Juden gibt und die Unterstützung vom Staat proportional höher ist.
Die Abnahme der Zentralität der Schoah und Israels hat zu einem Vakuum in der jüdischen
Gruppenidentität geführt. In Wien wurde diese Leere durch die Zuwendung zur jüdischen Religion
gefüllt, in Deutschland nicht. Dies war der Hauptgrund für die unterschiedliche Entwicklung der
jüdischen Infrastruktur in Wien und Deutschland und für das Aufblühen jüdischen Lebens in Wien.
Die Entwicklungen innerhalb der Gemeinde waren zum größten Teil durch die Änderung der
Zentralität der Religion in der jüdischen Gruppenidentität über die Jahrzehnte und Generationen
hinweg beeinflusst.
Wie kam es zu diesen Änderungen und zum Unterschied zwischen Wien und Deutschland?
Der bedeutendste Faktor waren die demographischen Entwicklungen.
1945 gab es weniger als 4.000 Juden in Österreich. Die meisten Wiener Überlebenden und
Rückkehrer waren religiöse, einschließlich Charedische, und nicht-religiöse Juden. Nur eine
Minderheit war assimiliert. In den frühen 1950er Jahren schlossen sich der Gemeinde DPs an, die
nach Schließung der DP Camps im Lande geblieben waren. Diese DPs waren hauptsächlich religiöse
und traditionelle orthodox-orientierte Juden aus Mittel- und Osteuropa, einschließlich Charedim. In
den späten 1950er und 60er Jahren kam eine weitere Einwanderungswelle aus Mittel und Osteuropa
nach Wien. Die größte stammte aus Ungarn und bestand aus Juden, die sich mit den verschiedenen
orthodoxen Strömungen im Judentum identifizierten , von der modern-orthodoxen zionistischen
Misrachi bis zu den Charedischen, eifernd anti-zionistischen Satmer Chassiden. In den 1970er und
80er Jahren haben sich ungefähr 3.000 Juden aus der Sowjetunion – insbesondere aus den
zentralasiatischen Republiken Buchara und Georgien – in Wien niedergelassen. Die Mehrheit dieser
Einwanderer waren traditionelle Juden.
Heute gibt es in Wien 11 orthodoxe Gruppen und eine sehr kleine progressive. Die jüdische
Bevölkerung ist daher in den letzten 70 Jahren religiöser und breiter gefächert geworden, was
orthodoxe Ideologien angeht, und ethnisch heterogener.
Gleichzeitig bestand die Gemeindeführung bis 1981 hauptsächlich aus nicht religiösen Alt-Wiener
Juden (mit der Ausnahme von Ernst Feldsberg). Erst in den IKG-Wahlen 1981 wurden religiösere
Alt-Wiener und frühere Einwanderer und Angehörige der Nachkriegsgeneration in die Führung
gewählt.
In Deutschland sind 1945 rund 15.000 Juden geblieben. Eine kleine Minderheit der Deutschen
Schoah-Überlebenden und Rückkehrer war religiös. Viele von ihnen waren assimiliert. Danach
schlossen sich den Gemeinden DPs und Einwanderer aus Mittel- und Osteuropa an, besonders aus
Polen. Sie waren Orthodox-orientiert und traditionell, aber nicht religiös. In den späten 1980er und
90er Jahren kam eine große Einwanderungswelle aus der ehemaligen Sowjetunion – insbesondere
aus Russland und der Ukraine. Die große Mehrheit dieser Einwanderer hatte wenig bis kein Wissen
in jüdischer Religion und Tradition. Dank dieser Immigration ist die Zahl der in den Gemeinden
registrierten Juden in Deutschland zwischen 1989 und 2014 von 28.000 auf 100.500 gestiegen.
Auch die Gemeindeführung war und ist nicht religiös.
Bis in die 1980er hatte die Gemeindeführung in beiden Ländern nur ein Minimum an Infrastruktur
aufgebaut. Die Religion hatte in ihrer Identität keine besonders zentrale Rolle gespielt und sie hatten
daher keinen Bedarf an mehr jüdischen Institutionen. Die meisten Institutionen wurden in Wien von
den Charedischen Gruppen aufgebaut. In Deutschland gab es kaum religiöse Juden und daher auch
keinen Bedarf an weiteren Institutionen. Der Mangel an jüdischer Infrastruktur hat aber wiederum
dazu geführt, dass sich keine religiösen Juden dort niederließen. Der Bedarf ist auch nach der
Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nicht besonders gestiegen, da die Religion in
deren Gruppenidentität fast keine Rolle spielte. Sie hatten eine ethnische Jüdische Identität, und
keine religiöse.
In Wien war die Situation seit den 80er Jahren anders. Als die IKG von einer Führung übernommen
wurde, für die Religion eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielte und die auch aus Angehörigen der
Nachkriegsgenerationen bestand, die sich, wie schon gesagt, nun in Wien schon zu Hause fühlten
und ein starkes Selbstbewusstsein als Juden hatten, wurde die jüdische Infrastruktur stark ausgebaut.
Schon in den späten 70er Jahren war diese Generation in der IKG-Politik präsent und bemüht, dem
Selbstbild der Liquidationsgemeinde ein Ende zu setzten und jüdische Infrastruktur, besonders
Bildungsinstitutionen, aufzubauen. Die Entstehung einer IKG-Schule (Charedische Schulen gab es
schon) war damals eines der Streitthemen zwischen der IKG-Führung und der Nachkriegsgeneration.
Die junge Generation sah den Aufbau einer Schule als wichtigen Schritt in der jüdischen
Identitätsbildung und dem Sichern einer Zukunft für Juden in Wien.
Die Einwanderer aus der Sowjetunion haben die jüdische Infrastruktur in Wien weiter verbreitert. Sie
eröffneten Restaurants und koschere Geschäfte, initiierten die Errichtung des Sefardischen Zentrums
mit seinen Synagogen, eine Musikschule usw.
Zusammenfassend sehen wir heute, dass die Wiener Gemeinde 3 Entwicklungsphasen durchgemacht
hat:
1.
Liquidationsphase (1945-1980)
2. Wiederaufbauphase (1980er + frühe 1990er): Die Einrichtung des Gemeindezentrums und der
ZPC Schule 1980 spiegelte die Entscheidung wider, in Wien zu bleiben. Ab der Mitte der 80er Jahre
kam es dann zu einer starken Erweiterung der Infrastruktur: Der ZPC Kindergarten und die Schule
sind in ein größeres Gebäude übersiedelt, das Gymnasium wurde 1986 eröffnet. Es entstand die
Lauder-Chabad-Schule, das Elternheim wurde renoviert, das psycho-soziale Zentrum ESRA ist
entstanden, um die Spätfolgen der Schoah zu behandeln und die Einwanderer besser zu integrieren,
das jüdische Wohnhaus in der Tempelgasse wurde errichtet, sowie das Sephardische Zentrum, das
JBBZ usw.
3. Gemeinde-Stärkungsphase (die bis heute andauert): Als Folge der staatlichen
Restitutionszahlungen hatte die IKG zum ersten Mal seit 1945 eine finanzielle Stabilität erreicht und
begann mit einer weiteren Infrastrukturerweiterung, dem IKG Campus. Um das religiöse Leben zu
erleichtern, wurde der Eruv errichtet und organisiert, dass Wiener Spitäler koschere Verpflegung
anbieten; es wurde eine Liste erstellt, die darüber informiert, welche koscheren Produkte es in Wien
in normalen Geschäften zu kaufen gibt; es werden immer mehr Produkte mit Hechschern versehen
(es gibt heute in Wien 6 verschiedene Hechscher), und last but not least, es werden in Wien täglich
mehrere Schiurim an verschiedenen Institutionen angeboten.
Der Beitrag der Nachkriegsgeneration an der jüdischen Gruppenidentitätsbildung war institutionell
und psychologisch – sie entwickelten ein starkes persönliches und Gruppen-Selbstbewusstsein
Die 2. und 3. Nachkriegsgenerationen entwickelten ein steigendes Interesse an der jüdischen
Religion. Diese Generationen sind daran interessiert, ihre jüdische Identität zu festigen, indem sie ihr
Wissen bezüglich jüdischer Religion, Tradition und Geschichte erweitern.
Ein Vergleich zu Deutschland hat Folgendes gezeigt:
1.
Die Führung der Gemeinde und der verschiedenen Gruppen in Wien stehen einem aktiven
Outreach und dem Heranziehen von dem Judentum entfernten Menschen viel positiver gegenüber als
die Führung in Deutschland.
2.
In der Wiener Gemeinde, und insbesondere hier in der Misrachi, hat man verstanden, dass
das Vertiefen des Wissens über das Judentum die Basis für die Stärkung der jüdischen
Gruppenidentität ist.
3.
Die Kurse müssen attraktiv gestaltet werden, um Leute dazu zu bringen teilzunehmen.
4.
Lernen und andere Juden treffen ist wichtig, um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern
und der jüdischen Gruppenidentität eine zentralere Rolle in der persönlichen Identität einzuräumen.
Da die Entwicklung der jüdischen Gemeinde hauptsächlich von innerjüdischen Entwicklungen
beeinflusst wird, liegt es an den Gemeinden, zu steuern, wie ihre Zukunft aussehen wird. Da dabei
die Entwicklung der jüdischen Gruppenidentität ausschlaggebend ist, ist es wichtig, sie zu stärken.
Der Weg der Wiener Gemeinde scheint erfolgversprechend.