Abstract Dr. Walter Ötsch

Walter Ötsch
Würde und Unwürde von Arbeit in der Theoriegeschichte
Von Arbeit als (ethische) Quelle des Wertes bis zur Arbeit als (sachlicher)
Produktionsfaktor
Der Begriff Arbeit hat in der Theoriegeschichte eine lange und wechselhafte Konjunktur.
Arbeit galt in der Antike als unter der Würde eines freien Mannes. Im Christentum
wurde Arbeit aufgewertet: ora et labora stellt Arbeiten auf die gleiche Stufe wie das
Beten. Aber im christlichen Mittelalter waren die laboratores, die arbeitende
Bevölkerung, auf einer tiefen Stufe der Gesellschaft angesiedelt: ein Adeliger arbeitete
nicht. Die lange Entstehungsgeschichte des Kapitalismus ist von einer sukzessiven
Aufwertung der Arbeit begleitet, schließlich wurde ein Beruf als Berufung verstanden.
Arbeiten im Beruf war würdevoll und galt als spirituell wertvoll.
Einen Höhepunkt stellt der Arbeitsbegriff bei Adam Smith dar, der als Begründer der
Wirtschaftstheorie gilt. Smith stellt den Arbeitsbegriff in das Zentrum seiner Theorie.
Arbeit ist die Quelle des Wertes, der arbeitende Mensch besitzt bei Smith Würde. Er ist
ein ethisches Individuum, das mit Tugenden ausgestattet ist. Ricardo entdeckt im
Arbeitsbegriff eine zentrale Verteilungsproblematik des Systems und Marx (als
Nachfolger von Ricardo) koppelt seine Arbeitswertlehre mit der Vorstellung eines
Systemwechsels.
Dieser theoretische Zusammenhang wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch
die Neoklassik entschärft. Dabei spielte der Arbeitsbegriff eine zentrale Rolle. Arbeit galt
nur noch als Produktionsfaktor, wie eine Maschine. Der arbeitende Mensch ging dabei
nur noch als Kosten-Ertrags-Faktor in die Theorie ein. Mit der „Versachlichung“ von
Arbeit wird das Thema „Würde“ obsolet: Ethik und soziale Bezüge sind in der Theorie
nicht mehr zu finden. Im Neoliberalismus des 20. Jahrhunderts wird die Abwertung von
Arbeit noch weiter vorangetrieben. Der Mensch ist hier einem allmächtigen Markt
unterworfen, der – wie bei Hayek – seine Vernunft weit überragt und wie ein Gott
fungiert. In diesen Ansätzen gibt es kein ethisches, bewusstes oder selbstreflektierendes
Subjekt. Das neoliberale Selbst bezieht sein Selbst-Bild nicht aus sich (z.B. aus seiner
Spiritualität), sondern aus dem in Geld gemessenen Erfolg, den es am Markt – ohne
Berücksichtigung ethischer oder sozialer Standards - realisieren kann.