Hilfsmittel - Widerruf und Mehrkostenvereinbarung Jeder Anbieter von Hilfsmitteln ist Unternehmer, der das Verbraucherschutzrecht zu beachten hat. Die Unkenntnis darüber birgt Risiken, etwa in Gestalt des Widerrufsrechts der Verbraucher. In der Hilfsmittelversorgung gibt es neben den typischen Verbraucherverträgen und denen, die keine sind, zumindest einen atypischen Vertrag: die Mehrkostenvereinbarung. Die Frage, ob sie ein Verbrauchervertrag ist oder nicht, ist derzeit noch ungeklärt. Verbraucherschutzrecht Das Verbraucherschutzrecht hat Mitte 2014 für Unternehmer Informationspflichten gebracht und für die Verbraucher das Widerrufsrecht für Verträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden (mit Ausnahme der Verträge mit einem Geschäftswert bis zu 40 Euro, die sofort abwickelt werden). Für die Anbieter von Hilfsmitteln gibt es vielfältige Situationen, in denen sie ihren Kunden einen Vor-Ort-Service anbieten, der regelmäßig dazu führt, dass die Verträge außerhalb der Geschäftsräume geschlossen werden, z. B. zu Hause beim Kunden. Auch die persönliche und individuelle Ansprache des Kunden außerhalb der Geschäftsräume oder sein Angebot, das der Kunde außerhalb der Geschäftsräume abgegeben hat, genügen, um solche Geschäfte dem Verbraucherschutzrecht zu unterwerfen. Verbraucherverträge mit privat Versicherten Versorgt ein Hilfsmittelanbieter privat Krankenversicherte, so kommt der Vertrag mit diesem zustande und der Kunde lässt sich die Kosten des Hilfsmittels von seiner Krankenkasse erstatten. Der Vertrag wird immer mit dem privat Krankenversicherten als Verbraucher geschlossen; er ist demnach ein Verbrauchervertrag und die Regeln des Verbraucherschutzrechts greifen. Verbraucherverträge mit gesetzlich Versicherten Die Versorgung gesetzlich Versicherter mit Hilfsmitteln ist vielschichtiger. Grundsätzlich werden den gesetzlich Versicherten die Hilfsmittel im Wege der Sachleistung (§ 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V) zur Verfügung gestellt. Die gesetzlichen Krankenkassen sind Vertragspartner der Hilfsmittelanbieter (vgl. §§ 126 Absatz 1 Satz 1, 127 Absätze 1-3 SGB V). Als juristische Personen können sie keine Verbraucher sein (§ 13 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB); ein Verbrauchervertrag scheidet demnach aus. Werden Hilfsmittel dem gesetzlich Versicherten also im Wege der Sachleistung bereitgestellt, so findet das Verbraucherschutzrecht keine Anwendung. Daneben gibt es in der gesetzlichen Krankenversicherung Konstellationen, in denen zwar eine Krankenkasse die Kosten der Hilfsmittelversorgung trägt, aber der Versicherte selbst der Vertragspartner des Hilfsmittelanbieters ist. Das ist der Fall, wenn der Versicherte ein Hilfsmittel selbst beschafft und sich von der Krankenkasse die ihm entstandenen Kosten erstatten lässt, ihm also anstelle der Sachleistung die Kostenerstattung zusteht. Kostenerstattung Zu den Kostenerstattungsfällen gehören: Die Kostenerstattung wurde generell gewählt (§ 13 Absatz 2 SGB V). Stand: 2. Juli 2015 Seite 1 von 2 Katrin Feierabend · Rechtsanwältin www.kanzlei-feierabend.com Die Krankenkasse hat eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (§ 13 Absatz 3 SGB V). Ein Versicherter hat eine Leistung selbst beschafft, nachdem die Krankenkasse nicht fristgemäß über seinen Antrag entschieden hat (§ 13 Absatz 3a SGB V). In diesen Fällen werden die Versicherten selbst Vertragspartner der Hilfsmittelanbieter. Die Verträge mit ihnen sind dann Verbraucherverträge. Mehrkostenvereinbarung In der Hilfsmittelversorgung kennt das SGB V zwei Arten von Mehrkostenvereinbarungen: erstens die für Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, (§ 33 Absatz 1 Satz 5 SGB V) und zweitens die im Falle der Wahl eines anderen Hilfsmittelanbieters als den Ausschreibungsgewinner (§ 33 Absatz 6 Satz 3 SGB V). In beiden Fällen haben die Versicherten die Mehrkosten selbst zu tragen. Ein Beispiel: Ein Versicherter benötigt einen neuen Rollstuhl, weil der alte irreparabel defekt ist. Anstelle des bisherigen Elektrorollstuhls Modell SITZGUT beantragt er bei seiner Krankenkasse den elektrischen Aufrichtrollstuhl STEHBESSER. Die Krankenkasse teilt ihrem Versicherten mit, dass STEHBESSER über das Maß des Notwendigen - nämlich SITZGUT - hinausgeht und der Versicherte die Mehrkosten in Höhe von 2.500 Euro (Differenz des Anschaffungspreises STEHBESSER zu SITZGUT) zu zahlen hat. Widerruf der Mehrkostenvereinbarung Angenommen im Beispiel lägen alle Voraussetzungen nach dem Verbraucherschutzrecht vor, könnte der Versicherte vom Widerrufsrecht Gebrauch machen? Mit welcher Folge? Zunächst ist zu fragen, was genau die Mehrkostenvereinbarung ist und mit wem sie geschlossen wurde. Das SGB V gibt hierüber keine Auskunft, so dass die Vereinbarung der Auslegung im Einzelfall bedarf (§ 61 Satz 2 SGB X, § 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V, §§ 133, 157 BGB). Entweder kauft der Versicherte den Rollstuhl und die Krankenkasse erstattet ihm die Kosten, die für SITZGUT angefallen wären; dann läge ein Verbrauchervertrag vor. Oder die Krankenkasse beschafft Rollstuhl STEHBESSER und der Versicherte zahlt an sie (oder direkt an den Leistungserbringer) den Differenzbetrag; in dem Fall wäre die Krankenkasse Vertragspartner des Leistungserbringers und mangels Verbrauchervertrag wäre ein Widerrufsrecht gegenüber dem Leistungserbringer auszuschließen. Für die zweite Variante spricht, dass der Versicherte nach § 33 SGB V die Mehrkosten zu tragen hat. Eine Kostenerstattung ist dort anders als in § 13 SGB V nicht vorgesehen. Demnach bewegt sich die Mehrkostenvereinbarung im Rahmen des Sachleistungsprinzips, das voraussetzt, dass Hilfsmittel durch Vertragspartner der Krankenkassen abgegeben werden. Denkbar ist, dass Gerichte zu einer anderen Auslegung kommen, insbesondere wenn es sich um zusätzliche oder teilbare Leistungen handelt (etwa ein aufwändiges und kostenintensives Zubehörteil). Die Hilfsmittelanbieter sind also gut beraten, alles zu vermeiden, was den Versicherten zum Vertragspartner macht. Die Kenntnis des Verbraucherschutzrechts hilft darüber hinaus, Fallstricke zu vermeiden. Stand: 2. Juli 2015 Seite 2 von 2 Katrin Feierabend · Rechtsanwältin www.kanzlei-feierabend.com
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