Poker um die Kultur im ländlichen Raum Chefredakteur Sebastian Stöber – TZ am 19.05.2015 Nordsachsen. In der kommenden Woche wird es wieder ernst für die Kulturszene des Landkreises. Dann treffen sich die Emissäre aus Nordsachsen und dem Kreis Leipzig, um über die Zukunft des Kulturraums Leipziger Raum zu verhandeln. Größtes Problem ist die löchrige Finanzierung der Sächsischen Bläserphilharmonie und des Leipziger Symphonieorchesters, die beide ihren Sitz im Landkreis Leipzig haben und beide gesteigerten Wert darauf legen, ihre Musiker künftig besser bezahlen zu können. In einer Pressemitteilung preschte die SPD Ende vergangener Woche mit einem Lösungsvorschlag nach vorn. „Bereits vor fast zehn Jahren gab die Landesregierung eine Studie zur Orchesterlandschaft Sachsens in Auftrag. Umgesetzt wurde sie nie. Es wird Zeit, dass sie aus der Schublade geholt wird“, schlägt der stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende, Heiko Wittig, der auch Vorsitzender des nordsächsischen Schul- und Kulturausschusses ist, vor. Im „Gutachten Theater und Orchester im Freistaat Sachsen: Bestandsaufnahme und Empfehlungen zur weiteren Entwicklung“ wurde im Jahr 2007 empfohlen, das Leipziger Symphonieorchester und das Orchester der Musikalischen Komödie in Leipzig zu fusionieren. Zur Einordnung: Bläserphilharmonie wie auch Leipziger Symphonieorchester werden zu großen Teilen aus Mitteln des Kulturraums Leipziger Raum gespeist, in dem die Landkreis Nordsachsen und Leipzig zusammenarbeiten – und in den sie einzahlen. Weil sich aus diesem Topf so ziemlich jede Kultureinrichtung bis hin zur Dorfbibliothek bedient, gleichzeitig der Geldsegen aber nicht unendlich ist, hat der Landkreis Nordsachsen unlängst die Position festgeklopft, die Orchester nicht zu Lasten der kleinen nordsächsischen Einrichtungen zu bevorteilen. Dass die Sicht der Dinge im Nachbarkreis anders ist, liegt auf der Hand. Warum, das erklärt Maria Gangloff. Sie ist Kreisrätin für die LINKE im Kreis Leipzig, arbeitet im Kulturkonvent an Entscheidungen für den Kulturraum mit und ist Bürgermeisterin der Stadt Böhlen. Böhlen wiederum ist Sitz und Gesellschafter des Leipziger Symphonieorchesters, das als gemeinnützige GmbH aufgestellt ist. Sie beklagt, dass in Nordsachsen vor allem aus dem Bauch heraus argumentiert würde, weil diejenigen, die es besser wüssten, die Debatte mieden. „Es wurde in den Kreistagen nie so richtig vermittelt, welche Aufgaben die Kulturräume wahrnehmen. Erst jetzt, wo Geld fehlt, kommt das Thema auf den Tisch.“ Dabei seien die Orchester Repräsentanten des Kulturraums. Die Jahresberichte sprächen Bände. Allein das Leipziger Symphonieorchester bestreite rund 150 Veranstaltungen pro Jahr. Die Bilanz der Bläser sei ähnlich. Dass Nordsachsen, auch das ein Kritikpunkt der Nachbarn, nicht allzuoft auf dem Tourenplan steht, liege an der geringen Nachfrage von dort. Am Sitz Böhlen fänden übrigens lediglich vier Konzerte im Jahr statt, auch wohne kein einziger Musiker hier, will Maria Gangloff wohl das Vorurteil entkräftet wissen, es gehe nur um die Interessen ihrer Stadt. Als diese das Orchester im Jahr 2006 als Gesellschafter übernommen hat, „hieß es, die Finanzierung ist gesichert. Sonst hätten wir es nie übernommen“, so Maria Gangloff. Problem ist offensichtlich, dass zwar die Finanzierung im damaligen Rahmen auch heute noch gesichert ist, nicht aber eine Anhebung der Gehälter in Richtung Tarifniveau. Die Studie aus dem Jahr 2007 kennt auch Gangloff, ergänzt aber, dass die Fusionsempfehlung im Nachhinein geprüft und für nicht durchführbar erklärt worden sei. Sie geht mit anderen Vorschlägen in die Gespräche mit den Nordsachsen. Da ohnehin viele Orchestermusiker an Hochschulen lehrten, könnten sie diese Aufgabe auch an den Kreismusikschulen wahrnehmen – schließlich würden auch die über den Kulturraum mitfinanziert. Zudem müssten sich die Orchester selbst mehr drehen, um Geld einzuspielen. Die Kommunalpolitikerin regt zudem an, einmal genauer hinzuschauen, ob alle, die von der Kulturraumförderung profitieren, auch wirklich dessen Ansprüchen genügen. Wie da beispielsweise wären: überregionale Ausstrahlung oder pädagogischer Ansatz. Doch auch ein politisches Bekenntnis zur Kultur im ländlichen Raum fordert die Böhlener Bürgermeisterin. Schließlich gehe es unter dem Strich nicht nur um eine bessere Entlohnung der Orchester-Mitglieder, sondern um den gesamten Kulturbereich. Das eint sie mit Heiko Wittig. Auch der nennt die Forderung der Musiker legitim, „denn unsere Musiker im Kulturraum sind im Vergleich wahrlich unterbezahlt, doch auch viele andere Einrichtungen wie Mehrgenerationenhäuser, Bibliotheken, Museen und so weiter könnten ohne Zuschüsse aus dem Kulturraum nicht überleben. Und wann haben deren Mitarbeiter das letzte Mal Gehaltserhöhungen bekommen?“ Beide sind sich einig, dass die rund 200 000 Euro, die es unter Schwarz-Rot in diesem Jahr mehr für den Kulturraum gibt, nicht reichen, „um die Versäumnisse der vergangenen Jahre gerade bei den Gehaltsanpassungen in allen Kultureinrichtungen auszugleichen“, formuliert Wittig stellvertretend. Maria Gangloff wünscht sich freilich eine andere Problemlösung als die vom Löbnitzer nun vorgebrachte Ultima Ratio. Eine Einigung ist in der kommenden Woche nicht zu erwarten. In diesen Jahr aber schon. Denn in rund drei Monaten soll eine Studie fertig gestellt sein, die die Entwicklungschancen und den Finanzierungsbedarf der Orchester in den kommenden zehn Jahren darstellen soll. Auf dieser Basis wird dann wohl eine Entscheidung fallen. So oder so.
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