Bernhard Wiesner, Ludwigsburg Der Untergang der betrieblichen Altersversorgung* Vortragen möchte ich Ihnen nachfolgend die Ansichten und Einsichten eines langjährigen Akteurs und sorgsamen Beobachters in der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland und in der EU. 1. Betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung „Die betriebliche Altersversorgung ist eine freiwillige Sozialleistung der Unternehmen, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann.“ So schlicht und einfach lautet der erste Satz eines Standardkommentars zum Betriebsrentengesetz. So einfach ist also betriebliche Altersversorgung. So schlicht definiert sich damit zugleich die effizienteste Form kapitalgedeckter Altersversorgung. Da findet sich nichts von Regulierung, von Finanzprodukten, von Verträgen und von Marktanteilen. Es ist in der Tat eine lange Geschichte und eine beachtliche Tradition, die in Deutschland zurückreicht bis in das vorletzte Jahrhundert. In dieser erfolgreichen Historie der betrieblichen Altersversorgung finden sich mit BASF, Hoechst, Krupp, Thyssen, Siemens, Bosch und vielen Anderen bedeutende Namen der deutschen Wirtschafts- und Industriegeschichte, die sich so im Rahmen ihrer unternehmerischen Verantwortung frühzeitig und schrittmachend engagierten. Um das Wesen betrieblicher Altersversorgung zu erfassen, brauchen wir aber gar nicht so weit in die Vergangenheit zu schauen. Auch gegenwärtig finden sich Aussagen, die mit erstaunlicher Aktualität an die eigentlichen Wurzeln betrieblicher Altersversorgung anknüpfen. So hat der Bundestag 2012 in einem Beschluss zur Abwehr der Übertragung von Solvency II-Vorgaben auf die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) ausgeführt: „Die Besonderheit der betrieblichen Altersversorgung besteht darin, dass sie auf dem Arbeitsrecht beruht, d.h. auf dem individuellen Arbeitsvertrag oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern. Die betriebliche Altersversorgung ist in erster Linie eine betriebliche Sozialleistung und kein bloßes „Finanzprodukt“. Als eine solche Sozialleistung steht die betriebliche Altersversorgung auch nicht im Wettbewerb mit sonstigen Finanzmarktprodukten.“ Treffender ist betriebliche Altersversorgung in ihrem eigentlichen Kernstärkenprofil auch heute kaum zu charakterisieren. Die überlegene Effizienz der betrieblichen Altersversorgung resultiert also im eigentlichen Kern aus ihrer kollektiven Struktur als betriebliche Sozialleistung. Arbeitgeber wenden Mittel und Kapazitäten auf und bringen Know-How in Einkauf, Aufbau und Controlling von betrieblicher Altersversorgung ein und stellen so ihren Mitarbeitern kostengünstige kollektive Strukturen zur Verfügung, die der Einzelne am Markt nicht einkaufen kann. Wo Know-How und Kapazitäten der Arbeitgeber fehlen, können eigene Einrichtungen der Sozialpartner und Verbände die Arbeitgeber bei ihrer Zusage in entsprechender Weise unterstützen. * Vortrag gehalten auf der aba-Jahrestagung am 7.5.2015 in Berlin. Abhandlungen Richtigerweise wurden mit der Riester-Reform 2001/2002 die Weichen für den breiten Aufbau kapitalgedeckter Altersversorgung gestellt. Kernelemente waren allerdings merkwürdigerweise nicht die erprobten und hochwirksamen Strukturen der bewährten betrieblichen Altersversorgung, sondern vor allem die private „Riester-Rente“ und dann in der betrieblichen Altersversorgung der Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf individuelle Entgeltumwandlung. Damit wurde in der betrieblichen Altersversorgung ein grundsätzlich neues Kapitel aufgeschlagen und eher unbemerkt ein ganz neuer Trend eingeleitet. Mit dieser wohl eher unbewussten Individualisierung der betrieblichen Altersversorgung begann zugleich implizit ein Prozess ihrer Dekollektivierung, also einer Schwächung des eigentlichen kollektiven Kernstärkenprofils der betrieblichen Altersversorgung. Ohne dass dies von den relevanten stakeholdern in Politik, bei den Arbeitgebern, Gewerkschaften und Verbänden weiter vertieft diskutiert wurde, begann damit in der betrieblichen Altersversorgung ein bis heute andauernder und sich kontinuierlich verstärkender Prozess einer Koordinatenverschiebung. Die betriebliche Altersversorgung veränderte sich immer mehr von der kollektiv strukturierten Sozialleistung für Arbeitnehmer zum Finanzprodukt als Marktofferte von Produktanbietern an den Einzelnen als Verbraucher. Diese Koordinatenverschiebung wurde zunehmend auch in den verwendeten Begrifflichkeiten deutlich erkennbar. Viele Meinungsträger, selbst in der Politik, begannen von „Produkten“, von der „Branche“, vom „Wettbewerb der Durchführungswege“ und vom „Markt und den Marktbedingungen der Altersvorsorge“ zu sprechen. Die unüberbrückbaren Gegensätze in der betrieblichen Altersversorgung, die sich in der Sozialleistung auf der einen Seite und dem Finanzprodukt auf der anderen Seite polarisieren, treten mit großer Klarheit und Härte in den europäischen und nationalen Diskussionen um die entschiedene Ablehnung der für die Versicherungswirtschaft berechtigten Solvency II-Regelungen zu Tage. Die Abwehr dieser für die EbAV der Unternehmen und Sozialpartner existenzgefährdenden Mechanismen durch die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die Politik und Fachverbände ist einhellig. 2. R isikofaktor: Der Kampf um Marktanteile in der betrieblichen Altersversorgung 2001/2002 wurde in Deutschland also nicht nur die beschriebene Koordinatenverschiebung in der betrieblichen Altersversorgung eingeleitet, sondern auch ein damals wohl unerkannter, aber heute umso deutlicher erkennbarer, heftig fortschreitender Kollisionsprozess in der europäischen und nationalen Diskussion um IORP II versus Solvency II. Die Sozialleistung ist gekennzeichnet durch die eigene Durchführung und Organisation durch die Arbeitgeber und Sozialpartner. Sie unterliegt im Schwerpunkt den Regelungen des Arbeitnehmerschutzes; so wie sie auch generell andere spezifische Rahmenbedingungen benötigt als Finanzprodukte. Die Sozialleistung hat dienenden Charakter und liegt weder für Arbeitgeber noch für Sozialpartner im Bereich ihrer Kerngeschäftsfelder und oder ihrer Kernkompetenzen. Die Sozialleistung ist eben kein Finanzprodukt; sie kämpft nicht am Markt und somit auch nicht gegen Wettbewerber um Marktanteile an einem Markt der Altersvorsorge. Das Finanzprodukt zielt demgegenüber auf seine Vermarktung durch Finanzdienstleister unter den Regelungen des Verbraucherschutzes wie etwa Solvency II. Für Finanzdienstleister geht es um substantielle Kerngeschäftsfeldinteressen. Für Finanzprodukte ist der Kampf um Marktanteile am Betriebliche Altersversorgung 4/2015 307 massiv wachsenden Markt der Altersvorsorge sachlogisch inhärent. Dies bedeutet zuerst und vor allem, die jeweiligen Finanzprodukte oder Dienstleistungen am Markt zu etablieren und zu verbreiten. Dies beinhaltet zugleich die unabdingbare Zielsetzung, sich permanent und mit beachtlichem Einsatz in zwei Richtungen zu engagieren: Nämlich dafür, dass die Marktbedingungen möglichst optimal und die Wettbewerbsbedingungen und Marktregeln für alle Marktteilnehmer gleich gestaltet sind. Somit werden die Marktbedingungen zur Vermarktung von Finanzprodukten in der Altersversorgung, also alle relevanten gesetzlichen und tatsächlichen Faktoren, die staatlichen Förderbedingungen etc. für die Produkte am Markt der Altersversorgung permanent überprüft, hinterfragt und es werden für die Produktanbieter optimale Markt- und Wettbewerbsbedingungen angestrebt. Zum anderen wird zwangsläufig kontinuierlich die Ausschaltung von unerwünschter Wettbewerbsarbitrage im Bereich eigener Marktinteressen verfolgt. Also von Wettbewerbsbedingungen, die andere Marktteilnehmer oder vermeintliche Marktteilnehmer begünstigen. Der permanente Druck auf adäquate Rahmenbedingungen im Kampf um Marktanteile wird recht gut deutlich aus einer Presseerklärung von Insurance Europe vom März 2014. Darin finden sich folgende Aussagen: „Mit dem in Kürze in Kraft tretenden Solvency II und den unveränderten Kapitalvorgaben unter IORP II werden ungleiche regulatorische Rahmenbedingungen zwischen Versicherern und Pensionsfonds etabliert, obwohl sie auf den gleichen Märkten operieren und ähnliche Dienstleistungen anbieten. Um fairen Wettbewerb zwischen Dienstleistern und einen ähnlichen Schutz für die Begünstigten zu erreichen, unterstützt Insurance Europe energisch die Anwendung des „same risks, same rules“-Prinzips auf alle Finanzinstitutionen, die Produkte der betrieblichen Altersversorgung anbieten.“ Im Weiteren wird die Generaldirektorin von Insurance Europe zitiert, nach der „Verbraucher den gleichen Schutz verdienen unabhängig davon, ob ihre betriebliche Altersversorgung von einem Pensionsfonds oder einer Versicherung organisiert wird. Um dies sicher zu stellen, rufen wir die europäischen Institutionen auf, in IORP II eine klare Zeitschiene für die Kommission einzufügen, um angemessene quantitative Vorgaben zu entwickeln“. Hier wird exemplarisch sehr deutlich, wie trotz elementarer Unterschiede zwischen EbAV der Arbeitgeber und Sozialpartner, die nicht um Marktanteile kämpfen, einerseits und Versicherungen andererseits unzutreffend ein „Operieren auf gleichen Märkten“ unterstellt wird. Mit der Formel des „same risk, same rule“ oder in anderem Zusammenhang ähnlichen Formeln wie des „level playing fields“ und des „single rule book“ wird unzutreffend Wettbewerbsarbitrage identifiziert und ein sogenannter fairer Wettbewerb angemahnt. Schließlich wird der Gesetzgeber aufgefordert, zumindest perspektivisch für „fairen Wettbewerb“ am Markt und damit im Kampf um Marktanteile zu sorgen. Ergänzend folgt ein konkreter Vorschlag, wie auch IORP II wenigstens über die Zeit „angemessene“ quantitative Vorgaben erhalten sollte. Um jedwede Missverständnisse zu vermeiden, soll hier ausdrücklich klargestellt werden, dass der Kampf um Marktanteile unter allen relevanten Aspekten in einer Marktwirtschaft legitim und notwendig ist. Er stärkt den Wettbewerb um das bestmögliche Produkt, die bestmögliche Dienstleistung und optimale Preise etc.. Er ist fundamentaler Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung, tragendes Element des EU-Binnenmarktes und unverzichtbare Komponente des globalen Marktes. Und natürlich ist es nachvollziehbar und legitim, im Kampf um Marktanteile auf entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen und angemessene regulatorische Vorgaben zu 308 Betriebliche Altersversorgung 4/2015 drängen. Auch in der betrieblichen Altersvorsorge ist der Kampf um Marktanteile sinnvoll und unverzichtbar. Darauf werde ich noch genauer zurückkommen. Googelt man Begriffe wie „Kampf um Marktanteile“ u.ä., so findet man eine durchaus martialische Terminologie. Unternehmen „kämpfen“ um Marktanteile, sie „konkurrieren“ miteinander, „verteidigen“ diese und „gewinnen“. Es geht um „harten“, „extremen“, um „gnadenlosen“ Kampf. Unternehmen ziehen in die „Schlacht“ gegen Wettbewerber. Dass dieses Umfeld vollständig diametral steht gegen die Perspektiven betrieblicher Altersversorgung als Sozialleistung, ist offensichtlich. Diese Begrifflichkeiten verdeutlichen plastisch, mit welchen Realitäten sich diese betriebliche Altersversorgung in Deutschland seit 2001 und in der EU in dem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Solvency II und IORP II stetig zunehmend auseinanderzusetzen hat. Dabei weht ihr der Wind gleich doppelt ins Gesicht. Gesetzgeber und Gesellschaft sehen und realisieren immer weniger, was betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung eigentlich ist, leistet und leisten kann und zugleich drängen die Geschäftsinteressen und die Lobbykraft der Produktanbieter und Marktteilnehmer in eine andere, für die Sozialleistung existenzgefährdende Richtung, indem sie auf Rahmenbedingungen einwirken und zugleich darauf zielen, den Markt der Altersvorsorge auszuschöpfen. Dies findet übrigens keineswegs immer in „offener Feldschlacht“ statt – um einen der martialischen Begrifflichkeiten zu bemühen –, sondern vielmehr in der Regel ruhig, beharrlich und mit sehr langem Atem über die Zeit. Evident ist also, dass der Kampf um Marktanteile in der betrieblichen Altersversorgung sich naturgemäß stets gegen die richtet, die ebenfalls um Marktanteile in der betrieblichen Altersversorgung kämpfen und konkurrieren. D.h. Finanzdienstleister kämpfen gegeneinander um Marktanteile. Zugleich aber richtet sich dieser Kampf um Marktanteile auch notwendigerweise und zwangsläufig gegen die betriebliche Altersversorgung, die ihrerseits als Sozialleistung nicht um Marktanteile kämpft. Für die Anbieter und Marktteilnehmer gilt es also, Marktanteile zu gewinnen, wo immer und solange sie gewonnen werden können. So werden auf lange Sicht zwangsläufig Marktintentionen darauf zielen und darauf zielen müssen, auch die Leuchttürme und Kathedralen der betrieblichen Altersversorgung, wie unser aba-Vorsitzender sie zu Recht bezeichnet, zu schleifen und zu zerbröseln. Denn einen Denkmalschutz gibt es im Bereich der betrieblichen Altersversorgung nicht. Sachlogisch ist somit betriebliche Altersversorgung, die als Finanzprodukt um Marktanteile kämpft, auf die perspektivische Zerstörung von betrieblicher Altersversorgung angelegt, die als Sozialleistung nicht um Marktanteile kämpft. Dass dies nicht die Akzeptanz der Träger der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung finden kann, ist klar und wird im Widerstreit IORP II versus Solvency II besonders deutlich. Wichtig ist aber zu erkennen, dass dieser Widerstreit nicht nur isoliert auf diese Thematik betrachtet werden kann. Vielmehr ist das gesamte Spektrum betrieblicher Altersversorgung zu betrachten, um die laufenden Trends und Auswirkungen dieses sich stetig verstärkenden Kollisionsprozesses zu erkennen und hier vollständige Transparenz herzustellen. Wenn ich also hier über den Niedergang und schließlich den Untergang der betrieblichen Altersversorgung spreche, dann ist die betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung gemeint, wie sie von ihren Gründern geschaffen wurde und wie sie mit ihrem kollektiven Kernstärkenprofil auch heute unverändert die effizienteste Form kapitalgedeckter Altersvorsorge darstellt. Dieser Untergang wird nicht von heute auf morgen stattfinden. Aber die Trends laufen bereits. Lassen Sie uns diese Trends genauer anschauen. Und zwar zunächst Abhandlungen in den Durchführungswegen und dann bei den relevanten stakeholdern. 3. Laufende Trends in den Durchführungswegen Der bedeutendste Durchführungsweg der deutschen betrieblichen Altersversorgung ist unverändert die Direktzusage. Sie ist die eigentliche Urform betrieblicher Altersversorgung. Der Arbeitgeber sagt seinem Arbeitnehmer Leistungen zu, finanziert sie und steht für diese ein. Einfacher, klarer und direkter geht es nicht. Die Direktzusage ist ein Instrument von unerreichter Flexibilität. Die Betriebsparteien können zügig und flexibel mittels kollektiver Regelungen Modelle und Konzepte weiterentwickeln und anpassen. Dieses hohe Maß an betriebsnaher Flexibilität und kostengünstiger Schnelligkeit hat zum Erfolg der Direktzusage beigetragen und kann und sollte Ausstrahlwirkung haben, wenn auch bei EbAV über schlanke Prozesse und eine sachgerechte Regulierung nachgedacht wird. Aber der Grundtrend bei den Direktzusagen läuft negativ. 2001 betrug der Anteil der Direktzusagen an den Deckungsmitteln der deutschen betrieblichen Altersversorgung 59,2%. 2012 betrug ihr Anteil nur noch 52,2%. Das ist ein Rückgang in 11 Jahren um 7%. Kein anderer Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung hatte in dieser Zeitperiode einen Rückgang zu verzeichnen. Der Anteil der darin enthaltenen Rückdeckungen über Finanzprodukte ist nicht bekannt. 2012 entfielen ferner in der Direktzusage nur noch 44% ihres Gesamtvolumens auf aktive Anwärter, wohin gegen bereits 56% auf laufende Rentenleistungen entfallen. In Europa stellt sie eine deutsche Unikatlösung dar, die an einer einzigen steuerlichen Gesetzesregelung hängt. Zugleich wird sie von EU-Mitgliedstaaten als deutsche Arbitrage angesehen. Dies vor dem Hintergrund, dass selbst die Bundesregierung in einer zusammenwachsenden EU die perspektivische Annäherung der Unternehmensbesteuerung anstrebt. Die Finanzierungsbedingungen der Direktzusage hinsichtlich der steuerlichen und bilanziellen Vorgaben sind unzureichend, wie auch die aktuellen Entwicklungen bestätigen; ihre Portabilitätsbedingungen sind stark behindernd. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, der Gesetzgeber lässt diesen Durchführungsweg „austrocknen“. Versierte Aktuare könnten wahrscheinlich aus dem bereits laufenden Trend rechnerisch den Punkt ihrer langfristigen Bedeutungslosigkeit berechnen. Schauen wir auf den zweiten Durchführungsweg, die Unterstützungskassen. Vor Jahrzehnten bildeten die Unterstützungskassen das Rückgrat der deutschen betrieblichen Altersversorgung. Insbesondere die pauschal dotierten eigenen Unterstützungskassen der Unternehmen sind in den zurückliegenden Jahren erheblich zurückgegangen. Wenn sich dies nicht zugleich auch in einem Rückgang des Anteils an den Deckungsmitteln der betrieblichen Altersversorgung niederschlug, so liegt dies offensichtlich an dem zunehmenden Anstieg von rückgedeckten Gruppen-Unterstützungskassen der Versicherungswirtschaft. Wohl mehr als 50% der heutigen Mitglieder des PSVaG resultieren aus dieser Entwicklung. Dabei sind wohl auch viele kleine und mittlere Unternehmer, die eine lebenslange Verpflichtung zur Zahlung von PSV-Beiträgen schultern müssen. Rückgedeckte Unterstützungskassen sind eine ausgeprägte Produktkonzeption der Versicherungswirtschaft, die auch über diesen Weg um Gewinnung von Marktanteilen in der betrieblichen Altersversorgung kämpft. Die Rückdeckungen unterliegen im Wesentlichen den Solvency II-Mechanismen. Damit verändert sich in relativ überschaubarer Zeit das Gesicht eines ganzen Durchführungsweges weg von der eigenen Durchführung der Arbeitgeber hin zu den Finanzprodukten unter Solvency II. Abhandlungen Kommen wir zum dritten Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung, den Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) im Sinne von Teil 4 des VAG und der geltenden EU-Pensionsfondsdirektive. Es sind dies die beiden Varianten der Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, die Pensionskassen und die Pensionsfonds. Obwohl Pensionskassen bereits seit über 100 Jahren bestanden, wurden sie merkwürdigerweise erst 2005 mit der Umsetzung der ersten EU-Pensionsfonds-Richtlinie in nationales Recht erstmals gesetzlich als „Lebensversicherungsunternehmen“ definiert. Dies obwohl bereits seinerzeit für Lebensversicherungsunternehmen eine andere EU-Richtlinie Solvency I galt. Ca. 10% der Pensionskassen sind deregulierte Pensionskassen, von denen häufig angenommen wird, dass sie den Vorgaben der Solvency II-Direktive unterliegen. Dies ist ein fachlicher Irrtum. Regulierte und deregulierte Pensionskassen sind EbAV und unterliegen dem Aufsichtsregime von IORP II. Allerdings sind die deregulierten Pensionskassen in der Regel Wettbewerbspensionskassen und kämpfen damit um Marktanteile. Die deregulierten Pensionskassen unterliegen dem Sicherungsfonds der deutschen Versicherungswirtschaft Protektor. Damit unterliegen bereits 10% aller Pensionskassen einem Solvency II-typischen Sicherungsinstrument, das insoweit ein signifikantes Einfallstor der Solvency II-Welt in das Sicherungskonzept aller EbAV darstellt. In jüngerer Zeit ist ferner auch festzustellen, dass kleinere Pensionskassen mit durchaus langer Tradition von am Markt tätigen deregulierten Pensionskassen aufgenommen werden. Der Gesetzesrahmen für Pensionsfonds als „Versorgungseinrichtungen“ wurde erst mit der Riester-Reform 2001 geschaffen. Mit dieser neuen Option sollte erstmals auch eine europataugliche Orientierung der Kapitalanlage an dem qualitativen „prudent person“-Konzept ermöglicht werden. Zu keinem anderen Instrument der betrieblichen Altersversorgung existieren so umfassende Gesetzesmaterialien, die Aufschluss über interessante und richtige Motive und Zielsetzungen des Gesetzgebers zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung geben. Aber trotz hehrer Vorstellungen wurde keines der Ziele des Gesetzgebers mit dem neuen Instrument bislang überzeugend erreicht. Von den ca. 30 Pensionsfonds sind ca. 2/3 Wettbewerbseinrichtungen von Produktanbietern, die um Marktanteile kämpfen. Beide EbAV-Optionen, Pensionskassen und Pensionsfonds, sind aufsichtsrechtlich nur mit wenigen Einzelbestimmungen eigenständig definiert und unterliegen ansonsten nach der aktuell verabschiedeten 10. VAG-Novelle einem Generalverweis auf das Recht der kleinen Lebensversicherungen, die nicht Solvency II unterliegen. Dass aber der generelle Verweis von EbAV unter IORP II auf das Aufsichtsrecht von Lebensversicherungen als Finanzprodukte konzeptionell vollständig verfehlt ist und für EbAV keine nachhaltige Lösung eines zukunftsorientierten Aufsichtsrechtes darstellt, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die EbAV, die zugleich die einzige grenzüberschreitend europataugliche Durchführung in der deutschen betrieblichen Altersversorgung darstellen, sind somit insgesamt weder für die nationalen Anforderungen noch für zukünftige Herausforderungen in der EU angemessen aufgestellt. Als vierter Durchführungsweg unterliegt das Finanzprodukt Direktversicherung vollständig dem neuen Aufsichtsrecht für Erstversicherungen und somit in vollem Umfang Solvency II. Dennoch ist die Direktversicherung nicht „europatauglich“. Die direkte kollektivrechtliche Nutzung dieses Durchführungsweges durch Betriebsvereinbarungen oder Tarifvertrag zur Rechtsbegründung oder Rechtsgestaltung unmittelbar für Betriebliche Altersversorgung 4/2015 309 die Begünstigten ist bei der Direktversicherung nicht möglich. Als einziger Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung unterliegt er unmittelbar dem Versicherungsvertragsgesetz und erfordert immer einen Einzelabschluss mit dem betroffenen Arbeitnehmer. Daher wird ein Vertrieb mit allen Kostenkonsequenzen benötigt. Das Finanzprodukt Direktversicherung ist damit ein vollständiges „aliud“ zu den EbAV; eine Gleichbehandlung mit EbAV ist unter keinem Aspekt gerechtfertigt. Vor diesem Hintergrund ist umso erstaunlicher, dass 2001 als gesetzliche Auffanglösung für den Anspruch auf individuelle Entgeltumwandlung nicht etwa eine auf dem kollektiven Kernstärkenprofil der betrieblichen Altersversorgung liegende EbAV-Lösung, sondern das individualisierte Finanzprodukt Direktversicherung ausdrücklich gesetzlich privilegiert wurde. Aus heutiger Sicht erkennt man dieses Finanzprodukt als ein artfremdes Einfallstor der Solvency II-Welt in die betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung, die eben keine Produkt- und Marktinteressen verfolgt. Die im November 2014 vom BMAS veröffentlichte bAV-Statistik weist zum dritten Mal in Folge für die Direktversicherung die höchste Anzahl der „aktiv Versicherten“ auf; d.h., dieses Finanzprodukt ist auf einem klaren Wachstumskurs. Der Verband der bayrischen Wirtschaft berichtet in einem Positionspapier vom März 2015, dass in den bAV-Strukturen des Mittelstands ein besonders großer Anteil der betrieblichen Altersversorgung auf den Durchführungsweg Direktversicherung entfalle. Gemäß Arbeitskostenstatistik des Statistischen Bundesamtes sei dies in der M&E-Industrie mehr als 50 Prozent der extern finanzierten Anwartschaften. Diese Zahlen würden mit der Bestandsverteilung bei der MetallRente, dem Versorgungswerk der M&E-Industrie, korrespondieren. Dort sei die Direktversicherung der am häufigsten genutzte Durchführungsweg: In Bayern liege der Anteil der im Durchführungsweg Direktversicherung abgeschlossenen bAV-Verträge bei ca. 50 Prozent. Dies bedeutet also, dass die betriebliche Altersversorgung gerade für die Arbeitnehmer des Mittelstands kaum über hocheffiziente EbAV von Unternehmen, Sozialpartnern oder Verbänden ohne eigene Marktinteressen organisiert wird. Vielmehr wächst der ohnehin hohe Marktanteil des individualisierten Finanzprodukts Direktversicherung unter Solvency II bei den Arbeitnehmern des Mittelstands, aber auch bei M&E als bedeutendstem Sektor der größten Volkswirtschaft der EU, rapide. Dies obwohl insbesondere aufgrund der Vertriebsorientierung die Kostenbelastung ausweislich der veröffentlichten Zahlen der BaFin hoch und die Ertragsaussichten einer einseitig an Zinspapieren orientierten „versicherungsförmigen“ Kapitalanlage dieses Finanzproduktes nicht gut sind. Es kann zugleich niemand bezweifeln, dass eine Fortsetzung oder gar Verstärkung des laufenden Wachstumstrends dieses Finanzproduktes unter Solvency II auf alle Durchführungen der betrieblichen Altersversorgung in den Unternehmen aller Größen und bei den Sozialpartnern zwangsläufige Ausstrahlwirkungen haben muss. Und zwar in der Form, dass die Koordinatenverschiebung in Richtung der Produkt- und Marktinteressen der um Marktanteile kämpfenden betrieblichen Altersversorgung und ihre spezifischen Regelungsstrukturen unter Solvency II etc. stetig zunehmen und so entsprechende Folgekollateralschäden bei den „non Solvency II“-Durchführungen verursachen wird. Bei einem evtl. gesetzlichen Opting Out wäre eine weitere Beschleunigung dieses Prozesses zu erwarten. 4. Laufende Trends bei den stakeholdern Lassen Sie uns einen weiteren Blick auf wichtige stakeholder der betrieblichen Altersversorgung werfen. 310 Betriebliche Altersversorgung 4/2015 Wichtigster Player in der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Altersvorsorge und die betriebliche Altersversorgung sind ohne Zweifel die politischen Entscheidungsträger, die Politik und der Gesetzgeber. Die Rechtsmaterie der betrieblichen Altersversorgung weist in Deutschland heute eine derartige Komplexität auf, dass es für politische Entscheidung extrem schwierig ist, sinnvoll ordnende Gestaltungsmaßnahmen zu ergreifen. Dennoch ist eine Koordination der verschiedenen relevanten Rechtsgebiete und der diversen Zuständigkeiten für Arbeit und Soziales, Steuern, Bilanzrecht, Aufsicht und Finanzmarkt unabdingbar. Seit der Riester-Reform standen in der Aufmerksamkeit von Politik und Gesetzgebung stets Altersvorsorge mit Produkt- und Marktinteressen vornean, nämlich die private Riester-Rente und die individualisierte Entgeltumwandlung. Die kollektiv organisierten Formen der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung und ihr Kernstärkenprofil fanden demgegenüber kaum substanzielle Unterstützung des Gesetzgebers. Entscheidende Impulse für die betriebliche Altersversorgung sind ohne die EU heute nicht mehr vorstellbar. Wesentliche Grundparameter und Weichenstellungen werden durch die EU gesetzt und haben unabdingbare, langfristige Auswirkungen. Aus Sicht der EU trifft die Marktperspektive für Finanzprodukte auch auf einen klaren Resonanzkörper, stehen doch in den EU-Verträgen die Interessen des Binnenmarktes vorne an, während Sozialstrukturen ohne Marktinteressen eher in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Hinzu kommt, dass die betriebliche Altersversorgung sich in den 28 Mitgliedstaaten der EU ohnehin nur in einer klaren Minderheitsposition befindet. An einer Auswirkungsstudie der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA zu möglichen Maßnahmen im Zusammenhang mit IORP II nahmen nur sechs Mitgliedstaaten teil, wohingegen bei entsprechenden Auswirkungsstudien der Versicherungswirtschaft zu Solvency II alle Mitgliedstaaten teilgenommen haben. Entscheidungen über die gesetzlichen Rahmenbedingungen kapitalgedeckter Altersvorsorge und ihre Regulierung werden aber von allen Mitgliedstaaten getroffen. Dies hat zwangsläufig massive Auswirkungen auf die Politik in Brüssel und auf die Regulierung in der EU. Damit kommen wir zu EIOPA und die nationalen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Aufsichtsbehörden orientieren sich in der Regel zunächst an den Rahmenbedingungen für die „Branche“, also die europäische Versicherungswirtschaft. Besonderheiten und Abweichungen für EbAV werden häufig als Störfaktoren empfunden. Aufsichtsrecht und Arbeits- und Sozialrecht bzw. Betriebsrentenrecht in Einklang zu bringen, fällt schwer und ist keineswegs gelöst. So ist wenig überzeugende Initiative erkennbar, spezifische Regelungen für EbAV und ihre Kernstärken einerseits und Versicherungen andererseits markant und sachgerecht differenziert spezifisch zu entwickeln; vielmehr wird möglichst jeder Ansatz zu einer Harmonisierung des Aufsichtsrechts unter den Vorgaben für die Versicherungsindustrie verfolgt. Die Formeln vom „level playing field“, von den „same risks, same rules“ und vom „single rule book“ sind eingängig, und obwohl sachlich falsch, dennoch vordergründig gegenüber Politik und Gremien plausibel. So ist regulatorisch die Denkund Sichtweise bzw. die Methodik der Versicherungswirtschaft als vordergründiges Maß der Dinge stets präsent. Die EbAVen und ihre Träger schwimmen mit ihren spezifischen Bedürfnissen und zugleich mit ihren enormen Chancen ständig gegen den anschwellenden Strom. Eine wichtige Rolle spielt die Presse. Sie hat maßgeblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Politik. In der Berichterstattung stehen heute die „Branche“ und die Finanzprodukte vorne an; die individualisierte Entgeltumwandlung und ihre Produktanbieter sind zum Synonym für Abhandlungen die betriebliche Altersversorgung als Ganzes geworden. Produktanbieter dominieren die Berichterstattung als wichtige Komponente der Kerngeschäftsfeldstrategien im Kampf um Marktanteile. Konferenzen, Tagungen und Diskussionsforen werden immer mehr von Produktanbietern besetzt. Auch Verbraucherverbände und Warentests fokussieren sich auf die Finanzprodukte der Altersvorsorge. Die Meinungshoheit in den öffentlichen Diskussionen um die kapitalgedeckte Altersversorgung liegt bereits seit langen bei den Produktinteressen, und der Prozess des kontinuierlichen Ausbaus dieser dominierenden Position schreitet voran. Erster Fahnenträger für die betriebliche Altersversorgung in Deutschland sind die deutschen Arbeitergeber; wer, wenn nicht sie? Aber ist das in der Realität auch so? Vor Jahren haben noch viele bekannte Namen und Unternehmen der deutschen Wirtschaft öffentlich und gegenüber der Politik klare Positionen bezogen und deutliches Engagement für die betriebliche Altersversorgung gezeigt. Nicht selten haben sich Unternehmer und Vorstände persönlich in Diskussionen in Bonn und Berlin eingebracht. Diese Zeiten liegen lange zurück und kommen nicht mehr wieder. Heute sind viele Unternehmen, und zunehmend mehr, nicht oder kaum mehr in wichtigen Diskussionen um die betriebliche Altersversorgung präsent. Grundlegende Entscheidungen und Weichenstellungen für die Zukunft der betrieblichen Altersversorgung werden zunehmend in Brüssel getroffen. Wenn man dort genau hinschaut, so wird man feststellen, dass sich heute vielleicht noch nicht einmal eine Handvoll deutscher Unternehmen in Brüssel wirklich aktiv für die Zukunft der betrieblichen Altersversorgung engagiert und noch weniger in der Kooperation mit anderen Unternehmen der übrigen Mitgliedstaaten. Auf den panels der Hearings des Parlaments, der Kommission oder von EIOPA finden sich deutsche Unternehmen fast nie; demgegenüber sind die Vertreter der europäischen Versicherungswirtschaft dort fast ständig präsent. Um gleich einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Es spricht überhaupt nichts dafür, dass dieses zurückgehende Engagement von Unternehmen auf fehlender Einsicht, bewusster Abkehr oder gar planmäßigem Rückzug beruht. Aber die Komplexität der betrieblichen Altersversorgung in ihren diversen und intransparenten Durchführungen, ihren Minenfeldern politischer Intentionen in Deutschland und der EU, ihren gesetzlichen Überfrachtungen, den Unberechenbarkeiten der Rechtsprechung, dem Normalbetrachter nicht mehr zugänglichen Zielen der Regulierung, den massiven und vielfältigen Produktinteressen auf einem den Unternehmen fremden Markt der Altersvorsorge und einer nahezu unmöglichen Orientierung für eine nachhaltige Zukunftsausrichtung in dieser Thematik macht es Unternehmensführungen und Arbeitgebern, deren Kerngeschäftsfelder ganz andere Schwerpunkte aufweisen, unmöglich, noch fundiert und vor allem wirksam in Diskussionen um Weichenstellungen und um die Zukunft betrieblicher Altersversorgung einzusteigen. Unternehmensvorstände können im Hinblick auf ihre globale Geschäftsverantwortung diese extreme Komplexität eines hochspezialisierten, aber zugleich aufgrund seiner Zahlenund Risikodimensionen Furcht einflößenden Randthemas nicht mehr so beherrschen, dass sie selbst noch hinreichend authentisch und glaubwürdig in nationale und europäische Diskussionen eingreifen können. Aber auch für die Fachebene in den Unternehmen ist es außerordentlich schwierig, diese fatale Gemengelage noch zu überschauen und Strukturentscheidungen ausgewogen und nachhaltig zu begleiten. So will ich nicht verhehlen, dass beispielsweise ein Kollege aus einem großen Unternehmen das Vordringen der „Solvency II-Welt“ in der betrieblichen Altersversorgung über das enorme Wachstum der Direktversicherung, über Rückdeckungslösungen oder Wettbewerbs- Abhandlungen EbAV nicht als perspektivisch kritisch für „non Solvency II“Konzepte ansah. Leider spricht aber nichts dafür, dass diese Gelassenheit begründet ist. Wenn sich Rahmenbedingungen und Realitäten des eigenen Umfeldes über die Zeit ändern und sich Schwerpunkte und Grundkoordinaten langsam und stetig verlagern, dann ist jedem klar, dass man nicht verwundert sein kann und darf, wenn plötzlich unerwartete heftige Einschläge und Einwirkungen die eigene, bisher stabile Ordnung durcheinanderbringen und schließlich auflösen. Es liegt auf der Hand und in der Natur der Sache, dass Produktund Marktinteressen und die Rahmenbedingungen der „Solvency II-Welt“ langfristig keine Biotope respektieren. Solange Marktanteile gewonnen werden können, ist der Kampf um diese Marktanteile nicht beendet. Die Unternehmen haben auch immer mehr mit den komplexen Anforderungen und dem erforderlichen Grad der Professionalisierung zu kämpfen. Kein Unternehmen ist heute mehr in der Lage, allein nur in der betrieblichen Altersversorgung die stetig zunehmende Vielzahl der Gesetze, Verordnungen, Erlasse und die Rechtsprechung etc. zu verfolgen. Immer häufiger werden Gesetze gemacht, die sich auf die Unternehmen erheblich auswirken, ohne dass diese zuvor davon mangels Kapazität überhaupt fundiert Kenntnis nehmen konnten, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, dazu auch selbst Stellung nehmen zu können. Diese zunehmend schwierigere Lage der Unternehmen und der Arbeitgeber hat auch ihre Auswirkungen auf die Arbeit ihrer Verbände. Die Arbeitgeberverbände engagieren sich für die betriebliche Altersversorgung und kämpfen einhellig und nach besten Kräften für ihre Zukunftssicherung auch unter IORP II vs. Solvency II. Aber ihre Kapazitäten sind sehr, sehr begrenzt; so stehen häufig nur Kapazitätsbruchteile, nur sehr selten eine ganze Kapazität für die betriebliche Altersversorgung zur Verfügung. Unter dem Strich halten sie weder in Berlin noch in Brüssel einem Vergleich stand mit den Kapazitäten der europäischen Versicherungsindustrie. So kämpfen die Arbeitgeberverbände an einer Front und in einem Thema, das an zunehmender Komplexität kaum zu übertreffen ist, eine erhebliche kontinuierliche Befassung und zugleich ein immer höheres Maß an Professionalisierung erfordert. Naturgemäß sind sie auf die Unterstützung der Mitgliedsunternehmen angewiesen. Diese haben ihrerseits in der beschriebenen Art und Weise mit der Materie heftig zu kämpfen. Hinzu kommt, dass etliche Verbände und Unternehmen seit der Riester-Gesetzgebung als gesetzliche Auffanglösung das Finanzprodukt Direktversicherung bereits frühzeitig genutzt und aus welchen Gründen auch immer präferiert haben. Dass aus diesen durchaus vielfältig divergierenden Interessenlagen gegenüber der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung kritische, fach- und verbandspolitische Friktionen entstehen können, bedarf keiner weiteren besonderen Erwähnung. Hier Zielkonzepte und Visionen für die betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung zu formulieren, fällt schwer. Man kann dieses Phänomen durchaus – wie vor Kurzem ein kundiger Kommentator – als „Ambivalenz der Arbeitgeber“ bezeichnen. Die interne Ausrichtung und Orientierung hat sich also seit den Weichenstellungen des Jahres 2001 deutlich auseinanderbewegt. Und wenn der Fahnenträger Ambivalenz zeigt, dann wird es ganz schwierig. Die Gewerkschaften sind ebenfalls ein bedeutender und „geborener“ stakeholder gerade der betrieblichen Altersversorgung für die Arbeitnehmer. Lange vor der Riester-Reform haben Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen zusammen mit den Arbeitgebern in einer großen Vielzahl von Systemen und Konzepten der betrieblichen Altersversorgung kooperiert. Naturgemäß gibt es zwar, anders als bei den Arbeitgebern, noch anhaltende grundsätzliche Debatten um Schwerpunkte der Altersversorgung generell, wie etwa die Betriebliche Altersversorgung 4/2015 311 Frage des staatlichen Umlageverfahrens vs. Kapitaldeckung, oder um die Gewichtung der gesetzlichen Rente und der betrieblichen Altersversorgung zueinander. Auch mag die Frage der Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung bei den Gewerkschaften vielleicht etwas anders gesehen werden als bei den Arbeitgebern. Dennoch sind sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in fundamentalen Fragen der betrieblichen Altersversorgung durchaus einig. Auch die Gewerkschaften sehen die betriebliche Altersversorgung in ihrem eigentlichen Kern nicht als Finanzprodukt. Auch die Gewerkschaften betonen ihre kollektive Effizienz und legen Wert darauf, dass bei möglichst geringen Kosten möglichst gute Leistungen für die Begünstigten erzielt werden. Ganz besonders deutlich werden die gemeinsamen Interessen von Arbeitgebern und Gewerkschaften in ihrem gemeinsamen nationalen und europäischen Engagement für sachgerechte zukünftige Rahmenbedingung für EbAV unter IORP II und der Abwehr von existenzgefährdenden Einwirkungen der „Solvency II-Welt“. Auch die Gewerkschaften haben mit der gleichen Problematik wie die Arbeitgeberverbände zu kämpfen. Ihre personellen Kapazitäten im extrem komplexen Feld der betrieblichen Altersversorgung sind ebenso begrenzt. Auch sie können in dieser Thematik weder in Berlin noch in Brüssel mit den Lobby-Kapazitäten der europäischen Versicherungsindustrie mithalten. Auch bei Gewerkschaften finden sich Stimmen, die das Finanzprodukt Direktversicherung präferieren. So wurde beispielweise bezüglich des aktuellen Vorschlags des BMAS zu § 17b mit dem Fokus auf EbAV die „Benachteiligung“ der Direktversicherung gerügt. Dies veranlasste einen kundigen Kommentator zu der Bemerkung, dass man diese Aussage eher in einem GDV-Positionspapier erwartet hätte, nicht aber in der Stellungnahme einer Gewerkschaft, die Arbeitnehmerinteressen verpflichtet sei. Lassen Sie mich bei den stakeholdern abschließend noch zwei Verbände erwähnen, nämlich den GDV und die aba. Der GDV hat nach seiner Satzung den Zweck, die gemeinsamen Interessen der deutschen Versicherungswirtschaft zu vertreten. Er verfügt offensichtlich über beachtliche Kapazitäten, die den Kerngeschäftsfeldinteressen seiner Mitglieder angemessen sind. Seine vielfältige, zielgerichtete Präsenz in den Medien, auf den Podien, in den Anhörungen etc. ist beachtlich. Seine zügigen Stellungnahmen zu allen relevanten Themen kapitalgedeckter Altersversorgung sind umfassend und stringent fundiert. Vergleichbares kann offensichtlich kein anderer Verband leisten. Aus seiner Arbeit wird ein klares Konzept und eine konsequente Strategie markant deutlich. Er ist wahrscheinlich der einzige stakeholder, der über eine solche klare Ausrichtung und zielgerichtete Orientierung verfügt. Dies setzt sich – soweit erkennbar – in entsprechender Weise auf EU-Ebene mit InsuranceEurope fort. Alles dies ist natürlich legitim. Und zugleich muss man diese enorme, wohl einzigartige, zielorientierte Schlagkraft sehen, wenn man über die Zukunft von betrieblicher Altersversorgung als Sozialleistung und von betrieblicher Altersversorgung als Finanzprodukt im heftigen Kampf um Anteile auf dem immer größeren Markt der kapitalgedeckten Altersversorgung nachdenkt. Die aba, unser eigener Verband, ist ein Fachverband, der sich nach seiner Satzung der Förderung der betrieblichen Altersversorgung verschrieben hat. Die Wurzeln der aba gründen ohne jeden Zweifel in einem Selbstverständnis von betrieblicher Altersversorgung als Sozialleistung ohne Markt- und Produktinteressen. Sie liegen direkt in den Unternehmen der deutschen Wirtschaft, denn ihre Geschichte begann faktisch nicht erst vor 77 Jahren, sondern bereits 1922 mit der Gründung des Verbandes Deutscher Privatpensionskassen e.V.. Die Zeiten haben sich bis heute drastisch geändert 312 Betriebliche Altersversorgung 4/2015 und der Änderungsprozess läuft anhaltend. Die Mitgliederstruktur der aba ist im kontinuierlichen Umbruch begriffen: Der Anteil der Unternehmen und ihrer Vertreter sinkt, die Mitgliederzahl mit Markt- und Produktinteressen in der kapitalgedeckten Altersversorgung steigt stetig. Gleichwohl ist die aba bislang zu klarer Kante fähig: „Für die betriebliche Altersversorgung ist Solvency II das kritischste Thema seit vielen Jahren. … Sie können in Deutschland Politiker von ausnahmslos jeder Parlamentspartei, jeden Arbeitgeber oder jeden Gewerkschafter fragen, Sie können fragen, wen Sie wollen – einen solchen Abwehrkonsens wie den zu Solvency II hat es wahrscheinlich schon ewig nicht mehr gegeben“, sagte unser aba-Vorsitzender vor nicht allzu langer Zeit. So steht die aba in der klaren Abwehr der „Solvency II-Welt“ in der betrieblichen Altersversorgung in Brüssel und Berlin, … noch. Die jüngste Entscheidung zur Gründung der neuen Fachvereinigung Unterstützungskassen geht maßgeblich auf das Drängen der rückgedeckten Unterstützungskassen zurück. Hier werden zwangsläufig Solvency II und Marktund Produktinteressen gewichtig. Auch im aktuell vorgestellten Reformmodell der aba erfolgt im 17b-Vorschlag erstmals bei einer fundamentalen Zukunftsthematik eine betriebsrentenrechtliche Gleichstellung von EbAV unter IORP II und dem Finanzprodukt Direktversicherung unter Solvency II unter einem einheitlichen neuen Terminus. Dies ist konzeptionell, systematisch und strategisch aus vielen Gründen für EbAV perspektivisch äußerst kritisch und passt nicht zu den aba-Positionierungen in der Problematik IOPR II vs. Solvency II. Die mittel- und langfristigen Auswirkungen solcher Veränderungen sind kaum zu prognostizieren; wenngleich aber nichts dafür spricht, dass sich auch bei der aba bereits laufende Trends verändern. 5. Z wischenfazit – Trends betrieblicher Alters versorgung als Sozialleistung Lassen Sie mich daher folgendes Fazit ziehen: Für die betriebliche Altersversorgung der Arbeitgeber und Sozialpartner als Sozialleistung sind in den vier Durchführungswegen und bei den stakeholdern die laufenden Trends auf Rückgang und Niedergang gerichtet. Es ist kein Trend erkennbar, der in eine andere Richtung weist. Zugleich machen die Marktinteressen in der betrieblichen Altersversorgung stetig Boden gut. Dies führt zu einer kontinuierlichen Veränderung der Rahmenbedingungen und der realen Gegebenheiten zulasten der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung und zugunsten der betrieblichen Altersversorgung als Finanzprodukt. Diese Entwicklungen werden bei Fortsetzung laufender Trends langfristig den Untergang der betrieblichen Altersversorgung zur Folge haben, wie ihre Gründer sie als Sozialleistung ohne Markt- und Produktinteressen aufgesetzt haben und wie Arbeitgeber und Gewerkschaften sie als effizienteste Form kapitalgedeckter Altersversorgung im Kern unverändert verstehen. Daher könnte ich an dieser Stelle eigentlich meinen Vortrag beenden. Das würde allerdings den tatsächlichen Gegebenheiten nicht vollständig gerecht. Denn das abgeleitete Fazit kann als solches nur abschließend bestehen, wenn in der Tat keine reale Chance besteht, den Trend zum Untergang der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung zu stoppen und vielleicht sogar umzukehren. 6. Reale Chance zum Trendwechsel Die Frage ist also: Besteht eine reale Chance, die immer schneller laufende Koordinatenverschiebung zulasten der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung hin zur betrieblichen Altersversorgung als Finanzprodukt zur stoppen oder gar umzudrehen? Lassen Sie mich das Ergebnis des Nachfolgenden hier gleich vorwegnehmen: Ja, diese Abhandlungen reale Chance besteht. Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Prozess nur Erfolg haben kann, wenn es gelingt, langfristig nachhaltige spezifische Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersversorgung als Sozialeinrichtung in Deutschland und der EU zu schaffen. Und wenn es gelingt, durch gesamtgesellschaftlich überzeugende Leuchttürme und Konzepte mit großer Ausstrahlwirkung die überlegene Hochleistungsfähigkeit betrieblicher Altersversorgung ohne Markt- und Produktinteressen als Sozialleistung für die Arbeitnehmer in Unternehmen aller Größen zu belegen. 7. Betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung – Herausforderung für Unternehmen und Sozial partner Ein solches Programm voranzutreiben und zu realisieren, erfordert äußerst starke stakeholder, die ein großes politisches Gewicht und erhebliche Schlagkraft in Deutschland und in der EU auf die Waage bringen müssen. Nach meinen vorherigen Ausführungen ist wohl evident, dass es einen einzigen solchen stakeholder, der alleine dazu fähig wäre, nicht (mehr) gibt. Ein solches Programm könnte heute nur noch auf der Grundlage gemeinsamer Interessen von Arbeitgebern und Gewerkschaften zusammen gestemmt werden. Alleine wird keine der beiden Seiten mehr durchdringen; dafür sind die früheren Weichenstellungen bereits zu lange wirksam, dafür ist der Kipp-Punkt bereits zu nahe und dafür sind die vor uns liegenden Herausforderungen zu groß. Verbinden sie aber ihre Interessen, so sind sie die einzigen stakeholder, die gemeinsam über das politische Gewicht und die erforderliche Schlagkraft verfügen, die laufenden Trends in der betrieblichen Altersversorgung wieder in die richtige Richtung zu drehen. Wir alle wissen, dass die Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Gewerkschaften nicht ohne Grund als bisherige und zugleich zukunftsfeste Erfolgskomponente des „Geschäftsmodells Deutschland“ angesehen wird. Viele Länder beneiden uns um dieses Konzept. Unsere Rechtsordnung spricht dem Handeln und den Regelungen der Sozialpartner eine grundsätzliche Richtigkeitsgewähr zu. Staat und Gesellschaft anerkennen bei gemeinsamem Handeln der Sozialpartner ein hohes Maß von gesellschaftlicher Akzeptanz. Und es gibt beachtliche Stimmen, die die Sozialpartnerschaft als gute Grundlage für die Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen einer zunehmend vernetzten Welt verstehen. Wer wollte den berechtigten Anliegen und gemeinsamen Zielsetzungen von Arbeitgebern und Gewerkschaften mit Aussicht auf Erfolg entgegentreten? Was ihr gemeinsames Handeln und ihr konsequentes Engagement in der betrieblichen Altersversorgung bewirken kann, sehen wir in der bislang gemeinsamen und erfolgreichen Abwehr von existenzgefährdenden Solvency II-Vorgaben für EbAV. Nicht nur die deutschen Sozialpartner engagieren sich hier in großem Konsens. Auf EU-Ebene haben Arbeitgeber, repräsentiert durch BusinessEurope, und Gewerkschaften, repräsentiert durch den ETUC, flankiert von weiteren Verbänden, über Jahre in bislang einmaliger Form dieses Ziel gemeinsam verfolgt und bleiben dran. In einer eindrucksvollen Vielzahl von Joint letters an die EU-Gremien ist das erfolgreiche Vorgehen zu verfolgen. Die bisherige erfolgreiche Abwehr von Solvency II für EbAV resultiert also entscheidend aus dem gemeinsamen, entschlossenen und kraftvollen Handeln von Arbeitgebern und Gewerkschaften. 8. Betriebliche Altersversorgung – Rahmen für leistungsfähige, nachhaltige Konzepte Die Herausforderungen für die Sozialpartner, den Niedergangstrend der betrieblichen Altersversorgung zu drehen, richten sich aber nicht nur an die Politik, sondern reichen Abhandlungen deutlich darüber hinaus. Denn es geht in Deutschland auch um nicht mehr und nicht weniger, als dazu beizutragen, im gesamtgesellschaftlichen Interesse das mindset einer ganzen Nation in der kapitalgedeckten Altersversorgung zu ent wickeln. Bis zur Niedrigzinsphase war kaum Gegenstand erkennbaren politischen Interesses, wie Leistungen der kapitalgedeckten Altersvorsorge optimiert und möglichst gute Renditen und Ergebnisse für die Menschen erzielt werden können. Im Vordergrund stand, resultierend aus einer über 100jährigen Tradition des Finanzprodukts Lebensversicherung, die Frage von Garantien. Kosten und gute Ergebnisse durch optimale Kapitalanlage fanden keine oder kaum Beachtung. Garantien wurden zum Synonym für gute Leistungen. Immer wieder – aus welchen Interessen auch immer – ist zu hören, dass in Deutschland versicherungsförmige Zinsgarantien gefordert würden. In diesem Kontext sei die anhaltende Niedrigzins phase fatal. Es bestehen aber keine Zweifel, dass in der kapitalgedeckten Altersvorsorge keine Schönwetter-Konzepte gefordert sind, sondern nachhaltig allwetterfeste Konzepte, die auch in Niedrigzinsphasen den Belastungen standhalten und bestmögliche Leistungen generieren. Es ist inakzeptabel, dass eine kapitalgedeckte, nachhaltig organisierte Altersvorsorge in der für ein bevölkerungsreiches Industrieland wie Deutschland erforderlichen Dimension die Entwicklung der Weltwirtschaft in der Form von breit gestreuten Aktienportfolios weitgehend ausblendet. Es sollte erreicht werden, dass neben Investitionen in heimische Regionen auch Investitionen in gegenwärtige und zukünftige globale Wachstumsregionen wesentlich zur Finanzierung unserer Renten beitragen. Schließlich leben die Menschen in der Rentenbezugsphase nicht von Garantien, sondern von möglichst guten Leistungen. Das berechtigte Bedürfnis nach berechenbarer Mindestsicherheit und das Ziel gut fundierter Anlageergebnisse sind sorgfältig zu balancieren; das gilt sowohl für die Anwartschafts- wie auch die Rentenbezugsphase. Die krisenhaften Entwicklungen an den Kapitalmärkten zeigen, dass die „sichere“ Kapitalanlage nicht existiert. Reale Sicherheit und bestmöglicher Risikoschutz ergeben sich daher nicht aus vermeintlichen Garantieversprechen, sondern aus der breiten Streuung und Mischung der Kapitalanlagen unter Berücksichtigung der langfristigen Anlagezeiträume in der Altersvorsorge und einer daraus resultierenden guten Risikotragfähigkeit. Dies fördert zugleich das Ziel der Erreichung bestmöglicher Renditen. Es ist dringend notwendig, dass diese Erkenntnis auch in Deutschland Allgemeingut wird. Die Sozialpartner sind die sehr geeigneten, für die Menschen vertrauenswürdigen Gewährsträger, um unter ihrer Obhut die notwendigen und auch anspruchsvollen Impulse gegenüber der Politik und den Menschen zu setzen, um solche fundierten neuen Konzepte voranzubringen. 9. B etriebliche Altersversorgung – Rahmen für leistungsfähige Einrichtungen Die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung stagniert insbesondere bei Arbeitnehmern der KMU und bei Arbeitnehmern mit oft sehr begrenzten finanziellen Spielräumen. Mit individualisierten und vertriebsgestützten Konzepten kommen wir nicht weiter. Ein Kollege, der im Hamburger Hafen für die Personalbetreuung zuständig ist, sagte vor einiger Zeit auf einer Konferenz hier in Berlin: „Unsere Hafenarbeiter wollen nicht mehr, dass Versicherungsvertreter abends bei ihnen zu Hause auf ihrem Sofa sitzen und ihnen dann auch noch erklären, dass dafür Prozente anfallen.“ Es ist nicht anzunehmen, dass die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern anders denkt. Betriebliche Altersversorgung braucht im Grundsatz keine individuelle Beratung und keine Einzelvertragsabschlüsse, sondern basiert auf kollektiven Vereinbarungen und entsprechender Bedarfssteuerung. Was Betriebliche Altersversorgung 4/2015 313 benötigt wird, ist Zugang von möglichst vielen Arbeitnehmern zu hocheffizienten EbAV, wie sie bislang nur größere Unternehmen für ihre Arbeitnehmer organisieren konnten. Dass solche EbAV von Arbeitgebern und Gewerkschaften wie auch die EbAV der Unternehmen im Interesse der Begünstigten die Konzepthoheit, die Kapitalanlagen und die Marktmacht fest in eigenen Händen und eigener Verantwortung halten, ist dabei ganz entscheidend. Um die Marktmacht als entscheidenden Hebel mit vielen Konsequenzen über die langen Jahrzehnte der Altersversorgung wirklich in Händen dieser EbAV zu halten, ist fundamental, dass sie und nicht Finanzdienstleister die „Halter“ der Kapitalanlagen der Begünstigten sind. Gelegentlich ist zu hören, dass die Sozialpartner keine diesbezügliche Kompetenz hätten. Dies ist natürlich Humbug. Ein kleines, aber leistungsfähiges Steuerungsteam einer solchen eigenen EbAV kann man über den Markt ein- und zusammenstellen. So kann beispielsweise auch kein Zweifel bestehen, dass unser aba-Vorsitzender mit seinem Team in der Lage wäre, im Auftrag seiner Gesellschafter bei Metall & Elektro eine solche eigene MetallRente-EbAV zu steuern. Zugleich aber ist auch klar, dass die wesentlichen Module einer solchen eigenen EbAV wie Administration, Assetmanagement, Spezialconsulting, Ergänzungskomponenten etc. am Markt gekauft werden können. Und hier ist dann der entscheidende Punkt, um die betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung ohne eigene Markt- und Produktinteressen und die Interessen der Produktanbieter, die um Marktanteile in der kapitalgedeckten Altersvorsorge kämpfen, für die Zukunft miteinander zu versöhnen. Denn natürlich spielen Finanz- bzw. Spezialdienstleister und Versicherer mit ihren Kernkompetenzen hier eine sehr wichtige Rolle. Hier bringt der Kampf um Marktanteile am Markt der Dienstleistungen für die eigenen EbAV der Unternehmen und Sozialpartner großen Nutzen. Es wäre auch nicht sinnvoll, wenn die einzelnen EbAV der Unternehmen und Sozialpartner diese notwendigen Module selbst organisieren; vielmehr spricht alles dafür, dass hier sehr wirtschaftlich die Kernkompetenzen und Synergien relevanter Anbieter genutzt werden können. Im Rahmen regelmäßiger Ausschreibungen der EbAV müssen sich allerdings die Besten immer wieder bei den auf Zeit vergebenen Mandaten durchsetzen. Für die EbAV und insbesondere ihre Begünstigten bedeutet dies, dass sie stets bestmögliche Partner haben, ohne die eigene Marktmacht einzuschränken. Für die Leistungsanbieter wird dies auch sehr interessant sein, denn es handelt sich regelmäßig um sehr große und zügig wachsende Mandate. Wenn die Wege allerdings – aus welchen Gründen auch immer – auseinandergehen, dann bleiben die Kapitalanlagen vollständig und ohne Weiteres bei der eigenen EbAV der Unternehmen und der Sozialpartner. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass natürlich die qualifizierten und professionellen Steuerungsteams dieser eigenen EbAV der Sozialpartner im Zusammenwirken mit den Steuerungsteams der Unternehmens-EbAV ohne Weiteres in der Lage wären, die entsprechende authentische Expertise, die erforderliche professionelle Kapazität und eine nachdrückliche Schlagkraft in jedwede Diskussion in Berlin und Brüssel einzubringen. Ferner könnten sie den Sozialpartnern und den Unternehmen als ihren Auftraggebern die gebotene fachliche Guideance bieten, die diese in die Lage versetzt, die Anliegen für ihre EbAV und deren Begünstigte nachdrücklich und qualifiziert zu flankieren. So ist interessant zu sehen, dass bei den wenigen deutschen Vertretern in den relevanten Diskussionen in Brüssel immer auch die beiden einzigen bisher existierenden SektorEbAV profiliert vertreten sind. In der Zukunft sollten dies viel mehr sein, um die Trends in die richtige Richtung zu drehen. 314 Betriebliche Altersversorgung 4/2015 10. A nmerkungen zum aktuellen Vorschlag des BMAS Ich will aber hier einem möglichen Missverständnis entgegentreten. Meine bisherigen Anmerkungen sind nicht als eine Kommentierung des aktuellen Vorschlags des BMAS zu EbAV unter einem neuen § 17b Betriebsrentengesetz zu verstehen. Der BMAS-Vorschlag enthält zwar interessante Aspekte. So ist erfreulich, dass er sich auf EbAV unter IORP II fokussiert und sich so wieder auf das kollektive Kernstärkenprofil von Sozialeinrichtungen und die damit verbundenen Effizienz-Mechanismen zurückbesinnt. Auch der neue Ansatz, Arbeitgebern eine vollständig periodengerechte Finanzierung betrieblicher Altersversorgung zu ermöglichen und zugleich den Arbeitnehmern mit der Beitragszusage mit Mindestleistung ein unter Rendite- und Sicherheitsaspekten gut balanciertes Konzept in den EbAV zu bieten, zielt in die richtige Richtung. Auch der Schutz dieser EbAV nach einheitlichen solidarischen Grundsätzen über den PSV, der nicht unter Solvency II fällt, liegt richtig. Bei genauer Betrachtung kann auch kein Zweifel bestehen, dass es sinnvoll und notwendig ist, diese Optionen auch für alle EbAV der Unternehmen und Sozialpartner zu eröffnen. Es läge nicht in der tieferen Logik des BMAS-Vorschlages, einen kontraproduktiven Keil zwischen EbAV der Sozialpartner und die gleichen EbAV der Unternehmen zu treiben. Vielmehr sollten die EbAV der Unternehmen und der Sozialpartner Schulter an Schulter entwickelt und gestärkt werden. Und natürlich läge es weder in der Logik des Koalitionsvertrages noch des BMASVorschlages, über irgendeinen gesetzlichen Zwang nachzudenken. So ist also der aktuelle BMAS-Vorschlag durchaus ein richtiger Ansatz. Aber vor dem Hintergrund der aufgezeigten kritischen Trends sind noch viele gewichtige, viel weitere und viel grundsätzlichere Schritte zu tun, um eine im Sinne der Menschen notwendige Trendumkehr in der als Sozialleistung niedergehenden betrieblichen Altersversorgung zu erreichen. Die Trendumkehr, für die hier plädiert wird, zielt über alle relevanten Rechtsgebiete betrieblicher Altersversorgung hinaus tief in die Gestaltung der Durchführungen, in das Bewusstsein der stakeholder und schließlich auf die Erwartungen der Menschen. 11. Schlussbemerkung Somit komme ich zum Schluss meines Vortrages: Der langfristige Untergang der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung ist programmiert. Jetzt ist die Zeit zu handeln. Eine reale Option zur Trendumkehr und zur Stärkung und Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung und nicht als Finanzprodukt besteht. Wir sollten aber nicht vergessen: Diese Form der betrieblichen Altersversorgung kämpft nicht per se um ihre Zukunft und um ihre Verbreitung. Sie wird gehen, unspektakulär, leise und über die Zeit, wenn niemand mehr überzeugend für sie eintritt und für sie kämpft. Wenn aber die richtigen stakeholder sich glaubwürdig engagieren, dann haben wir zugleich auch im Interesse der Menschen ausgezeichnete Antworten auf die erheblichen Herausforderungen, die vor uns liegen. Ich bin sehr sicher: Die richtigen Adressaten und stakeholder wissen genau, was zu tun ist. Mögen sie den Mut haben, es mit Überzeugung und Kraft anzugehen. Voltaire sagte: „Die Wahrheit sollte sein wie ein Mantel, den du dem anderen hinhältst, damit er hineinschlüpfen kann, wenn er dazu bereit ist.“ Hier also ist der Mantel. Wenn es mir gelungen ist, ihn so zu halten und zu helfen, dass die Richtigen bereit sind hineinschlüpfen, dann wäre das Ziel dieses meines Diskussionsbeitrages erreicht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Abhandlungen
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