Der Untergang der betrieblichen Altersversorgung*

Bernhard Wiesner, Ludwigsburg
Der Untergang
der betrieblichen
Altersversorgung*
Vortragen möchte ich Ihnen nachfolgend die Ansichten und
Einsichten eines langjährigen Akteurs und sorgsamen Beobachters in der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland
und in der EU.
1. Betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung
„Die betriebliche Altersversorgung ist eine freiwillige Sozialleistung der Unternehmen, die auf eine lange Geschichte
zurückblicken kann.“ So schlicht und einfach lautet der erste
Satz eines Standardkommentars zum Betriebsrentengesetz.
So einfach ist also betriebliche Altersversorgung. So schlicht
definiert sich damit zugleich die effizienteste Form kapitalgedeckter Altersversorgung. Da findet sich nichts von
Regulierung, von Finanzprodukten, von Verträgen und von
Marktanteilen. Es ist in der Tat eine lange Geschichte und
eine beachtliche Tradition, die in Deutschland zurückreicht
bis in das vorletzte Jahrhundert. In dieser erfolgreichen
Historie der betrieblichen Altersversorgung finden sich mit
BASF, Hoechst, Krupp, Thyssen, Siemens, Bosch und vielen
Anderen bedeutende Namen der deutschen Wirtschafts- und
Industriegeschichte, die sich so im Rahmen ihrer unternehmerischen Verantwortung frühzeitig und schrittmachend
engagierten.
Um das Wesen betrieblicher Altersversorgung zu erfassen,
brauchen wir aber gar nicht so weit in die Vergangenheit zu
schauen. Auch gegenwärtig finden sich Aussagen, die mit
erstaunlicher Aktualität an die eigentlichen Wurzeln betrieblicher Altersversorgung anknüpfen. So hat der Bundestag
2012 in einem Beschluss zur Abwehr der Übertragung von
Solvency II-Vorgaben auf die Einrichtungen der betrieblichen
Altersversorgung (EbAV) ausgeführt: „Die Besonderheit der
betrieblichen Altersversorgung besteht darin, dass sie auf
dem Arbeitsrecht beruht, d.h. auf dem individuellen Arbeitsvertrag oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen zwischen
den Sozialpartnern. Die betriebliche Altersversorgung ist in
erster Linie eine betriebliche Sozialleistung und kein bloßes
„Finanzprodukt“. Als eine solche Sozialleistung steht die
betriebliche Altersversorgung auch nicht im Wettbewerb mit
sonstigen Finanzmarktprodukten.“ Treffender ist betriebliche
Altersversorgung in ihrem eigentlichen Kernstärkenprofil
auch heute kaum zu charakterisieren.
Die überlegene Effizienz der betrieblichen Altersversorgung
resultiert also im eigentlichen Kern aus ihrer kollektiven
Struktur als betriebliche Sozialleistung. Arbeitgeber wenden
Mittel und Kapazitäten auf und bringen Know-How in Einkauf, Aufbau und Controlling von betrieblicher Altersversorgung ein und stellen so ihren Mitarbeitern kostengünstige
kollektive Strukturen zur Verfügung, die der Einzelne am
Markt nicht einkaufen kann. Wo Know-How und Kapazitäten der Arbeitgeber fehlen, können eigene Einrichtungen der
Sozialpartner und Verbände die Arbeitgeber bei ihrer Zusage
in entsprechender Weise unterstützen.
*
Vortrag gehalten auf der aba-Jahrestagung am 7.5.2015 in Berlin.
Abhandlungen
Richtigerweise wurden mit der Riester-Reform 2001/2002 die
Weichen für den breiten Aufbau kapitalgedeckter Altersversorgung gestellt. Kernelemente waren allerdings merkwürdigerweise nicht die erprobten und hochwirksamen Strukturen
der bewährten betrieblichen Altersversorgung, sondern vor
allem die private „Riester-Rente“ und dann in der betrieblichen Altersversorgung der Anspruch des Arbeitnehmers
gegen seinen Arbeitgeber auf individuelle Entgeltumwandlung. Damit wurde in der betrieblichen Altersversorgung
ein grundsätzlich neues Kapitel aufgeschlagen und eher
unbemerkt ein ganz neuer Trend eingeleitet. Mit dieser
wohl eher unbewussten Individualisierung der betrieblichen
Altersversorgung begann zugleich implizit ein Prozess ihrer
Dekollektivierung, also einer Schwächung des eigentlichen
kollektiven Kernstärkenprofils der betrieblichen Altersversorgung.
Ohne dass dies von den relevanten stakeholdern in Politik,
bei den Arbeitgebern, Gewerkschaften und Verbänden weiter
vertieft diskutiert wurde, begann damit in der betrieblichen Altersversorgung ein bis heute andauernder und sich
kontinuierlich verstärkender Prozess einer Koordinatenverschiebung. Die betriebliche Altersversorgung veränderte sich
immer mehr von der kollektiv strukturierten Sozialleistung
für Arbeitnehmer zum Finanzprodukt als Marktofferte von
Produktanbietern an den Einzelnen als Verbraucher. Diese
Koordinatenverschiebung wurde zunehmend auch in den
verwendeten Begrifflichkeiten deutlich erkennbar. Viele Meinungsträger, selbst in der Politik, begannen von „Produkten“, von der „Branche“, vom „Wettbewerb der Durchführungswege“ und vom „Markt und den Marktbedingungen
der Altersvorsorge“ zu sprechen.
Die unüberbrückbaren Gegensätze in der betrieblichen Altersversorgung, die sich in der Sozialleistung auf der einen Seite
und dem Finanzprodukt auf der anderen Seite polarisieren,
treten mit großer Klarheit und Härte in den europäischen
und nationalen Diskussionen um die entschiedene Ablehnung der für die Versicherungswirtschaft berechtigten Solvency II-Regelungen zu Tage. Die Abwehr dieser für die EbAV
der Unternehmen und Sozialpartner existenzgefährdenden
Mechanismen durch die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die
Politik und Fachverbände ist einhellig.
2. R
isikofaktor: Der Kampf um Marktanteile in der
betrieblichen Altersversorgung
2001/2002 wurde in Deutschland also nicht nur die beschriebene Koordinatenverschiebung in der betrieblichen Altersversorgung eingeleitet, sondern auch ein damals wohl
unerkannter, aber heute umso deutlicher erkennbarer, heftig
fortschreitender Kollisionsprozess in der europäischen und
nationalen Diskussion um IORP II versus Solvency II.
Die Sozialleistung ist gekennzeichnet durch die eigene
Durchführung und Organisation durch die Arbeitgeber und
Sozialpartner. Sie unterliegt im Schwerpunkt den Regelungen
des Arbeitnehmerschutzes; so wie sie auch generell andere
spezifische Rahmenbedingungen benötigt als Finanzprodukte. Die Sozialleistung hat dienenden Charakter und liegt
weder für Arbeitgeber noch für Sozialpartner im Bereich ihrer
Kerngeschäftsfelder und oder ihrer Kernkompetenzen. Die
Sozialleistung ist eben kein Finanzprodukt; sie kämpft nicht
am Markt und somit auch nicht gegen Wettbewerber um
Marktanteile an einem Markt der Altersvorsorge.
Das Finanzprodukt zielt demgegenüber auf seine Vermarktung durch Finanzdienstleister unter den Regelungen des
Verbraucherschutzes wie etwa Solvency II. Für Finanzdienstleister geht es um substantielle Kerngeschäftsfeldinteressen.
Für Finanzprodukte ist der Kampf um Marktanteile am
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massiv wachsenden Markt der Altersvorsorge sachlogisch
inhärent. Dies bedeutet zuerst und vor allem, die jeweiligen
Finanzprodukte oder Dienstleistungen am Markt zu etablieren und zu verbreiten. Dies beinhaltet zugleich die unabdingbare Zielsetzung, sich permanent und mit beachtlichem
Einsatz in zwei Richtungen zu engagieren: Nämlich dafür,
dass die Marktbedingungen möglichst optimal und die Wettbewerbsbedingungen und Marktregeln für alle Marktteilnehmer gleich gestaltet sind.
Somit werden die Marktbedingungen zur Vermarktung von
Finanzprodukten in der Altersversorgung, also alle relevanten
gesetzlichen und tatsächlichen Faktoren, die staatlichen Förderbedingungen etc. für die Produkte am Markt der Altersversorgung permanent überprüft, hinterfragt und es werden für
die Produktanbieter optimale Markt- und Wettbewerbsbedingungen angestrebt. Zum anderen wird zwangsläufig kontinuierlich die Ausschaltung von unerwünschter Wettbewerbsarbitrage im Bereich eigener Marktinteressen verfolgt. Also von
Wettbewerbsbedingungen, die andere Marktteilnehmer oder
vermeintliche Marktteilnehmer begünstigen.
Der permanente Druck auf adäquate Rahmenbedingungen
im Kampf um Marktanteile wird recht gut deutlich aus einer
Presseerklärung von Insurance Europe vom März 2014. Darin
finden sich folgende Aussagen: „Mit dem in Kürze in Kraft
tretenden Solvency II und den unveränderten Kapitalvorgaben unter IORP II werden ungleiche regulatorische Rahmenbedingungen zwischen Versicherern und Pensionsfonds
etabliert, obwohl sie auf den gleichen Märkten operieren
und ähnliche Dienstleistungen anbieten. Um fairen Wettbewerb zwischen Dienstleistern und einen ähnlichen Schutz
für die Begünstigten zu erreichen, unterstützt Insurance
Europe energisch die Anwendung des „same risks, same
rules“-Prinzips auf alle Finanzinstitutionen, die Produkte der
betrieblichen Altersversorgung anbieten.“ Im Weiteren wird
die Generaldirektorin von Insurance Europe zitiert, nach der
„Verbraucher den gleichen Schutz verdienen unabhängig
davon, ob ihre betriebliche Altersversorgung von einem Pensionsfonds oder einer Versicherung organisiert wird. Um dies
sicher zu stellen, rufen wir die europäischen Institutionen
auf, in IORP II eine klare Zeitschiene für die Kommission
einzufügen, um angemessene quantitative Vorgaben zu entwickeln“.
Hier wird exemplarisch sehr deutlich, wie trotz elementarer
Unterschiede zwischen EbAV der Arbeitgeber und Sozialpartner, die nicht um Marktanteile kämpfen, einerseits und
Versicherungen andererseits unzutreffend ein „Operieren auf
gleichen Märkten“ unterstellt wird. Mit der Formel des „same
risk, same rule“ oder in anderem Zusammenhang ähnlichen Formeln wie des „level playing fields“ und des „single
rule book“ wird unzutreffend Wettbewerbsarbitrage identifiziert und ein sogenannter fairer Wettbewerb angemahnt.
Schließlich wird der Gesetzgeber aufgefordert, zumindest
perspektivisch für „fairen Wettbewerb“ am Markt und damit
im Kampf um Marktanteile zu sorgen. Ergänzend folgt ein
konkreter Vorschlag, wie auch IORP II wenigstens über die
Zeit „angemessene“ quantitative Vorgaben erhalten sollte.
Um jedwede Missverständnisse zu vermeiden, soll hier ausdrücklich klargestellt werden, dass der Kampf um Marktanteile unter allen relevanten Aspekten in einer Marktwirtschaft
legitim und notwendig ist. Er stärkt den Wettbewerb um das
bestmögliche Produkt, die bestmögliche Dienstleistung und
optimale Preise etc.. Er ist fundamentaler Bestandteil unserer
Wirtschaftsordnung, tragendes Element des EU-Binnenmarktes und unverzichtbare Komponente des globalen Marktes.
Und natürlich ist es nachvollziehbar und legitim, im Kampf
um Marktanteile auf entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen und angemessene regulatorische Vorgaben zu
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drängen. Auch in der betrieblichen Altersvorsorge ist der
Kampf um Marktanteile sinnvoll und unverzichtbar. Darauf
werde ich noch genauer zurückkommen.
Googelt man Begriffe wie „Kampf um Marktanteile“ u.ä.,
so findet man eine durchaus martialische Terminologie.
Unternehmen „kämpfen“ um Marktanteile, sie „konkurrieren“ miteinander, „verteidigen“ diese und „gewinnen“. Es
geht um „harten“, „extremen“, um „gnadenlosen“ Kampf.
Unternehmen ziehen in die „Schlacht“ gegen Wettbewerber.
Dass dieses Umfeld vollständig diametral steht gegen die
Perspektiven betrieblicher Altersversorgung als Sozialleistung, ist offensichtlich. Diese Begrifflichkeiten verdeutlichen
plastisch, mit welchen Realitäten sich diese betriebliche
Altersversorgung in Deutschland seit 2001 und in der EU in
dem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Solvency II und
IORP II stetig zunehmend auseinanderzusetzen hat. Dabei
weht ihr der Wind gleich doppelt ins Gesicht. Gesetzgeber
und Gesellschaft sehen und realisieren immer weniger,
was betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung eigentlich ist, leistet und leisten kann und zugleich drängen die
Geschäftsinteressen und die Lobbykraft der Produktanbieter
und Marktteilnehmer in eine andere, für die Sozialleistung
existenzgefährdende Richtung, indem sie auf Rahmenbedingungen einwirken und zugleich darauf zielen, den Markt
der Altersvorsorge auszuschöpfen. Dies findet übrigens keineswegs immer in „offener Feldschlacht“ statt – um einen
der martialischen Begrifflichkeiten zu bemühen –, sondern
vielmehr in der Regel ruhig, beharrlich und mit sehr langem
Atem über die Zeit.
Evident ist also, dass der Kampf um Marktanteile in der
betrieblichen Altersversorgung sich naturgemäß stets gegen
die richtet, die ebenfalls um Marktanteile in der betrieblichen Altersversorgung kämpfen und konkurrieren. D.h.
Finanzdienstleister kämpfen gegeneinander um Marktanteile. Zugleich aber richtet sich dieser Kampf um Marktanteile auch notwendigerweise und zwangsläufig gegen die
betriebliche Altersversorgung, die ihrerseits als Sozialleistung nicht um Marktanteile kämpft. Für die Anbieter und
Marktteilnehmer gilt es also, Marktanteile zu gewinnen, wo
immer und solange sie gewonnen werden können. So werden auf lange Sicht zwangsläufig Marktintentionen darauf
zielen und darauf zielen müssen, auch die Leuchttürme und
Kathedralen der betrieblichen Altersversorgung, wie unser
aba-Vorsitzender sie zu Recht bezeichnet, zu schleifen und
zu zerbröseln. Denn einen Denkmalschutz gibt es im Bereich
der betrieblichen Altersversorgung nicht. Sachlogisch ist somit
betriebliche Altersversorgung, die als Finanzprodukt um Marktanteile kämpft, auf die perspektivische Zerstörung von betrieblicher Altersversorgung angelegt, die als Sozialleistung nicht
um Marktanteile kämpft. Dass dies nicht die Akzeptanz der
Träger der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung
finden kann, ist klar und wird im Widerstreit IORP II versus
Solvency II besonders deutlich. Wichtig ist aber zu erkennen,
dass dieser Widerstreit nicht nur isoliert auf diese Thematik
betrachtet werden kann. Vielmehr ist das gesamte Spektrum
betrieblicher Altersversorgung zu betrachten, um die laufenden Trends und Auswirkungen dieses sich stetig verstärkenden Kollisionsprozesses zu erkennen und hier vollständige
Transparenz herzustellen.
Wenn ich also hier über den Niedergang und schließlich
den Untergang der betrieblichen Altersversorgung spreche,
dann ist die betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung
gemeint, wie sie von ihren Gründern geschaffen wurde und
wie sie mit ihrem kollektiven Kernstärkenprofil auch heute
unverändert die effizienteste Form kapitalgedeckter Altersvorsorge darstellt. Dieser Untergang wird nicht von heute auf
morgen stattfinden. Aber die Trends laufen bereits. Lassen
Sie uns diese Trends genauer anschauen. Und zwar zunächst
Abhandlungen
in den Durchführungswegen und dann bei den relevanten
stakeholdern.
3. Laufende Trends in den Durchführungswegen
Der bedeutendste Durchführungsweg der deutschen betrieblichen Altersversorgung ist unverändert die Direktzusage. Sie
ist die eigentliche Urform betrieblicher Altersversorgung. Der
Arbeitgeber sagt seinem Arbeitnehmer Leistungen zu, finanziert sie und steht für diese ein. Einfacher, klarer und direkter geht es nicht. Die Direktzusage ist ein Instrument von
unerreichter Flexibilität. Die Betriebsparteien können zügig
und flexibel mittels kollektiver Regelungen Modelle und
Konzepte weiterentwickeln und anpassen. Dieses hohe Maß
an betriebsnaher Flexibilität und kostengünstiger Schnelligkeit hat zum Erfolg der Direktzusage beigetragen und kann
und sollte Ausstrahlwirkung haben, wenn auch bei EbAV
über schlanke Prozesse und eine sachgerechte Regulierung
nachgedacht wird.
Aber der Grundtrend bei den Direktzusagen läuft negativ.
2001 betrug der Anteil der Direktzusagen an den Deckungsmitteln der deutschen betrieblichen Altersversorgung 59,2%.
2012 betrug ihr Anteil nur noch 52,2%. Das ist ein Rückgang
in 11 Jahren um 7%. Kein anderer Durchführungsweg der
betrieblichen Altersversorgung hatte in dieser Zeitperiode
einen Rückgang zu verzeichnen. Der Anteil der darin enthaltenen Rückdeckungen über Finanzprodukte ist nicht
bekannt. 2012 entfielen ferner in der Direktzusage nur
noch 44% ihres Gesamtvolumens auf aktive Anwärter,
wohin gegen bereits 56% auf laufende Rentenleistungen
entfallen. In Europa stellt sie eine deutsche Unikatlösung
dar, die an einer einzigen steuerlichen Gesetzesregelung
hängt. Zugleich wird sie von EU-Mitgliedstaaten als deutsche
Arbitrage angesehen. Dies vor dem Hintergrund, dass selbst
die Bundesregierung in einer zusammenwachsenden EU die
perspektivische Annäherung der Unternehmensbesteuerung
anstrebt. Die Finanzierungsbedingungen der Direktzusage
hinsichtlich der steuerlichen und bilanziellen Vorgaben sind
unzureichend, wie auch die aktuellen Entwicklungen bestätigen; ihre Portabilitätsbedingungen sind stark behindernd.
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, der Gesetzgeber
lässt diesen Durchführungsweg „austrocknen“. Versierte
Aktuare könnten wahrscheinlich aus dem bereits laufenden
Trend rechnerisch den Punkt ihrer langfristigen Bedeutungslosigkeit berechnen.
Schauen wir auf den zweiten Durchführungsweg, die Unterstützungskassen. Vor Jahrzehnten bildeten die Unterstützungskassen das Rückgrat der deutschen betrieblichen Altersversorgung. Insbesondere die pauschal dotierten eigenen
Unterstützungskassen der Unternehmen sind in den zurückliegenden Jahren erheblich zurückgegangen. Wenn sich dies
nicht zugleich auch in einem Rückgang des Anteils an den
Deckungsmitteln der betrieblichen Altersversorgung niederschlug, so liegt dies offensichtlich an dem zunehmenden
Anstieg von rückgedeckten Gruppen-Unterstützungskassen
der Versicherungswirtschaft. Wohl mehr als 50% der heutigen Mitglieder des PSVaG resultieren aus dieser Entwicklung.
Dabei sind wohl auch viele kleine und mittlere Unternehmer,
die eine lebenslange Verpflichtung zur Zahlung von PSV-Beiträgen schultern müssen. Rückgedeckte Unterstützungskassen sind eine ausgeprägte Produktkonzeption der Versicherungswirtschaft, die auch über diesen Weg um Gewinnung
von Marktanteilen in der betrieblichen Altersversorgung
kämpft. Die Rückdeckungen unterliegen im Wesentlichen
den Solvency II-Mechanismen. Damit verändert sich in relativ überschaubarer Zeit das Gesicht eines ganzen Durchführungsweges weg von der eigenen Durchführung der Arbeitgeber hin zu den Finanzprodukten unter Solvency II.
Abhandlungen
Kommen wir zum dritten Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung, den Einrichtungen der betrieblichen
Altersversorgung (EbAV) im Sinne von Teil 4 des VAG und der
geltenden EU-Pensionsfondsdirektive. Es sind dies die beiden
Varianten der Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, die Pensionskassen und die Pensionsfonds.
Obwohl Pensionskassen bereits seit über 100 Jahren bestanden, wurden sie merkwürdigerweise erst 2005 mit der
Umsetzung der ersten EU-Pensionsfonds-Richtlinie in nationales Recht erstmals gesetzlich als „Lebensversicherungsunternehmen“ definiert. Dies obwohl bereits seinerzeit für
Lebensversicherungsunternehmen eine andere EU-Richtlinie
Solvency I galt.
Ca. 10% der Pensionskassen sind deregulierte Pensionskassen, von denen häufig angenommen wird, dass sie den
Vorgaben der Solvency II-Direktive unterliegen. Dies ist ein
fachlicher Irrtum. Regulierte und deregulierte Pensionskassen
sind EbAV und unterliegen dem Aufsichtsregime von IORP
II. Allerdings sind die deregulierten Pensionskassen in der
Regel Wettbewerbspensionskassen und kämpfen damit um
Marktanteile. Die deregulierten Pensionskassen unterliegen
dem Sicherungsfonds der deutschen Versicherungswirtschaft
Protektor. Damit unterliegen bereits 10% aller Pensionskassen einem Solvency II-typischen Sicherungsinstrument, das
insoweit ein signifikantes Einfallstor der Solvency II-Welt in
das Sicherungskonzept aller EbAV darstellt. In jüngerer Zeit
ist ferner auch festzustellen, dass kleinere Pensionskassen mit
durchaus langer Tradition von am Markt tätigen deregulierten Pensionskassen aufgenommen werden.
Der Gesetzesrahmen für Pensionsfonds als „Versorgungseinrichtungen“ wurde erst mit der Riester-Reform 2001 geschaffen. Mit dieser neuen Option sollte erstmals auch eine europataugliche Orientierung der Kapitalanlage an dem qualitativen „prudent person“-Konzept ermöglicht werden. Zu keinem anderen Instrument der betrieblichen Altersversorgung
existieren so umfassende Gesetzesmaterialien, die Aufschluss
über interessante und richtige Motive und Zielsetzungen des
Gesetzgebers zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung
geben. Aber trotz hehrer Vorstellungen wurde keines der
Ziele des Gesetzgebers mit dem neuen Instrument bislang
überzeugend erreicht. Von den ca. 30 Pensionsfonds sind ca.
2/3 Wettbewerbseinrichtungen von Produktanbietern, die
um Marktanteile kämpfen.
Beide EbAV-Optionen, Pensionskassen und Pensionsfonds,
sind aufsichtsrechtlich nur mit wenigen Einzelbestimmungen eigenständig definiert und unterliegen ansonsten nach
der aktuell verabschiedeten 10. VAG-Novelle einem Generalverweis auf das Recht der kleinen Lebensversicherungen, die
nicht Solvency II unterliegen. Dass aber der generelle Verweis
von EbAV unter IORP II auf das Aufsichtsrecht von Lebensversicherungen als Finanzprodukte konzeptionell vollständig
verfehlt ist und für EbAV keine nachhaltige Lösung eines
zukunftsorientierten Aufsichtsrechtes darstellt, bedarf keiner
weiteren Erläuterung. Die EbAV, die zugleich die einzige
grenzüberschreitend europataugliche Durchführung in der
deutschen betrieblichen Altersversorgung darstellen, sind
somit insgesamt weder für die nationalen Anforderungen
noch für zukünftige Herausforderungen in der EU angemessen aufgestellt.
Als vierter Durchführungsweg unterliegt das Finanzprodukt
Direktversicherung vollständig dem neuen Aufsichtsrecht für
Erstversicherungen und somit in vollem Umfang Solvency II.
Dennoch ist die Direktversicherung nicht „europatauglich“.
Die direkte kollektivrechtliche Nutzung dieses Durchführungsweges durch Betriebsvereinbarungen oder Tarifvertrag
zur Rechtsbegründung oder Rechtsgestaltung unmittelbar für
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die Begünstigten ist bei der Direktversicherung nicht möglich. Als einziger Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung unterliegt er unmittelbar dem Versicherungsvertragsgesetz und erfordert immer einen Einzelabschluss
mit dem betroffenen Arbeitnehmer. Daher wird ein Vertrieb
mit allen Kostenkonsequenzen benötigt. Das Finanzprodukt
Direktversicherung ist damit ein vollständiges „aliud“ zu den
EbAV; eine Gleichbehandlung mit EbAV ist unter keinem
Aspekt gerechtfertigt.
Vor diesem Hintergrund ist umso erstaunlicher, dass 2001 als
gesetzliche Auffanglösung für den Anspruch auf individuelle
Entgeltumwandlung nicht etwa eine auf dem kollektiven
Kernstärkenprofil der betrieblichen Altersversorgung liegende EbAV-Lösung, sondern das individualisierte Finanzprodukt Direktversicherung ausdrücklich gesetzlich privilegiert
wurde. Aus heutiger Sicht erkennt man dieses Finanzprodukt
als ein artfremdes Einfallstor der Solvency II-Welt in die
betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung, die eben
keine Produkt- und Marktinteressen verfolgt.
Die im November 2014 vom BMAS veröffentlichte bAV-Statistik weist zum dritten Mal in Folge für die Direktversicherung die höchste Anzahl der „aktiv Versicherten“ auf; d.h.,
dieses Finanzprodukt ist auf einem klaren Wachstumskurs.
Der Verband der bayrischen Wirtschaft berichtet in einem
Positionspapier vom März 2015, dass in den bAV-Strukturen
des Mittelstands ein besonders großer Anteil der betrieblichen Altersversorgung auf den Durchführungsweg Direktversicherung entfalle. Gemäß Arbeitskostenstatistik des Statistischen Bundesamtes sei dies in der M&E-Industrie mehr
als 50 Prozent der extern finanzierten Anwartschaften. Diese
Zahlen würden mit der Bestandsverteilung bei der MetallRente, dem Versorgungswerk der M&E-Industrie, korrespondieren. Dort sei die Direktversicherung der am häufigsten
genutzte Durchführungsweg: In Bayern liege der Anteil der
im Durchführungsweg Direktversicherung abgeschlossenen
bAV-Verträge bei ca. 50 Prozent.
Dies bedeutet also, dass die betriebliche Altersversorgung
gerade für die Arbeitnehmer des Mittelstands kaum über
hocheffiziente EbAV von Unternehmen, Sozialpartnern oder
Verbänden ohne eigene Marktinteressen organisiert wird.
Vielmehr wächst der ohnehin hohe Marktanteil des individualisierten Finanzprodukts Direktversicherung unter Solvency II bei den Arbeitnehmern des Mittelstands, aber auch
bei M&E als bedeutendstem Sektor der größten Volkswirtschaft der EU, rapide. Dies obwohl insbesondere aufgrund
der Vertriebsorientierung die Kostenbelastung ausweislich
der veröffentlichten Zahlen der BaFin hoch und die Ertragsaussichten einer einseitig an Zinspapieren orientierten „versicherungsförmigen“ Kapitalanlage dieses Finanzproduktes
nicht gut sind. Es kann zugleich niemand bezweifeln, dass
eine Fortsetzung oder gar Verstärkung des laufenden Wachstumstrends dieses Finanzproduktes unter Solvency II auf
alle Durchführungen der betrieblichen Altersversorgung in
den Unternehmen aller Größen und bei den Sozialpartnern
zwangsläufige Ausstrahlwirkungen haben muss. Und zwar in
der Form, dass die Koordinatenverschiebung in Richtung der
Produkt- und Marktinteressen der um Marktanteile kämpfenden betrieblichen Altersversorgung und ihre spezifischen
Regelungsstrukturen unter Solvency II etc. stetig zunehmen
und so entsprechende Folgekollateralschäden bei den „non
Solvency II“-Durchführungen verursachen wird. Bei einem
evtl. gesetzlichen Opting Out wäre eine weitere Beschleunigung dieses Prozesses zu erwarten.
4. Laufende Trends bei den stakeholdern
Lassen Sie uns einen weiteren Blick auf wichtige stakeholder
der betrieblichen Altersversorgung werfen.
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Betriebliche Altersversorgung 4/2015
Wichtigster Player in der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Altersvorsorge und die betriebliche Altersversorgung sind ohne Zweifel die politischen Entscheidungsträger, die Politik und der Gesetzgeber. Die Rechtsmaterie der
betrieblichen Altersversorgung weist in Deutschland heute
eine derartige Komplexität auf, dass es für politische Entscheidung extrem schwierig ist, sinnvoll ordnende Gestaltungsmaßnahmen zu ergreifen. Dennoch ist eine Koordination der verschiedenen relevanten Rechtsgebiete und der
diversen Zuständigkeiten für Arbeit und Soziales, Steuern,
Bilanzrecht, Aufsicht und Finanzmarkt unabdingbar. Seit der
Riester-Reform standen in der Aufmerksamkeit von Politik
und Gesetzgebung stets Altersvorsorge mit Produkt- und
Marktinteressen vornean, nämlich die private Riester-Rente
und die individualisierte Entgeltumwandlung. Die kollektiv
organisierten Formen der betrieblichen Altersversorgung als
Sozialleistung und ihr Kernstärkenprofil fanden demgegenüber kaum substanzielle Unterstützung des Gesetzgebers.
Entscheidende Impulse für die betriebliche Altersversorgung
sind ohne die EU heute nicht mehr vorstellbar. Wesentliche
Grundparameter und Weichenstellungen werden durch die
EU gesetzt und haben unabdingbare, langfristige Auswirkungen. Aus Sicht der EU trifft die Marktperspektive für Finanzprodukte auch auf einen klaren Resonanzkörper, stehen
doch in den EU-Verträgen die Interessen des Binnenmarktes
vorne an, während Sozialstrukturen ohne Marktinteressen
eher in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Hinzu
kommt, dass die betriebliche Altersversorgung sich in den
28 Mitgliedstaaten der EU ohnehin nur in einer klaren
Minderheitsposition befindet. An einer Auswirkungsstudie
der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA zu möglichen
Maßnahmen im Zusammenhang mit IORP II nahmen nur
sechs Mitgliedstaaten teil, wohingegen bei entsprechenden
Auswirkungsstudien der Versicherungswirtschaft zu Solvency
II alle Mitgliedstaaten teilgenommen haben. Entscheidungen
über die gesetzlichen Rahmenbedingungen kapitalgedeckter
Altersvorsorge und ihre Regulierung werden aber von allen
Mitgliedstaaten getroffen. Dies hat zwangsläufig massive
Auswirkungen auf die Politik in Brüssel und auf die Regulierung in der EU.
Damit kommen wir zu EIOPA und die nationalen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Aufsichtsbehörden orientieren sich in der Regel zunächst an den Rahmenbedingungen
für die „Branche“, also die europäische Versicherungswirtschaft. Besonderheiten und Abweichungen für EbAV
werden häufig als Störfaktoren empfunden. Aufsichtsrecht
und Arbeits- und Sozialrecht bzw. Betriebsrentenrecht in
Einklang zu bringen, fällt schwer und ist keineswegs gelöst.
So ist wenig überzeugende Initiative erkennbar, spezifische
Regelungen für EbAV und ihre Kernstärken einerseits und
Versicherungen andererseits markant und sachgerecht differenziert spezifisch zu entwickeln; vielmehr wird möglichst
jeder Ansatz zu einer Harmonisierung des Aufsichtsrechts
unter den Vorgaben für die Versicherungsindustrie verfolgt.
Die Formeln vom „level playing field“, von den „same risks,
same rules“ und vom „single rule book“ sind eingängig, und
obwohl sachlich falsch, dennoch vordergründig gegenüber
Politik und Gremien plausibel. So ist regulatorisch die Denkund Sichtweise bzw. die Methodik der Versicherungswirtschaft als vordergründiges Maß der Dinge stets präsent. Die
EbAVen und ihre Träger schwimmen mit ihren spezifischen
Bedürfnissen und zugleich mit ihren enormen Chancen ständig gegen den anschwellenden Strom.
Eine wichtige Rolle spielt die Presse. Sie hat maßgeblichen
Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Politik. In
der Berichterstattung stehen heute die „Branche“ und die
Finanzprodukte vorne an; die individualisierte Entgeltumwandlung und ihre Produktanbieter sind zum Synonym für
Abhandlungen
die betriebliche Altersversorgung als Ganzes geworden. Produktanbieter dominieren die Berichterstattung als wichtige
Komponente der Kerngeschäftsfeldstrategien im Kampf um
Marktanteile. Konferenzen, Tagungen und Diskussionsforen
werden immer mehr von Produktanbietern besetzt. Auch
Verbraucherverbände und Warentests fokussieren sich auf
die Finanzprodukte der Altersvorsorge. Die Meinungshoheit
in den öffentlichen Diskussionen um die kapitalgedeckte
Altersversorgung liegt bereits seit langen bei den Produktinteressen, und der Prozess des kontinuierlichen Ausbaus dieser
dominierenden Position schreitet voran.
Erster Fahnenträger für die betriebliche Altersversorgung in
Deutschland sind die deutschen Arbeitergeber; wer, wenn
nicht sie? Aber ist das in der Realität auch so? Vor Jahren
haben noch viele bekannte Namen und Unternehmen der
deutschen Wirtschaft öffentlich und gegenüber der Politik
klare Positionen bezogen und deutliches Engagement für
die betriebliche Altersversorgung gezeigt. Nicht selten haben
sich Unternehmer und Vorstände persönlich in Diskussionen in Bonn und Berlin eingebracht. Diese Zeiten liegen
lange zurück und kommen nicht mehr wieder. Heute sind
viele Unternehmen, und zunehmend mehr, nicht oder kaum
mehr in wichtigen Diskussionen um die betriebliche Altersversorgung präsent. Grundlegende Entscheidungen und
Weichenstellungen für die Zukunft der betrieblichen Altersversorgung werden zunehmend in Brüssel getroffen. Wenn
man dort genau hinschaut, so wird man feststellen, dass sich
heute vielleicht noch nicht einmal eine Handvoll deutscher
Unternehmen in Brüssel wirklich aktiv für die Zukunft der
betrieblichen Altersversorgung engagiert und noch weniger
in der Kooperation mit anderen Unternehmen der übrigen
Mitgliedstaaten. Auf den panels der Hearings des Parlaments,
der Kommission oder von EIOPA finden sich deutsche Unternehmen fast nie; demgegenüber sind die Vertreter der europäischen Versicherungswirtschaft dort fast ständig präsent.
Um gleich einem möglichen Missverständnis vorzubeugen:
Es spricht überhaupt nichts dafür, dass dieses zurückgehende Engagement von Unternehmen auf fehlender Einsicht,
bewusster Abkehr oder gar planmäßigem Rückzug beruht.
Aber die Komplexität der betrieblichen Altersversorgung in
ihren diversen und intransparenten Durchführungen, ihren
Minenfeldern politischer Intentionen in Deutschland und
der EU, ihren gesetzlichen Überfrachtungen, den Unberechenbarkeiten der Rechtsprechung, dem Normalbetrachter
nicht mehr zugänglichen Zielen der Regulierung, den massiven und vielfältigen Produktinteressen auf einem den Unternehmen fremden Markt der Altersvorsorge und einer nahezu
unmöglichen Orientierung für eine nachhaltige Zukunftsausrichtung in dieser Thematik macht es Unternehmensführungen und Arbeitgebern, deren Kerngeschäftsfelder ganz andere
Schwerpunkte aufweisen, unmöglich, noch fundiert und vor
allem wirksam in Diskussionen um Weichenstellungen und
um die Zukunft betrieblicher Altersversorgung einzusteigen.
Unternehmensvorstände können im Hinblick auf ihre globale Geschäftsverantwortung diese extreme Komplexität eines
hochspezialisierten, aber zugleich aufgrund seiner Zahlenund Risikodimensionen Furcht einflößenden Randthemas
nicht mehr so beherrschen, dass sie selbst noch hinreichend
authentisch und glaubwürdig in nationale und europäische
Diskussionen eingreifen können.
Aber auch für die Fachebene in den Unternehmen ist es
außerordentlich schwierig, diese fatale Gemengelage noch zu
überschauen und Strukturentscheidungen ausgewogen und
nachhaltig zu begleiten. So will ich nicht verhehlen, dass
beispielsweise ein Kollege aus einem großen Unternehmen
das Vordringen der „Solvency II-Welt“ in der betrieblichen
Altersversorgung über das enorme Wachstum der Direktversicherung, über Rückdeckungslösungen oder Wettbewerbs-
Abhandlungen
EbAV nicht als perspektivisch kritisch für „non Solvency II“Konzepte ansah. Leider spricht aber nichts dafür, dass diese
Gelassenheit begründet ist. Wenn sich Rahmenbedingungen
und Realitäten des eigenen Umfeldes über die Zeit ändern
und sich Schwerpunkte und Grundkoordinaten langsam und
stetig verlagern, dann ist jedem klar, dass man nicht verwundert sein kann und darf, wenn plötzlich unerwartete heftige
Einschläge und Einwirkungen die eigene, bisher stabile
Ordnung durcheinanderbringen und schließlich auflösen. Es
liegt auf der Hand und in der Natur der Sache, dass Produktund Marktinteressen und die Rahmenbedingungen der „Solvency II-Welt“ langfristig keine Biotope respektieren. Solange
Marktanteile gewonnen werden können, ist der Kampf um
diese Marktanteile nicht beendet.
Die Unternehmen haben auch immer mehr mit den komplexen Anforderungen und dem erforderlichen Grad der
Professionalisierung zu kämpfen. Kein Unternehmen ist
heute mehr in der Lage, allein nur in der betrieblichen
Altersversorgung die stetig zunehmende Vielzahl der Gesetze, Verordnungen, Erlasse und die Rechtsprechung etc. zu
verfolgen. Immer häufiger werden Gesetze gemacht, die sich
auf die Unternehmen erheblich auswirken, ohne dass diese
zuvor davon mangels Kapazität überhaupt fundiert Kenntnis
nehmen konnten, ganz zu schweigen von der Möglichkeit,
dazu auch selbst Stellung nehmen zu können.
Diese zunehmend schwierigere Lage der Unternehmen und
der Arbeitgeber hat auch ihre Auswirkungen auf die Arbeit
ihrer Verbände. Die Arbeitgeberverbände engagieren sich
für die betriebliche Altersversorgung und kämpfen einhellig
und nach besten Kräften für ihre Zukunftssicherung auch
unter IORP II vs. Solvency II. Aber ihre Kapazitäten sind
sehr, sehr begrenzt; so stehen häufig nur Kapazitätsbruchteile, nur sehr selten eine ganze Kapazität für die betriebliche
Altersversorgung zur Verfügung. Unter dem Strich halten sie
weder in Berlin noch in Brüssel einem Vergleich stand mit
den Kapazitäten der europäischen Versicherungsindustrie.
So kämpfen die Arbeitgeberverbände an einer Front und in
einem Thema, das an zunehmender Komplexität kaum zu
übertreffen ist, eine erhebliche kontinuierliche Befassung
und zugleich ein immer höheres Maß an Professionalisierung
erfordert. Naturgemäß sind sie auf die Unterstützung der Mitgliedsunternehmen angewiesen. Diese haben ihrerseits in der
beschriebenen Art und Weise mit der Materie heftig zu kämpfen. Hinzu kommt, dass etliche Verbände und Unternehmen
seit der Riester-Gesetzgebung als gesetzliche Auffanglösung
das Finanzprodukt Direktversicherung bereits frühzeitig
genutzt und aus welchen Gründen auch immer präferiert
haben. Dass aus diesen durchaus vielfältig divergierenden
Interessenlagen gegenüber der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung kritische, fach- und verbandspolitische Friktionen entstehen können, bedarf keiner weiteren
besonderen Erwähnung. Hier Zielkonzepte und Visionen für
die betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung zu formulieren, fällt schwer. Man kann dieses Phänomen durchaus
– wie vor Kurzem ein kundiger Kommentator – als „Ambivalenz der Arbeitgeber“ bezeichnen. Die interne Ausrichtung
und Orientierung hat sich also seit den Weichenstellungen
des Jahres 2001 deutlich auseinanderbewegt. Und wenn der
Fahnenträger Ambivalenz zeigt, dann wird es ganz schwierig.
Die Gewerkschaften sind ebenfalls ein bedeutender und
„geborener“ stakeholder gerade der betrieblichen Altersversorgung für die Arbeitnehmer. Lange vor der Riester-Reform
haben Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen
zusammen mit den Arbeitgebern in einer großen Vielzahl
von Systemen und Konzepten der betrieblichen Altersversorgung kooperiert. Naturgemäß gibt es zwar, anders als bei
den Arbeitgebern, noch anhaltende grundsätzliche Debatten
um Schwerpunkte der Altersversorgung generell, wie etwa die
Betriebliche Altersversorgung 4/2015
311
Frage des staatlichen Umlageverfahrens vs. Kapitaldeckung,
oder um die Gewichtung der gesetzlichen Rente und der
betrieblichen Altersversorgung zueinander. Auch mag die
Frage der Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung
bei den Gewerkschaften vielleicht etwas anders gesehen
werden als bei den Arbeitgebern. Dennoch sind sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in fundamentalen Fragen der
betrieblichen Altersversorgung durchaus einig. Auch die
Gewerkschaften sehen die betriebliche Altersversorgung in
ihrem eigentlichen Kern nicht als Finanzprodukt. Auch die
Gewerkschaften betonen ihre kollektive Effizienz und legen
Wert darauf, dass bei möglichst geringen Kosten möglichst
gute Leistungen für die Begünstigten erzielt werden. Ganz
besonders deutlich werden die gemeinsamen Interessen von
Arbeitgebern und Gewerkschaften in ihrem gemeinsamen
nationalen und europäischen Engagement für sachgerechte
zukünftige Rahmenbedingung für EbAV unter IORP II und
der Abwehr von existenzgefährdenden Einwirkungen der
„Solvency II-Welt“.
Auch die Gewerkschaften haben mit der gleichen Problematik wie die Arbeitgeberverbände zu kämpfen. Ihre personellen Kapazitäten im extrem komplexen Feld der betrieblichen
Altersversorgung sind ebenso begrenzt. Auch sie können in
dieser Thematik weder in Berlin noch in Brüssel mit den
Lobby-Kapazitäten der europäischen Versicherungsindustrie
mithalten. Auch bei Gewerkschaften finden sich Stimmen,
die das Finanzprodukt Direktversicherung präferieren. So
wurde beispielweise bezüglich des aktuellen Vorschlags des
BMAS zu § 17b mit dem Fokus auf EbAV die „Benachteiligung“ der Direktversicherung gerügt. Dies veranlasste einen
kundigen Kommentator zu der Bemerkung, dass man diese
Aussage eher in einem GDV-Positionspapier erwartet hätte,
nicht aber in der Stellungnahme einer Gewerkschaft, die
Arbeitnehmerinteressen verpflichtet sei.
Lassen Sie mich bei den stakeholdern abschließend noch
zwei Verbände erwähnen, nämlich den GDV und die aba. Der
GDV hat nach seiner Satzung den Zweck, die gemeinsamen
Interessen der deutschen Versicherungswirtschaft zu vertreten. Er verfügt offensichtlich über beachtliche Kapazitäten,
die den Kerngeschäftsfeldinteressen seiner Mitglieder angemessen sind. Seine vielfältige, zielgerichtete Präsenz in den
Medien, auf den Podien, in den Anhörungen etc. ist beachtlich. Seine zügigen Stellungnahmen zu allen relevanten Themen kapitalgedeckter Altersversorgung sind umfassend und
stringent fundiert. Vergleichbares kann offensichtlich kein
anderer Verband leisten. Aus seiner Arbeit wird ein klares
Konzept und eine konsequente Strategie markant deutlich.
Er ist wahrscheinlich der einzige stakeholder, der über eine
solche klare Ausrichtung und zielgerichtete Orientierung
verfügt. Dies setzt sich – soweit erkennbar – in entsprechender Weise auf EU-Ebene mit InsuranceEurope fort. Alles dies
ist natürlich legitim. Und zugleich muss man diese enorme,
wohl einzigartige, zielorientierte Schlagkraft sehen, wenn
man über die Zukunft von betrieblicher Altersversorgung
als Sozialleistung und von betrieblicher Altersversorgung
als Finanzprodukt im heftigen Kampf um Anteile auf dem
immer größeren Markt der kapitalgedeckten Altersversorgung nachdenkt.
Die aba, unser eigener Verband, ist ein Fachverband, der sich
nach seiner Satzung der Förderung der betrieblichen Altersversorgung verschrieben hat. Die Wurzeln der aba gründen
ohne jeden Zweifel in einem Selbstverständnis von betrieblicher Altersversorgung als Sozialleistung ohne Markt- und
Produktinteressen. Sie liegen direkt in den Unternehmen
der deutschen Wirtschaft, denn ihre Geschichte begann
faktisch nicht erst vor 77 Jahren, sondern bereits 1922 mit
der Gründung des Verbandes Deutscher Privatpensionskassen e.V.. Die Zeiten haben sich bis heute drastisch geändert
312
Betriebliche Altersversorgung 4/2015
und der Änderungsprozess läuft anhaltend. Die Mitgliederstruktur der aba ist im kontinuierlichen Umbruch begriffen:
Der Anteil der Unternehmen und ihrer Vertreter sinkt, die
Mitgliederzahl mit Markt- und Produktinteressen in der
kapitalgedeckten Altersversorgung steigt stetig. Gleichwohl
ist die aba bislang zu klarer Kante fähig: „Für die betriebliche
Altersversorgung ist Solvency II das kritischste Thema seit
vielen Jahren. … Sie können in Deutschland Politiker von
ausnahmslos jeder Parlamentspartei, jeden Arbeitgeber oder
jeden Gewerkschafter fragen, Sie können fragen, wen Sie
wollen – einen solchen Abwehrkonsens wie den zu Solvency
II hat es wahrscheinlich schon ewig nicht mehr gegeben“,
sagte unser aba-Vorsitzender vor nicht allzu langer Zeit. So
steht die aba in der klaren Abwehr der „Solvency II-Welt“
in der betrieblichen Altersversorgung in Brüssel und Berlin,
… noch. Die jüngste Entscheidung zur Gründung der neuen Fachvereinigung Unterstützungskassen geht maßgeblich
auf das Drängen der rückgedeckten Unterstützungskassen
zurück. Hier werden zwangsläufig Solvency II und Marktund Produktinteressen gewichtig. Auch im aktuell vorgestellten Reformmodell der aba erfolgt im 17b-Vorschlag erstmals
bei einer fundamentalen Zukunftsthematik eine betriebsrentenrechtliche Gleichstellung von EbAV unter IORP II und
dem Finanzprodukt Direktversicherung unter Solvency II
unter einem einheitlichen neuen Terminus. Dies ist konzeptionell, systematisch und strategisch aus vielen Gründen für
EbAV perspektivisch äußerst kritisch und passt nicht zu den
aba-Positionierungen in der Problematik IOPR II vs. Solvency II. Die mittel- und langfristigen Auswirkungen solcher
Veränderungen sind kaum zu prognostizieren; wenngleich
aber nichts dafür spricht, dass sich auch bei der aba bereits
laufende Trends verändern.
5. Z
wischenfazit – Trends betrieblicher Alters­
versorgung als Sozialleistung
Lassen Sie mich daher folgendes Fazit ziehen: Für die betriebliche Altersversorgung der Arbeitgeber und Sozialpartner als
Sozialleistung sind in den vier Durchführungswegen und bei
den stakeholdern die laufenden Trends auf Rückgang und
Niedergang gerichtet. Es ist kein Trend erkennbar, der in
eine andere Richtung weist. Zugleich machen die Marktinteressen in der betrieblichen Altersversorgung stetig Boden
gut. Dies führt zu einer kontinuierlichen Veränderung der
Rahmenbedingungen und der realen Gegebenheiten zulasten der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung und
zugunsten der betrieblichen Altersversorgung als Finanzprodukt. Diese Entwicklungen werden bei Fortsetzung laufender
Trends langfristig den Untergang der betrieblichen Altersversorgung zur Folge haben, wie ihre Gründer sie als Sozialleistung ohne Markt- und Produktinteressen aufgesetzt haben
und wie Arbeitgeber und Gewerkschaften sie als effizienteste
Form kapitalgedeckter Altersversorgung im Kern unverändert
verstehen.
Daher könnte ich an dieser Stelle eigentlich meinen Vortrag
beenden. Das würde allerdings den tatsächlichen Gegebenheiten nicht vollständig gerecht. Denn das abgeleitete Fazit
kann als solches nur abschließend bestehen, wenn in der Tat
keine reale Chance besteht, den Trend zum Untergang der
betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung zu stoppen
und vielleicht sogar umzukehren.
6. Reale Chance zum Trendwechsel
Die Frage ist also: Besteht eine reale Chance, die immer
schneller laufende Koordinatenverschiebung zulasten der
betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung hin zur
betrieblichen Altersversorgung als Finanzprodukt zur stoppen oder gar umzudrehen? Lassen Sie mich das Ergebnis
des Nachfolgenden hier gleich vorwegnehmen: Ja, diese
Abhandlungen
reale Chance besteht. Es liegt auf der Hand, dass ein solcher
Prozess nur Erfolg haben kann, wenn es gelingt, langfristig
nachhaltige spezifische Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersversorgung als Sozialeinrichtung in Deutschland
und der EU zu schaffen. Und wenn es gelingt, durch gesamtgesellschaftlich überzeugende Leuchttürme und Konzepte
mit großer Ausstrahlwirkung die überlegene Hochleistungsfähigkeit betrieblicher Altersversorgung ohne Markt- und
Produktinteressen als Sozialleistung für die Arbeitnehmer in
Unternehmen aller Größen zu belegen.
7. Betriebliche Altersversorgung als Sozialleistung –
Herausforderung für Unternehmen und Sozial­
partner
Ein solches Programm voranzutreiben und zu realisieren,
erfordert äußerst starke stakeholder, die ein großes politisches Gewicht und erhebliche Schlagkraft in Deutschland
und in der EU auf die Waage bringen müssen. Nach meinen
vorherigen Ausführungen ist wohl evident, dass es einen einzigen solchen stakeholder, der alleine dazu fähig wäre, nicht
(mehr) gibt. Ein solches Programm könnte heute nur noch
auf der Grundlage gemeinsamer Interessen von Arbeitgebern
und Gewerkschaften zusammen gestemmt werden. Alleine
wird keine der beiden Seiten mehr durchdringen; dafür sind
die früheren Weichenstellungen bereits zu lange wirksam,
dafür ist der Kipp-Punkt bereits zu nahe und dafür sind die
vor uns liegenden Herausforderungen zu groß. Verbinden
sie aber ihre Interessen, so sind sie die einzigen stakeholder,
die gemeinsam über das politische Gewicht und die erforderliche Schlagkraft verfügen, die laufenden Trends in der
betrieblichen Altersversorgung wieder in die richtige Richtung zu drehen. Wir alle wissen, dass die Sozialpartnerschaft
von Arbeitgebern und Gewerkschaften nicht ohne Grund als
bisherige und zugleich zukunftsfeste Erfolgskomponente des
„Geschäftsmodells Deutschland“ angesehen wird. Viele Länder beneiden uns um dieses Konzept. Unsere Rechtsordnung
spricht dem Handeln und den Regelungen der Sozialpartner
eine grundsätzliche Richtigkeitsgewähr zu. Staat und Gesellschaft anerkennen bei gemeinsamem Handeln der Sozialpartner ein hohes Maß von gesellschaftlicher Akzeptanz.
Und es gibt beachtliche Stimmen, die die Sozialpartnerschaft
als gute Grundlage für die Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen einer zunehmend vernetzten Welt
verstehen.
Wer wollte den berechtigten Anliegen und gemeinsamen
Zielsetzungen von Arbeitgebern und Gewerkschaften mit
Aussicht auf Erfolg entgegentreten? Was ihr gemeinsames
Handeln und ihr konsequentes Engagement in der betrieblichen Altersversorgung bewirken kann, sehen wir in der bislang gemeinsamen und erfolgreichen Abwehr von existenzgefährdenden Solvency II-Vorgaben für EbAV. Nicht nur die
deutschen Sozialpartner engagieren sich hier in großem Konsens. Auf EU-Ebene haben Arbeitgeber, repräsentiert durch
BusinessEurope, und Gewerkschaften, repräsentiert durch
den ETUC, flankiert von weiteren Verbänden, über Jahre in
bislang einmaliger Form dieses Ziel gemeinsam verfolgt und
bleiben dran. In einer eindrucksvollen Vielzahl von Joint
letters an die EU-Gremien ist das erfolgreiche Vorgehen zu
verfolgen. Die bisherige erfolgreiche Abwehr von Solvency II
für EbAV resultiert also entscheidend aus dem gemeinsamen,
entschlossenen und kraftvollen Handeln von Arbeitgebern
und Gewerkschaften.
8. Betriebliche Altersversorgung – Rahmen für
­leistungsfähige, nachhaltige Konzepte
Die Herausforderungen für die Sozialpartner, den Niedergangstrend der betrieblichen Altersversorgung zu drehen,
richten sich aber nicht nur an die Politik, sondern reichen
Abhandlungen
deutlich darüber hinaus. Denn es geht in Deutschland auch
um nicht mehr und nicht weniger, als dazu beizutragen, im
gesamtgesellschaftlichen Interesse das mindset einer ganzen
Nation in der kapitalgedeckten Altersversorgung zu ent­
wickeln.
Bis zur Niedrigzinsphase war kaum Gegenstand erkennbaren
politischen Interesses, wie Leistungen der kapitalgedeckten
Altersvorsorge optimiert und möglichst gute Renditen und
Ergebnisse für die Menschen erzielt werden können. Im
Vordergrund stand, resultierend aus einer über 100jährigen
Tradition des Finanzprodukts Lebensversicherung, die Frage
von Garantien. Kosten und gute Ergebnisse durch optimale
Kapitalanlage fanden keine oder kaum Beachtung. Garantien
wurden zum Synonym für gute Leistungen. Immer wieder –
aus welchen Interessen auch immer – ist zu hören, dass in
Deutschland versicherungsförmige Zinsgarantien gefordert
würden. In diesem Kontext sei die anhaltende Niedrigzins­
phase fatal. Es bestehen aber keine Zweifel, dass in der
kapitalgedeckten Altersvorsorge keine Schönwetter-Konzepte
gefordert sind, sondern nachhaltig allwetterfeste Konzepte,
die auch in Niedrigzinsphasen den Belastungen standhalten
und bestmögliche Leistungen generieren. Es ist inakzeptabel,
dass eine kapitalgedeckte, nachhaltig organisierte Altersvorsorge in der für ein bevölkerungsreiches Industrieland wie
Deutschland erforderlichen Dimension die Entwicklung der
Weltwirtschaft in der Form von breit gestreuten Aktienportfolios weitgehend ausblendet. Es sollte erreicht werden, dass
neben Investitionen in heimische Regionen auch Investitionen in gegenwärtige und zukünftige globale Wachstumsregionen wesentlich zur Finanzierung unserer Renten beitragen.
Schließlich leben die Menschen in der Rentenbezugsphase nicht von Garantien, sondern von möglichst guten
Leistungen. Das berechtigte Bedürfnis nach berechenbarer
Mindestsicherheit und das Ziel gut fundierter Anlageergebnisse sind sorgfältig zu balancieren; das gilt sowohl für die
Anwartschafts- wie auch die Rentenbezugsphase. Die krisenhaften Entwicklungen an den Kapitalmärkten zeigen, dass
die „sichere“ Kapitalanlage nicht existiert. Reale Sicherheit
und bestmöglicher Risikoschutz ergeben sich daher nicht
aus vermeintlichen Garantieversprechen, sondern aus der
breiten Streuung und Mischung der Kapitalanlagen unter
Berücksichtigung der langfristigen Anlagezeiträume in der
Altersvorsorge und einer daraus resultierenden guten Risikotragfähigkeit. Dies fördert zugleich das Ziel der Erreichung
bestmöglicher Renditen. Es ist dringend notwendig, dass
diese Erkenntnis auch in Deutschland Allgemeingut wird.
Die Sozialpartner sind die sehr geeigneten, für die Menschen
vertrauenswürdigen Gewährsträger, um unter ihrer Obhut
die notwendigen und auch anspruchsvollen Impulse gegenüber der Politik und den Menschen zu setzen, um solche
fundierten neuen Konzepte voranzubringen.
9. B
etriebliche Altersversorgung – Rahmen für
­leistungsfähige Einrichtungen
Die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung stagniert
insbesondere bei Arbeitnehmern der KMU und bei Arbeitnehmern mit oft sehr begrenzten finanziellen Spielräumen.
Mit individualisierten und vertriebsgestützten Konzepten
kommen wir nicht weiter. Ein Kollege, der im Hamburger
Hafen für die Personalbetreuung zuständig ist, sagte vor
einiger Zeit auf einer Konferenz hier in Berlin: „Unsere
Hafenarbeiter wollen nicht mehr, dass Versicherungsvertreter
abends bei ihnen zu Hause auf ihrem Sofa sitzen und ihnen
dann auch noch erklären, dass dafür Prozente anfallen.“ Es
ist nicht anzunehmen, dass die alleinerziehende Mutter mit
zwei Kindern anders denkt. Betriebliche Altersversorgung
braucht im Grundsatz keine individuelle Beratung und keine
Einzelvertragsabschlüsse, sondern basiert auf kollektiven
Vereinbarungen und entsprechender Bedarfssteuerung. Was
Betriebliche Altersversorgung 4/2015
313
benötigt wird, ist Zugang von möglichst vielen Arbeitnehmern zu hocheffizienten EbAV, wie sie bislang nur größere
Unternehmen für ihre Arbeitnehmer organisieren konnten.
Dass solche EbAV von Arbeitgebern und Gewerkschaften wie
auch die EbAV der Unternehmen im Interesse der Begünstigten die Konzepthoheit, die Kapitalanlagen und die Marktmacht fest in eigenen Händen und eigener Verantwortung
halten, ist dabei ganz entscheidend. Um die Marktmacht
als entscheidenden Hebel mit vielen Konsequenzen über
die langen Jahrzehnte der Altersversorgung wirklich in Händen dieser EbAV zu halten, ist fundamental, dass sie und
nicht Finanzdienstleister die „Halter“ der Kapitalanlagen
der Begünstigten sind. Gelegentlich ist zu hören, dass die
Sozialpartner keine diesbezügliche Kompetenz hätten. Dies
ist natürlich Humbug. Ein kleines, aber leistungsfähiges
Steuerungsteam einer solchen eigenen EbAV kann man über
den Markt ein- und zusammenstellen. So kann beispielsweise
auch kein Zweifel bestehen, dass unser aba-Vorsitzender mit
seinem Team in der Lage wäre, im Auftrag seiner Gesellschafter bei Metall & Elektro eine solche eigene MetallRente-EbAV
zu steuern.
Zugleich aber ist auch klar, dass die wesentlichen Module
einer solchen eigenen EbAV wie Administration, Assetmanagement, Spezialconsulting, Ergänzungskomponenten etc.
am Markt gekauft werden können. Und hier ist dann der
entscheidende Punkt, um die betriebliche Altersversorgung als
Sozialleistung ohne eigene Markt- und Produktinteressen und
die Interessen der Produktanbieter, die um Marktanteile in der
kapitalgedeckten Altersvorsorge kämpfen, für die Zukunft miteinander zu versöhnen. Denn natürlich spielen Finanz- bzw. Spezialdienstleister und Versicherer mit ihren Kernkompetenzen
hier eine sehr wichtige Rolle. Hier bringt der Kampf um
Marktanteile am Markt der Dienstleistungen für die eigenen
EbAV der Unternehmen und Sozialpartner großen Nutzen.
Es wäre auch nicht sinnvoll, wenn die einzelnen EbAV der
Unternehmen und Sozialpartner diese notwendigen Module
selbst organisieren; vielmehr spricht alles dafür, dass hier
sehr wirtschaftlich die Kernkompetenzen und Synergien
relevanter Anbieter genutzt werden können. Im Rahmen
regelmäßiger Ausschreibungen der EbAV müssen sich allerdings die Besten immer wieder bei den auf Zeit vergebenen
Mandaten durchsetzen. Für die EbAV und insbesondere ihre
Begünstigten bedeutet dies, dass sie stets bestmögliche Partner haben, ohne die eigene Marktmacht einzuschränken.
Für die Leistungsanbieter wird dies auch sehr interessant
sein, denn es handelt sich regelmäßig um sehr große und
zügig wachsende Mandate. Wenn die Wege allerdings – aus
welchen Gründen auch immer – auseinandergehen, dann
bleiben die Kapitalanlagen vollständig und ohne Weiteres bei
der eigenen EbAV der Unternehmen und der Sozialpartner.
Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass natürlich die qualifizierten und professionellen Steuerungsteams dieser eigenen EbAV der Sozialpartner im Zusammenwirken mit den
Steuerungsteams der Unternehmens-EbAV ohne Weiteres in
der Lage wären, die entsprechende authentische Expertise,
die erforderliche professionelle Kapazität und eine nachdrückliche Schlagkraft in jedwede Diskussion in Berlin und
Brüssel einzubringen. Ferner könnten sie den Sozialpartnern
und den Unternehmen als ihren Auftraggebern die gebotene
fachliche Guideance bieten, die diese in die Lage versetzt, die
Anliegen für ihre EbAV und deren Begünstigte nachdrücklich
und qualifiziert zu flankieren. So ist interessant zu sehen,
dass bei den wenigen deutschen Vertretern in den relevanten Diskussionen in Brüssel immer auch die beiden einzigen
bisher existierenden SektorEbAV profiliert vertreten sind. In
der Zukunft sollten dies viel mehr sein, um die Trends in die
richtige Richtung zu drehen.
314
Betriebliche Altersversorgung 4/2015
10. A
nmerkungen zum aktuellen Vorschlag des
BMAS
Ich will aber hier einem möglichen Missverständnis entgegentreten. Meine bisherigen Anmerkungen sind nicht als
eine Kommentierung des aktuellen Vorschlags des BMAS
zu EbAV unter einem neuen § 17b Betriebsrentengesetz zu
verstehen. Der BMAS-Vorschlag enthält zwar interessante
Aspekte. So ist erfreulich, dass er sich auf EbAV unter IORP
II fokussiert und sich so wieder auf das kollektive Kernstärkenprofil von Sozialeinrichtungen und die damit verbundenen Effizienz-Mechanismen zurückbesinnt. Auch der
neue Ansatz, Arbeitgebern eine vollständig periodengerechte
Finanzierung betrieblicher Altersversorgung zu ermöglichen
und zugleich den Arbeitnehmern mit der Beitragszusage mit
Mindestleistung ein unter Rendite- und Sicherheitsaspekten
gut balanciertes Konzept in den EbAV zu bieten, zielt in die
richtige Richtung. Auch der Schutz dieser EbAV nach einheitlichen solidarischen Grundsätzen über den PSV, der nicht
unter Solvency II fällt, liegt richtig. Bei genauer Betrachtung
kann auch kein Zweifel bestehen, dass es sinnvoll und notwendig ist, diese Optionen auch für alle EbAV der Unternehmen und Sozialpartner zu eröffnen. Es läge nicht in der
tieferen Logik des BMAS-Vorschlages, einen kontraproduktiven Keil zwischen EbAV der Sozialpartner und die gleichen
EbAV der Unternehmen zu treiben. Vielmehr sollten die
EbAV der Unternehmen und der Sozialpartner Schulter an
Schulter entwickelt und gestärkt werden. Und natürlich läge
es weder in der Logik des Koalitionsvertrages noch des BMASVorschlages, über irgendeinen gesetzlichen Zwang nachzudenken. So ist also der aktuelle BMAS-Vorschlag durchaus ein
richtiger Ansatz. Aber vor dem Hintergrund der aufgezeigten
kritischen Trends sind noch viele gewichtige, viel weitere
und viel grundsätzlichere Schritte zu tun, um eine im Sinne
der Menschen notwendige Trendumkehr in der als Sozialleistung niedergehenden betrieblichen Altersversorgung zu
erreichen. Die Trendumkehr, für die hier plädiert wird, zielt
über alle relevanten Rechtsgebiete betrieblicher Altersversorgung hinaus tief in die Gestaltung der Durchführungen,
in das Bewusstsein der stakeholder und schließlich auf die
Erwartungen der Menschen.
11. Schlussbemerkung
Somit komme ich zum Schluss meines Vortrages: Der langfristige Untergang der betrieblichen Altersversorgung als
Sozialleistung ist programmiert. Jetzt ist die Zeit zu handeln.
Eine reale Option zur Trendumkehr und zur Stärkung und
Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung als Sozialleistung und nicht als Finanzprodukt besteht. Wir sollten
aber nicht vergessen: Diese Form der betrieblichen Altersversorgung kämpft nicht per se um ihre Zukunft und um ihre
Verbreitung. Sie wird gehen, unspektakulär, leise und über
die Zeit, wenn niemand mehr überzeugend für sie eintritt
und für sie kämpft. Wenn aber die richtigen stakeholder sich
glaubwürdig engagieren, dann haben wir zugleich auch im
Interesse der Menschen ausgezeichnete Antworten auf die
erheblichen Herausforderungen, die vor uns liegen. Ich bin
sehr sicher: Die richtigen Adressaten und stakeholder wissen
genau, was zu tun ist. Mögen sie den Mut haben, es mit Überzeugung und Kraft anzugehen. Voltaire sagte: „Die Wahrheit
sollte sein wie ein Mantel, den du dem anderen hinhältst,
damit er hineinschlüpfen kann, wenn er dazu bereit ist.“
Hier also ist der Mantel. Wenn es mir gelungen ist, ihn so
zu halten und zu helfen, dass die Richtigen bereit sind hineinschlüpfen, dann wäre das Ziel dieses meines Diskussionsbeitrages erreicht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Abhandlungen