Nachgrübeln, was wohl ein „Ich mag dich“ bewirkt

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Poetry Slam: Nachgrübeln, was wohl ein „Ich mag dich“ bewirkt
REISE BERUF & CHANCE RHEIN-MAIN
Poetry Slam
Nachgrübeln, was wohl ein „Ich mag dich“
bewirkt
In Landau zieht der Poetry Slam Hunderte Besucher an. Das ist auch gut so. Wo
spricht man denn sonst noch über Texte?, fragt die Veranstalterin
03.08.2015, von LENE HAAS, EDUARD-SPRANGER-GYMNASIUM, LANDAU
© CLAUDIA WEIKERT
B
esucher drängen durch die Türen von Landaus einzigem
Stadtkino. Alle wollen einen guten Platz im Saal. Initiiert hat
die Veranstaltung Anja Ohmer, Senatorin und Dozentin für
Germanistik und Darstellendes Spiel an der Universität Landau. Die
Mittvierzigerin hat ihre Sonnenbrille lässig ins blonde Haar
gesteckt. In ihren Chelsea Boots, schwarzem Shirt und geblümtem
50 PLUS
Rock wirkt sie fröhlich, tough und vor allem jung. Sie hat vor sieben
Jahren als erste Hochschuldozentin Poetry Slam in die universitäre
Ausbildung integriert. Beim Poetry Slam sind alle Textgattungen
erlaubt, ob Rap, Reim, Lyrik, Short Story oder anderes. Wichtig sei
nur, dass der Gesamteindruck des Vortrags stimme. „Denn nicht nur
der Text steht im Vordergrund“, sagt Ohmer, „sondern die ganze
Person, die Art, wie sie spricht, wie sie geht, wie sie Interaktion mit
dem Publikum betreibt.“ Als wichtigste Aufgabe der Slammer nennt
Ohmer, das Publikum in den Bann zu ziehen. Dass das schwierig
sein kann, weiß sie nur zu gut, denn sie schreibt selbst Texte.
Trotz maximalem Applaus wirken die Slammer verloren
Zuverlässig füllen die Landauer jedes Mal den großen Kinosaal und
genießen die Donnerstagabende mit Poetik, Freunden und Bier.
Entstanden aus einem Projekt für die Lehramtsstudenten, fand der
erste Landauer Poetry Slam noch im Festsaal der Uni KoblenzLandau statt. Dieser war jedoch so schnell voll, dass Anja Ohmer
beschloss, das Risiko einzugehen, einen größeren
Veranstaltungsraum zu buchen. Der Inhaber des Kinocenters war
„sofort dabei“. Ebenso der Hauptsponsor, die regionale
Genossenschaftsbank, vertraute auf das Projekt. Jetzt gibt es zwei
Veranstaltungen im Semester.
Wenn die Slammer, von maximalem Applaus begleitet, die Bühne
betreten, wirken sie meist klein und verloren. Doch sobald sie
loslegen, zeigt sich, was für ein Selbstvertrauen in ihnen steckt.
Manche erzählen aus ihrem Leben. Ein Slammer machte sein
Talent, Frauen zu vergraulen, zum Thema. Oft handeln die Texte
von anderen Personen, deren Fehlern und Versäumnissen. Der
Zuschauer ahnt nur, dass die Slammer in Wirklichkeit ihre eigenen
Probleme thematisieren.
Von der Trägheit des Mannes in der Beziehung
So trug die Darmstädterin Jule Weber den Text „Hochseehaie“ vor,
in dem es um die Versäumnisse aller Menschen ging, Chancen und
Träume zu verwirklichen. Sie erzählte die Geschichte eines
alleinstehenden Mannes, der sich nicht traut, seinen Schwarm
Judith anzusprechen aus Angst vor Zurückweisung und aus
Faulheit. Auch hätte der Mann eigentlich lieber einen anderen Job,
und auch sonst gefällt ihm sein Leben nicht so richtig. Doch etwas
an seiner Situation zu ändern, das wäre ihm viel zu riskant. Stille
breitet sich im Saal aus. Später bezieht die Autorin die Trägheit des
Mannes auf ihre Beziehung, in der sie schon lange nicht mehr
glücklich ist. Sie sieht keinen Sinn darin, den Weg der Trennung zu
gehen, denn schlussendlich würde sie doch nur bei einem anderen
Mann landen, mit dem sie nach einer gewissen Zeit auch wieder im
Strudel der Gewohnheit und Langeweile landen würde. Im Saal sieht
man verständnisvolles Nicken. Am Ende kritisiert die Slammerin
ihre Faulheit, denn man wüsste ja nie, was die Veränderung bringen,
was ein einfaches „Hey“ oder „Ich mag dich“ bewirken könne. Die
Zuhörer hat Jule Weber zum Grübeln gebracht. Es gibt tosenden
Applaus.
Dort treten die Popstars der Szene auf, sagt die
Organisatorin
Immer mehr Schüler fänden sich im Publikum, vereinzelt auch
ältere Leute, sagt Anja Ohmer. „Ich freue mich zu sehen, wie die
Studenten, die ich auch im Seminar hab, sich entwickeln und was
die können.“ Mit rund 600 Besuchern ist der Slam einer der größten
in Deutschland. „Außerdem haben wir eine hohe Qualität. Bei uns
treten die Popstars der Slam-Szene auf“, sagt die Veranstalterin.
Einige der Landauer, die in ihrer Heimatstadt klein angefangen
haben, sind im ganzen Land erfolgreich, unter ihnen Jonas Meyer.
Der 26-Jährige nennt sich selbst Indiana Jonas und ist in SlammerKreisen bekannt. Laut der Website MySlam.net hatte er bereits 87
Auftritte. Sein bisher größter Erfolg ist der Sieg im Finale der
Landesmeisterschaft Rheinland-Pfalz/Saarland vor zwei Jahren.
Diese Landesmeisterschaft wurde 2012 vom Landauer Zentrum für
Kultur- und Wissensdialog, das Anja Ohmer leitet, ins Leben
gerufen und in Landau vor rund 3000 Besuchern ausgetragen. Eine
weitere Besonderheit sei der Veranstaltungsort, das 1952 erbaute
Universum Kinocenter, sagt Ohmer. Die rotüberzogenen Sitze und
das Flair eines traditionellen, alten Kinos machten es zur idealen
Location.
Die junge Kunst setzt sich über Grenzen hinweg
Was macht die Magie am Poetry Slam aus? „Vor allem junge Leute
finden die Art von Kultur, die sie sonst so vergeblich suchen. Sie
suchen ihren Ausdruck, finden ihn aber nicht im Theater. Auf der
Suche nach Authentizität und bewegt vom Interesse am Menschen
und der Vielfalt der Texte und Themen landen sie beim Poetry
Slam“, meint Ohmer. „Wo spricht man denn sonst noch über
Texte?“ Literatur in den hergebrachten Formen stoße bei jungen
Menschen an Grenzen. Poetry Slam gehe als junge Kunst über diese
Grenzen hinweg. Er gehe dem Trend entgegen, dass sich junge Leute
oft von Kultur und vor allem Lyrik abwenden. So kam Ohmer auf die
Idee, die Lehramtsstudenten nicht nur lesen, sondern selbst in die
Produktion gehen zu lassen. „Sie sollten einmal selber den ersten
Satz schreiben.“ Sie sieht darin Vorteile für eine innovative
Lehrerausbildung: Es trainiere die Persönlichkeitsentwicklung, die
Kritikfähigkeit, das Selbstbewusstsein und die Souveränität. Die
Slammer lernen, ihre Unsicherheit zu übergehen und nicht immer
nach einem theoretischen Konzept vorzugehen, laut Ohmer die
Grundvoraussetzungen für den Lehrerberuf. Poetry Slam liefere die
Antwort auf zwei Fragen, die ganz Deutschland beschäftigten: „Wie
kriegt man junge Leute zu Kultur und wie bekommt man am Ende
des Lehramtsstudiums die besten Lehrer?“
In der Pause werden die Favoriten diskutiert
Neben dem Lehreffekt mache es den Studenten natürlich auch Spaß.
Auch das Publikum ist guter Stimmung. Man teilt sich durch lautes
Klatschen, Schreien und Pfeifen mit, denn das Publikum bewertet
die Vorträge mit Hilfe des Lautstärkepegels und kürt den Sieger.
Dieses Recht der Interaktion führt oft zu ausgelassenen Fan-Rufen.
In der Pause trifft man Bekannte in der Schlange zur Toilette, raucht
vor der Tür oder füllt die Süßigkeiten-Vorräte an der Kasse auf.
Dabei diskutiert man die Favoriten, was gefallen hat und was nicht
verstanden wurde.
Quelle: F.A.Z.
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