2 0 0 2 CHANEL NR. 5 » DAS PARFUM« Duft der Düfte. Provokation, bahnbrechendes Symbol unserer Zeit, Ikone der Sachlichkeit, meistverkauftes Parfum der Welt: Cocos genialster Wurf. VON WOLFGANG HOFBAUER Coco Chanel, 1928 Flakons für die Düfte zur inneren Anwendung. Hier am Beispiel von Rochelts 4 clMiniaturflasche und dem kleinen Flachmann mit 0,1 l Inhalt. Vergleichbare Eleganz ist auch bei den Brennereien Wetter und Reisetbauer verfügbar. 14 QUINTA ESSENTIA ass Chanel Nr. 5 so heißt, wie es heißt, verdankt es zwei Zufällen. Der erste ist wichtiger, denn es verhält sich so: Bevor Coco (eigentlich Gabrielle) Chanel zur Schöpferin des berühmtesten Parfums aller Zeiten wurde, kam sie als uneheliches Kind zur Welt. Die Mutter schämte sich dessen und trug ins Taufbuch den Familiennamen des Vaters ein. Der hieß Chasnel. In der Aufregung vergaß sie das „s“, und wäre das nicht passiert, hätte Coco nicht Chanel geheißen, sondern Chasnel. Zumindest in der deutschsprachigen Welt wäre dem Parfum und der Modelinie der Coco der Erfolg versagt geblieben. Der zweite Zufall führt uns ins Jahr 1921. Da stand Coco in ihrem Laden in Paris und ließ sich von Rallet, einem Lieferanten, Phiolen mit Parfum-Essenzen präsentieren. Bei der fünften rief sie „Halt!“. Und so feierte dieses Parfum eine zweifache Weltpremiere: Denn nie zuvor hieß ein Parfum nach dem Hersteller, und das schlichte Nummer fünf war erst recht unerhört in einer Zeit, in der man den duftenden Essenzen Namen gab wie „Belle Fleur“ oder „Nuit Égyptienne“. Der Name galt als Provokation. Und schon damals konnte man einem Produkt nichts Besseres auf seinen Lebensweg mitgeben als einen kleinen, harmlosen Skandal, das macht die Leute neugierig und das Produkt zur Legende. Coco, zuvor eine durchschnittlich erfolgreiche Hutverkäuferin, sollte noch mehr auf Lager haben, und alles entsprach ihrer genialen, stets vorwärts strebenden Natur. D So ließ sie den Flakon für Werbezwecke vom weltberühmten amerikanischen Modefotografen Horst P. Horst ablichten. Und zwar nur den Flakon, sonst nichts. Kein Dekor, kein Chichi. Und genau die Einfachheit dieses Flakons und die Einfachheit, die um ihn herum inszeniert wurde, machten aus ihm eine Ikone. Andy Warhol stellte ihn in einem Siebdruck dar, und 1959 zog das einfache Fläschchen ins New Yorker Museum of Modern Art ein, wo es seinen Platz neben anderen wichtigsten Dingen des 20. Jahrhunderts fand (zum Beispiel dem VW-Käfer). Und der Stöpsel? Nicht einmal der ist „einfach nur so“. Seine Form ist die Nachbildung des Grundrisses der Pariser Place Vendôme, dieses schönsten Platzes der schönsten Stadt der Welt. Chanel Nr. 5 war auch als Duft eine Weltneuheit. Erstmals war ein Parfum nicht mehr die Essenz einer einzelnen Blume, sondern eine Komposition verschiedenster Düfte: Mairose, Jasmin aus Grasse und Ylang Ylang von den Komoren beherrschen die essentielle Mitte des Nr. 5. Kritiker nennen den „von mir erfundenen kleinen Duft“ (O-Ton Coco) süß, in Wahrheit ist er von höchster Dichte und Geradlinigkeit, durchaus schwer, kein Parfum für den Spaziergang im Park und auch nicht unbedingt ein Duft für junge Mädchen (obwohl es Exzentriker gibt, für die gerade diese Kombination besonders sexy ist. Der Autor dieser Zeilen versteht das). Auch scheute sich Coco Chanel nicht, synthetische Stoffe zu verwenden, zum Beispiel Aldehyde. Exquisiter Geschmack und modernste Technologien dürfen ruhig eine Symbiose eingehen, sagte Coco und war auch hier ganz Visionärin. Aldehyde hin, Place Vendôme her: Der Duft kam an, ist seit über 80 Jahren die Nummer eins bei den Verkaufszahlen, und es ist nicht zu seinem Schlechtesten, dass Schauspielerinnen wie Catherine Deneuve oder Carole Bouquet sich damit umwölken und dass Regisseure wie Ridley Scott oder Luc Besson, dass Fotografen wie Helmut Newton, Bettina Rheims oder Richard Avedon sich von ihm inspirieren lassen und ließen. Und dass Marilyn Monroe, dereinst nach ihrem Nachtgewand befragt, sagte: „Ein paar Tropfen Q Chanel Nr. 5.“ Marilyn Monroe, 1956 Fotos: Michael Ochs.Com, Man Ray Trust/ADAGP Paris 2002, Stefan Liewher Q u i n t e s s e n z e n
© Copyright 2024 ExpyDoc