Volks-Zeitung, 10. August 1942 Verkehrsunglück

Volks-Zeitung, 10. August 1942
Verkehrsunglück auf der Liliputbahn
Ein vollbesetzter Zug stürzte um –
Ein Todesopfer, 80 Verletzte
Gestern gegen 19 Uhr 30 ist ein vollbesetzter
Zug der sogenannten „Liliputbahn“ im Wiener
Volksprater bei der Haltestelle Rotunde in einer
Kurve umgestürzt. Es sind ein Todesopfer und
ungefähr 80 Verletzte, davon sechs bis acht
Schwerverletzte, zu verzeichnen. Die Feuerschutzpolizei und der Wiener ärztliche Rettungsdienst mit acht Ambulanzen und den diensthabenden Aerzten waren alsbald zur Stelle. Ein
Teil der Verunglückten wurde auf die zweite Unfallstation gebracht. Die polizeilichen Erhebungen
sind im Zuge.
Hierzu erfahren wir von andrer Seite: Gegenüber
der Rotunde ist gestern kurz vor 19 Uhr 30 in
einer scharfen Kurve der Trasse der sogenannten
Liliputbahn ein vollbesetzter Zug aus dem Gleise
gesprungen. Die Ursache des Unfalls dürfte unter
anderm darin gelegen sein, daß manche Insas-
sen der vollbesetzten langen Zugsgarnitur entgegen den Vorschriften nicht gesessen, sondern
gestanden sind.
Von der Feuerschutzpolizei Feuerwache Donaustadt erschien unter Kommando von Hauptmann
Frauenberger sofort ein Hilfszug. Inzwischen
waren auch vom Rettungsdienst acht Ambulanzen an der Unfallstelle vorgefahren. Die Feuerschutzpolizisten halfen den Aerzten des Rettungsdienstes und deren Personal die Verletzten
zu bergen. Sodann wurde der mit Holzsplittern
übersäte Unfallsplatz von den Feuerschutzpolizisten abgesperrt. Nachem von der Kriminalpolizei
der Tatbestand aufgenommen war, wurde der
Schauplatz des Unfalls von den Feuerschutzpolizisten gesichert.
Bezüglich des Todesopfers erfahren wir, dass es
sich um einen alten Mann handelt, der keinerlei
Ausweispapiere bei sich trug, dessen Identität
daher noch nicht festzustellen war.
Neuigkeits-Welt-Blatt, Nr. 187, p. 5
11. August 1942
Folgenschwere Entgleisung auf der
Liliputbahn
In der Kurve umgestürzt –
Ein Toter, über achtzig Verletzte
Am Sonntag gegen 1/2 8 Uhr abends hat sich auf
der Liliputbahn im Volksprater ein folgenschwerer
Unfall zugetragen. Ein vollbesetzter, langer Zug
der Liliputbahn ist bei der Haltestelle Rotunde,
unweit dem Platz, auf dem einst das Rotundengebäude stand, in einer Kurve aus dem Gleis gesprungen und umgestürzt, nicht zuletzt wohl
auch deshalb, weil etliche der Fahrgäste entgegen den Vorschriften nicht die Plätze eingenommen hatten, sondern in den kleinen Wagen der
Schmalspurbahn beim Einfahren in die Kurve
standen.
Alsbals waren die Geräte der Wache Donaustadt
der Feuerschutzpolizei unter Kommando des
Hauptmanns Frauenberger und acht Ambulanzen
des Wiener ärtzlichen Rettungsdienstes unter der
Leitung des Chefarztes Dr. Perschl mit seinem
Stellvertreter Dr. Ziegler und den Inspektionsärzten Dr. Auder, Dr. Penthor und Frau Dr. Dichtl am
Unfallsplatz. Die Feuerwehrmannschaft half dem
Rettungsdienst, die Verunglückten zu bergen,
herbeizutragen und nach erster ärtzlicher Behandlung in die Rettungsauto (ohne „s“, Anm.)
zu heben. In vorbildlicher Zusammenarbeit leisteten die Aerzte und das Sanitätspersonal des
Wiener Rettungsdienstes Vorbildliches, um den
65 verletzten Fahrgästen, unter ihnen 8 Schwerund 50 erheblich Verletzten erste Hilfe zu geben
und möglichst rasch in Spitalspflege zu bringen.
Immer wieder fuhren die grünen Rettungsautos,
und so war es möglich, die Unglücksstätte rasch
zu leeren. Ein Fahrgast, der 70jährige Jude Ignaz
Israel Herlinger, Lerchenfeldergürtel 31, wurde
bereits tot geborgen. Zahllose Neugierige von
dem am Sonntagabend dicht bevölkerten Volksprater umstanden in mehrfachem Spalier die
Stätte, auf der dann die Feuerschutzpolizei die
weit umherliegenden Holzsplitter der in Bruch
gegangenen kleinen Wagen der Bahn wegräumte.
Die Verletzten
Auf die II. Unfallstation wurden gebracht: der
50jährige Karl Stierling aus Inzersdorf (Rippenbrüche und Prellung); der 67jährige Schmiedemeister Heinrich Farkas, Triester Straße 19
(Rippenbruch); die 21jährige landwirtschaftliche
Hilfsarbeiterin Grete Schäffer, Ranftlgasse 7
(Milz- Rippen- und Knieverletzung); der 39jährige Eisendreher August Appel aus Erlaa (Schlüsselbeinbruch); Martha Mack (Gehirnerschütterung und tiefe Bewußtlosigkeit); die 30jährige Angestellte Karline Angst, Thaliastraße 45 (Halswirbelbruch und Prellungen); der 34jährige August
Holzer (Prellung und innere Verletzungen); die
48jährige Lehrerin Katharina Lorek aus Breslau
(Prellungen); der 7jährige Johann Haselberger,
Bäuerlegasse 22 (Prellung); der 7jährige Alfred
Riebl, Jurygasse 25 (Knieverletzung); der 4jährige Paul Schapira, Ausstellungsstraße 43 (Prellungen);
der
14jährige
Karl
Schiener,
Bauernfeldgasse 40 (Prellungen), die 55jährige
Leopoldine Hammermayer, Kolumbusgasse 41
(Prellungen), die 15jährige Herta Stuppacher,
Glockengasse 15 (Schenkelverletzung); der
16jährige Martin Müller, Liebhartsgasse 6 (Armbruch); der 4jährige Gerhard Geißler, Triester
Straße 19 (Prellung); die 38jährige Franziska
Hlobil aus Erlaa (Rißwunde an der Nase); der
16jährige Lehrling Rudolf Hlobil aus Erlaa (Prellung); die 41jährige Postfacharbeiterin Anna Siegel, Prager Straße 43-47 (Prellung); der
12jährige Friedrich Siegel, Prager Straße 43-47
(Prellungen); die 44jährige Hermine Weißenböck, Degengasse 45 (Schenkelbruch); der
43jährige Maschinenschlosser Julius Schiener,
Bauernfeldgasse 40 (Schlüsselbeinbruch); die
31jährige Rosa Schiener, Bauernfeldgasse 40
(Prellungen); die 36jährige Vertreterin Grete Bukovic, Rasumofskygasse 1 (Rißwunde); die
46jährige Hedwig Holzer (Prellung); die 50jährige Hilfsarbeiterin Maria Rudlof, Klemen-Hofbauer-Platz 9 (Prellung); die 27jährige Postangestellte Juliane Rauch, Pichlergasse 1 (Verstauchung); die 30jährige Berta Hnat, Lehnergasse 10 (Prellung); die 35jährige Küchengehilfin
Maria Grübling, Vereinsgasse 13 (Prellungen);
die 20jährige Prüferin Maria Halwachs, Mareschgasse 22 (Gehirnerschütterung); die 22jährige
Stepperin Anna Indra, Liebhartsgasse 6 (Prellungen); die 52jährige Theres Angst, Thaliastraße
56 (Knöchelverletzung und Verstauchung); die
53jährige Beamtin Auguste d´Ester, Bechardgasse 21 (Bruch zweier Zehen); die 45jährige
Geschäftsfrau Anna Kandel, Marschgasse 26
(Prellung und Rippenbruch); der 39jährige Monteur Friedrich Perwald, Bäuerlegasse 22 (Prellungen); der 39jährige Elektromonteur Alexander
Sturzeis, Hasengasse 41 (Knöchelbruch), der
9jährige Gerhard Sturzeis, Hasengasse 41 (Prel-
lung); der 40jährige Dreher Albert Barborik, Siccardsburggasse 3 (Prellung); der 45jährige Heizer Matthias Weißenböck, Degengasse 45
(Knieverletzung); die 43jährige Katharina Appel
aus Erlaa (Prellung und Quetschung); der 20jährige Schlosser Josef Schantl, Laaer Straße 61-63
(Quetschung und Prellung); die 25jährige Grete
Stierling aus Inzersdorf (Rißwunde und Prellung); die 36jährige Hermine Stuppacher, Glockengasse 15 (Quetschungen); die 12 jährige
Maria Müller, Liebhartsgasse 6 (Rißwunde); die
57jährige Agnes Polt, Holzweggasse 37 (Speichenbruch und Prellung); die 38jährige Hilfsarbeiterin
Maria
Cicha
aus
Atzgersdorf
(Verrenkung).
Die übrigen Verletzten konnten sich nach ärztlicher Hilfeleistung gleich anderen Fahrgästen, die
sich mit Aufregungszuständen im ersten Augenblick als verletzt gemeldet hatten, allein entfernen.
Die Mehrzahl der Verletzten wieder hergestellt
Das Unglück hat insgesamt 85 Verletzt gefordert.
26 Personen wurden an Ort und Stelle behandelt
und konnten sich dann selbst in ihre Wohnung
begeben. Von den 58 Personen, die zunächst auf
die Zweite Unfallstation gebracht wurden, konnten 45 bereits wieder entlassen werden. 13 Verunglückte befinden sich noch in Spitalsbehandlung.
Aus der Geschichte der Liliputbahn
Am 1. Mai 1928 wurde neben vielen anderen
Neuerscheinungen, die das Schubertjahr dem
Prater gebracht hat, auch die Liliputbahn eröffnet. Sie hatte zwei Vorgänger, die Petroleumbahn, im Wiener Mund „Schnackerlbahn“ genannt, die vom Zirkus Busch zur Rotunde führte,
und anläßlich der Elektrischen Ausstellung 1883
eine elektrische Kleinbahn, die erste elektrisch
betriebene Bahn in Wien, vom Nordportal der Rotunde über die Feuerwerkswiese zum Praterstern. Der Ausgangspunkt der Liliputbahn wurde
hinter dem Aquarium (Biologische Versuchsanstalt) zwischen Hauptallee und Wurstelprater angelegt. Zunächst führte ihre Trasse zwischen
Pratergasthäusern und anschließend über Augrund in reizender Fahrt bis zu der an der Hauptallee gelegenen Haltestelle Rotunde. 1933 wurde
die Strecke bis zum Heustadelwasser verlängert.
Die Bahn hat eine Spurweite von 381 Millimeter
und die Lokomotiven sind, obwohl ihr zierlicher
Bau wie ein Kinderspielzeug anmutet, 5800 Kilo
schwer. Sie vermögen 100 Tonnen mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 30 Kilometer Stundengeschwindigkeit fortzubewegen. Eine Zugsgarnitur faßt 200 Personen. Die Baukosten betrugen 600 000 Schilling. Am 6. Mai 1933 stieß
ein Zug der Liliputbahn an einer Straßenübersetzung mit einem Personenauto zusammen, damals jedoch ohne ernstliche Folgen.