Die Rheinpfalz, Ausgabe vom 30.12.2015

SÜDWESTDEUTSCHE ZEITUNG
DIE RHEINPFALZ — NR. 302
MITTWOCH, 30. DEZEMBER 2015
Der Frühling im Winter
A N R H E IN U ND S A A R
Blühende Wildblumen, herumflatternde Schmetterlinge und Mauereidechsen beim Sonnenbaden:
Dieser mildeste Dezember seit Beginn der Wetteraufzeichnung hat Pflanzen und Tiere aus ihrem gewohnten Ruhemodus erweckt.
Im Advent und über die Weihnachtsfeiertage gab es in der Pfalz manch Ungewöhnliches zu beobachten.
BAD EMS (ansc). Seit gestern Abend,
18 Uhr, ist es amtlich: 14 Parteien wollen bei der Landtagswahl am 13. März
2016 antreten. Das gab der Landeswahlleiter in Bad Ems bekannt. Parteien ohne Sitz im Bundes- oder Landtag
mussten mindestens 2040 Unterschriften von Unterstützern vorlegen,
um an der Landtagswahl teilnehmen
zu dürfen. Das taten beispielsweise
die FDP, die Alternative für Deutschland (AfD) und die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa), die Partei
des AfD-Gründers Bernd Lucke, sowie
klar rechtsextreme Parteien wie der III.
Weg oder die NPD. SPD, CDU, Grüne
und Linke mussten nicht auf Unterschriftenjagd gehen. Parteien, die im
Bundes- oder Landesparlament vertreten sind, mussten lediglich ihre
Landes- oder Bezirkslisten einreichen.
Ob die 14 Parteien tatsächlich bei der
Landtagswahl antreten dürfen, ist
aber noch offen. Das wird der Landeswahlausschuss entscheiden. Er tagt
am 6. Januar in einer öffentlichen Sitzung in Mainz. Bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2011 waren zwölf
Parteien zugelassen worden.
14 Parteien wollen bei
Landtagswahl antreten
VON JÜRGEN MÜLLER
HASSLOCH. Botaniker wie Heiko
Himmler und Oliver Röller sowie die
Mitstreiter der Internet-Meldeplattform „Artenfinder“ hatten in diesem
Monat gut zu tun. Über 100 blühende
Wildblumenarten zählten sie allein
zwischen dem 13. und dem 27. Dezember in der Pfalz. Die Liste reicht
von A wie Acker-Ringelblume bis Z
wie Zwerg-Schneckenklee. Manche
dieser Blumen wie der Huflattich beispielsweise gelten als ausgesprochene Frühlingsboten. Sorgt er doch mit
seinen gelben Blüten normalerweise
im März, manchmal auch schon Mitte
Februar für erste Farbtupfer in der
grauen Winterlandschaft. Doch in
diesem Jahr entdeckt Oliver Röller am
Ludwigshafener
Willersinnweiher
bereits am 27. Dezember blühenden
Huflattich.
Nicht nur Blumen, sondern auch Insekten bringen die bis in die letzten
Dezembertage hinein frühlingshaften Temperaturen auf Touren. Sie locken so manchen Schmetterling aus
seinem Winterquartier. Vor allem der
Admiral segelt offenbar in großer Anzahl durch die Pfalz: Haben doch die
Artenfinder-Naturbeobachter in diesem Monat vor allem in der Rheinebene und in Teilen der Nordpfalz allein 29 Exemplare registriert. Dabei
hat es dieser Wanderschmetterling
früher vorgezogen, im Herbst Richtung Süden abzuschwirren. Erst seit
den 90er Jahren gelangen nach Röllers Worten Nachweise, dass er als
Falter mittlerweile auch in der Pfalz
überwintert.
Am 27. Dezember am Ludwigshafener Willersinnweiher fotografiert:
eine Huflattich-Blüte.
FOTO: RÖLLER
Verfolgungsjagd: Unbekannte
werfen mit Fernsehern
Nicht jedes Schwarzkehlchen verlässt die Pfalz im Winter Richtung
Süden.
ARCHIVFOTO: R. RÖSSNER
Dieser Kleine Feuerfalter sitzt am 7. Dezember bei Neustadt-Mußbach auf einer Blüte des Schmalblättrigen Greiskrauts. Die Härchen am Flügelrand lassen vermuten, dass es sich um ein frisch geschlüpftes Exemplar handelt. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass seine Hinterflügel bereits stark in Mitleidenschaft gezogen wurden.
FOTO: RÖLLER
Tagpfauenauge und
Zitronenfalter lassen sich
kaum für Ausflüge erwärmen.
Andere während der Frühlingsund Sommermonate häufig anzutreffende Schmetterlingsarten wie Zitronenfalter (im Dezember lediglich ein
beobachtetes Exemplar) oder Tagpfauenauge (drei Exemplare) konnten sich dagegen kaum für Ausflüge
unter der Dezembersonne erwärmen. Sie ziehen es vor, in ihren Verstecken in Sträuchern, an Bäumen
oder auf Speichern auszuharren.
Stattdessen sorgte ein Exemplar
des Kleinen Feuerfalters für eine
ziemlich große Überraschung: Noch
am 7. Dezember spürte Röller diesen
Schmetterling bei Neustadt-Mußbach auf einem – selbstverständlich
blühenden – Schmalblättrigen Greiskraut auf. Bisher war dieser Falter
hierzulande mit Datum 27. November
als spätestem Flugtermin aus der Literatur bekannt. Besonders interessant an dem Dezember-Fund ist, dass
es sich dabei offenbar um ein frisch
geschlüpftes Exemplar handelte. Darauf deuten laut Röller die feinen Härchen an seinem Flügelrand hin.
So manches weitere Insekt ließ dieser Dezember ebenfalls nicht kalt: Die
Große Heidelibelle, die als Ei oder Larve in stehenden Gewässern überwintert, wurde 17-mal in der Pfalz registriert. Mit Spannung sehen Oliver Röller und die Artenfinder-Truppe dem
St. Nikolaus beantwortet
so viele Briefe wie noch nie
Dieser Admiral genießt 2015 die Dezembersonne.
ARCHIVFOTO: RÖLLER
Diese Eidechse nimmt am 28. Dezember ein Sonnenbad. FOTO: RÖLLER
Am 26. Dezember noch putzmunter:
eine Große Heidelibelle. FOTO: RÖLLER
Sorgen für Pollenflug im Dezember:
Haselsträucher.
FOTO: RÖLLER
Januar entgegen: Der Nachweis einer
umherschwirrenden Großen Heidelibelle ist deutschlandweit für den
kommenden Monat noch nicht gelungen.
Die zunehmend milder werdenden
Winter in der Pfalz scheinen auch
Einfluss auf die ziehenden Vögel zu
haben. Dazu nennt Röller zwei Beispiele: Anfang Dezember wurde aus
der Gegend von Birkenheide (RheinPfalz-Kreis) eine Mönchsgrasmücke
gemeldet. Und erst am Montag dieser
Woche wurden bei Weilerbach (Kreis
Kaiserslautern) zwei Schwarzkehlchen gesichtet. „Das sind beides Arten, die früher immer weggezogen
sind und in den letzten Jahren immer
öfters in der Pfalz überwintern“, erläutert Röller. Allerdings handelt es
sich bei den Überwinterern nach wie
vor nur um Einzelexemplare. Ver-
mutlich sind es Gäste aus weiter
nördlich gelegenen Regionen, die ihren Zug Richtung Süden bei uns einfach beenden. Manche Wasservögel,
die der Kälte in Skandinavien oder Sibirien entfliehen und üblicherweise
am Silbersee bei Bobenheim-Roxheim (Rhein-Pfalz-Kreis) oder anderen pfälzischen Gewässern Station
machen, sind auch schon da. So beispielsweise Schellenten, die bereits
zu Monatsbeginn auftauchten.
Die Dezembersonne lockt offensichtlich auch wechselwarme Wirbeltiere aus ihren schützenden Winterquartieren. So hat Röller am Montag dieser Woche bei NeustadtHaardt ein wohlgenährtes Exemplar
einer Mauereidechse fotografiert. Um
morgens auf Touren zu kommen,
brauchen solche Tiere Sonnenstrahlen. Weil es davon im Winter zu we-
nig gibt, verkriechen sich Eidechsen
normalerweise ab November in Mauerritzen und Erdverstecke.
Die offensichtlichen Folgen des Klimawandels haben freilich auch in der
Pfalz ihre Schattenseiten. Früher blieben Menschen, die auf Pollen allergisch reagieren, wenigstens während
des Winters von ihrem Leiden verschont. Dieses Jahr blühten nach Röllers Worten bereits im Dezember die
Haselsträucher auf. Normalerweise
machen die pollentragenden männlichen Haselblüten erst im Februar, frühestens im Januar mobil, wenn nach
einer längeren Kältephase ein paar
wärmere Sonnentage mit Temperaturen über fünf Grad folgen.
Doch was heißt heutzutage schon
„normal“? Zwar gab es auch in der
Vergangenheit schon Jahre mit einer
frühen Haselblüte. Inzwischen trete
dieses Phänomen aber immer häufiger auf. Vielleicht, so der Haßlocher
Naturkundler, könnte es eines Tages
zum Normalfall werden, dass an Heiligabend nicht nur – wie in diesem
Jahr geschehen – so mancher Mandelbaum blüht, sondern Allergiker
schniefend unter dem Weihnachtsbaum sitzen.
Kurios, kurioser, Ortsbeirat Block
Wie die rund 900 Einwohner eines Neuwieder Stadtteils die Auswüchse der Demokratie erleben
VON ANDREAS GANTER
Und es begab sich zu jener Zeit, dass
die Bürger des Neuwieder Stadtteils
Block zur Urne gerufen wurden. Anlass ist aber keine Volkszählung wie
vor 2000 Jahren bei Jesus, sondern ein
Kuriosum der Demokratie.
Gemeinhin gilt – zumindest in
Deutschland – die Herrschaft des Volkes als zivilisatorische Errungenschaft. Aber welche außergewöhnlichen Auswüchse diese Staatsform
bisweilen mit sich bringt, erleben
momentan die rund 900 Einwohner
von Block. Wie die in Koblenz erscheinende „Rhein-Zeitung“ unlängst berichtete, müssen die Blocker ihren
Ortsbeirat neu wählen, weil von den
bei der Kommunalwahl 2014 gewählten Vertretern nur noch einer übrig
ist – und zugleich 50 Prozent der zur
Wahl angetretenen Kandidaten verstorben sind.
Im Mai 2014 bewarben sich neben
dem Ortsvorsteher von der FWG drei
Sozialdemokraten um ein Mandat im
Ortsbeirat. Die Gemeindeordnung
sieht für einen Ort mit der Größe von
Block vor, dass der Beirat aus vier Personen besteht – klingt nach einer runden Sache.
Allerdings stirbt eine SPD-Kandidatin schon vor dem Wahltag. Dass
sie dennoch 109 Stimmen erhält, ist
einerseits eine interessante demokra-
REIL (lrs). Bei einer rasanten Flucht
vor der Polizei durch die Weinberge
bei Reil im Kreis Bernkastel-Wittlich
haben Unbekannte Fernsehgeräte
nach einem Streifenwagen geworfen.
Sie hätten jedoch ihr Ziel verfehlt, berichtet die Polizei. Eine Streife hatte in
der Nacht zum Montag einen mit mindestens fünf Menschen besetzten
Kleintransporter kontrollieren wollen.
Dessen Fahrer gab jedoch Gas und
raste bei starkem Nebel mit Tempo
100 durch die Weinberge und kleinere
Orte. Schließlich flüchteten die Insassen zu Fuß weiter, von ihnen fehlte zunächst jede Spur. Im Transporter fand
die Polizei Gegenstände, die wohl bei
Einbrüchen erbeutet wurden.
Für den Ortsbeirat Block wurden Neuwahlen angesetzt.
tische Randnotiz, andererseits vermutlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass Briefwähler für sie ihr
Kreuzchen gemacht haben – freilich
schon vor ihrem Ableben.
Eine weitere Sozialdemokratin
wird schließlich zur Ortsvorsteherin
gewählt. Damit beginnt die Rangelei
ARCHIVFOTO: NOBI
um den extrem wichtigen Posten des
stellvertretenden Ortsvorstehers der
900-Seelen-Gemeinde Block. Sowohl
der bisherige Ortsvorsteher von der
FWG als auch der dritte in den Ortsbeirat gewählte Sozialdemokrat wollen auf Teufel komm raus den Job ergattern. Beide kandidieren – und sie-
he da: das nächste demokratische Kuriosum. Beide Kandidaten bekommen
eine Stimme. Mutmaßlich jeweils ihre eigene. Denn die Ortsvorsteherin
darf sich an der Wahl nicht beteiligen
– und das vierte Mitglied des Ortsbeirats war zu diesem Zeitpunkt ja bereits verstorben.
Nach einer kurzen Besprechungspause einigen sich die verbliebenen
Ortsbeiratsmitglieder, dass der FWGMann den Posten bekommen soll. Ein
zweiter Wahlgang bringt das entsprechende Ergebnis.
Überraschend stirbt nun im November besagter FWG-Mann. Plötzlich hat Block zwar noch einen Ortsbeirat, aber dem gehört nur noch ein
Mitglied an. Zu wenig. Das finden
nicht nur politische Beobachter, sondern steht auch in der Hauptsatzung
der Stadt Neuwied. Derzufolge müssen nämlich mindestens zwei Personen in einem Ortsbeirat vertreten
sein – unabhängig davon, wie oft das
Gremium überhaupt tagt. Der Blocker
Ortsbeirat traf sich nämlich letztmals
im März. Wie dem auch sei. Der Neuwieder Stadtrat hat jetzt Nägel mit
Köpfen gemacht und Neuwahlen angesetzt: für den 13. März 2016.
Alle Demokratie-Fans aus Block
dürfen sich freuen: Sie dürfen dann
nicht nur einen neuen Landtag wählen, sondern zudem einen neuen
Ortsbeirat für ihren Stadtteil.
INFO
— Oliver Röller hat auf seiner Internetseite
www.natur-suedwest.de ein Poster sowie
eine Liste mit Namen von wildwachsenden
Pflanzenarten veröffentlicht, die in diesem
Dezember noch blühend gesichtet wurden. Von dieser Seite aus gelangt man auch
auf die Facebook-Seite von Natur Südwest
mit weiteren Informationen.
— Die Meldeplattform Artenfinder ist im Internet unter www.artenfinder-rlp.de zu erreichen.
ST. NIKOLAUS (lrs). Das Weihnachtspostamt im saarländischen St. Nikolaus hat in diesem Jahr so viele Briefe
wie noch nie bearbeitet. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter antworteten bis
gestern auf fast 19.000 Schreiben, berichten die Organisatoren. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren waren es noch
2430 weniger. Der Großteil der Briefe
in diesem Jahr – gut 16.000 – wurde
aus Deutschland geschickt. Die Briefe
aus dem Ausland kamen aus 38 verschiedenen Ländern, erstmals zum
Beispiel aus Dubai, Indonesien und
Tahiti. Ehrenamtliche Helfer beantworten die Post mit Sondermarken
und speziellem Briefpapier.
Hessische Ladendiebin lässt
sich nicht aus Mainz vertreiben
MAINZ/FRANKFURT (lrs). Eine 37Jährige ist in Mainz an einem Tag
gleich mehrfach bei Ladendiebstählen
ertappt worden. Polizisten erteilten
der Frankfurterin daraufhin einen
Platzverweis für das gesamte Stadtgebiet, doch kurz darauf wurde sie schon
wieder beim Stehlen erwischt. Ein
Richter steckte sie schließlich bis zum
Abend in Polizeigewahrsam.
Nürburgring-Handwerker
bekommen Beihilfen
Teillösung im Fall der unbezahlten Rechnungen
MAINZ/NÜRBURG (kad). Handwerker, denen die insolvente landeseigene Nürburgring GmbH Geld schuldet, können über so genannte „De
Minimis“-Beihilfen einen Teil ihrer
Forderungen erfüllt bekommen.
Eine entsprechende Verständigung
sei zwischen den Insolvenzverwaltern Jens Lieser und Thomas B.
Schmidt und Finanzstaatssekretär
Salvatore Barbaro (SPD) mit der EUKommission erreicht worden, teilte
das Finanzministerium in Mainz gestern mit. Das heißt aber auch, dass
sich das Land mit der EU-Kommission
nicht darauf einigen konnte, den
Handwerkern den Vortritt zu lassen
und die eigenen Forderungen als
nachrangig anzumelden. Bei diesen
handelt es sich überwiegend um unerlaubt gezahlte Subventionen in Höhe von rund 600 Millionen Euro.
Weil das Land seine Forderungen
erstrangig angemeldet hat, drohten
Handwerker nahezu leer auszugehen.
Mit der jetzt gefunden Lösung haben
private Gläubiger die Chance, mehr
von dem ausstehenden Geld zu bekommen. Außerdem müssen sie
nicht warten, bis über die Klage gegen
den Verkauf des Nürburgrings entschieden ist. „De Minimis“-Beihilfen
dürfen den Betrag von 200.000 Euro
nicht übersteigen. Nach früheren Angaben Barbaros liegen die Forderungen eines privaten Gläubigers deutlich darüber. Sollte dieser wegen der
Vereinbarung gegen die Insolvenzverwalter klagen, so liegt das Prozessrisiko nicht mehr bei den Verwaltern.
Das Land hat ihnen gegenüber eine
Freistellungserklärung
abgegeben.
Für die offenen Handwerkerrechnungen sind 2,5 Millionen Euro im Landeshaushalt vorgesehen, aber erst für
das Jahr 2017.
Insolvenverwalter am Nürburgring
(von links): Thomas B. Schmidt und
Jens Lieser.
FOTO: DPA
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