Rezension Der militärische Nachrichtendienst der Nationalen Volksarmee der DDR und seine Kontrolle durch das Ministerium für Staatssicherheit. Die Geschichte eines deutschen Geheimdienstes. In der NVA und deren Vorgängern HVA (Hauptverwaltung Ausbildung) und KVP arbeitete ein militärischer Aufklärungsdienst mit der Aufgabe, die Führungsorgane mit umfassenden Angaben zu Absichten, Gliederung, Bewaffnung und Ausrüstung der möglichen Gegner zu versorgen. Neben der Auswertung offen zugänglicher Quellen sowie einer gut organisierten Funkaufklärung wurde auch auf dem gegnerischen Territorium aktive Aufklärung betrieben, man verfügte über ein wertvolles Netz von Quellen. Einige NVA-Offiziere waren als Spezialkader oder Residenten unter anderer Biographie hauptsächlich in der BRD tätig. 1988 arbeiteten für den „Bereich Aufklärung" ca. 1000 Mitarbeiter, davon 7 Generale und über 550 Offiziere (1), von diesen ca. 15 % im nachrichtendienstlichen Bereich. Das Vorhandensein und die Tätigkeit dieser dem Hauptstab der NVA unterstellten Institution war in der Armee, und hier sogar den meisten Offizieren, kaum bekannt. Da diese Einrichtung im Laufe der Jahre verschiedene Bezeichnungen trug („Verwaltung für Allgemeine Fragen", „Verwaltung 19", „Verwaltung für Koordinierung", „12. Verwaltung", „Verwaltung Aufklärung", „Bereich Aufklärung", „Informationszentrum") wird im folgenden durchgängig der Begriff „Verwaltung Aufklärung" verwendet. Ein ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehr-Luftwaffe stellte sich nun die Aufgabe, diesen „Nachrichtendienst mit wissenschaftlichen Methoden zu erforschen und zu beschreiben" (S. 11). Der Autor war laut Klappentext mehr als 15 Jahre in der Bundeswehr bei der „Absicherung der Luftwaffe gegen Spionage, Sabotage und Zersetzung tätig" und befand sich damit sozusagen auf der anderen Seite der Barrikade in direkter Auseinandersetzung mit dem militärischen Aufklärungsdienst der NVA. Die NVA-Aufklärer erreichten aber gerade im Bereich der Luftwaffe große Erfolge, so gelang es in den achtziger Jahren, neben vielen anderen Dokumenten die streng geheimen Alarmpläne der Bundesluftwaffe zu beschaffen. Die Hoffnung, daß der Autor dennoch eine sachliche und fundierte Darstellung vorgelegt hat, muß man schon beim Lesen des Vorwortes aufgeben. Dort ist die Rede von: „der großen Anzahl Menschen, die vom SED-Regime mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit gequält worden waren und nun als Zeugen eines unmenschlichen Regimes aufstanden und ihren Schmerz hinausbrüllten und versuchten, ihre Peiniger zu stellen." (S. 13). Bemerkenswert ebenfalls der im Vorwort vorgebrachte Anspruch zur wissenschaftlichen Arbeit: „Da das Thema noch nicht wissenschaftlich bearbeitet wurde, ist es oberstes Gebot, so nah wie möglich an den Quellen zu arbeiten." (S.17) Dann folgt ein für eine historische Dissertation nahezu revolutionärer Anspruch: „Um zeitaufwendige Arbeiten in Archiven der verschiedensten Art ist dabei nicht herumzukommen." (S.16) Im weiteren soll nun betrachtet werden, wie weit zumindest dieser Anspruch auf den vorliegenden 425 Seiten erfüllt wurde. In den ersten 6 Kapiteln beschäftigt sich der Autor mit den bisherigen Veröffentlichungen zum Thema. Offensichtlich waren diese Literaturrecherchen nicht sehr gründlich, da zum Beispiel eine wichtige Studie von Hans-Rudolf Fuhrer (Oberst im Schweizer Bundesheer) fehlt. (2) Weiter werden die vorhandenen Quellen analysiert sowie eine Darstellung des Wissensstandes der westdeutschen Nachrichtendienste versucht. Unter anderem beklagt der Autor, daß der Kenntnisstand über die Verwaltung Aufklärung der NVA „mehr als mangelhaft" war. (S. 23) Nach seinen Angaben wäre man sich selbst im MAD über die Existenz des Dienstes im unklaren gewesen (S.34). So bleibt dann nur übrig, aus den jährlich veröffentlichten Verfassungsschutzberichten die spärlichen Angaben über die Verwaltung Aufklärung darzustellen. Erkenntnisse anderer westlicher Geheimdienste werden völlig ausgespart. Warum er sich nicht auf die seit 1994 freigegebenen „Intelligence"-Bewertungen der US-Army stützt, ist eher unverständlich. So sind in dem „USAREUR Intelligence Estimate -1961" (3) auf mehreren Seiten umfangreiche Angaben zur damaligen Verwaltung 12 des Hauptstabes der NVA zu finden, selbst eine umfassende Gliederung der einzelnen Abteilungen fehlt nicht. Vielleicht hängt es ja auch damit zusammen, daß einige dieser Dokumente vom Bundeswehr-„Waffenbruder“ USA ausdrücklich nicht zur Weitergabe an die Verbündeten gekennzeichnet war („not releasable to foreign nationals, except none"). Außerdem ist schwer vorstellbar, daß die Offiziersgruppe der Bundeswehr unter Oberst Freiherr von Recum, die im Oktober 1990 die Verwaltung Aufklärung (damals „Informationszentrum") übernahm und auflöste, keinerlei schriftliche Einschätzungen oder Berichte hinterlassen haben soll. Auf die Übergehung oder besser Vernachlässigung diverser HVA/KVP/NVA-Dokumente des ehemaligen NVA-Militärarchives, die sich heute im Bundesarchiv/ Militärarchiv Freiburg (BA/MA) befinden, wird im weiteren an konkreter Stelle hingewiesen. Vielleicht hätte der Autor bei der ständigen Verwendung von Formulierungen wie: „sind bisher nur wenige Dokumente bekannt", „ist nichts bekannt" und „liegt nur ein Dokument vor" besser schreiben sollen: „sind dem Autor nicht bekannt“. In den Kapiteln 7 und 8 versucht der Autor die Gründung und Geschichte des militärischen Aufklärungsdienstes in der damaligen HVA bzw. KVP darzustellen. Hierbei stützt er sich im Wesentlichen auf die bereits in Auszügen veröffentlichte „Direktive der Verwaltung für allgemeine Fragen" vom 23.07.1952. (4) Bei der Darstellung der Anfänge des militärischen Aufklärungsdienstes tappt der Autor völlig im Dunkeln. So rekonstruiert er aus Sekundärquellen mühevoll die Tätigkeit des damaligen VP-Kommandeurs Herbert Scheibe ab 1951 (S. 42) und stellt dann voller Stolz fest: „Das bedeutet also, daß die 6. Abteilung der Hauptverwaltung für Ausbildung sich im Jahre 1951 mit Aufklärung beschäftigte". Hier wäre dem Autor ein etwas gründlicheres Studium der im Bundesarchiv/ Militärarchiv vorhandenen Dokumente der HVA zu empfehlen gewesen. Dort hätte er u. a. die Aufgabenstellung des Leiters der HVA an die 6. Abteilung: „Sammeln und Auswerten aller Meldungen über den Gegner ... ", Hinweise über zur 6. Abteilung versetzte Offiziere und Übersichten über „Sonderschulungen" gefunden. (5) Überhaupt nicht erwähnt er die bereits seit 1950 bestehende „Abteilung Information", welche vor der Bildung der 6. Abteilung noch dem Chef Nachrichten zugeordnet war. (6) Das Kapitel 9 bildet den eigentlichen Hauptteil Arbeit. Auf knapp 180 Seiten soll hier der Untertitel des Buches „Die Geschichte eines deutschen Geheimdienstes" mit Leben erfüllt werden. Wahrscheinlich auf der Grundlage der von ihm vorgefundenen Quellen hat der Autor sich aber entschlossen, die Geschichte der Verwaltung Aufklärung als Geschichte der insgesamt sechs Leiter zu schreiben. Dieses Vorhaben mißlingt jedoch bereits im ersten Unterkapitel zur Geschichte der Verwaltung Aufklärung in den Jahren 1952 bis 1957 unter dem damaligen Leiter Generalmajor Linke. Sehr detailreich wird Linkes Biographie bis 1952 und ab 1957 geschildert. Zum eigentlichen Thema erfährt man reichlich wenig, dafür ergeht sich der Autor in zahlreichen Spekulationen, wie „Sowjetoffiziere werden sicherlich Linke die Hand geführt haben." (S. 53) und ähnliches mehr. Generalmajor Linke wurde im August 1957 unter Herabsetzung im Dienstgrad zum Oberst d. R. als Leiter der Verwaltung abgelöst und entlassen. Es war dem CIA gelungen, im Haushalt Linkes eine Agentin zu plazieren, welche sich dann mit geheimen Dokumenten absetzen konnte. Für zwei Monate (Juli bis September 1957) führte dann die Verwaltung Oberst Erich Ripperger, auch diese Tatsache wird vom Autor nicht erwähnt. Dessen Nachfolger wurde Oberst Willy Sägebrecht, der die Verwaltung Aufklärung von 1957 bis 1959 leitete. In Sägebrechts Zeit fällt die Fahnenflucht von Oberstleutnant Dombrowski im August 1958. Dieser sicherlich schwere Schlag für den noch jungen Geheimdienst wird nun auf fast 35 Seiten basierend auf damaligen MfS-Unterlagen ausführlichst dargestellt. Andere Gesichtspunkte der Arbeit der Verwaltung kann der Autor nicht darstellen, da er zum Abschluß der Biographie Sägebrechts schreibt: „Aus seiner Tätigkeit als Leiter des Militärischen Nachrichtendienstes der NVA ist außer der Affäre Dombrowski nichts bekannt." (S. 99) Obwohl der Autor ansonsten penibel bemüht ist, möglichst viele Daten und Zahlen zu nennen, bleibt er dem Leser das Todesdatum von Willy Sägebrecht (08.04.1981) schuldig. Statt dessen ergeht er sich in unnötigen Spekulationen über Sägebrechts Gesundheitszustand in den sechziger Jahren. (S. 98 f.) Den Abschnitt über den dritten Leiter der Verwaltung, Generalleutnant Arthur Franke, beginnt der Autor mit einer, dezent gesagt, Unrichtigkeit: „Für die Tätigkeit Frankes in den bewaffneten Organen vor 1959 liegt nur ein Dokument vor." (S. 99) Über die Tätigkeit von Oberst Franke als Leiter der Politabteilung der LSK/LV von 1956 bis 1959 lassen sich sicherlich bedeutend mehr als nur ein Dokument finden, so als Beispiel ein Protokoll des Kollegiums des MfNV aus dem Jahre 1956, das über die Tätigkeit Oberst Frankes ausführlich berichtet. (7) Nach einem kurzen Lebenslauf Frankes zitiert der Autor dann auf den nächsten 10 Seiten aus diversen Kaderbefehlen bezüglich der Einstellung oder Entlassung von Offizieren der Verwaltung Aufklärung aus den Jahren 1961 bis 1963, um dann auf den letzten zwei Seiten auf die Verabschiedung Frankes 1974 und seine nachfolgende Tätigkeit als Präsident des Tauchsportclubs der DDR einzugehen. Somit hat der Autor den 16 Jahren Tätigkeit von Generalleutnant Franke als Leiter der Verwaltung Aufklärung nur eine knappe Seite von insgesamt 14 gewidmet, und auch diese beinhaltet nur zumindestens fragwürdige Betrachtungen zu Frankes Kaderpolitik. (S. 111) Kein Wort zu der gerade in der Dienstzeit Frankes erfolgreichen Aufklärungstätigkeit und der positiven Entwicklung der Funkaufklärung. Auch bei Generalleutnant Frankes Nachfolger, dem späteren Generalleutnant Theo Gregori, der die Verwaltung immerhin acht Jahre führte, werden wieder auf der Grundlage von MfS-Unterlagen auf fast siebzig Seiten die Vorgänge um den Oberstleutnant Pfotenhauer dargestellt. Dieser war in die zweckentfremdete Verwendung von Valutamitteln der Verwaltung verwickelt und schied im Oktober 1982 freiwillig aus dem Leben. Generalleutnant Gregori war u. a. aufgrund dieser Vorgänge bereits im September 1982 als Leiter der Verwaltung Aufklärung abgelöst worden. Die teilweise abenteuerlichen Schlußfolgerungen und Mutmaßungen zu den Ursachen der Ablösung von Generalleutnant Gregori (S. 115-124) ergänzen sich mit völliger Ahnungslosigkeit bei Einschätzung von Standardformulierungen in NVA-Beurteilungen, wie z. B. „ klassenbewußter, der Partei der Arbeiterklasse treu ergebener Genosse". (S. 123) Dem letzten Chef Aufklärung, Generalleutnant Alfred Krause, widmet der Verfasser zwei Seiten, davon ganze drei Zeilen über seine achtjährige Tätigkeit in der Verwaltung Aufklärung. Auch hier hätten sicherlich Generalleutnant Krauses Verdienste um die weitere Entwicklung der Truppen- und Funkaufklärung sowie die verbesserte Auswertungs- und Informationstätigkeit besondere Erwähnung verdient. So erfährt man also im eigentlichen Hauptteil des Buches neben vielen Spekulationen und Fehldeutungen, zahlreiche, teilweise belanglose, Details aus den Biographien der sechs Leiter der Verwaltung, während die eigentliche über dreißigjährige Geschichte der Verwaltung Aufklärung in der Hauptsache auf drei Negativ-Ereignisse reduziert wird. Im Kapitel 10 werden die Objekte der Verwaltung Aufklärung vorgestellt. Neben den verschiedenen Dienstsitzen der Verwaltung in Berlin werden auch andere Objekte aufgeführt, so die als „Militärwissenschaftliches Institut" getarnte Ausbildungsstätte für Offiziere der Verwaltung in Klietz, im internen Sprachgebrauch auch als „Waldschule" bezeichnet. Obwohl der Autor den Neubau des letzten Dienstsitzes der Verwaltung Aufklärung in der Berliner Oberspreestraße beschreibt, wird der ab 1986 auf demselben Gelände errichtete Hochbunker mit keinen Wort erwähnt. Die innerhalb eines Stabsgebäudes getarnt eingebauten vier Bunkerstockwerke waren als Führungsbunker für den Chef der Verwaltung Aufklärung vorgesehen. Dieses Bauwerk war im Herbst 1990 noch nicht völlig fertiggestellt und rief bei den übernehmenden Bundeswehr-Offizieren Erstaunen hervor, da diese über die Existenz dieses Bauwerkes nicht informiert waren. Sowohl die über zehn operativen Außenstellen in den Bezirken der DDR als auch das Funkzentrum bei Angermünde werden vom Autor mangels Kenntnis ebenfalls nicht erwähnt. Bei dem genannten Objekt in der Wesendahler Straße in Strausberg handelte es sich keinesfalls um ein „Erholungsheim", hier wurden Treffen mit Kadern aus dem Operationsgebiet durchgeführt bzw. diese auf ihre Einsätze vorbereitet. Im folgenden Kapitel werden die Arbeitsweisen der Verwaltung Aufklärung dargestellt. Neben der Auswertung offener Quellen und der Funkaufklärung wurde ein Großteil der Aufklärungsangaben durch Quellen in der damaligen Bundesrepublik Deutschland gewonnen. Der scheinbar auch noch heute erstaunte Autor schildert recht ausführlich drei Fälle, „welche die lange Dauer der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und den unfaßbar großen Verratsumfang gemeinsam haben." (S. 229) Einen interessanten Abschnitt des Buches stellt das Unterkapitel 11.4 über den Militärattachédienst der NVA dar. Hier gelingt es dem Autor recht anschaulich, die Entwicklung dieses speziellen Zweiges der Auslandsaufklärung darzustellen. Während die Militärattachés in den ersten Jahre des Bestehens der NVA in den sozialistischen Ländern vorwiegend propagandistische und protokollarische Aufgaben zu erfüllen hatten, verän-derte sich seit den siebziger Jahren mit der zunehmenden diplomatischen Anerkennung der DDR der Aufgabenbereich der NVA-Militärattachés. In einigen NATO-Ländern (Belgien, Italien und Griechenland), aber auch in paktfreien Ländern (z. B. Schweiz, Schweden, Österreich, Jemen) sollten die NVA-Militärattachés zunehmend militärische Informationen sammeln. So habe z. B. der scheidende NVA-Militärattaché in Jemen 1989 seinem Nachfolger ein aus drei Kontaktpersonen bestehendes Kontaktnetz übergeben. (S. 281) Interessant ist die im Anhang 2 befindliche Aufstellung sämtlicher Offiziere des Militärattachéapparates, geordnet nach den über 40 Einsatzländern. Auch im Kapitel 12 folgt der Autor seiner gängigen Arbeitsweise, anhand von aufgefundenen Dokumenten dazugehörige Kapitel zu schreiben. In diesem Fall handelt es sich um einen Auskunftsbericht, der von der HA I des MfS (auch als Verwaltung 2000 bekannt) verfaßt wurde und auf knapp 40 Seiten den Zustand der Verwaltung Aufklärung „unter besonderer Berücksichtigung der Führungs- und Leitungstätigkeit des Chef Aufklärung, Genossen Generalleutnant Krause" im Jahr 1988 darstellt (S. 291-300). Statt der mehr oder weniger ungekennzeichneten Zitierung dieses Berichtes, hätte der Autor diesen Bericht besser als Anhang in die Arbeit aufnehmen sollen, zumal hier viele Sachverhalte erwähnt werden, die bei einem logischen Aufbau der Arbeit in die vorangegangenen Kapitel gehört hätten. Im Kapitel 13 wird die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten bzw. sozialistischen Armeen dargestellt. Leider reduziert sich die Darstellung der Zusammenarbeit mit dem sowjetischen militärischen Aufklärungsdienst, der GRU, auf zwei Gespräche im März 1988, offensichtlich war dem Autor zu diesem Thema nur ein Dokument zugänglich. Kein Wort z. B. über die ca. einjährige Ausbildung von Offizieren der Verwaltung Aufklärung in Moskau. Bemerkenswert ist, neben der Darstellung des Zusammenwirkens mit dem MfS, die Kontrolle und Überwachung der Verwaltung Aufklärung durch die zuständige Unterabteilung der HA I des MfS. Auf insgesamt fünf Seiten wird hier in aller Kürze der im Titel des Buches vorgegebene Hauptinhalt abgehandelt! So seien 1989 40 Offiziere des MfS für die Verwaltung Aufklärung zuständig gewesen. Zur Absicherung der Arbeit habe das MfS in den verschiedenen Arbeitsbereichen der Verwaltung auch eine Vielzahl von IM unter den Offizieren geworben. Selbst seinerzeit im Bereich Aufklärung aktive Offiziere waren darüber erstaunt, daß zum Beispiel in der 1. Verwaltung (Aufklärung der BRD) und 2. Verwaltung (Aufklärung der NATO) ein „Absicherungsverhältnis" von 1:2 bestanden habe, was bedeutete, daß jeder dritte Offizier auch als IM für das MfS tätig gewesen sei. (S. 317) Kein Wort verliert der Autor über die dem Chef der Verwaltung direkt unterstehende Struktureinheit, die in der Verwaltung für die Erhöhung der internen Sicherheit sämtlicher Vorgänge zuständig war. Im Kapitel 14 beschreibt der Autor den „Untergang" des militärischen Aufklärungsdienstes der NVA im Jahre 1990. Laut Befehl 1206/90 des MfNV wurde die „illegale Arbeit der militärischen Aufklärung" zum 30. März 1990 eingestellt. (S. 328) Der nunmehr als „Informationszentrum der NVA" bezeichnete militärische Aufklärungsdienst wurde am 03. Oktober 1990 von der Bundeswehr übernommen und vollständig aufgelöst. Auch hier verliert der Autor kein Wort über die zahlreichen Vorstellungen bzw. Vorschläge, die in den Jahren 1989/1990 erarbeitet wurden, um der Verwaltung Aufklärung unter den veränderten Zeitbedingungen ein neues Profil zu geben. In der abschließenden Zusammenfassung muß der Autor trotz der Überbetonung von negativen Ereignissen auf den vorhergehenden 300 Seiten in der Geschichte der Verwaltung Aufklärung eine „äußerst erfolgreiche" und „hoch effektive" Arbeit attestieren. Wenn der Autor von „zeitlich sehr aufwendigen Studien" spricht, auf deren Grundlage „kein Geheimdienst der Neuzeit nun besser erforscht ist als der Militärische Nachrichtendienst der Nationalen Volksarmee ..." (S. 340), so kann dieses unangebrachte Selbstlob bei dem aufmerksamen bzw. sachkundigen Leser höchstens ein müdes Lächeln hervorrufen. Soweit zu einer inhaltlichen Bewertung der vorliegenden Arbeit. Leider hat der Autor einige durchaus wichtige Aspekte der Tätigkeit der Verwaltung Aufklärung völlig vernachlässigt bzw. weggelassen. Kein Wort wird über das Hilfsnetz in der DDR geschrieben. So waren 1988 fast 200 verpflichtete DDR-Bürger sozusagen ehrenamtlich als Instrukteure, Kuriere bzw. Aufklärer im Operationsgebiet tätig. Ebenfalls unerwähnt bleibt das konspirative Verbindungsnetz in der DDR mit weit über 1000 beteiligten Inoffiziellen Mitarbeitern. (8) Nur in Andeutungen werden die verschiedenen Methoden der Verwaltung zur Ermittlung, Werbung und Führung von Quellen im Operationsgebiet dargestellt. Die strafrechtliche Verfolgung von Mitarbeitern des militärischen Aufklärungsdienstes der NVA nach 1990 wird nur in einigen Nebensätzen erwähnt. Keine Zeile wird über die straf- bzw. völkerrechtliche Zulässigkeit dieser Verfolgung verloren. Neben der inhaltlichen Kritik sind aber auch einige, für eine Dissertation erschreckend viele, handwerkliche Mängel anzumerken, die auch dem herausgebenden, eigentlich renommierten Wissenschaftsverlag kein gutes Zeugnis ausstellen. Namen von Generalen der NVA werden falsch geschrieben : „Vinzenz Müller" (korrekt Vincenz) oder „Generalleutnant Tabbert", gemeint ist Heinz Tappert, der langjährige Chef der Verwaltung Finanzen der NVA, „Heintsch, Heinrich" gemeint ist Generalleutnant Heitsch. Obwohl der Autor jahrelang NVA-Akten studiert hat, läßt er leider jegliche Vertrautheit mit NVA-typischen Regularien und Einzelheiten vermissen. Ärgerlich sind auch die auftretenden Wiederholungen längerer Textstellen. So wiederholt sich zum Beispiel die Passage zur versuchten und dann durch das MfS angeblich verhinderten Rückversetzung des Generalmajor Siewert von der Schule Klietz zur Berliner Zentrale fast wörtlich und mit identischen Zitaten (S. 296 u. 318). Oft wird der Leser aber auch mit Allgemeinplätzen simpelster Art konfrontiert, wie zum Beispiel mit der erstaunlichen Erkenntnis: „Die Zusammenarbeit der Nationalen Volksarmee mit der Gruppe Sowjetischer Truppen in Deutschland erfolgte unter Führung und Kontrolle des Ministeriums für Nationale Verteidigung." (S. 323) Bezüglich der korrekten Zitierweise von Quellen muß man dem Autor den vom ihm selbst im Kapitel 5 vorgebrachten Vorwurf machen: „gibt er seine Quellen leider nicht nachprüfbar an, denn mit einer GVS-Nr. (Geheime Verschlußsache) allein ist sie in Archiven nicht auffindbar." (S. 36) So findet man im Verzeichnis der unveröffentlichten Quellen insgesamt sechs Dokumente, die nur mit ihrer VS-Nr. gekennzeichnet sind und somit, wie der Autor schon selbst richtig feststellte, in Archiven nicht aufgefunden werden können. Auch andere Quellenverweise scheinen nicht immer mit der gebotenen Sorgfalt erstellt worden zu sein, so finden sich merkwürdige BA/MA-Signaturen (S. 216), und die im Fall Dombrowski zitierte Signatur des Protokolls einer Politbürositzung ist nicht korrekt. (S. 91) Nachdenklich stimmen die zahlreichen Rechtschreibungs-, Trennungs-, Interpunktionsund Grammatikfehler, aber auch Formatierungsfehler (unterschiedliche Schriftgrößen), die die Vermutung nahelegen, daß die vorliegende Arbeit nicht oder nur sehr unvollkommen Korrektur gelesen wurde. Noch peinlicher berührt ist der Leser, wenn er kritische Bemerkungen des Verfassers zu Schreibfehlern in NVA- bzw. MfS-Dokumenten zur Kenntnis nehmen muß, aber in derselben Arbeit dann Wortbildungen wie „Aufgabenbeshreibung", „Operastionsgebiet", „Miloitärarchivwesen" und „Hautverwaltung" vorfindet. Im Namensregister (S. 415 - 425) präsentiert der Autor sechs (!) verschiedene Schreibweisen des Dienstgrades Generalmajor. Neben der korrekten Schreibweise entdeckt der verwunderte Leser noch den „Genberalmajor", den „Gneralmajor", den „Genneralmajor", den „Genrealmajor" und den „Genralmajor". Aber auch andere Dienstgrade, wie der „Fragattenkapitän" und der „Gneralleutnant" bleiben nicht verschont. Ebenso in diesem Zusammenhang fallen Vornamen-Schöpfungen wie „Haermut", „Siegrfried", „Klasu" und „Lotar" unangenehm auf. Höchsten noch befremdlich auf den Ortskundigen wirken Ortsnamen wie „Schöndeweide", „Wendeschloß", „Kochstädt" und „Schmönkwitz". Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Einschätzung des Autors zu einem Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung vom 23. August 1958 (S. 92) : „Der letzte Satz dieses Verdiktes macht aufgrund seiner grammatischen und stilistischen Ungereimtheiten den Eindruck, mit schneller Feder geschrieben zu sein." Diese Einschätzung kann im Hinblick auf die Qualität der vorliegenden Arbeit bedenkenlos übernommen werden. Auch in dieser Hinsicht erscheint der Verkaufspreis des Buches mit über 60 Euro unangemessen. Es bleibt festzustellen, daß der Autor, nur gestützt auf eine Handvoll Dokumente, versucht hat, die fast vierzigjährige Geschichte des militärischen Aufklärungsdienstes der NVA „wissenschaftlich" darzustellen. Es wäre für Historiker, ehemalige Offiziere der Verwaltung Aufklärung und für am Thema Interessierte sicherlich besser gewesen, wenn diese durchaus interessanten Dokumente in einer Quellenedition und nach Möglichkeit unbelastet von diversen Fehldeutungen, Vermutungen und unsachlichen Schlußfolgerungen erschienen wären. So ist leider die Gelegenheit vergeben worden, eine sachlich-fundierte, umfassende und ausgewogene Geschichte des militärischen Aufklärungsdienstes der NVA vorzulegen. Es bleibt aber weiter die Hoffnung, daß vielleicht ein unvoreingenommener und sachlicher Historiker auf der Basis eines soliden Quellenstudiums und in Zusammenarbeit mit einigen ehemaligen Offizieren der Verwaltung Aufklärung noch eine solche Arbeit vorlegt. Oberleutnant. a. D. Jürgen Schlemm Anmerkungen • NVA - Anspruch und Wirklichkeit. Nach ausgewählten Dokumenten, hrsg. von Klaus Naumann, Berlin 1993, S. 225. • Hans-Rudolf Fuhrer: Die Schweiz und Österreich im Fadenkreuz des militärischen Nachrichtendienstes der DDR? In: Informationen zur Sicherheitspolitik Nr. 19, Wien 1999. • National Archives, RG 319, Boxes 1155-1156, file 950871 • NVA - Anspruch und Wirklichkeit, wie Anm. 1, S. 224. Vgl. auch Bundesarchiv/Militärarchiv, Bestand DVH 3/2370. • Vgl. u. a. Hauptverwaltung Ausbildung, Stabschef: Schwerpunkte zum Plan der Arbeit für den Monat März 1952 vom 21.2.1952. In: BA/MA, DVH 1/47, Bl. 48. • Vgl. Hauptverwaltung für Ausbildung: Änderungen im Stellenplan der HVA vom 1.1.1950 auf Grund funktioneller Umstellungen vom 9.8.1950. In: Ebenda, DVH 1/365, Bl. 22. • Vgl. Protokoll Nr. 2/56 des Kollegiums der Ministeriums für Nationale Verteidigung am 7.3.1956. In. Ebenda, DVW 1/2027, Bl. 30-55. • NVA - Anspruch und Wirklichkeit, wie Anm. 1, S. 229. Richter, Walter : Der militärische Nachrichtendienst der Nationalen Volksarmee der DDR und seine Kontrolle durch das Ministerium für Staatssicherheit. Die Geschichte eines deutschen Geheimdienstes, Frankfurt am Main 2002. Zugl. Dissertation Universität Bonn 2001, 425 Seiten.
© Copyright 2024 ExpyDoc