Pädagogische Haltungen sichtbar machen

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Der «Educational Profiler»
Pädagogische Haltungen
sichtbar machen
Ein neues Instrument ermöglicht es
Lehrpersonen, ihre pädagogischen
Überzeugungen zu erfassen. Für die
Schulentwicklung ist diese Messung
von individuellen Vorstellungen von
zentraler Bedeutung. | Guido McCombie
Ein Beispiel eines pädagogischen Profils in Form eines Spinnendiagramms mit 16 pädagogischen Facetten.
Entwickelt wurde das Instrument mit dem Namen «Educational Profiler» (E-Profiler) am Psychologischen Institut der Universität Zürich. Das zentrale Werkzeug des E-Profilers ist ein
Spinnendiagramm, mit dem sich die pädagogischen Grundhaltungen abbilden und vergleichen lassen. Das Spinnendiagramm setzt sich aus 8 pädagogischen Dimensionen mit je
zwei gegensätzlichen Facetten zusammen. Beispielsweise die
Dimension «Erziehungsstil» mit den Facetten «Fremd- und
Selbstbestimmung». Hinter jeder Facette wiederum stehen 4
pädagogische Aussagen, die eingeschätzt werden müssen
(«stimme zu» – «stimme nicht zu»). Diese Einschätzung bestimmt jeweils die Ausprägung auf einer Facette. Die Facetten
sind im Spinnendiagramm so angeordnet, dass jene, welche
ähnlich beurteilt werden, nahe beieinander sind und streng
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gegensätzliche Facetten einander gegenüberliegen. Die valide
Erfassung von pädagogischen Überzeugungen ist für die
Schulentwicklung von wichtiger Bedeutung, denn nur wenn
es gelingt, diese individuellen Vorstellungen zu messen, gelangt man zum Kern des pädagogischen Handelns. Dies ist
entscheidend, weil sich in der Pädagogik aufgrund der unzähligen möglichen Einflussvariablen kaum streng kausale
Wirkungsmechanismen feststellen lassen. So steht pädagogisch arbeitenden Personen meist wenig empirisch abgesichertes Wissen für die Legitimation des eigenen Handelns zur
Verfügung. Auf Fragen wie «Brauchen Kinder enge Grenzen
oder möglichst viel Freiraum?» oder «Braucht es mehr Leistungsorientierung oder mehr individuelle Förderung?» liefert
die Wissenschaft keine eindeutige Antworten, und Lehrpersonen müssen sich letztlich auf ihre Überzeugungen und Routinen abstützen. Die eigenen pädagogischen Überzeugungen
bestimmen deshalb zu einem grossen Teil das pädagogische
Handeln.
Überzeugungen sind Teil des episodischen Gedächtnisses
und basieren somit auf Erlebtem und persönlichen Erinnerungen. Sie sind deshalb stärker affektiv verankert und zudem evaluativer als Wissen. Die persönlichen Überzeugungen
bilden die eigene subjektive pädagogische Theorie, welche
aufgrund ihrer biographischen Entstehungsgeschichte oft impliziter Natur ist und einen stark eigentümlichen Charakter
aufweist. Dies erschwert eine kritische Reflexion und allfällige Modifikation. Für die pädagogische Professionalisierung
ist es aber enorm wichtig, dass persönliche, handlungsleitende
Überzeugungen sichtbar, beschreibbar und somit auch vergleichbar sind. Genau hier setzt der E-Profiler an. Dieses Instrument
macht Überzeugungen sichtbar und somit auch diskutierbar.
Neben der Erfassung der individuellen pädagogischen
Haltungen mit dem E-Profiler bestehen weitere Analysemöglichkeiten. So lassen sich die einzelnen Profile auf der Ebene
der Gruppe vergleichen, und ein Profil eines Teams oder einer
ganzen Schule kann erstellt werden (mehr Informationen unter www.educationalprofile.ch).
Der E-Profiler liefert eine empirische Diagnose der bestehenden pädagogischen Haltungen eines Schulhauses, eines
Teams oder auch einer ganzen Schulgemeinde. Erste Erfahrungen in Schulen zeigen, dass diese Diagnose die Basis für eine
Reflexion, Diskussion und Entwicklung der eigenen pädagogischen Haltung sein kann. Die Arbeit mit dem E-Profiler
kann weiter auch als ein wertvolles Instrument für die Definition einer gemeinsamen Schulkultur dienen.
Guido McCombie ist Doktorand am Psychologischen Institut der Universität
Zürich und Dozent für Erziehungswissenschaften an der PH des Kantons
St. Gallen. [email protected]