Maßnahmenblatt Wendehals (Jynx torquilla) Versionsdatum: 25.11.2015) Als Beitrag zur Erreichung von Ziel 1 der Hessischen Biodiversitätsstrategie „Die Verschlechterung der relevanten Natura 2000- Lebensräume und –arten wird gestoppt und eine Verbesserung des Erhaltungszustands erreicht“, und von Ziel 2 „Arten für die Hessen eine besondere Verantwortung hat, sind gesichert und können sich wieder ausbreiten“ sehen die Aktionspläne die Erarbeitung praxistauglicher Artenhilfskonzepte vor. Für den Wendehals wurde ein solches Artenhilfskonzept noch nicht erstellt, so dass das vorliegende Maßnahmenblatt, das auf Experteneinschätzungen beruht, vorläufigen Charakter hat. Situationsanalyse Der Wendehals Jynx torquilla gehört zu den nach BNatschG besonders und streng geschützten Vogelarten. In den Roten Listen der Brutvögel gilt sie in Hessen als "vom Aussterben bedroht" (Kategorie 1), bundesweit als "stark gefährdet" (Kat. 2). Aktuelle Bestandsschätzungen gehen von 200 bis 300 Paaren in Hessen aus, bei einer vergleichsweise hohen Dunkelziffer. Der Erhaltungszustand der Art in Hessen ist „ungünstig-schlecht“. Bundesweit wird der Bestand auf 8.000-15.000 Paare geschätzt, mit einem stark negativen Bestandstrend. Weltweit ist die Art aufgrund ihrer weiten Brutverbreitung in Europa und Asien und eines insgesamt großen Bestands trotz rückläufiger Tendenz derzeit noch nicht gefährdet. Vermutlich überwintern Vertreter der mitteleuropäischen Population in SW-Europa und Nordafrika und sind somit im Gegensatz zu den skandinavischen Vögeln keine Transsaharazieher. Als Anhangsart nach Art. 4(2) der EU Vogelschutz-Richtlinie (VS-RL) zählt die Art zu den gefährdeten Zugvogelarten. Auch nach der deutschen Roten Liste (RL) der Zugvögel gilt die Art als "gefährdet" (Kat. 3). Fütternder Wendehals an einem Nistkasten (Foto: Christoph Robiller) Wendehälse brüten in Baumhöhlen, bauen diese aber nicht selbst (anders als alle anderen heimischen Spechtarten), akzeptieren aber auch Nistkästen. Sie ernähren sich fast ausschließlich von Ameisen bzw. Ameisenbrut. Der Wendehals zeigt keine Präferenz für bestimmte Ameisenarten. Entscheidend ist vielmehr die Erreichbarkeit des vorhandenen Nahrungsangebots. Der Wendehals wurde bei seiner Wahl zum Vogel des Jahres 1988 als Charakterart von Streuobstwiesen beschrieben. Er ist jedoch nicht auf diese angewiesen, sondern besiedelt auch andere Lebensräume mit offenen Böden, zugänglichen Ameisennestern und Nisthöhlen. Geeignete Bruthabitate sind u.a.: • Streuobstwiesen und -weiden • (Hochstamm-)Obstplantagen • offene (Kiefern-) Wälder auf sandigen Böden • Heideflächen (sofern Höhlen vorhanden sind) • Kleingarten-/Schrebergartenanlagen mit Altbäumen • Weinberge • Auwaldränder (Landseite) • städtische Ruderalflächen Aufgrund dieses weiten Spektrums an potenziellen Lebensräumen kann der Wendehals nicht allein durch die Ausweisung von Vogelschutzgebieten geschützt werden. Gefährdet ist der Wendehals v.a. durch den Verlust von Flächen mit leicht erreichbarer Nahrung (Ameisen) - kurzrasig bewachsenen oder vegetationsfreien Bodenflächen mit stabilen Ameisenbeständen - aber auch durch Mangel an geeigneten Bruthöhlen. Habitatansprüche: Der Wendehals benötigt Baumhöhlen oder Nistkästen zur Brut und kurzrasigen, offenbodigen Untergrund zur Nahrungssuche. Hohe Ameisendichten findet er beispielsweise an unbefestigten Graswe- Sand-Kiefernwald mit Wendehalskasten (Foto: Christian Zurek) gen und insbesondere sog. Scherrasen, die für den Wendehals eine sehr gut erreichbare Nahrungsquelle darstellen. Derartige Randlinienstrukturen Maßnahmenvorschläge: sind typisch für besetzte Wendehalsreviere. Für Wälder: In Hessen besiedelt er überwiegend die folgenden Lebensräume: Maßnahmen im Wald sollten nur durch Forstpersonal • lichte Wälder (Kiefern, auch Eichen oder Robibzw. in Absprache mit den zuständigen Forstämtern nien) auf Sandböden durchgeführt werden. • Obstwiesen und -weiden • Erhaltung von Höhlenbäumen, insbesondere an Be• Kleingärten (Ortsränder) standsrändern • Wacholderheiden • bei Höhlenmangel in ansonsten geeigneten Waldstücken, Einsatz von Nistkästen Es sind aber auch Brutvorkommen in folgenden • Erhaltung von kurzrasigen und/oder teilweise vegeLebensräumen bekannt: tationsfreien Bodenflächen im Wald oder in angren• parkartige Anlagen zenden Flächen, durch: • Ruderalflächen, Bahnanlagen • Bekämpfung von invasiven Neophyten, wie der • Weinberge Spätblühenden Traubenkirsche • Bergbaufolgelandschaften • Bekämpfung von rasch wuchernden Stauden wie Brombeeren in lichten Waldbereichen • Entfernung von nicht standortgemäßen / nicht einheimischen Baumarten • Beweidung von Heide- und sonstigen Offenlandflächen, wobei besonders Pferde oder Esel dazu beitragen, offene Bodenstellen zu erzeugen • wo möglich, Einbeziehung von Waldrändern und kleineren Waldflächen in die Beweidung. Heide und Sand-Kiefernwald bei Viernheim - Wendehals-Lebensraum trotz intensiver Nutzung (Foto: Christian Zurek) Für Obstwiesen: Wendehälse besiedeln unterschiedliche Obstbaumbestände, von extensiven Streuobstwiesen bis zu intensivsten Obstplantagen und Gärten an Ortsrändern. Mit den folgenden Maßnahmen können die Lebensräume für Wendehälse erhalten oder verbessert werden: • Erhalt von Höhlenbäumen und Baumruinen • Nachpflanzung von Hochstämmen bei abgängigen Altbäumen • Ausbringen von Nisthilfen in höhlenarmen Baumbeständen. • Förderung eines reichen Nutzungsmosaiks mit eingestreuten kurzrasigen Flächen, z.B. Mulchflächen oder Scherrasen • Erhalt von unbefestigten, offenbodenreichen Wegen • Erhalt von artenreichen, mageren Grünlandbeständen, • Beweidung von jungen Streuobstbrachen • Förderung magerer Saumstrukturen an Böschungen und Wegrändern • keine (oder nur mechanische oder biologische) Bekämpfung von Ameisen. Beweidung in einem Wendehals-Brutgebiet, hier Viernheimer Heide (Foto: Christian Zurek] Für Siedlungsbereiche (Kleingärten usw.): • Erhaltung von Höhlenbäumen allgemein oder Anpflanzung von hochstämmigen Obstbäumen • Bei Mangel an natürlichen Bruthöhlen Aufhängen von geeigneten Nisthilfen • Erhalt von kurzrasigen oder offenen, v.a. sandigen Bodenflächen • Erhaltung von nicht befestigten Wegen mit Wegrändern • keine (oder nur mechanische oder biologische) Bekämpfung von Ameisen • Verzicht auf Schnittmaßnahmen an Hecken und Sträuchern während der Brutzeit • Zurückhaltung bei der Düngung von Rasenflächen. Sonstige Lebensräume: Grundsätzlich können auch andere Lebensräume für Wendehälse geeignet sein, wie Weinberge, störungsarme Abgrabungen oder Ruderalflächen. Bevor Maßnahmen ergriffen werden gilt hier, wie für Obstgrundstücke und Gärten, dass zuerst überprüft wird, ob geeignete Höhlen vorhanden sind, und ob ausreichend Langjähriges Wendehalsrevier in Streuobstwiese mit mosaik- Nahrungsflächen vorhanden sind oder eine Optimieartiger Grünlandpflege und unterschiedlich alten Obstbäumen rung (wie oben beschrieben) möglich und nötig ist. (Sersheim, Baden-Württemberg) (Foto: Sandra Neubauer) Künstliche Nisthöhlen: Künstliche Nisthilfen für Wendehälse bieten einen Ersatz, wenn in geeigneten Lebensräumen ein Mangel an Bruthöhlen besteht. Sie benötigen aber eine relativ aufwändige, langfristige Betreuung. Wo möglich ist es daher vorzuziehen, ein ausreichendes Angebot an natürlichen Bruthöhlen sicherzustellen. Bei der Neuanlage von Obstwiesen oder Forst-Kulturen können sie jedoch sinnvoll eingesetzt werden. Weitere Vogelarten, die von Maßnahmen für den Wendehals profitieren: Von allen Maßnahmen, die für Wälder, Obstwiesen, Gärten und Parks vorgeschlagen wurden, profitieren auch andere Vogel- und sonstige Tierarten. Dazu gehören u.a.: Der Steinkauz Athene noctua kann von der Erhaltung von Höhlenbäumen und von kurzrasigen Grasflächen profitieren. • Wendehälse sind konkurrenzstark und setzen sich an Nisthöhlen gegenüber anderen Arten durch. Es ist deswegen nicht notwendig, eine größere Zahl von Kästen anzubieten. • Nistkästen für Wendehälse sind im Fachhandel erhältlich, können aber auch in Handarbeit hergestellt werden. • Der Wendehals akzeptiert eine Vielzahl verschiedener Kastentypen und ist nicht auf ein spezielles Nistkastendesign angewiesen. • Es können sowohl Holzbeton- als auch Holzkästen verwendet werden. • Die Kästen sollten folgende Innenraummaße nicht unterschreiten: Höhe 25 cm x Breite 14 cm x Steinkauz (Foto: Nicolai Poeplau) Tiefe 14 cm, mit einer Einflugöffnung von ca. 36 Der Ziegenmelker Caprimulgus europaeus mm. konzentriert sich - wie der Wendehals - v.a. in • Nistkästen können je nach Situation in einer lichten Kiefernwäldern mit vegetationsfreien Höhe von 0,5 bis 8 m (ideal 1,8 bis 2,5 m) über Bodenflächen. dem Boden angebracht werden. • Sie sollten wettergeschützt angebracht werden. Der Grauspecht Picus canus profitiert von • In Lebensräumen mit wenig Deckung sollten die der Erhaltung von alten Bäumen in lichten WälKästen in Hecken oder größeren Einzelbäumen dern, Obstgärten und Siedlungen. angebracht werden, die den Jungvögeln nach dem Ausfliegen Deckung bieten. Der Gartenrotschwanz Phoenicurus phoe• Die Kästen sollten möglichst fest installiert wernicurus. bewohnt ebenfalls höhlenreiche den (z.B. an Bäumen), nicht frei hängend, weil insObstwiesen und Wälder. besondere Waschbären hängende Kästen umdrehen und plündern können. Bearbeiter: Christian Zurek, Nicolai Poeplau, Peter Petermann, mit wesentlichen Hinweisen von Tobias Lepp (Universität Hohenheim), Gerd Bauschmann (VSW)
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