Unterrichtsgespräche als Erwerbskontext: Kommunikative Gelegenheiten für bildungssprachliche Praktiken erkennen und nutzen Vivien Heller & Miriam Morek (TU Dortmund) Tagung «Erwerb und Förderung bildungssprachlicher Fähigkeiten in pädagogischen Einrichtungen», Basel, 19./20. Juni 2015 Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel Gliederung 1. Einleitung: Bildungssprachliche Fähigkeiten, Sozialisation und Schule 2. Gesprächsdidaktische Ansätze 3. Diskurskompetenz und ihr Erwerb 4. Daten & Vorgehen 5. Partizipations- und diskurserwerbsförderliches Lehrerhandeln: Verfahren aus dem Unterrichtsalltag 5.1 Diskursgelegenheiten schaffen und nutzen 5.2 Globale Zugzwänge explizieren 5.3 Interaktive Unterstützung bieten 5.4 Schülerseitige Diskurseinheiten als Modelle nutzen 6. Zusammenfassung & Ausblick Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 2 1. Einleitung Bildungssprachliche Praktiken (Morek & Heller 2012; Heller & Morek 2015) • sind (vorzugsweise in Bildungsinstitutionen) situierte, mündliche wie schriftliche sprachlich-kommunikative Verfahren der Wissenskonstruktion und -vermittlung Erklären Argumentieren • in erster Linie global strukturierte kommunikative Praktiken/Gattungen (Quasthoff 2009), • können epistemische Kraft entfalten (Halliday 1993; Chamot & O‘Malley 1994; Schleppegrell 2001; Vollmer & Thürmann 2010), • können bildungsaffine Identitäten indizieren (Benwell & Stokoe 2003; Bourdieu 2005; Snow & Uccelli 2009). Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 1. Einleitung Ethnographie & Gesprächsforschung zur Diskurssozialisation: • Bildungssprachlich relevante Diskurspraktiken nicht Teil des Gattungsrepertoires jeder Familie und Peergroup (Heath 1983; Isler 2014; Heller 2012; Lareau 2003; Morek 2012, 2014) • Varianz von Interaktions- und Partizipationsmustern in Familien (Heller 2012; Heller & Krah 2015; Kern & Quasthoff 2007; Morek 2012) deutliche Ungleichheit bzgl. der außerschulischen Interaktionserfahrungen und der Verfügbarkeit von Erwerbsgelegenheiten und -ressourcen (Deutsch)Unterricht muss allen Schülern entsprechende Erwerbsgelegenheiten bieten! Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 4 1. Einleitung ? (Wie) können Unterrichtsgespräche zu einem potenziellen Erwerbskontext für globale Diskursfähigkeiten gemacht werden? Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 5 2 Gesprächsdidaktische Ansätze Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 6 2. Gesprächsdidaktische Ansätze • Curriculare Verankerung der Förderung von Diskursfähigkeiten (z.B. Erklären, Argumentieren, Berichten – s. KMK-Bildungsstandards) • Mangel an diskursdidaktischen Konzeptionen – v.a. Fehlen erwerbstheortisch fundierter (und empirisch überprüfter) Vorschläge • Zwei grundlegende diskursdidaktische Zugänge: 1. Isoliertes Einüben bestimmter Diskurspraktiken (z.B. Grundler 2010; Grundler & Vogt 2013; Neumeister & Vogt 2009) 2. Integrierte Förderung im Rahmen des fachlichen Lernens in Unterrichtsgesprächen (Becker-Mrotzek 2009; Becker-Mrotzek & Quasthoff 1998; Heller & Morek demn.) zielgerichtete Nutzung und Optimierung von Unterrichtsgesprächen i.S. problemorientierten Lernens (z.B. Michaels et al. 2013) Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 7 3 Diskurskompetenz und Erwerb Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 8 Diskurskompetenz • Fähigkeit, „mit globalen sequenziellen Erwartungen in Gesprächen produktiv und rezeptiv kontextualisierend umgehen zu können“ (Quasthoff 2009: 88) • Drei zentrale Aufgaben bei der Hervorbringung von Diskurseinheiten in Gesprächen: mittels sprachlicher, prosodischer gestischer Mittel den Typ von Diskurseinheit und die Art der Verknüpfung erkennbar machen Markierung Eine sequenzielle Erwartung muss etabliert und vom Gegenüber erkannt werden. Kontextualisierung Vertextung Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel einen kohärenten globalen (narr., expl., arg.) Zusammenhang herstellen 9 Externe Ressourcen des Erwerbs von Diskurskompetenz Interaktionsmuster Fordern und Unterstützen Ressourcen für die Kontextualisierung von Zugzwängen (Hausendorf & Quasthoff 1996; Quasthoff 2011; Heller 2012; Heller & Krah 2015; Morek 2012) (1) Stellen von globalen Anforderungen: Erwachsene steuern Kinder durch das Setzen globaler Zugzwänge in die Rolle des Erzählers/Erklärers; wenn Kinder in arg. Kontexten Position beziehen, fordern Erwachsene Begründungen ein. (2) Lokalisieren globaler Zugzwänge: Werden globale Zugzwänge vom Kind noch nicht erkannt, etabliert der Erwachsene zunächst einen lokalen Zugzwang, mit dem das Kind lokal umgehen kann. (3) Explizieren globaler Zugzwänge: Erkennt das Kind einen globalen Zugzwang nicht, expliziert der Erwachsene die erwartbare globale Anschlussaktivität des Kindes. (4) Demonstrieren: In Reaktion auf ausbleibende Beiträge des Kindes übernimmt der Erwachsene die Diskursaufgabe aus der Zuhörerrolle heraus selbst. Damit bietet er dem Kind ein Modell für die Art, wie die Gesprächsaufgabe erledigt werden kann. Ressourcen für die Vertextung von Diskurseinheiten (Morek 2012, Heller & Krah 2015) (5) Nachfragen und Continuer, die das Kind in den Ausbau seiner Erzählung, Erklärung oder Begründung steuern; (6) das Etablieren von Einwänden und fiktiven Szenarien, die das Kind zum Ausbau seines Argumentes veranlassen. Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 10 Übertragbarkeit der Verfahren auf institutionelle Kommunikation? • Dyadisches Setting • Intuitiver Einsatz von „Fordern und Unterstützen“ • Zweck: Verständigungsorientierte Interaktion • Mehrpersonenkonstellation • Professioneller Einsatz • Zweck: Vermittlung von zukünftig Relevantem ‚unter Anleitung‘ (Hausendorf 2008) ‚Passen‘ die intuitiv und verständigungsorientiert eingesetzten interaktiven Verfahren auch in lehr-lernorientierte Unterrichtsinteraktionen? Ziel: Gelegenheiten und Verfahren zur Unterstützung des Ausbaus diskursiver bildungssprachlicher Praktiken identifizieren, die Unterricht als Unterricht bietet Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 11 4 Daten & Vorgehen Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 12 4. Daten und Vorgehen • Gesprächsanalytische Untersuchung von Unterrichtskommunikation im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte an der TU Dortmund • Morek 2012 (Erklären in der Grundschule) (s. DFG-Projekt „Diskursstile als sprachliche Sozialisation, Leitung: U. Quasthoff) • Heller 2012 (Argumentieren in der Grundschule) • DisKo (Diskursive Praktiken von Kindern in außerschulischen und schulischen Kontexten) DFG, Leitung: U. Quasthoff • InterPass (Interaktive Verfahren der Etablierung von Passungen und Divergenzen für sprachliche und fachkulturelle Praktiken im Deutsch- und Mathematikunterricht) BMBF, Leitung: U. Quasthoff, S. Prediger Insgesamt rund 200 videographierte Unterrichtsstunden in der Primar- und Sekundarstufe (Deutsch-, Sach-, Mathematikunterricht, 21 Lehrpersonen, 15 Klassen) Konversationsanalytisch orientierte Sequenzanalysen globaler Gattungen in erwerbstheoretischer Perspektive Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 13 5 Partizipations- und diskurserwerbsförderliches Lehrerhandeln: Verfahren aus dem Unterrichtsalltag Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 14 5.1 Diskursgelegenheiten für Erklären und Argumentieren schaffen und nutzen Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 15 5.1 Diskursgelegenheiten schaffen und nutzen (hier: Argumentieren) Beispiel (1): Handelt es sich um ein Gedicht (Gy1-U1), Le: Lehrerin, So: Sophia 001 002 Le: 003 010 011 012 013 014 015 016 017 018 019 020 021 022 023 024 025 026 027 028 029 So: Le: wir WERfen einen blick in das geDICHT? (---) ((weist auf Erol)) Erol hat gesagt es HANdelt sich hier um ein gedicht; Metakommunikative Bezugnahme auf SuSworan erKENN ich denn das; Beitrag: Behandlung als Positionsbekundung ((...)) Begründungspflicht soPHIa; ähm (--) die:: (.) IMmer (.) wenn eine zeile zu ENde ist, ist da: (.) steht da n WORT,= =und in der NÄCHSten zeile wenn (.) DA:: die zeile zuende ist, REIMT sich das wort dann (wieder) darauf. (---) ist das so RICHtig was äh (-) soPHIa geSAGT hat? Einladung zur kritischen (5.0) Infragestellung und also soPHIa hat gerade geSAGT, Meinungsbekundung (1.4) am ende steht ja immer n WORT? das ist auch im normalen SATZ so;_ne? !A!ber- (-) wenn dann die NÄCHSte (.) zeile da kommt,= =dann REIMT sich das immer. Forcierung des Zugzwangs zur Infragestellung (5.1) und das is' seid typisch IHR, einer Position ihr nehmt das erstmal so <<lässt Kopf nickend fallen> HIN.> jetzt wär_s aber mal SCHÖN, ((mehrere SuS melden sich, darunter Martina)) wenn (.) da jemand mal äh genau in den TEXT GUCKT, und mal (.) überLEGT is das so RICHtig was sophia sagt; Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 5.1 Diskursgelegenheiten schaffen und nutzen (hier: Argumentieren) Beispiel (1): Handelt es sich um ein Gedicht (Gy1-U1), Le: Lehrerin, Ma: Martina, Cl: Cleo 030 031 032 033 034 035 036 037 038 039 040 041 042 043 044 045 046 047 048 049 050 051 Le: Ma: Le: Ma: Le: Ma: Le: Cl: (2.2) marTIna; also das ist ein !BISS!chen richtig;_weilzum BEIspiel (-) im (1.2) im LETZten abschnitt in de:::r VORletzten zeile, da reimt sich KALT (.) und BALD; ((blickt ins Gedicht, nickt)) da' also es kann manchmal SEIN,= =aber es ist nicht (.) IST nicht der REgelfall;= =wenn das IST, Argumentative Diskurseinheit: dann IS_es so,= Positionsbekundung + =hm_[HM,] [ab ]er wenn NICHT,= komplexe Begründung =dann is=es AUCH n gedicht. oKAY; ((es melden sich noch immer einige SuS)) (2.2) es gibt hier (-) verschiedene inDIzien,= Behandlung als Position + =die darauf HINweisen, dass DAS ein ge!DICHT! ist. Aufrechterhalten des (1.5) argumentativen Diskurses CLEo; also (.) ähm bei einem gedicht muss sich auch nicht alles REImen; Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 5.1 Diskursgelegenheiten schaffen und nutzen: Verpasste Gelegenheiten Beispiel (2): Schließlich (Gy2-U1), Fr: Franziska, Le: Lehrerin, Ti: Timo 003 004 005 006 007 Fr: Le: ÄHM- (.) ich wollt jetz SAgen (.) zu SCHLIESSlich? (-) ich glaube das ist nich äh:: is keine beGRÜNdung, sondern ne zeitliche ABfolge (auch). ((legt Finger an die betreffende Stelle am SmartBoard)) ((wendet sich an die Klasse)) SCHLIESSlich; Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 5.1 Diskursgelegenheiten schaffen und nutzen: Verpasste Gelegenheiten Beispiel (2): Schließlich (Gy2-U1), Fr: Franziska, Le: Lehrerin, Ti: Timo 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016 017 Fr: Le: Ti: Le: Ti: Le: ?: Le: 018 019 020 Fr: Le: ÄHM- (.) ich wollt jetz SAgen (.) zu SCHLIESSlich? (-) ich glaube das ist nich äh:: is keine beGRÜNdung, sondern ne zeitliche ABfolge (auch). ((legt Finger an die betreffende Stelle am SmartBoard)) ((wendet sich an die Klasse)) SCHLIESSlich; ((meldet sich)) TImo was meinst DU; Zugzwang zur Meinungsbekundung lokale Antwort: Position ähm ich glaub (.) das is ne FOLgerung. <<nickend> hm_hm,> Ratifizierung + Verfügen des ((zieht Wort in Spalte 'Folgerung')) geNAU. Argumentationsergebnisses DAS gehört zu FOLgerung. (--) ÄHM- (2.2) SCHLIESSlich lässt sich auch noch abschließend DAS und das SAgen; Erklärende (!) Diskurseinheit von L.: ja? Wissensvermittlung an Franziska ja. ÄHM- es wird HÄUfig franziska ja:::: manchmal wird_s auch bei der beschreibung von zeitlichen abläufen geNUTZT; (1.3) du MEINST sowas wie (-) zum !SCHLUSS! meinst du eigentlich SO[was;] [ja ] das is son bisschen ÄHNlich;=ne? Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 5.1 Diskursgelegenheiten schaffen und nutzen Beispiel 1 zeigt partizipations- und diskurserwerbsförderliches L-Handeln: • Die Lehrperson überantwortet den SuS die für Argumentieren zentralen interaktiven Aufgaben (Heller 2012) des… • „Problematisierens“ • und „Begründen“. durch Einladung zur kritischen Infragestellung / Meinungskundgabe durch metakommunikative Behandlung als potenziell strittige „Positionen“ durch Etablieren von Begründungspflicht Schüler/innen: Lehrpersonen: Setzen von • produzieren Diskurseinheiten Zugzwängen • mit kommunikativer Zweckrichtung • und genrespezifischer Vertextung und Markierung. Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 20 5.2 Globale Zugzwänge explizieren Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 21 5.2 Globale Zugzwänge zum Erklären explizieren Beispiel (3) Dämmern (02-1-DU-03, kai: Kain, leh: Lehrerin, til: Tilbe) 001 002 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016 kai ((meldet sich)) Solistisches vs. orchestriertes leh gibt es noch eine weitere Erklären FRAge;= (Morek 2012) =KAIN; Schüler/innen als „small piece supplier“ oder „principal kai was ist DÄMmern, (Quasthoff et al. demn.) leh (-) contributors“ was ist DÄMmern; (.) Explikation i.F. einer Vorladung wer kann (.) erklÄren [was DÄMmern ist;](-) til [((meldet sich)) ] leh TILbe, til (-) also ähm das ist (.) dass die sonne halt (.) entweder noch nicht ganz |UNter |gegangen ist,= |((führt Handfläche abwärts))| =oder ganz (.) |HOCH | gegangen [ist; ] |((führt Handfläche nach oben))| leh [geNAU;] til DANN ist die (.) entwe-= =äh (.) also (-) daZWIschen; (.) Explanative Diskurseinheit: dass die grad HOCHgeht;= Wortbedeutungserklärung =oder grad RUNtergeht; leh [|JA, (-) | ] |((wendet Blick von til zu kai))| Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 22 5.2 Globale Zugzwänge zum Argumentieren explizieren Beispiel (4) Drei Lösungen (02-5-MU-2; leh: Lehrer) 011 012 013 leh sus leh welche LÖ:sung (1.4) erscheint (--) [uns !SINN!voll; (1.5)] [((melden sich)) ] ↑MIT begründung; (3.2) Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 23 Globale Zugzwänge explizieren • Die diskursive Erwartung, die mit einer Frage etabliert wird, wird expliziert: – durch eine „Vorladung“: „wer kann (.) erklÄren was DÄMmern ist;“ – durch eine metadiskursive Aufforderung: „MIT begründung;“ • Diese Explikationen verdeutlichen den Beteiligten, dass die Zuständigkeit für eine Erklärung bzw. Begründung an eine/n Schüler/in übergeben wird. • SuS können die Diskurseinheit von vornherein global anlegen und strukturieren: Tilbe etwa erklärt die Bedeutung des Begriffes, indem sie u.a. einen Kontrast („entweder – oder“) zwischen zwei Bedeutungsvarianten einführt, die sie zudem gestisch veranschaulicht. Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 24 5.3 Interaktive Unterstützung in dyadischen LehrerSchüler-Sequenzen Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 25 5.3 Interaktive Unterstützung in dyadischen L-S-Sequenzen Beispiel (5): Geschäftsbrief (01-1-DU-09), leh: Lehrerin, kev: Kevin, nah: Nahema 010 011 012 → → 018 019 020 021 022 023 024 → → → → 025 026 027 028 029 030 031 032 033 leh was (.) wer das unterscheidet jetzt den geschäftlichen brief (-) von den perSÖNlichen; (.) ZZ zum Erklären mit Vorladung kann das nochmal SAgen; (.) müsste mir jetzt JEder sagen können; (2.5) ((...)) nah dass war um BÜcher- (-) also BÜcher zu kaufen; leh (-) JA; (.) der handelte davon bücher zu KAUfen, (.) Wiedereinsetzung des Zugzwangs JA, (-) das heißt kannst du den unterschied jetzt beNENnen, (--) zwischen einen normalen persönlichen brief und dem bücherKAUFbrief- (-) angebotsBRIEF; nah ja: (-) ein BRIEF ist (-) zum; (.) also ein brief (.) erklärt was (-) PASsiert ist, (.) also was ( ) Explanative zum beispiel (.) was ich gestern erLEBT hab, leh [HM_hm; ] Dikurseinheit nah [dann erzählt] man von GEStern, (.) und (.) ein geschäftlicher brief ist (.) geht um KAUfen; leh (-) hm:: (.) Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 5.3 Interaktive Unterstützung in dyadischen L-S-Sequenzen • Bisherige Unterrichtsforschung zeigt: Lehrerseitige Nachfragen und andere Zuhöreraktivitäten bleiben bei SuS-Diskurseinheiten oft aus (Morek 2012). Der einzelne SuS erhält somit keine Rückmeldungen zur Vertextung seines Beitrags (z.B. Nachvollziehbarkeit, Vollständigkeit, Präzision). • Es können jedoch durchaus lehrerseitige, dialogische Unterstützungsaktivitäten eingesetzt werden, die an den/die betreffende/n Schüler/in re-adressiert werden und sich auf die Vertextung von Diskurseinheiten beziehen: • Fortsetzungsfragen bzw. Aufrechterhaltung von globalen Zugzwängen (Beispiel 5) • vertextungsbezogene lokale Nachfragen (z.B. nach Beispielen, nach Explizierung). Der einzelne SuS erhält somit Rückmeldungen zur Vertextung seines Beitrags (z.B. Nachvollziehbarkeit, Vollständigkeit , Präzision). Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 27 5.4 Schülerseitige Diskurseinheiten als Modelle nutzen Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 28 5.4 Schülerseitige Diskurseinheiten als Modelle nutzen Beispiel (7) Drei Lösungen (02-5-MU-2; leh: Lehrer, ste: Stefanie, nea: Neala, gül: Gülcan, car: Carla) Übergang 5. Klasse Gymnasium Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 29 5.4 Schülerseitige Diskurseinheiten als Modelle nutzen 01 leh 02 ((...)) 04 05 06 07 08 09 10 (1.5) 11 12 sus 13 leh 14 15 ste 16 leh 17 ste ((...)) 22 leh 23 gül ((...)) 26 leh wir haben jetzt (-) DREI verschiedene lösungen an der tafel stehen; (2.5) die lösung (-) von (.) PIa, die auf ein ergebnis kommt von achtmillioneneinhundertzwanzig TONnen, (-) von MERve, (-) die auf ein ergebnis kommt von (-) achttausendeinhundertzwanzig KIlogramm, (-) und von neAla, die ungefähr (.) auf hunderteinundzwanzig TONnen kommt; (4.2) wenn wir jetzt einfach Erst einmal !NUR! auf die lösung gucken; Zsf. welche LÖ:sung (1.4) erscheint (--) [uns !SINN!voll; (1.5)] ZZ mit [((melden sich)) ] Explikation ↑MIT begründung; (3.2) STEfanie; (-) PIas; (--) MIT begründung; Behauptungen ohne (--) weil ich das geNAUso gerechnet hab wie sie; GÜLcan; (-) NEalas denn ich hab die gleiche; (math. gültige) Begründung CARla; Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 30 5.4 Schülerseitige Diskurseinheiten als Modelle nutzen 026 027 028 029 030 031 leh car leh car leh car 032 033 034 035 036 037 038 039 040 041 042 043 044 045 046 047 048 049 leh car leh sus leh sus leh CARla; weil ähm (-) der (-) BLAU:wal (.) der wiegt ja (2.2) äh:m TSCH; (-) also der wiegt ja MO:Rgens (-) hundertzwanzig tonnen; ((nickt)) und wenn der dann ähm (.) dann vier millionen KRILL also ähm noch arg. (.) v:ier noch (--) mal ACHT (-) gerechnet; (---) ähm und dann nochmal bei der krillzahl ähm (.) dann nochmal Diskursvier ähm millionen KRI:LL, (-) einheit und da kommt man ja nicht irgendwie AUF:: (-) kommt ja nicht das erGEBbnis raus; bei acht bei achtund achttausenhundertzwanzig TONnen und so; (---) also welche lösung meinst du AUSschließen zu können; (-) die von PIa auf jeden fall; ((zeigt auf Tafelrechnung)) Involvierung der soll ich carlas begründung nochmal wiederHOlen, Schülerschaft ja; also carla sagt (.) <<len> ich WEIß ein (.) krill (-) wiegt hundertzwan> =ACH ein krill; ein blauwal wiegt hundertzwanzig TONnen; (---) Reformulierung von Carlas Begründung <<len> MORgens; (2.2) jetzt (.) !ISST! er tagsüber; (1.5) i.R. einer „Performance“ Aber; (--) es kann doch nicht sein dass der dann am Abend auf einmal acht mil!LIO!nen tonnen wiegt.> Erkennbarmachen des globalstrukturellen Aufbaus OH; also muss doch hier was FALSCH sein; (--) so (-) !ER!ste ergebnis ausgeschlossen;= Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 31 5.4 Schülerseitige Diskurseinheiten als Modelle nutzen 050 051 052 053 054 055 056 057 058 059 060 061 062 063 064 065 leh ste leh Expl. des Modellcharakters =wir gehen jetzt geNAUso argumentierend durch; die anderen haben gesagt (-) <<monoton> ich hab das SO gerechnet;= =deswegen mein_ich isses RICHtig-> (.) ihr merkt das ist keine gute beGRÜNdung; (2.0) NE, denn die begründung HIER ((zeigt auf Tafelrechnung)) war<<monoton> ich hab das so gerechnet also STIMMT das-> die begründung HIER ((zeigt auf andere Tafelrechnung)) war<<monoton> ich hab das so gerechnet also STIMMT das;> das FUNKtioniert nicht wie wir merken; dieser (.) WAL; ist !VIEL! zu schwer;= =das !KANN! nicht stimmen die rechnung; (-) STEfanie; und der da unten der wiegt zu WEnig; der würde durch_s fressen auf einmal WEniger wiegen; Modell und metadiskursive Reflexion Begründungsansätze werden kontrastierend gegenüber gestellt und qualifiziert. Die (Dys-)Funktionalität der Begründungsansätze wird zum Gegenstand der Reflexion gemacht, wobei die SuS in der Rolle von kritisch Bewertenden etabliert werden. • Aus Schülersicht ist es der Beitrag eines Peers, der Modellcharakter erhält. Die sprachliche Formatierung des Modells ist darauf zugeschnitten, zwischen nicht normentsprechenden schülerseitigen Praktiken und bildungssprachlichen Erwartungen an unterrichtliches Argumentieren zu vermitteln. • • Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 32 6 Zusammenfassung & Ausblick Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 33 6. Zusammenfassung und Ausblick • Diskursförderung muss nicht isoliert erfolgen, sondern kann integriert werden in fachliche Unterrichtsgespräche. • Erklären und Argumentieren stellen zentrale (bildungssprachliche) Praktiken der gemeinsamen Wissenskonstruktion und -aushandlung dar. Ihre zentrale Stellung für Unterricht kann genutzt werden, um Schüler kommunikativ zweckgerichtete Diskurseinheiten beitragen zu lassen. • Schülerseitige Erklärungen und Argumente/Begründungen müssen deutlich eingefordert und unterstützt werden: • Explizieren von genre-eindeutigen globalen Zugzwängen • Dialogisches Absichern des funktional angemessenen Bedienen von Zugzwängen durch einzelne SuS dialogisch unterstützen • Nutzung mitschülerseitiger Diskursbeiträge zur diskursiven Weiterarbeit und/oder als Modelle (oftmals via Metakommunikation) Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 34 6. Zusammenfassung und Ausblick • „Fordern und Unterstützen“ kann auch im Rahmen von Unterricht vollzogen werden. • SuS werden herausgefordert, in ihrer Zone der nächstfolgenden Entwicklung zu agieren (Wygotskij 1978). • Im Fokus stehen die Dimensionen der Kontextualisierung und Vertextung und nicht primär die Markierung. Desiderata / Offene Fragen: • Empirische Überprüfung (longitudinal!) der vorgestellten lehrerseitigen Verfahren hinsichtlich ihrer Erwerbsförderlichkeit • Zusammenhänge zwischen diskursivem Handeln/Lernen und fachlichem Lernen • Umgang mit Heterogenität im Klassenzimmer Heller & Morek | 19.06.2015 | Basel 35 Literatur Auer, P. (1986). Kontextualisierung. Studium Linguistik 19, S. 22–47. Baumann, R. & Briggs, C.L. (1990). Poetics and performance as critical perspectives on language and social life. Annual Review of Anthropology 19, 59–88. Becker-Mrotzek, M. (2009). Unterrichtskommunikation als Mittel der Kompetenzentwicklung. In M. 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