GEORG PFEIFFER, 49, Kaufmann in der fünften Generation, hatte große Pläne, doch er scheiterte bei seinem „Marsch auf Wien“. Ziel verfehlt. 6 FORMAT 49.2015 TOPSTORY Handel Die Insolvenz der Lebensmittelhandelskette Zielpunkt mit knapp 3.000 Arbeitnehmern und vielen betroffenen Zulieferern macht Georg Pfeiffer zum neuen Buhmann der Nation. Wie die oberösterreichische Familiengruppe in das Debakel schlittern musste. Von Miriam Koch und Michael Schmid E FOTOS: RENÉ PROHASKA/TREND, APA/FOHRINGER s begann 1862 mit einem Georg Pfeiffer, und, so meinen einige Beobachter, es könnte nun – fünf Generationen später – mit einem Georg Pfeiffer enden: Im Handel mit Waren aller Art ist die oberösterreichische Familie ein wichtiger Player am österreichischen Markt geworden. 6.700 Menschen fanden im Vorjahr Beschäftigung, und es wurde ein Umsatz von 1,3 Milliarden Euro erzielt. Jetzt wird durch die Insolvenz der Lebensmittelkette Zielpunkt das Pfeiffer’sche Handelsreich in seinen Grundfesten erschüttert. Das Ziel, dass Pfeiffer mit der blau-orangen Kette auch Ostösterreich erobert, wurde klar verfehlt. Und Georg Pfeiffer ist der Buhmann der Nation. Gewerkschafter, Sozialminister und Bundeskanzler üben mehr oder weniger offen Kritik am 49-Jährigen. „Die Wahl zum schlechtesten Manager des Jahres gewinnt heuer ein Oberösterreicher: Georg Pfeiffer, der in völliger Selbstüberschätzung die Lebensmittelkette Zielpunkt in die Pleite fuhr“, so ein Kommentar in „Österreich“. Dass ohne Pfeiffer Zielpunkt höchstwahrscheinlich schon längst vom Markt verschwunden wäre, wird dabei vergessen. Und auch, dass das Debakel in der Pfeiffer-Zentrale in Traun bei Linz deutliche Spuren hinterlassen wird. ZIELPUNKT Folgenschwere Großinsolvenz Zielpunkt war der zweitgrößte Lebensmittelhändler in Wien. Zuletzt hatte die Kette in Ostösterreich 229 Filialen und setzte 438 Millionen Euro um. Gemessen an der Zahl der betroffenen Mitarbeiter ist es (nach der Alpine und Schlecker/Dayli) die drittgrößte Insolvenz der vergangenen fünf Jahre. Auch für Zulieferer ist es ein schwerer Schlag – der Fleischverarbeiter Schirnhofer musste ebenfalls Insolvenz anmelden. Gewerkschaft prüft Klage. Die Aufregung ist derzeit groß. Kritisiert werden vor allem zwei Dinge: dass die Oberösterreicher – so knapp vor Weihnachten – völlig überraschend die Reißleine zogen und damit 2.700 Zielpunkt-Mitarbeiter, die ohnehin keine Großverdiener sind, vor die Tür gesetzt werden. Und dass Pfeiffer kurz vorher noch den Kauf eines Immobilienpakets bei der Wettbewerbsbehörde anmeldete. 38 Millionen Euro sollen für die 70 Immobilien, die von Zielpunkt angemietet waren, bezahlt 2.708 ZielpunktMitarbeiter sind direkt von der Insolvenz betroffen. worden sein. Die Gewerkschaft überlegt, hier eine Klage anzustrengen, um zu prüfen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Doch ein kaltherziger Kapitalist und ein grantiger Geizhals wie Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens’ Erzählung „Eine Weihnachtsgeschichte“ – in dieses Eck wird er derzeit gerückt – will Georg Pfeiffer keinesfalls sein. Obwohl er sonst lieber im Hintergrund blieb und als bedächtiger Analytiker gilt, versuchte er sich und das Geschehen auch im Fernsehen in der Sendung „Im Zentrum“ zu erklären. Überzeugend gelang das nicht. Was blieb, war ein trauriges Gesicht von einem, der mehr wollte. Und dem dabei – bis zum Schluss – auch Fortuna nicht hold war. Viele hacken nun auf ihn ein. „Öffentlich an den Pranger gestellt zu werden, weil wir als Einzige an die Zukunft von Zielpunkt geglaubt und alles Menschenmögliche zur Rettung beigetragen haben, hinterlässt einen fahlen Geschmack“, sagt Pfeiffer. Dass ihm rechtlich wenig Spielraum gelassen wurde, bestätigt auch Rechtsanwältin Ulla Reisch, die zuständig für die Einbringung des Zielpunkt-Insolvenzantrags war: „Fakt ist, dass es der Pfeiffer Handelsgruppe rein rechtlich gar nicht mehr möglich war, weiteres Geld zu investieren. Das war keine Frage der Bereitschaft.“ Umbauten hinter den Kulissen. Hinter den Kulissen ging es in der Pfeiffer-Gruppe schon in den Wochen vor Bekanntgabe der Zielpunkt-Insolvenz turbulent zu. Bei Zielpunkt kamen zwei neue Manager in die Geschäftsführung, auch der Aufsichtsrat wurde ausgetauscht. Georg Pfeiffer wurde Alleineigentümer der Pfeiffer Handelsgruppe. Seine Mutter Maria, die treuhändisch 6,5 Prozent hielt, hat ihm diese Anteile > Punkt. FORMAT 49.2015 7 TOPSTORY Handel VORZEIGE-GROSSHÄNDLER. Bei C+C Pfeiffer kaufen vor allem Gastronomen, diese Sparte wurde Anfang November verkauft. 8 PFEIFFER Viele Erfolge und viele Tiefs 1862 Georg Pfeiffer übernimmt in Urfahr in der heutigen Ottensheimerstraße 10 ein Geschäft und erkennt bald Chancen im Großhandel. österreichische Familie Pfeiffer. Mal war die Kette ein echter Diskonter, dann setzte sie wieder auf Feinkost. Mal wurde ein Teil in „Plus“ umbenannt und dann wieder zurück in „Zielpunkt“. Positioniert wurde Zielpunkt als „Soft Diskonter“. „Aber das ist kein erfolgreiches Konzept, sondern wie halb schwanger“, meint der Unternehmensberater und ehemalige MerkurVorstandschef Peter Györffy. Unklare Positionierung und zu geringe Investitionen sieht auch Contrast-Geschäftsführer Martin Unger als größte strategische Fehler (siehe Kasten rechts). 1895 Die zweite Generation dehnt das Liefergebiet Richtung Böhmen aus, Börsencrash und Weltwirtschaftskrise fressen das Vermögen wieder auf. 1935 Fritz Pfeiffer, der eigentlich lieber Landwirt geworden wäre, übernimmt. 1961 Hilmar Pfeiffer steigt ins Unternehmen ein, errichtet einen Abholmarkt für Kaufleute und den ersten PlusKaufpark, Expansion nach Salzburg. Übersiedlung des Lagers nach Traun. 1977 Als Hilmar Pfeiffer und wenig später sein Vater Fritz sterben, übernimmt Maria Pfeiffer die Führung. 1991 steigt Georg Pfeiffer in das Unternehmen ein. Pfeiffers Plan. Auch ohne den Klotz Zielpunkt am Bein sind die Zukunftsaussichten für die Pfeiffer-Gruppe nicht besonders rosig: Die Belieferung der „Nah&Frisch“-Kaufleute ist aufgrund der schrumpfenden Zahl dieser selbstständigen Händler ein rückläufiges Geschäft. Und von Unimarkt alleine werden auch keine großen Sprünge erwartet, selbst wenn die Kette ein Vorreiter im Online-Lebensmittelhandel ist. Im Moment ist der Plan, mit der neuen Einzelhandelsdivision das Onlinegeschäft auszubauen und mit regionalen, biologischen und Convenience-Sortimenten den Eigenfilialen, den Franchise-Standorten und auch den selbstständigen Kaufleuten einen neuen Schub zu geben. Die Zukunft sehe man im „regionalen Einzelhandel“ und dem Online-Business, heißt es vonseiten Pfeiffers. Experten halten durchaus für möglich, dass mittelfristig auch Unimarkt von Pfeiffer abgegeben wird. Damit würden Georg Pfeiffer, der vor knapp 20 Jahren von „News“ noch zu den „50 reichsten Erben des Landes“ gezählt wurde, der Cadillac-Oldtimer und Rock ’n’ Roll liebt, in erster Linie die Immobilien bleiben. Das ist – FAMILIENBILD AUS DEM JAHR 1988. Maria Pfeiffer (r. unten), ihre Schwiegermutter Helene Pfeiffer und ihre drei Kinder Georg, Karin und Birgit. FORMAT 49.2015 FOTOS: CHRISTIAN HEMMELMEIR (2), INGE PRADER > übergeben. Anfang November wurde das jahrzehntelange Pfeiffer-„Herzstück“, der C+CBereich (Großhandel), an die Schweizer Transgourmet verkauft. Umstrukturierungen wurden angekündigt. Geplant ist nun die Gründung einer neuen Einzelhandelsdivision. Sie soll mit 1. März 2016, dem Beginn des neuen Geschäftsjahres, starten und eine Vierer-Geschäftsführung haben. Mit dem Geld aus dem C+C-Verkauf (wirksam wird die Übernahme mit 1. Jänner 2016) wollte Pfeiffer ein Immobilienportfolio von einem früheren Zielpunkt-Eigentümer übernehmen. Die Verhandlungen für den Immo-Kauf liefen seit dem Frühjahr 2015. Pfeiffer sagt, er wollte so günstigere Mietverträge für Zielpunkt ermöglichen. Die Gewerkschaft glaubt eher an einen Masterplan: Bestandsfrei würden sich diese Immobilien deutlich besser vermieten lassen und Pfeiffer wäre Pleite-Profiteur. Derzeit sieht es allerdings ganz und gar nicht danach aus, dass Pfeiffer profitiert. Denn für manche Standorte werden sich nur schwer neue Mieter finden. Dazu kommt: 50 Millionen Euro hat Pfeiffer seit 2012 in Zielpunkt gesteckt. Und rund eine Viertelmilliarde Euro an Gehältern bei Zielpunkt ausbezahlt. Die Pfeiffer-Gruppe wird durch die Insolvenz ebenfalls geschädigt und schrumpft massiv: Ohne C+C und Zielpunkt wird die Gruppe etwa 2.200 Mitarbeiter haben. Statt 6.700 im Jahr 2014. „Wir bekamen die Chance, mit Zielpunkt einen national nennenswerten Marktanteil zu erwerben. Die wollten wir nicht vorbeigehen lassen“, erklärte Georg Pfeiffer Anfang 2013, als der Deal ganz frisch war, gegenüber dem „trend“. Der Kaufpreis soll eher symbolischer Natur gewesen sein, denn Zielpunkt stand schon damals an der Kippe. Eigentümer und Strategie der 1967 gegründeten Kette wechselten oft. 2010 verkaufte sie der deutsche Tengelmann-Konzern an einen Fonds, dann kam ein Management-Buy-out und eben Ende 2012 die ober- ZIELPUNKT-STRATEGIE Das schrumpfende Pfeiffer-Reich Gefangen in einer Zwickmühle Steuerung Warum Zielpunkt und Eigentümer Pfeiffer an der unklaren Positionierung der Handelskette und am harten Wettbewerb gescheitert sind. Gastro-Großhändler A zum Teil Franchise Großhandel für selbstständige Kaufleute Zentraleinkauf Immobilien ON Verwaltungs GmbH Immobilien C-One Real Estate Logistik Eigenmarken EMO Servicebereiche IT, Werbung & Druck E-Commerce PFEIFFER will künftig mit einer neuen Einzelhandelsdivision das Onlinegeschäft ausbauen. gemessen an dem, was einmal war, gemessen an den Zielen und Erwartungen, die in Traun verfolgt und gehegt wurden – fast nichts. Doch schon in der Vergangenheit hatte die Pfeiffer-Gruppe viele Schicksalsschläge erlitten – und war oft daran gewachsen. Sei es Ende der 70er-Jahre, als der Vater des jetzigen Haupteigentümers Georg mit nur 35 Jahren überraschend an Krebs starb und Maria Pfeiffer als alleinerziehende Mutter von drei kleinen Kindern die Führung übernehmen musste. Sei es in den 80er-Jahren, als die FeiningerFeinkostläden nach rascher Expansion um einen Euro an Meinl verkauft werden mussten. Oder Mitte der 90er-Jahre, als die Übernahme von 25 Konsum-Märkten teurer kam als gedacht. In der Firmenchronik heißt es: Man habe „zwei große Fehler gemacht, das eine war Feininger und das Zweite waren die KonsumFilialen. Das sind zwei Beispiele, wie man es nicht machen soll und wie wir es sicher nicht mehr machen werden“, wird Georg Pfeiffer zitiert. Nun passierte mit Zielpunkt Fehlschlag Nummer drei. ❙ FORMAT 49.2015 us der Sicht des Handelsexperten Martin Unger, Geschäftsführer des führenden österreichischen Strategieberaters Contrast Management Consulting, war die Aufgabe des Eigentümers Pfeiffer, Zielpunkt zu sanieren und neu aufzustellen, fast unlösbar. „Es war jedenfalls eine gewaltige Herausforderung, zumal der Lebensmittelhandel in Österreich höchst wettbewerbsintensiv und stark konzentriert ist“, sagt der Berater. Einerseits war die Ausgangsposition für einen Anbieter mit einem Marktanteil von bundesweit rund drei Prozent in einem Markt, in dem die top drei der Branche über 80 Prozent halten, extrem schwierig. „Zielpunkt hatte da auch mit dem Großhändler Pfeiffer im Hintergrund einkaufsseitig Größennachteile“, vermutet Unger. Andererseits hatte die Handelskette schon unter ihren vorherigen Eigentümern nie eine klare strategische Positionierung gefunden – weder als Supermarkt noch als Diskonter und trotz des geografischen Schwerpunkts im Osten des Landes auch nicht als regionaler Spezialist. „Als kleiner Anbieter muss man in einer Nische besser sein als etablierte Mitbewerber“, erklärt Unger. Zielpunkt habe diese Nische aber nie gefunden, anders als etwa M-Preis, der sich in Westösterreich als regionale Alternative zu den Riesen Rewe (Merkur, Billa, Penny), Spar und Hofer positioniert hat. Erschwerend hinzu kam in dieser Hinsicht, dass sich der Investitionsstau aufgrund der langjährigen Verluste zuletzt schon mehr als deutlich im Erscheinungsbild vieler Filialen niederschlug. „In Österreich wird der Wettbewerb im Einzelhandel nicht nur auf der Kostenseite geführt“, analysiert Unger, „sondern auch über die Gestaltung des Point of Sale, die Qualität der Sortimentsgestaltung, die Geschäftsausstattung. Das Qualitätsniveau ist daher in Österreich höher als etwa in Deutschland.“ Gerade der im Osten Österreichs stärkste Marktteilnehmer, die Rewe-Gruppe, hatte Zielpunkt in eine strategische Zwickmühle gebracht: auf der einen Seite mit der jungen Diskonter-Schiene Penny, die sich nicht nur preisaggressiver und moderner positionieren konnte. Andererseits hatte man Billa auch bereits vor einigen Jahren ein deutliches Upgrade in Richtung Qualität, Frische und Einkaufserlebnis verpasst. Diesen Spagat konnte Zielpunkt ohne Spielraum für Investitionen in den Filialen nicht schaffen, obwohl Eigentümer Pfeiffer in den letzten Monaten große Anstrengungen in der Sortimentspolitik unternommen hatte und auch bei Aktionsangeboten im Markenartikelbereich dem Wettbewerb preislich bis zuletzt durchaus Paroli bot. „Die Margen im Lebensmittelhandel liegen selbst im guten Fall nur bei eineinhalb Prozent. Da können schon kleine Fehler entscheidend sein und Geschäftsmodelle zum Kippen bringen“, meint Contrast-Experte Unger. Und umso mehr gilt das im Fall von strategischen Fehlausrichtungen und unklaren Positionierungen. „Supermarkt oder Diskonter – Zielpunkt hat keine klare Positionierung gefunden.“ Martin Unger Strategieberater 9
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