Erschienen im Kolt.

KOLT
September 2014
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Text von Ramona Thommen
Fotos von Flavia Schaub
Zwei Meister
und ihr
Meisterstück
Schang Hutter und Kuno Schaub verbindet eine tiefe Freundschaft.
Der eine ist einer der ganz grossen Schweizer Gegenwartskünstler,
der andere baut Geigen, die Profimusiker auf der ganzen Welt spielen.
Vor zweieinhalb Jahren haben die beiden begonnen, an einem Instrument
zu bauen, das nach seinesgleichen sucht.
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Duett –
Adagio
in A-Dur
Schang Hutter: «Nichts ist unbezahlbar.
Mit Geld kann man alles kaufen…»
Kuno Schaub: «…aber er würde ganz sicher
viel Geld kosten.»
Schang Hutter: «Das interessiert mich nicht.
Ich will nur hören, wie er klingt.»
W
as es genau ist, kann man nicht
sagen: ein Kunstwerk, ein Instrument, beides. Ein Gemeinschaftswerk von Schang Hutter,
80, und Kuno Schaub, 59. Ersterer ist gelernter
Steinbildhauer, Künstler, zweiterer gelernter
Geigenbauer und wohl auch irgendwie Künstler.
Hutter – sein Name wird im gleichen Atemzug
wie Jean Tinguely, Bernhard Luginbühl und Niki
de Saint Phalle genannt. Schaub, einer von rund
400 Geigenbauern in der Schweiz, der sich ein
kleines Imperium aufgebaut hat und dessen Instrumente namhafte Künstler weltweit spielen.
Vor zweieinhalb Jahren beschlossen die beiden, gemeinsam etwas zu schaffen. Seit Jahren
verbindet sie eine Freundschaft, angefangen
1986, damals, als beide vom Kanton Solothurn
mit einem Preis ausgezeichnet wurden: Hutter erhielt den Kunstpreis, Schaub denjenigen
für Geigenbau. Man verlor sich aus den Augen,
bis sich die Wege in Solothurn wieder kreuzten.
Kuno Schaub, der Geigenbauer, fragte Schang
Hutter, den Künstler, ob man zusammenarbeiten
wollte. Ja, das würde ihm gefallen, meinte dieser.
Nicht viele Instrumente kamen als Teil des Projekts infrage: Geige – zu fertig entwickelt, als dass
man da noch ein massives Kunstwerk von Hutter
draufmontieren könnte, auch Cello oder Gitarre
boten nicht den Spielraum oder die Fläche. Ein
Baryton sollte es sein: ein Streichinstrument aus
dem 18. Jahrhundert, von Grösse und Form vergleichbar mit einem Cello, allerdings anders im
Klang, zumal neben den Spielsaiten noch sogenannte Resonanzsaiten liegen, die mit der linken Hand gezupft werden. Wolfgang Amadeus
Mozart nannte es einst «eines der anmutigsten
Instrumente», auf den Höfen und Schlössern der
damaligen Zeit war es weit verbreitet. Der Komponist Joseph Haydn schrieb über 120 Trio-Stü-
cke für Baryton, Bratsche und Cello. Aus dieser
Zeit stammt auch die Idee von Schang Hutter und
Kuno Schaub. Bereits damals gab es Elfenbeinschnitzer oder Perlmuttgraveure, die eigens für
die Veredelung des Barytons zuständig waren.
Während Kuno Schaub das Holz auswählte und
mit dem Zuschneiden, Formen und Schnitzen
begann, fertigte Hutter Skizzen an. Immer wieder traf man sich, tauschte sich aus, aneinander
geriet man nie zur Verwunderung beider.
Kuno Schaub: «Eigentlich haben wir gar nicht so
viel geredet. Wir haben einfach besprochen, welche Materialien wir benutzen sollen. Zuerst wollten wir die Stimmwirbel oben aus Holz machen.
Und dann meinte er: ‹Nein, nein, die machen wir
richtig, die lassen wir aus Silber giessen.›
Ich war natürlich begeistert. Das ist so der Hammer! So super!»
Schang Hutter: «Ja, das wurde schön.»
Kuno Schaub: «Durch die Figur und diese mastig, also oben ziemlich schwer. Aber das Gewicht
ist von Vorteil, dadurch klingt das Instrument
besser. Schang hat immer wieder gefragt und
geschaut. Gäll, irgendetwas fasziniert dich an
meinem Beruf?»
Schang Hutter: «Die Art des Schaffens imponiert
mir, das dünkt mich irrsinnig! Wäre ich nicht
Bildhauer geworden, wäre Geigenbauer auch
etwas für mich gewesen. Aber auf diese Idee bin
ich erst später gekommen.»
Nach zweieinhalb Jahren fuhr Kuno Schaub zu
Schang Hutter ins Atelier, damit beide auf den
Innenseiten von Boden und Decke des Barytons
unterschreiben konnten. Zwei Tage später leimte
Schaub das Instrument zusammen. Er war es
auch, der den Baryton anspielte und zum ersten
Mal hörte. Damals in seinem Atelier in Bellwald,
er zog die Saiten auf, polierte ein letztes Mal das
Holz und strich über die Saiten. Wenn er davon
erzählt, glänzen Tränen in seinen Augen.
Kuno Schaub: «Das ist wie wenn du ein Kind
erstmals atmen hörst. Das ist unheimlich ergreifend. Ich weiss nicht, ob dir das gleich geht mit
du das auch so?»
Schang Hutter: «Nicht ganz. Ich habe wahnsinnig daran arbeiten müssen, mich von ihnen zu
lösen. Es gab eine Figur, in die ich mich verliebt
habe. Als ich kein Geld mehr hatte, habe ich sie
verkauft. Dann habe ich die Käuferin gefragt, ob
ich die Figur noch einmal haben dürfte, um sie in
Bronze zu giessen. Ich holte sie zurück in mein
Atelier und liess sie dort für anderthalb Jahre stehen. Jedes Mal, wenn ich in die Giesserei gefahren bin, dachte ich, jetzt muss ich sie mitnehmen.
Ich tat es nie. Und gab ihr die Figur zurück. Heute
berührt mich eine fertige Figur nicht mehr, ich
denke dann bereits an die neue.»
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«Zuerst
wollten wir die
Stimmwirbel aus
Holz machen.
Und dann meinte
er: ‹Nein, nein,
die machen wir
richtig, die lassen
wir aus Silber
giessen›.»
Kuno Schaub
Solo –
Andante
in E-Moll
Fragt man Schang Hutter nach seiner
Inspirationsquelle für seine Plastiken,
muss er unweigerlich lachen. «Wissen
Sie, es ist ja so, dass ich immer das Gleiche mache», erklärt er und schweigt mit
diesem verschmitzen Gesichtsausdruck,
als hätte er die ganzen Jahre über die
ganze Kunstszene – all seine Bewunderer, Käufer, Sammler, Kuratoren – überlistet. «Ich mache immer die Köpfe von
Beate.»
Beate – die Glückliche, die Seelige, die
Gesegnete. Während seiner ersten Ehe
mit einer deutschen Malerin porträtierte
Schang Hutter deren Freundin, Beate:
«Sie hat mich interessiert… Ich war auch ein bisschen in sie verliebt – eine furchtbare Sache.» Die
Ehe mit der Malerin scheiterte, Hutter zog von
München zurück in die Schweiz, wo er das Porträt seiner Beate ausstellte.
«Dann passierte diese lustige Sache: Es kam eine
Frau auf mich zu, die mich fragte, warum dieser Kopf Beate hiess. Ihr Name sei nämlich auch
Beate. Als ich mit ihr geredet und sie angeschaut
habe, fand ich heraus, wie ähnlich sie der deutschen Beate war. Und seither mache ich immer
Köpfe von der Münchner Beate und der Solothurner Beate, eigentlich sind immer beide drin.»
Womöglich sind es aber allgemein die Menschen
und ihre Beziehungen, all die Irrungen und Wirrungen und die Vergänglichkeit, die ihn an- und
umtreiben, die seine Gedanken oftmals einnehmen. Seine Werke laufen nicht umsonst unter
dem Titel «Der Verletzlichkeit Raum geben»
zusammen. Bilder und Szenen, wie er sie nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland erlebt hat, prägen all die Figuren und Plastiken «Damals war das ganz schlimm. Alle, die ich
kennengelernt habe, haben jemanden – einen
Vater, einen Bruder – im Krieg verloren», erinnert er sich. «Die wurden alle viel zu früh aus
ihren Leben gerissen und konnten gar nichts
mehr vollbringen.» In dieser Zeit konnte Hutter
noch nicht von seiner Kunst leben, musste sich
sein Geld anders verdienen und so schaufelte er
auf Friedhöfen Gräber. Einmal öffnete er ausversehen eine Tür, diejenige zum Leichenhaus. «Ich
habe gedacht, all diese Menschen sehen ganz
unterschiedlich aus, wenn sie sterben: Bei den
einen hast du gesehen, wie wütend sie auf den
Tod waren. Und die anderen hatten ganz liebliche, fast engelsgleiche Gesichter.» Seither schaut
Schang Hutter alle Toten an, auch verstorbene
Freunde.
Nach der Ehe mit der deutschen Malerin heiratete Schang Hutter eine Schweizerin. Während
seine erste Frau sein Schaffen kaum unterstützte,
nahm ihm die zweite Ehefrau vieles dafür ab,
stellte ihm den Freiraum, den er benötigte, zur
Verfügung, indem sie sich um seine Kinder aus
seiner erster Ehe kümmerte.
«Durch mein Verhalten und mein Arbeiten habe
ich meine Kinder vergessen. Ich habe mich
selbstständig entwickelt, die Kinder vernachlässigt und das nicht bemerkt. Jetzt merke ich
es, weil sie es mir vorwerfen. Wenn ich meinen
einen Sohn nun sehe, wie er mit seinem Sohn
umgeht, dann denke ich: ‹Das hätte ich auch
gewollt, das hatte ich nie!› Diese liebevolle Kümmerung – das hat sich bei mir nie so entwickelt.»
Mittlerweile ist eine dritte Frau an seiner Seite,
«und sie ist die Beste von allen».
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«Wissen Sie,
es ist ja so, dass
ich immer das
Gleiche mache.
Ich mache
immer die Köpfe
von Beate.»
Schang Hutter
Finale –
Presto
in D-Dur
Hutters Leben für die Kunst wird derzeit im
Tramdepot Burgernziel Bern gezeigt. An der
Vernissage und für geschlossene Gesellschaften
wird der Baryton gespielt, sonst ist er in einer
Vitrine ausgestellt.
«Ich sage das jetzt mal, ohne mich zu bewerten.
Ich entdecke manchmal, dass ich irgendwie eine
gewisse Bedeutung für Leute habe. Ich habe das
nicht so gern. Ich merke natürlich, dass sich die
Leute für mich anstrengen. Die sind viel netter
zu mir, als ich zu ihnen. Ich bin sehr hart, wenn
es um die Ausstellung geht. Es gibt gäng Probleme, immer muss ich irgendetwas wüst sagen,
das ich dann wieder einrenken muss.»
Kuno Schaub:
für diese Qualität kämpfst. Ich habe Freude an
dir, wirst du manchmal ‹verruckt›. Du bist nie
ein Böser, Schang.»
Die Jubiläumsausstellung ist eröffnet, Schang
Hutters Kopf ist bereits beim nächsten Grossprojekt: dem zweiten Baryton. Hutter und Schaub,
der Steinbildhauer und der Geigenbauer, haben
bereits begonnen zu bauen. Statt Hände werden dieses Mal Ohren die Wirbel sein, die Figur
wird statt nach hinten nach vorne schauen. Alles
Dinge, die Zeit brauchen, geplant werden müssen – viel wichtiger als «irgendeine Ausstellung».
Damit hat Hutter auch mit 80 noch einmal etwas
Neues dazugelernt: Die Ablösung vom Baryton,
sagt er und lacht. Das sei etwas Neues.
Die Jubiläumsausstellung
80 Jahre Schang Hutter
dauert vom 10. August bis
zum 10. November 2014:
Tramdepot Burgernziel
Thunstrasse 106
3006 Bern
«Ich merke natürlich,
dass sich die Leute für
mich anstrengen. Die
sind viel netter zu mir,
als ich zu ihnen. Ich bin
sehr hart, wenn es um
die Ausstellung geht.»
Schang Hutter
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Ein Baryton war das
einzige Instrument, das
Fläche und Spielraum
bot, um darauf ein
massives Kunstwerk von
Hutter zu montieren.
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