KOLT September 2014 16 Text von Ramona Thommen Fotos von Flavia Schaub Zwei Meister und ihr Meisterstück Schang Hutter und Kuno Schaub verbindet eine tiefe Freundschaft. Der eine ist einer der ganz grossen Schweizer Gegenwartskünstler, der andere baut Geigen, die Profimusiker auf der ganzen Welt spielen. Vor zweieinhalb Jahren haben die beiden begonnen, an einem Instrument zu bauen, das nach seinesgleichen sucht. KOLT September 2014 17 KOLT September 2014 18 Duett – Adagio in A-Dur Schang Hutter: «Nichts ist unbezahlbar. Mit Geld kann man alles kaufen…» Kuno Schaub: «…aber er würde ganz sicher viel Geld kosten.» Schang Hutter: «Das interessiert mich nicht. Ich will nur hören, wie er klingt.» W as es genau ist, kann man nicht sagen: ein Kunstwerk, ein Instrument, beides. Ein Gemeinschaftswerk von Schang Hutter, 80, und Kuno Schaub, 59. Ersterer ist gelernter Steinbildhauer, Künstler, zweiterer gelernter Geigenbauer und wohl auch irgendwie Künstler. Hutter – sein Name wird im gleichen Atemzug wie Jean Tinguely, Bernhard Luginbühl und Niki de Saint Phalle genannt. Schaub, einer von rund 400 Geigenbauern in der Schweiz, der sich ein kleines Imperium aufgebaut hat und dessen Instrumente namhafte Künstler weltweit spielen. Vor zweieinhalb Jahren beschlossen die beiden, gemeinsam etwas zu schaffen. Seit Jahren verbindet sie eine Freundschaft, angefangen 1986, damals, als beide vom Kanton Solothurn mit einem Preis ausgezeichnet wurden: Hutter erhielt den Kunstpreis, Schaub denjenigen für Geigenbau. Man verlor sich aus den Augen, bis sich die Wege in Solothurn wieder kreuzten. Kuno Schaub, der Geigenbauer, fragte Schang Hutter, den Künstler, ob man zusammenarbeiten wollte. Ja, das würde ihm gefallen, meinte dieser. Nicht viele Instrumente kamen als Teil des Projekts infrage: Geige – zu fertig entwickelt, als dass man da noch ein massives Kunstwerk von Hutter draufmontieren könnte, auch Cello oder Gitarre boten nicht den Spielraum oder die Fläche. Ein Baryton sollte es sein: ein Streichinstrument aus dem 18. Jahrhundert, von Grösse und Form vergleichbar mit einem Cello, allerdings anders im Klang, zumal neben den Spielsaiten noch sogenannte Resonanzsaiten liegen, die mit der linken Hand gezupft werden. Wolfgang Amadeus Mozart nannte es einst «eines der anmutigsten Instrumente», auf den Höfen und Schlössern der damaligen Zeit war es weit verbreitet. Der Komponist Joseph Haydn schrieb über 120 Trio-Stü- cke für Baryton, Bratsche und Cello. Aus dieser Zeit stammt auch die Idee von Schang Hutter und Kuno Schaub. Bereits damals gab es Elfenbeinschnitzer oder Perlmuttgraveure, die eigens für die Veredelung des Barytons zuständig waren. Während Kuno Schaub das Holz auswählte und mit dem Zuschneiden, Formen und Schnitzen begann, fertigte Hutter Skizzen an. Immer wieder traf man sich, tauschte sich aus, aneinander geriet man nie zur Verwunderung beider. Kuno Schaub: «Eigentlich haben wir gar nicht so viel geredet. Wir haben einfach besprochen, welche Materialien wir benutzen sollen. Zuerst wollten wir die Stimmwirbel oben aus Holz machen. Und dann meinte er: ‹Nein, nein, die machen wir richtig, die lassen wir aus Silber giessen.› Ich war natürlich begeistert. Das ist so der Hammer! So super!» Schang Hutter: «Ja, das wurde schön.» Kuno Schaub: «Durch die Figur und diese mastig, also oben ziemlich schwer. Aber das Gewicht ist von Vorteil, dadurch klingt das Instrument besser. Schang hat immer wieder gefragt und geschaut. Gäll, irgendetwas fasziniert dich an meinem Beruf?» Schang Hutter: «Die Art des Schaffens imponiert mir, das dünkt mich irrsinnig! Wäre ich nicht Bildhauer geworden, wäre Geigenbauer auch etwas für mich gewesen. Aber auf diese Idee bin ich erst später gekommen.» Nach zweieinhalb Jahren fuhr Kuno Schaub zu Schang Hutter ins Atelier, damit beide auf den Innenseiten von Boden und Decke des Barytons unterschreiben konnten. Zwei Tage später leimte Schaub das Instrument zusammen. Er war es auch, der den Baryton anspielte und zum ersten Mal hörte. Damals in seinem Atelier in Bellwald, er zog die Saiten auf, polierte ein letztes Mal das Holz und strich über die Saiten. Wenn er davon erzählt, glänzen Tränen in seinen Augen. Kuno Schaub: «Das ist wie wenn du ein Kind erstmals atmen hörst. Das ist unheimlich ergreifend. Ich weiss nicht, ob dir das gleich geht mit du das auch so?» Schang Hutter: «Nicht ganz. Ich habe wahnsinnig daran arbeiten müssen, mich von ihnen zu lösen. Es gab eine Figur, in die ich mich verliebt habe. Als ich kein Geld mehr hatte, habe ich sie verkauft. Dann habe ich die Käuferin gefragt, ob ich die Figur noch einmal haben dürfte, um sie in Bronze zu giessen. Ich holte sie zurück in mein Atelier und liess sie dort für anderthalb Jahre stehen. Jedes Mal, wenn ich in die Giesserei gefahren bin, dachte ich, jetzt muss ich sie mitnehmen. Ich tat es nie. Und gab ihr die Figur zurück. Heute berührt mich eine fertige Figur nicht mehr, ich denke dann bereits an die neue.» KOLT September 2014 19 «Zuerst wollten wir die Stimmwirbel aus Holz machen. Und dann meinte er: ‹Nein, nein, die machen wir richtig, die lassen wir aus Silber giessen›.» Kuno Schaub Solo – Andante in E-Moll Fragt man Schang Hutter nach seiner Inspirationsquelle für seine Plastiken, muss er unweigerlich lachen. «Wissen Sie, es ist ja so, dass ich immer das Gleiche mache», erklärt er und schweigt mit diesem verschmitzen Gesichtsausdruck, als hätte er die ganzen Jahre über die ganze Kunstszene – all seine Bewunderer, Käufer, Sammler, Kuratoren – überlistet. «Ich mache immer die Köpfe von Beate.» Beate – die Glückliche, die Seelige, die Gesegnete. Während seiner ersten Ehe mit einer deutschen Malerin porträtierte Schang Hutter deren Freundin, Beate: «Sie hat mich interessiert… Ich war auch ein bisschen in sie verliebt – eine furchtbare Sache.» Die Ehe mit der Malerin scheiterte, Hutter zog von München zurück in die Schweiz, wo er das Porträt seiner Beate ausstellte. «Dann passierte diese lustige Sache: Es kam eine Frau auf mich zu, die mich fragte, warum dieser Kopf Beate hiess. Ihr Name sei nämlich auch Beate. Als ich mit ihr geredet und sie angeschaut habe, fand ich heraus, wie ähnlich sie der deutschen Beate war. Und seither mache ich immer Köpfe von der Münchner Beate und der Solothurner Beate, eigentlich sind immer beide drin.» Womöglich sind es aber allgemein die Menschen und ihre Beziehungen, all die Irrungen und Wirrungen und die Vergänglichkeit, die ihn an- und umtreiben, die seine Gedanken oftmals einnehmen. Seine Werke laufen nicht umsonst unter dem Titel «Der Verletzlichkeit Raum geben» zusammen. Bilder und Szenen, wie er sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland erlebt hat, prägen all die Figuren und Plastiken «Damals war das ganz schlimm. Alle, die ich kennengelernt habe, haben jemanden – einen Vater, einen Bruder – im Krieg verloren», erinnert er sich. «Die wurden alle viel zu früh aus ihren Leben gerissen und konnten gar nichts mehr vollbringen.» In dieser Zeit konnte Hutter noch nicht von seiner Kunst leben, musste sich sein Geld anders verdienen und so schaufelte er auf Friedhöfen Gräber. Einmal öffnete er ausversehen eine Tür, diejenige zum Leichenhaus. «Ich habe gedacht, all diese Menschen sehen ganz unterschiedlich aus, wenn sie sterben: Bei den einen hast du gesehen, wie wütend sie auf den Tod waren. Und die anderen hatten ganz liebliche, fast engelsgleiche Gesichter.» Seither schaut Schang Hutter alle Toten an, auch verstorbene Freunde. Nach der Ehe mit der deutschen Malerin heiratete Schang Hutter eine Schweizerin. Während seine erste Frau sein Schaffen kaum unterstützte, nahm ihm die zweite Ehefrau vieles dafür ab, stellte ihm den Freiraum, den er benötigte, zur Verfügung, indem sie sich um seine Kinder aus seiner erster Ehe kümmerte. «Durch mein Verhalten und mein Arbeiten habe ich meine Kinder vergessen. Ich habe mich selbstständig entwickelt, die Kinder vernachlässigt und das nicht bemerkt. Jetzt merke ich es, weil sie es mir vorwerfen. Wenn ich meinen einen Sohn nun sehe, wie er mit seinem Sohn umgeht, dann denke ich: ‹Das hätte ich auch gewollt, das hatte ich nie!› Diese liebevolle Kümmerung – das hat sich bei mir nie so entwickelt.» Mittlerweile ist eine dritte Frau an seiner Seite, «und sie ist die Beste von allen». KOLT September 2014 21 «Wissen Sie, es ist ja so, dass ich immer das Gleiche mache. Ich mache immer die Köpfe von Beate.» Schang Hutter Finale – Presto in D-Dur Hutters Leben für die Kunst wird derzeit im Tramdepot Burgernziel Bern gezeigt. An der Vernissage und für geschlossene Gesellschaften wird der Baryton gespielt, sonst ist er in einer Vitrine ausgestellt. «Ich sage das jetzt mal, ohne mich zu bewerten. Ich entdecke manchmal, dass ich irgendwie eine gewisse Bedeutung für Leute habe. Ich habe das nicht so gern. Ich merke natürlich, dass sich die Leute für mich anstrengen. Die sind viel netter zu mir, als ich zu ihnen. Ich bin sehr hart, wenn es um die Ausstellung geht. Es gibt gäng Probleme, immer muss ich irgendetwas wüst sagen, das ich dann wieder einrenken muss.» Kuno Schaub: für diese Qualität kämpfst. Ich habe Freude an dir, wirst du manchmal ‹verruckt›. Du bist nie ein Böser, Schang.» Die Jubiläumsausstellung ist eröffnet, Schang Hutters Kopf ist bereits beim nächsten Grossprojekt: dem zweiten Baryton. Hutter und Schaub, der Steinbildhauer und der Geigenbauer, haben bereits begonnen zu bauen. Statt Hände werden dieses Mal Ohren die Wirbel sein, die Figur wird statt nach hinten nach vorne schauen. Alles Dinge, die Zeit brauchen, geplant werden müssen – viel wichtiger als «irgendeine Ausstellung». Damit hat Hutter auch mit 80 noch einmal etwas Neues dazugelernt: Die Ablösung vom Baryton, sagt er und lacht. Das sei etwas Neues. Die Jubiläumsausstellung 80 Jahre Schang Hutter dauert vom 10. August bis zum 10. November 2014: Tramdepot Burgernziel Thunstrasse 106 3006 Bern «Ich merke natürlich, dass sich die Leute für mich anstrengen. Die sind viel netter zu mir, als ich zu ihnen. Ich bin sehr hart, wenn es um die Ausstellung geht.» Schang Hutter KOLT September 2014 22 Ein Baryton war das einzige Instrument, das Fläche und Spielraum bot, um darauf ein massives Kunstwerk von Hutter zu montieren. KOLT September 2014 23
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