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Stellungnahme zur hessischen Verwaltungsvorschrift vom 4. September 2015
zum jüngsten Kopftuch-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
27. Januar 2015
von Asmaa El Idrissi
*
A. Hintergrund
Knapp zwölf Jahre nach dem ersten Kopftuch-Urteil musste sich das
Bundesverfassungsgericht Anfang dieses Jahres erneut mit der Frage befassen, ob
eine Lehrerin im Dienst ein Kopftuch tragen darf. Diesmal klagten gleich zwei
Beschwerdeführerinnen – zwei Musliminnen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Sie
richteten sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen von den Arbeitsgerichten
bestätigte Sanktionen wegen ihrer Weigerung, im Schuldienst ein aus religiösen
Gründen getragenes Kopftuch bzw. eine als Ersatz hierfür getragene Wollmütze
abzulegen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts spricht eine klare
Sprache: Eine abstrakte Gefahr reicht für ein Verbot nicht aus, eine
Ungleichbehandlung von Religionsgemeinschaften und ihren Anhängern ist
unzulässig. Hierauf müssen nun die Bundesländer reagieren und die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts
umsetzen.
Insgesamt
werden
faktisch
acht
Bundesländer in die Pflicht genommen, ihre Gesetze zu ändern bzw. entsprechend
den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts neu auszulegen.
B. Die hessische Verwaltungsvorschrift vom 4. September 2015
Am
4. September 2015
erließ
das
Hessische
Kultusministerium
eine
Verwaltungsvorschrift, die „Hinweise“ zu den Auswirkungen auf die Rechtslage in
Hessen enthalten. Neben einigen weniger problematischen Kommentaren des
Hessischen Kultusministerium zur Kopftuch-Entscheidung, etwa die enge Auslegung
des Begriffs des „Schulfriedens“ als ein Zustand der Konfliktfreiheit und -bewältigung,
wohl wissend, dass das Bundesverfassungsgericht von einem Schulfrieden ausgeht,
der sehr wohl Konflikte vertragen und aushalten muss, gibt es auch einen
verfassungsrechtlich sehr problematischen Teil.
Schulleiterinnen und Schulleiter werden unter dem Punkt „Verfahren“ dazu
angehalten, im Falle dessen, dass die Lehrerin „nunmehr im Dienst (außerhalb des
bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht) ein islamisches Kopftuch
tragen bzw. an einer Schule ankündigen, ein islamisches Kopftuch tragen zu wollen“
direkt das zuständige Staatliche Schulamt zu informieren. Dabei soll die Information
„möglichst mit einer ersten Einschätzung der eventuellen Auswirkung auf den
Schulfrieden“ verbunden sein. Das Staatliche Schulamt ist sodann aufgefordert,
„unverzüglich“ das Kultusministerium über den Sachverhalt zu informieren und
*
Doktorandin im Religionsverfassungsrecht am Institut für Öffentliches Recht, Goethe Universität
Frankfurt am Main.
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entscheidet im Falle eines für den Schulfrieden relevanten Sachverhalts in „enger
Abstimmung“ mit den Schulleiterinnen und Schulleitern; das Kultusministerium ist im
Vorfeld in Kenntnis zu setzen.
C. Verfassungswidrigkeit der hessischen Praxis
Liest man die hessische Verwaltungsvorschrift vom 4. September 2015 ohne
zeitliche Angabe, verfiele man dem Glauben, dass es sich um eine
Verwaltungsvorschrift
vor
der
ersten
Kopftuch-Entscheidung
vom
24. September 2003 handle: Damals reichte eine abstrakte Gefahr ohne
parlamentarisches Gesetz aus, um einer Lehrerin das Tragen des islamischen
Kopftuches zu verbieten. Auf diesem Stand ist nun auch Hessen. Die im hessischen
Erlass des Kultusministeriums vorgesehene Prognoseentscheidung durch die
Schulleitung stellt nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht deutlich für
unzulässig erklärte abstrakte Gefahr wieder her. Hessen hat bis jetzt den „internen“
Erlass nicht veröffentlicht. Dieser jedoch hat mittelbare, wenn nicht unmittelbare
Außenwirkung für die betroffenen Lehrerinnen und müsste deshalb von Seiten des
Ministeriums bekannt gemacht werden. Denn es ist davon auszugehen, dass eine
Prognose, die der Lehrerin das Potenzial einer abstrakten Gefahr für den
Schulfrieden attestiert, zunächst in der Personalakte der Lehrerin vermerkt wird und
somit sämtliche Schulen, an denen sich die muslimische Lehrerin bewerben wird,
über das vermeintliche Gefahrenpotenzial in Kenntnis gesetzt werden. Dies kann
sich zumindest sehr wahrscheinlich, wenn nicht sicher, negativ auf ihre berufliche
Karriere auswirken und schlimmstenfalls zu einem faktischen Berufsverbot der
einzelnen muslimischen Lehrerin führen, da ihre Personalakte bei jeder Bewerbung
eine wesentliche Rolle spielen wird.
Der rechtswidrige Erlass wirft die Lehrerin unterhalb des spärlichen Rechtsschutzes
der letzten 12 Jahre zurück. Wieder ist es eine abstrakte Gefahr, die darüber
entscheiden soll, ob der Schulfrieden bedroht ist oder nicht. Diesmal jedoch wird die
abstrakte Gefahr gegen die Lehrerin genutzt, ohne dass sie – aufgrund der „internen
Regelung“ und solange sie keine Einsicht in die Personalakte verlangt – davon
Kenntnis erlangt. Davon, dass die Betroffene von der Prognoseentscheidung in
Kenntnis gesetzt werden soll, verliert das Hessische Kultusministerium jedenfalls
kein Wort.
Damit setzt sich das Ministerium verfassungsrechtlich nicht nur über
§ 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz hinweg, der die Bindungswirkung
bundesverfassungsgerichtlicher Urteile u.a. von Behörden statuiert, sondern zeigt
einmal mehr die generelle verfassungsrechtliche Problematik, die mit
grundrechtssensiblen Verwaltungsvorschriften einhergehen können: Wesentliche
Entscheidungen müssen vom Gesetzgeber getroffen werden, nicht von der
Exekutive. Die mit Verwaltungsvorschriften dieser Art einhergehenden Verstöße
gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gesetzesvorbehalt, die Garantie
des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und gegen die Garantie
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persönlicher Grundfreiheiten wie das Recht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1
und 2 GG, das Recht auf gleiche Behandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und gleichen
Zugang zu einem öffentlichen Amt nach Art. 33 Abs. 2 GG werden – so zeigen die
möglichen Auswirkungen einer Prognoseentscheidung einmal mehr ganz klar – in
verfassungswidriger Weise umgangen.
Deutlich wird jedenfalls an der verfassungsrechtlichen Brisanz dieses Erlasses,
warum Hessen sich für den „internen“ Weg entschieden hat, anstatt seine
Anweisungen, wie es etwa Niedersachsen mit seinem Runderlass getan hat,
öffentlich zugänglich zu machen. Im Gegensatz zu Hessen hat Niedersachsen aus
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gelernt. Hessen hingegen
versucht mit dem „internen“ Erlass mit aller Kraft am pauschalen Kopftuchverbot
festzuhalten. Fragt sich nur wie lange noch.
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