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20 KULTUR
I
Besessen von grossen Ideen
Ein ambitioniertes Projekt,
einfallsreich umgesetzt: Die
Theatergruppe Rychenberg
spielt Thomas Hürlimanns
Stück «Carlton».
WINTERTHUR – Thomas Hürlimanns «Carlton» ist eine schwierige
Vorlage. Das Stück, das in der gut
zehnjährigen Zeit seines Bestehens
nur wenige Aufführungen erlebte,
weist eine komplexe Struktur auf und
setzt beim Zuschauer hinsichtlich seiner geistesgeschichtlichen Implikationen und ästhetischen Kodierung
einiges voraus. Erzählt werden zwei
Geschichten, die sich ineinander spiegeln: Jene des Agronomen Marc Alfred Carlton, der Amerika zu Beginn
des 20. Jahrhunderts durch den Import und Anbau eines resistenten russischen Weizens vor einer Hungersnot bewahrt, und jene des deutschen
Dichters Gottfried Benn, der das
Schicksal dieser ungewöhnlichen Figur in den frühen dreissiger Jahren in
ein Libretto umsetzen will.
durch zuweilen ins Grotesk-Komische bis Komödiantische, wobei Elias
Reichert in der Rolle des närrischen
Truffaldino für einige Lacher sorgt.
Überzeugend agieren auch Stefanie
Flückiger und David Staehelin sowie
in einigen Szenen Markus Neumann.
Eine Herausforderung
Den Aspektreichtum und die Komplexität des Stücks begreift die Theatergruppe Rychenberg als Herausforderung. «Wir entscheiden uns immer
für das Schwierigste», meint selbstironisch Niklaus Vértesi, der gemein-
sam mit Luisella Collovà und Hans
Joerg Diener für die Regie verantwortlich zeichnet. Ausserdem biete
das Stück durch seine Figurenvielfalt
eine Reihe von Auftrittsmöglichkeiten. Um der Komplexität beizukommen und sie bühnenwirksam umzusetzen hat man sich denn auch viel
einfallen lassen: Den zwei Ebenen
des Stücks wird durch zwei Bühnen
Rechnung getragen, die räumliche
Weite und szenische Vielfalt der
Carlton Erzählung durch Projektionen und Toneffekte zu einem sinnlichen Erlebnis ausgebaut. Immer wie-
der ergeben sich so einprägsame,
stimmige Bilder. Nicole Scheidegger
hat im Rahmen ihrer Maturaarbeit
einen eigenen Soundtrack beigesteuert. Dass die Inszenierung trotz aller
Anstrengungen etwas fragmentarisiert wirkt, ist schade, gelingen doch
einige Szenen und Figuren ausgezeichnet, so dass man sich zuweilen
eine geringere Breite wünschen würde, als die Vorlage vorsieht.
I MARC LEUTENEGGER
Carlton
Aufführungen in der Aula der Kantonsschule
Rychenberg bis Donnerstag, je 19.30 Uhr
Destruktiver Grössenwahn
Beide Männer werden als Visionäre
gezeigt, deren hehrer Schaffensdrang
in eine wahnhafte Ich-Vergrösserung
umschlägt, an der ihre privaten Bindungen zerbrechen. Gottfried Benn,
von Alexander Wenger kalt und
gleichgültig gespielt, verpasst, besessen von seinem Stoff und vereinnahmt von nationalsozialistischer
Aufbruchsrhetorik, die absurde Tragik seiner eigenen Lebenssituation:
Gleich zwei Frauen kämpfen um seine Liebe, ohne Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bleibt ihnen nur die Emigration. Während sich Benn in seiner Besessenheit immer weiter von den beiden Frauen entfernt, finden diese in
ihrer Ausgegrenztheit zueinander.
Anna Reichert und Miriam Joelson
gelingen hier ein paar schöne Momente.
Analog gebaut ist die Binnenerzählung. Hier sind es die Frau und die
Tochter des Agronomen Carlton, an
denen sich der destruktive Charakter
verabsolutierter Ideen und männlichen Grössenwahns erweist. Um die
Binnenhandlung als künstlerische
Phantasie Benns greifbar zu machen,
ergänzt Hürlimann das Figurenensemble durch den Tod und den Narren. Die Carlton-Erzählung kippt da-
«Wir entscheiden uns immer für das Schwierigste» – ein junges Bühnenteam sucht die Herausfoderung. Bild: Heinz Diener
Funkelnde Beats, glitzernde Rhymes
Im Garden Club hat die
neue Partyreihe «Black
Diamond» mit Tony Touch
ihre Premiere gefeiert.
WINTERTHUR – Nach dem schillernden Event am vergangenen Freitag im Garden Club kann man sich
nun auf jeden letzten Freitag im Monat freuen. Immer dann steigt nämlich «Black Diamond», die neue Party, die der Club zusammen mit dem
Partylabel «Touch the Soul» veranstaltet. Ganz auf ihre Kosten kommen R-'n'-B- und Hip-Hop-Fans,
denn «Black Diamond» steht, wie der
Name erahnen lässt, ganz im Zeichen
von Blackmusic. Zur Labeltaufe stehen denn nicht nur lokale DJs wie DJ
Aystep und Platinum am Mischpult,
sondern auch ein New Yorker mit
puertoricanischen Wurzeln. Tony
Touch heisst der Wunderknabe, der
vor allem wegen seinen Mixtapes berühmt ist und auch im Garden Club
für ausgelassene Stimmung sorgt.
Das Publikum hält sich ans Motto
und trägt mit Begeisterung mehr oder
weniger echte Diamanten und Glitzersteine. Überall funkelt es, und der
aufmerksame Besucher erspäht neben glitzernden Tops und Gurten sogar kleine Krönchen in den Haaren
einiger Tänzerinnen.
Während die Leute auch um halb
zwölf noch anstehen, um Einlass zu
erhalten, füllt sich die Tanzfläche
langsam aber sicher, und Tanzwütige
können sich zu den souligen Beats
und fetten Rhymes von DJ T-Killah,
Aystep und Platinum aufwärmen.
Nur leider scheint es auch eine Nacht
der Wiederholungen zu werden, so
kommt man immer wieder in den Genuss der gleichen Lieder. Aber darüber sieht das Publikum hinweg und
tanzt fröhlich weiter. Spannend wird
es, als sich auf der Bühne eine Gruppe von Tänzern bildet, die sich auf der
Bühne richtige Battles liefern und
sich mit coolen Posen, schnellen Drehungen und Moves gegenseitig auszutanzen versuchen.
Um ein Uhr, eine halbe Stunde
später als angekündigt, kommt endlich der Auftritt von Tony Touch.
Dieser richtet sich erst hinter dem
Mischpult ein und erhöht die Lautstärke um einige Dezibel. Dann geht
es los. «Zurich, make some noise»
feuert Touch, oft auch Tony Toca genannt, die Menge an. Man merkt,
dass ein geübter DJ am Werk ist, die
Übergänge sind fliessender und die
Tracks aufeinander abgestimmt. Leider spielt die Technik nicht reibungslos mit, und die Lautsprecher geben
für eine kurze Zeit den Geist auf. Sobald die Musik jedoch wieder in vol-
ler Lautstärke erklingt, wird es auch
auf der Tanzfläche wieder heiss.
Noch euphorischer wird die Stimmung nur, als Tony Touch nach einer
halben Stunde herausfindet, dass er
sich nicht in Zürich, sondern in Winterthur befindet, und das Publikum
dementsprechend anfeuert. Er gibt
auch gleich einige Reime in dem für
ihn so typischen Spanglisch zum Besten. Sonst begeistert er das Publikum
mit einer Mischung aus amerikanischem Hip-Hop und R 'n' B und einem Hauch von Reggae, bis er das
Mischpult schliesslich wieder verlässt, nicht ohne dem Publikum noch
ein frohes neues Jahr gewünscht zu
I SUSANNA TRUNIGER
haben.
BLACK DIAMOND
NEUE PARTYREIHE
In Zusammenarbeit mit dem Partylabel «Touch the Soul» hat der Garden
Club in Winterthur eine neue Partyreihe lanciert. Jeden letzten Freitag im
Monat garantiert «Black Diamond»
reine Blackmusic – Partys, an denen
neben Schweizer DJ-Grössen aus
der Hip-Hop- und R-'n'-B-Szene immer auch internationale Namen für
Stimmung sorgen. DJ T Mouss
heisst der französische Stargast am
24. Februar. (sut)
DER LANDBOTE
I
MONTAG, 30. JANUAR 2006
Freikonzert:
Alle wollen
Mozart hören
Drei Konzerte, drei Solisten,
einmal auch zu dritt: eine
üppige Hommage an den
Klavierkomponisten Mozart.
WINTERTHUR – Wieder liess ein
Mozartanlass den Stadthaussaal fast
aus allen Fugen geraten. Die Besucher standen dicht an dicht den Wänden entlang, die Saaltüren mussten
offen bleiben. Von so viel Zuspruch
liessen sich die Interpreten inspirieren, auch wenn die trockenere Akustik als üblich nicht nur ein Vorteil
war. Das Programm bot die an sich
reizvolle Konzeption dreier Konzerte
in aufsteigender Besetzung von einem, zwei und drei Klavieren an, aber
deren künstlerische Substanz verminderte sich gewissermassen reziprok:
Das weitaus reifste Werk von 1784 erklang gleich zu Beginn (G-Dur KV
453), das Doppelkonzert in Es-Dur
des 23-Jährigen bezauberte immer
noch mit seiner frühlingsfrischen Musizierfreudigkeit, fiel aber bereits mit
einer gewissen Sorglosigkeit im Imitieren der beiden Soloparte auf, und
das Tripelkonzert des Zwanzigjährigen (F-Dur KV 242) wurde für Liebhaber geschrieben, meldete deshalb
keine allzu hohen Ansprüche an.
Das Orchester Musikkollegium
Winterthur, Gastdirigent Peter Kuhn
und die Solisten, darunter auch der
Dirigent, nutzten jedoch die Herausforderungen an ihr interpretatorisches Können bestens. Mit der Ouvertüre zu «La Clemenza di Tito»
wurde der Abend mit Verve eröffnet,
dann präsentierte die Dame unter
den Pianisten, – die übrigens in allen
drei Konzerten mitwirkte – nämlich
Seung-Yeun Huh, das feinnervige
G-Dur-Konzert mit aller Raffinesse,
dem trockenen, vollkommen durchsichtigen Grundklang zugeneigt, jedoch mit expressiver Pose begabt und
in den Kadenzen und auch in der
Variantenvielfalt des Finales auch
mit kreativer Phantasie.
Für das Doppelkonzert in Es-Dur
gesellte sich Eckart Heiligers zu ihr;
dass sein Anschlag etwas wärmer und
vielleicht eine Spur spontaner wirkte,
reicherte das Hörerlebnis an, und mit
der entspannenden, aber ebenfalls so
vergnügt wie sorgfältig durchgeformten Interpretation des frühen Tripelkonzertes schufen alle Interpreten
miteinander einen heiteren AusI RITA WOLFENSBERGER
klang.
Virtuosität à la Russe
Überall Mozart? In ihrem
Klavierrezital am Freitag
setzte Luisa Splett auf Kompositionen ab Schubert.
WINTERTHUR – Dass ihr Klavierabend im Saal des Alten Stadthauses
in Winterthur just auf den 250. Geburtstag Mozarts fiel, der dieser Tage
einige Hysterie heraufbeschwört, war
wohl nur ein Zufall. Für Luisa Splett
jedenfalls, die Winterthurerin, die
zurzeit an der Universidad Mayor in
Santiago de Chile studiert, sind andere Töne wichtiger. Bei ihrer Lehrerin,
der russischen Pianistin Yelena Scherbakova, lernt sie auch die abseits ausgetretener Pfade liegenden Preziosen
kennen wie etwa Präludium und Fuge
in e-Moll von Dimitri Schostakowitsch. Der Komponist selber hat den
der Pianistin Tatjana Nikolajewa gewidmeten Zyklus op. 87, im Konzertsaal nie gespielt, obwohl er ein sehr
versierter Pianist war, aber immerhin
im Tonstudio aufgenommen.
Wie schon bei ihrem Auftritt vor
vier Jahren, damals im Saal des Stadthauses, als die Maturandin der Kantonsschule Rychenberg zusammen
mit dem Schulorchester Beethoven
interpretierte, liess die feine Art, mit
der Luisa Splett Klänge modelliert,
gerade in diesem Stück aufhorchen.
Wie sie die kontrapunktisch verschlungenen Linien nachzeichnete,
hier einen Ton markierte, dort eine
Harmonie auskostete, das machte
diesen Extrakt aus dem Wohltemperierten Klavier des 20. Jahrhunderts
zu einem kurzweiligen Unterfangen.
«Vers la flamme»
Schliesslich widmete Luisa Splett den
ganzen zweiten Teil ihres Rezitals der
virtuosen Klaviermusik des 19. Jahrhunderts. Ob Frédéric Chopins Etüde op. 26 Nr. 6 oder Sergej Rachmaninows Etude-tableau op. 33 Nr. 5, die
schiere Lust am Brillieren schien sich
hier Bahn zu brechen. Anhand von
Franz Liszts Paganini-Etüde Nr. 3
«La Campanella» wurden aber auch
Grenzen deutlich. Mag das Instrument im Saal des Alten Stadthauses
das Seine dazu beigetragen haben,
die Stimme des Glöckleins war zwar
kräftig, blieb aber hölzern.
Auch Chopins Ballade op. 38 und
Alexander Skrjabins Poem op. 72
«Vers la flamme» sind virtuose Stücke, die von der Pianistin souverän
und mit kräftigem Tastendruck wiedergegeben wurden. Am Begriff der
Russischen Schule mögen sich die
Geister scheiden, hier aber mochte
man das (Vor-)Urteil bestätigt sehen,
dass die Technik noch vor dem AusI ANJA BÜHNEMANN
druck rangiert.