Wem kann ich zum Nächsten werden?

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Wem kann ich zum Nächsten werden? - Lk 10, 25-37
(13. So.n.Tr.; I.)
(Oberstenfeld, 30. August 2015)
Liebe Gemeinde,
das heutige Gleichnis ist so bekannt, dass man es kaum erklären
muss. Eine der biblischen Geschichten, die wir schon Kindern
erzählen, - und die die meisten von uns schon als Kinder kennen
gelernt haben. Mal ehrlich: Erwarten Sie, dass ich Ihnen heute etwas
Neues erzähle?
Erstaunlicherweise hat Jesus dieses Gleichnis nicht Kindern erzählt.
Er hat es einem erwachsenen Mann erzählt. Ein Schriftgelehrter war
er, ein Profi in Sachen Bibel, ein Theologieprofessor. Der hat auch
nicht erwartet, dass Jesus ihm was Neues erzählt.
Der wollte Jesus nur testen, ihm ein bisschen auf den Zahn fühlen:
Jesus, was muss ich eigentlich machen, dass mein Leben am Ende
nicht umsonst und vergeblich war? Damit ich am Ende dort
ankomme, wo mein Leben mich hinführen soll?
Natürlich weiß der die Antwort genauso gut wie Sie. Und Jesus
antwortet ihm – nichts Neues: Was liest du in der Bibel? Was zitierst
du als frommer Jude sogar mehrmals am Tag? Antwort: Höre, Israel,
der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn,
deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen
Kräften und von ganzem Gemüt.
Und dann fügt der gelehrte Mann von selber hinzu, und du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Auch das ist nichts Neues.
Dass beides zusammen gehört, das weiß er. Der Glaube an Gott
spielt sich nicht nur im Kopf ab. Und die Liebe zu Gott bleibt nicht
auf das Herz begrenzt. Es kommt nicht nur auf das an, was wir
wissen, sondern auch was wir leben. Und was wir tun, ist ebenso
wichtig wie was wir glauben.
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Der Glaube an Gott und die tatkräftige Liebe zum Nächsten, - das
sind die beiden Angeln, in denen die Tür zum Leben hängt.
Liebe Gemeinde, das ist wahrlich nichts Neues. Der fromme Mann
weiß das, und Sie wissen es auch. Du kannst nicht für Gott schöne
Lieder singen und dich weigern deinem Nachbarn zu helfen, wenn es
ihm schlecht geht.
Also!, sagt Jesus, Du weißt in der Tat, worum's geht. Jetzt tu das
auch, dann lebst du nicht vergebens.
Mich macht das hellhörig: Jesus muss das einem sagen, der das
schon längst weiß und es schon x-mal gehört hat: Jetzt mach's auch
so! Offensichtlich ist das eine echte Gefahr. Der Jakobusbrief hat
später scharf formuliert: Glaube ohne Werke ist tot (2,17)! Gustav
Werner, einer der Pioniere der Diakonie, hat den Satz geprägt: "Was
nicht zur Tat wird, hat keinen Wert."
Offensichtlich trifft Jesus den wunden Punkt bei dem
Schriftgelehrten. Der leitet ein Ausweichmanöver ein: Wer ist denn
überhaupt mein Nächster? Ich mein, ich kann ja nicht jedem helfen,
oder? Wem muss ich denn?
Für mich klingt das, als ob man die Nächstenliebe eingrenzen
könnte: Da schau ich hin, da helf ich, und ansonsten kann ich getrost
wegsehen. Oder etwa nicht? Wer kann denn schon allen Leuten
helfen???
Was tut Jesus? Er diskutiert nicht, er belehrt den Mann nicht, er
beschimpft ihn auch nicht; - er denkt sich eine Geschichte aus, eine
Geschichte für Erwachsene. Jesus vertraut auf die Macht der Bilder.
Ein Mann geht von Jerusalem nach Jericho hinab. Das sind 4
Stunden Weg, da geht’s über 1.000 m runter; z.T. verschlungene
Wege durch einsames, zerklüftetes Bergland. Er wird überfallen,
ausgeraubt und schwer verletzt liegen gelassen; die Täter flüchten.
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Eine Geschichte, die sich heute noch genauso oder ähnlich abspielt.
Denn die Straße nach Jericho, die führt auch durch das Bottwartal,
die geht auch durch Oberstenfeld hindurch. Und im Moment sind
viele, sehr viele auf dieser Straße unterwegs.
Ich versuch mal zu erzählen:
Es war aber eine Frau und ihr fünfjährige Tochter, die flohen aus
Aleppo und machten sich auf den Weg nach Deutschland. Über 4
Monate waren sie unterwegs, tausende von Kilometern mussten sie
hinter sich bringen.
Der Weg führte sie über die Türkei und Griechenland nach
Mazedonien, weiter nach Serbien, durch Ungarn, durch Österreich.
Und an jeder Grenze fielen sie erneut unter die Räuber. Soldaten
bedrohten sie, Grenzbeamte demütigten sie, Lastwagenfahrer
misshandelten sie, und Schleuser raubten sie aus und machten sich
davon.
Vom Hunger ausgezehrt und vom Durchfall geplagt und von Angst
gequält kamen sie am Ziel ihrer Flucht an, - halbtot und ihr ganzes
Hab und Gut in einem einzigen Koffer.
Und mit ihnen kamen Hunderte und Tausende und Zehntausende;
zum Glück nur halbtot und nicht ganz tot, auf einem Lastwagen
etwa, oder auf dem Meeresgrund.
Soweit, liebe Gemeinde, ist die Geschichte leicht erzählt. Und jetzt
müssen wir uns entscheiden, welche Rolle wir einnehmen wollen.
Diese Rolle etwa? (Fernsehen) Und es traf sich, dass ein paar
Millionen Menschen vor dem Fernseher saßen und sahen das Elend
dieser Frau und ihrer kleinen Tochter; und da sie ihre Pommes Frites
aufgegessen hatten und das Bier getrunken hatten, schalteten sie um
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auf Fußball. Schließlich kann man ja nicht jeden Abend diese
ausgeraubten, halbtoten Elendsgestalten anschauen.
Und siehe, da sie am nächsten Morgen die Bilder in der Zeitung
sahen, überflogen sie nur kurz die Überschriften, um schließlich zur
Tagesordnung überzugehen.
Oder die andere Rolle? (überfordert) Desgleichen ein Beamter des
Regierungspräsidiums, da er die Frau mit ihrer Tochter aus dem Bus
steigen sah, und mit ihr noch 40 andere, schlug er die Hände über
dem Kopf zusammen und sprach zu sich: Hilfe, schon wieder neue
Asylbewerber, und jeden Monat werden es mehr. Wie sollen wir die
nur alle unterbringen? Und er ging schnell weiter, eine Krisensitzung
einzuberufen, wegen der vielen, vielen Flüchtlinge.
Und ein Bürgermeister sah die Frau liegen auf ihrem Feldbett auf
einer Wiese und dachte daran, dass er auch für sie zum Winter keine
feste Wohnung finden würde, weil niemand seine Einliegerwohnung
zur Verfügung stellen wollte. Und er ging verzweifelt und völlig
überfordert weiter. Was sollte er allein schon ausrichten bei so
vielen?
Oder vielleicht diese Rolle? (Freundeskreis) Da kam ein Mensch aus
jenem Ort vorbei, einer von den Stillen, der nicht den Mut hatte vor
800 Leuten zu sprechen. Und als er die Frau und ihre Tochter sah, da
ging es ihm innerlich durch und durch. Und ohne lange zu überlegen
ging er zu ihr hin und fragte sie nach ihrem Namen und hörte ihr zu,
als sie ihre Geschichte erzählte, und spielte mit der Tochter Fang den
Hut und schenkte ihr ein altes Hüpfseil.
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Und mit ihm kamen viele Menschen jenes Ortes, fast 90, und
eigentlich noch viele, viele mehr. Und sie sahen das Elend derer, die
verschmachtet da lagen und hatten kein Dach über dem Kopf und die
Strapazen waren ihnen ins Gesicht geschrieben.
Und sie gingen hin zu den Gestrandeten und reichten ihnen die Hand
und bereiteten ein Fest vor, damit auch sie, die Flüchtlinge, sich
freuen konnten, und damit sie wussten, hier fallen sie nicht mehr
unter die Räuber.
Und sie halfen ihnen ankommen in der Herberge und gingen mit
ihnen zum Einkaufen, oder zum Arzt. Und manchmal bezahlten sie
das Benzin und die Brötchen aus der eigenen Tasche.
Und sie sprachen zu sich: Wie kann ich zusehen, dass mein Nachbar
hungert, wo ich doch immer zu essen habe; oder dass er friert, wo ich
doch jederzeit Kleider oder Brennstoff kaufen kann.
Ja, liebe Gemeinde, welche dieser Rollen wollen wir einnehmen? Die
Frage erübrigt sich, die Antwort ist klar. Keiner möchte am Ende
feststellen, dass sein Leben umsonst oder vergeblich war. Und der
Auftrag lautet: Geh hin und tu desgleichen.
+ (Jesus) Vielleicht ist das mit den Rollen aber doch nicht so klar.
Unter Umständen finde ich mich nämlich in mehreren Rollen wieder.
Das hat damit zu tun, dass Jesus hier auch von sich erzählt.
Und siehe, ein Mensch – Du selber, gingst von Jerusalem hinab nach
Jericho - und wurdest brutal niedergeschlagen von deiner eigenen
Situation, und deine Angst warf dich um, und deine Sorgen ließen
dich zitternd zu Boden gehen. Und in der Seele halbtot bliebst du
liegen.
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Jesus aber, der in Gottes Auftrag zu dir kommt, da er dich in deiner
Not sieht, da jammert es ihn, und er geht hin zu dir, jetzt, und hebt
dich auf, und reicht dir Brot und Wein für deine inneren Wunden,
und spricht zu dir: Fürchte dich nicht, ich bin bei dir; niemand wird
dich aus meines Vaters Hand reißen.
Und nachdem du Brot und Wein zu dir genommen hast, spricht Jesus
zu dir: Nun habe ich dir mein Leben gegeben, und du hast mich in
dein Leben aufgenommen. Und da bin ich nun auch wirklich. Wohl
dem, der auf mich trauet.
Amen.
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Lukas
10,25 Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und
sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?
10,26 Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was
ließt du?
10,27 Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott,
lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und
von ganzem Gemüt*, und deinen Nächsten wie dich selbst« (5. Mose
6,5; 3. Mose 19,18).
10,28 Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so
wirst du leben.
10,29 Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus:
Wer ist denn mein Nächster?
10,30 Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging
von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die
zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen
ihn halbtot liegen.
10,31 Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog;
und als er ihn sah, ging er vorüber.
10,32 Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn
sah, ging er vorüber.
10,33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als
er ihn sah, jammerte er ihn;
10,34 und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und
verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine
Herberge und pflegte ihn.
10,35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie
dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will
ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme.
10,36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen
dem, der unter die Räuber gefallen war?
10,37 Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach
Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!
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