Happy Valley Set

Zur Kolonialgeschichte Kenias
Das Gebiet des heutigen Kenia wurde 1895 zum Protektorat Britisch-Ostafrika erklärt, nachdem die Versuche, das
Land durch die British East Africa Company mit privaten
Mitteln zu erschließen, gescheitert waren. 1896 wurde mit
dem Bau der Uganda-Eisenbahn begonnen, die 900 km zwischen dem Indischen Ozean und dem Victoriasee überwinden sollte. Aus einem Eisenbahnlager mitten im Sumpf, das
1899 errichtet wurde, entwickelte sich schließlich Nairobi,
die Hauptstadt des späteren Kenia. Um die Wirtschaftlichkeit der kostspieligen Eisenbahn zu sichern, warb die Regierung Siedler aus Großbritannien an, die in den nun erschlossenen Gebieten Land erwerben sollten. 1920 wurde
Britisch-Ostafrika zur »Kronkolonie Kenia«. Kriegsveteranen des Ersten Weltkriegs konnten günstig subventioniertes Land kaufen, während die Afrikaner in Reservate mit
weniger fruchtbarem Boden umgesiedelt wurden oder als
»Squatter«, also »Landbesetzer« ohne Rechtsanspruch, auf
den Farmen geduldet wurden, deren Land sie selbst zuvor
bewohnt und bewirtschaftet hatten. Einwanderer aus Indien, unter anderem Arbeiter, die zum Bau der Eisenbahn
angeheuert wurden, durften im Land bleiben, um die wirtschaftliche Entwicklung Kenias voranzubringen, ihnen war
jedoch nicht gestattet, Land im fruchtbaren Hochland zu
erwerben, das den Weißen vorbehalten war. Sowohl aus der
afrikanischen als auch der indischen Bevölkerung regte sich
bald Widerstand gegen die weißen Siedler, der Ruf nach
mehr Rechten und besserem Land wurde laut. Das »weiße
Hochland« um Nairobi herum wurde indessen zum Treffpunkt einer vergnügungssüchtigen britischen Elite, dem sogenannten »Happy Valley Set«, da es in britischen Adelskreisen üblich war, jüngere Söhne, die versorgt werden mussten,
sowie Töchter, die ein zu wildes Benehmen an den Tag legten, loszuwerden, indem man sie mit großzügigen Lände455
reien in Kenia abspeiste. Dieser Zirkel zeigte kaum Interesse
an der Landwirtschaft und war weder bei der einheimischen
Bevölkerung noch bei den Siedlern, die mit ernsthafteren
Absichten ins Land gekommen waren, gut angesehen.
Zum Wahrheitsgehalt der Figuren
Paula McLains Roman bevölkern neben Beryl viele weitere
faszinierende Figuren – und die meisten von ihnen haben
ebenfalls tatsächlich gelebt. Am bekanntesten von ihnen ist
sicher die dänische Schriftstellerin Karen Blixen, die ihre
eigenen Erinnerungen an Kenia 1937 in Afrika, dunkel lo­
ckende Welt veröffentlichte. Um der bürgerlichen Enge ihres Elternhauses zu entfliehen, heiratete Karen mit 28 Jahren den adligen Bror von Blixen-Finecke und wurde damit
zur Baronin. Die beiden führten eher eine freundschaftliche
Zweckehe, wollten sich aber gemeinsam eine Zukunft in
Ostafrika aufbauen, wo sie 1913 eine Kaffeeplantage am Fuße
der Ngong-Berge kauften, der jedoch kein Erfolg beschieden
war. 1931 kehrte Karen nach Dänemark zurück und widmete
sich fortan dem Schreiben. Sie starb 1962 auf dem Hof ihrer
Familie. Karens wahre Liebe war der englische Adlige D
­ enys
Finch Hatton, Großwildjäger wie Bror und begeisterter
Flieger, aber auch ein Intellektueller, mit dem sie über Literatur, Kunst und Musik philosophierte. Die Liebesgeschichte
der beiden wurde 1985 in Jenseits von Afrika mit Meryl Streep
und Robert Redford in den Hauptrollen verewigt.
Beryls väterlicher Freund Lord Delamere spielte in den
ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle in Kenias Politik. Überzeugt von der Überlegenheit der
Weißen, vertrat er die Interessen der Siedler und warb weitere Landadlige aus Großbritannien an. Viele seiner eigenen
landwirtschaftlichen Experimente auf seinen riesigen, bereits 1903 erworbenen Ländereien schlugen allerdings fehl.
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Er gilt als exzentrischer Mitbegründer des »Happy Valley
Set« und soll einst mit einem Pferd durch den Speisesaal
des Norfolk Hotel geritten sein. Ein weiteres Mitglied dieses
ausschweifenden Kreises reicher Briten war Idina Hay, besser bekannt unter ihrem Geburtsnamen Lady Idina Sackville, die fünfmal heiratete und unzählige Liebhaber hatte – zur
damaligen Zeit ein Skandal. 1919 zog sie mit ihrem zweiten
Ehemann Captain Charles Gordon nach Kenia, wo sie auf
ihrem Landsitz berüchtigte Partys feierte.
Ebenfalls auf realen Figuren basieren: die Pilotin Maia
Carberry, die 1928 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben
kam, und ihr Mann John, der 1912 als erster Mann in Irland fliegen lernte und 1920 eine Farm in Kenia erwarb; Jim
Mollison, der bereits 1932 den Atlantik im Alleinflug überquerte, allerdings von Irland aus (und der es wie Beryl ebenfalls nicht ganz bis nach New York schaffte); Beryls Fluglehrer Tom Campbell Black, der sich als Flieger einen Namen
machte und auch eine Affäre mit Beryl gehabt haben soll;
Denys’ enger Freund Berkeley Cole, ein weiterer britischer
Aristokrat, der sich in Kenia ansiedelte, und einer der Gründer des Muthaiga Club; Frank Greswolde, der die Kolonie mit Drogen versorgte; und natürlich Prinz Henry und
sein Bruder David, der 1936 für ein knappes Jahr als Edward
VIII. König war, bevor er abdankte, um die bereits geschiedene Wallis Simpson heiraten zu können.
Die beiden Motti sowie die im Roman
zitierten Gedichte sind entnommen aus:
Shelleys ausgewählte Dichtungen, übersetzt von Adolf Strodtmann, Bibliographisches Institut, 1866
Walt Whitman, Grashalme, Nachdichtung von Hans Reisiger, Diogenes, 1985
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Anhang
Zu Beryl Markhams Leben
nach ihrem Rekordflug
Beryl Markham führte auch nach ihrer legendären Atlantiküberquerung ein abenteuerliches Leben voller Höhen und
Tiefen. Zunächst schien ihre plötzliche Berühmtheit ihr verschiedene interessante Möglichkeiten zu eröffnen. So sollte
sie etwa an einem von der französischen Regierung gesponserten Wettfliegen von New York nach Frankreich teilnehmen und in einem Film über ihren Rekordflug mitspielen.
Doch all diese Projekte zerschlugen sich, und obwohl Beryl nach ihrer Rückkehr in London im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses stand, plagten sie beständig Geldsorgen. Als angesichts des drohenden Krieges Rekordflüge
mehr und mehr als frivoler Zeitvertreib abgetan wurden, gab
Beryl diese Karriere auf und zog nach Kalifornien, wo sie zunächst als technische Beraterin für einen Film über Afrika
arbeitete. Ermuntert durch den mit ihr befreundeten Antoine de Saint-Exupéry, begann sie auch, ihre Erinnerungen
zu Papier zu bringen, schickte erste Entwürfe an eine New
Yorker Agentin und verhandelte mit dem Verlag Houghton
Mifflin. Westwärts mit der Nacht wurde schließlich 1942 veröffentlicht, fand jedoch, obgleich von der Presse gelobt, inmitten des Krieges kaum Leser. Dies war auch in England
nicht anders, wo das Buch 1943 nur in einer kleinen Auflage
erschien, da zu dieser Zeit selbst Papier rationiert war. Geschadet haben dürfte dem Buch wohl auch das Gerücht, es
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sei gar nicht von Beryl selbst, sondern von Raoul Schumacher verfasst, einem Ghostwriter, den sie 1941 kennenlernte. Um ihn zu heiraten, willigte Beryl nach Jahren endlich
in die Scheidung von Mansfield ein. Das Paar zog zunächst
auf eine kleine Farm in New Mexico und schließlich auf
eine Avocado-Ranch in Kalifornien. Beryl veröffentlichte
noch einige Kurzgeschichten (auf Deutsch 1988 unter dem
Titel Rivalen der Wüste erschienen), doch nachdem auch die
Ehe mit Schumacher scheiterte, beendete sie ihre schriftstellerische Karriere ebenso abrupt wie zuvor bereits ihre Trainer- und Fliegerlaufbahn. Mittellos kehrte sie nach Afrika
zurück, begann jedoch bald wieder Pferde zu trainieren, wobei sie, wie schon früher, mit ihrem Jugendfreund Ruta zusammenarbeitete. 1959 gewann nach 33 Jahren erneut eins
ihrer Pferde das Kenya St. Leger und brachte Beryl damit an
die Spitze von Kenias Trainerliste. Obgleich sie bis ins hohe
Alter, zeitweilig äußerst erfolgreich, als Trainerin arbeitete,
geriet sie immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten. Ihren
Sohn Gervase sah sie 1955, als er sie mit seiner hochschwangeren Frau in Kenia besuchte, zum letzten Mal, aber die
beiden sprachen auch in den folgenden Jahren stets liebevoll voneinander. Als Gervase 1971 bei einem Unfall schwer
verletzt wurde und schließlich starb, war Beryl untröstlich,
konnte sich eine Reise nach Europa zu diesem Zeitpunkt
jedoch nicht leisten. Beryl selbst starb am 3. August 1986 an
einer Lungenentzündung, die sie sich nach einer Operation
infolge eines Sturzes im Krankenhaus zugezogen hatte. Anlässlich des fünfzigsten Jahrestags ihrer Atlantiküberquerung
am 4. September desselben Jahres wurde in London für sie
ein Gedenkgottesdienst abgehalten, bei dem viele ehemalige
Wegbegleiter zugegen waren.
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