2 | 2015 36. Jg. | Preis E 4,– DA SCHAU HER D I E K U LT U R Z E I T S C H R I F T A U S Ö S T E R R E I C H S M I T T E Wolfgang Otte INHALT Ein Foto und drei Schicksale oder Der falsche Koloman Wallisch Von Martin Parth Der Todesmarsch der ungarischen Juden durch den Bezirk Liezen im April 1945 Von Alois Leitner 7 Zur Sonderausstellung „Spione, Schwindler, Schatzsucher – Kriegsende im Ausseerland 1945“ im Kammer hofmuseum Bad Aussee Von Ulrich Schlie 16 Die Toten stellten sich auf wie Mumien. Herbert Zand und sein Weltkriegsroman „Letzte Ausfahrt“ Von Gerhard M. Dienes Buchbesprechung Wolfgang Hafer: Die anderen Mautners. Das Schicksal einer jüdischen Unternehmerfamilie Von Mario Zaunschirm Impressum Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Verein Schloss Trautenfels 8951 Stainach-Pürgg, Trautenfels 1 Obmann: HR DI Karl Glawischnig, Rathausplatz 4, 8940 Liezen Schriftleitung: Wolfgang Otte, Schloss Trautenfels, Universalmuseum Joanneum 8951 Stainach-Pürgg, Trautenfels 1 Redaktionsteam: Mag. Katharina Krenn, Wolfgang Otte, Mag. Astrid Perner, Mag. Elke Reiserbauer Bestellung und Vertrieb: [email protected], Tel: 03682 22233, Fax: 03682 2223344 Bankverbindung: Raiffeisenbank Gröbming, Bankstelle Trautenfels, IBAN: AT963811300002101111 Verlagsort: Trautenfels Hersteller: Medien Manufaktur Admont JOST Druck- und Medientechnik, Döllacher Straße 17, 8940 Liezen Erscheinungstermin der 3. Ausgabe 2015: August 2015 Redaktionsschluss: 22. Juni 2015 Titelseite: Zum Ende des 2. Weltkrieges vor 70 Jahren: Einzug der amerikanischen Truppen in Liezen, 7.5.1945 Foto: M. Aigner, Archiv Schloss Trautenfels, UMJ 2 3 20 23 Martin Parth 1945: Ende und Anfang? Das Erinnern an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren nimmt die Redaktion von „Da schau her“ zum Anlass, das vorliegende Heft mit dem Schwerpunkt Zeitgeschichte den 1930er und 1940er Jahren zu widmen. Als Nachgeborener, der Krieg nur aus Erzählungen der Eltern- und Großelterngeneration, aus historischen oder literarischen Quellen kennt, verfolge ich tief beunruhigt das gegenwärtige Weltgeschehen: Krieg im Osten Europas, der Zerfall der arabischen Welt und weltweite terroristische Krisenherde. Hoffnungsvoll glaubte meine Generation, es könne nicht mehr lange dauern, bis diktatorische Systeme überwunden werden und die Unmenschlichkeit politischer Unterdrückung einer demokratischen, weltoffenen Gesinnung weichen würden. Steht die Welt etwa vor einer Umkehr jener hoffnungsvollen Werte, die in der zweiten Hälfte dieses 20. Jahrhunderts wie zarte Pflänzchen aus blutgetränktem Boden zu sprießen begannen? Dieses Heft versucht einige dramatische Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts neu zu beleuchten, ein Durcheinander von „menschlichen Dramen, enttäuschten Hoffnungen, tollkühnen Einzelaktionen, irregeleite tem Idealismus, aber auch fanatischem Hass, menschlichem Versagen und Ver brechen“, wie Ulrich Schlie über das Ende des NS-Regimes im Ausseerland schreibt. Erstmals stellt Martin Parth in der Geschichtsschreibung bisher kaum beachtete Ungereimtheiten bei der Verhaftung und Hinrichtung des Arbeiterführers Koloman Wallisch in neuem Licht dar und verweist dabei auf Zusammenhänge, die weit über Österreichs Grenzen hinausreichen. Der Fanatismus und die Unmenschlichkeit der NS-Schergen, die Alois Leitners Beitrag über die Todesmärsche ungarischer Juden schonungslos aufzeigt, lassen uns erschaudern. Der Romancier Herbert Zand schildert in seinem meisterhaften Werk „Letzte Ausfahrt“, wie die auf bedingungslosen Gehorsam ausgerichteten Strukturen der deutschen Wehrmacht die aussichtslose Lage der von sowjetischen Truppen Eingekesselten zur Hölle werden ließen. Für Gerhard Dienes ist Zand ein vom Krieg Gezeichneter und Verfolgter, der diesem auch 25 Jahre nach dessen Ende noch Tribut zollen musste. 1889 veröffentliche Bertha von Suttner den pazifistischen Roman „Die Waffen nieder!“ In einer Zeit der sich global ausbreitenden Konflikte sollte sie uns als Vorbild dienen und daran erinnern, eine ganz persönliche Verantwortung zur Erhaltung von Frieden und der Wahrung von Menschenrechten auf dieser einen Erde zu übernehmen. Die Verfasser: Harvard Kennedy School Cambridge MA 02138 MMag. Martin Parth 8940 Liezen, Schillerstraße 1 Dr. Alois Leitner 8785 Hohentauern 23 Dr. Ulrich Schlie Weatherhead Fellow, Dr. Gerhard M. Dienes Universalmuseum Joanneum 8010 Graz, Joanneumsviertel 2 Mag. Mario Zaunschirm 8950 Stainach, Peter-Rosegger-Straße 367 Gendergerechtes Schreiben erfordert Kompromisse: Alle in der Zeitschrift verwendeten Bezeichnungen beziehen sich ungeachtet ihrer grammatikalischen Form in gleicher Weise auf Frauen und Männer. Koloman und Paula Wallisch nach ihrer Verhaftung am 18. Februar 1934 in Liezen | Foto: Archiv Parth Ein Foto und drei Schicksale oder Der falsche Koloman Wallisch Während der Verzweiflungskampf der österreichischen Sozialdemokratie gegen die geballte Staatsmacht der „austrofaschistischen“ Regierung Dollfuß vor 81 Jahren schwere Zusammenstöße in Wien, Linz, Steyr, dem obersteirischen Industriegebiet und Graz nach sich zog, stand das Ennstal damals fernab des blutigen Geschehens. Wohl als einziger Toter des Februar 1934 aus dem Bezirk Liezen fiel der gebürtige Haller Leo Platzer als Alpenjäger des Bundesheeres bei der Bergung eines verwundeten Kameraden im Feuer oberösterreichischer Schutzbündler.1 Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte die Region für einen Augenblick durch die Festnahme des früheren sozialdemokratischen Abgeordneten Koloman Wallisch, dessen Schicksal sich in Reitthal zwischen Liezen und Admont erfüllte. Dort endete am 18. Februar 1934 seine dramatische Flucht aus dem Brucker Aufstandsgebiet mit einem Autounfall auf tief verschneiter Landstraße. Von einem Buschauffeur der KÖB erkannt und denunziert, wurden Wallisch und seine Gattin kurz darauf von Admonter Gendarmen festgenommen.2 Seine rasche Aburteilung und Hinrichtung in Leoben, für die das verhängte Standrecht bis zum 19. Februar ausgedehnt wurde, kommt Die unverzügliche Erfolgsmeldung des Landesgendarmeriekommandos Steiermark | Foto: ÖStA/AdR Vgl. Martin Parth, Zwischen Krieg und Frieden. Öblarn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Marktgemeinde Öblarn (Hg.), Ortschronik der Gemeinde Öblarn. Öblarn 2014, S. 148-192, hier 167f. 1 einem Justizmord gleich. Was nun die Einzelheiten der Verhaftung und die letzten Stunden des charismatischen Arbeiterführers betrifft, der selbst nicht aktiv an den Kämpfen teilgenommen hatte, sind wir weitgehend auf die bereits 1934 von seiner Frau Paula ÖStA, AdR 04, BKA-Inneres 22/Stmk 1934, LGK Stmk E.Nr. 13.878, Bericht über die Februarereignisse 1934 in Steiermark, S. 82ff. 2 3 verfasste Biografie angewiesen. „In Liezen wurden wir in die Gendarmerie kaserne gebracht. Die Nachricht, dass wir verhaftet seien, verbreitete sich mit Windeseile im ganzen Lande; auch in Liezen wusste man es schon, und eine dichtgedrängte Menge erwartete unser Kommen. Freudige, schadenfrohe, rohe Gesichter sahen wir, aber auch blasse, traurige, erschrockene, mitleidsvolle. […] Wir mussten uns dann wieder anzie hen und wurden zum Photographieren in ein oberes Stockwerk geführt. Der Gendarm, der uns holen kam, war ein brutaler Mensch. Ich sagte in einem Anflug von Galgenhumor: „Na, machen Sie mich wenigstens recht schön!“ „Halt dein böses Maul, du freches Luder!“ schrie der Gendarm, worauf ihn aber der andere Gendarm, Wießauer, ernst zurechtwies: „Ruhig! Benehmen Sie sich nicht brutal, wir sind doch keine Barbaren!“3 Eduard Staudinger hat wiederholt darauf hingewiesen, dass diese Biografie ein Konstrukt darstellt, das eine frühzeitige Mythenbildung begünstigte. Nichtsdestotrotz bleibt sie die einzige Quelle, die über die Entstehung der letzten bekannten Aufnahme Koloman Wallischs in Liezen Auskunft gibt.4 „Eine weitere Fotografie“, so der Zeithistoriker Helmut Konrad, „(von der man inzwischen weiß, dass es eine Fälschung ist) zeigt Koloman Wallisch kurz vor seiner Hinrichtung. Im schweren Mantel an eine Mauer gelehnt macht er den Eindruck, mit seinem Schicksal abge schlossen zu haben. Obwohl nicht echt, hat dieses Foto doch stets Kultcharakter gehabt.“5 Beim Vergleich der beiden Aufnahmen bestätigen augenfällige Unterschiede in Physiognomie, Haartracht und Kleidung Konrads Aussage. Der Mann auf dem zweiten Bild ist offensichtlich nicht Wallisch, aber es ist auch keine Fälschung im eigentlichen Sinn. Schon kurz nach Wallischs Tod erregte dieses Foto internationale Aufmerksamkeit. So brachte die Pariser Zeitschrift Vu vom 28. März 1934 einen entspre- chenden Bildbericht. Als Quelle wird die New York Times angegeben. Der französischen Legende zufolge stellt das heimlich aufgenommene Foto den sozialdemokratischen Abgeordneten Kohman [sic!] Wallisch wenige Minuten vor seiner Hinrichtung dar, in der Hand sein Testament, das er unter dem Galgen übergab. Die Entdeckung dieser Illustration samt ihrer befremdlichen Beschreibung sorgte für einiges Aufsehen in österreichischen Regierungskreisen. Das zuständige Bundeskanzleramt vertrat die Ansicht, „es wäre immerhin von Interesse, näheres über den Ursprung dieser Aufnahme, bzw. wie sie in den Besitz […] eines ausländischen Bilderdienstes gelangte, in Erfahrung zu bringen.“6 Der zur Stellungnahme verhaltene Sicherheitsdirektor für Steiermark, Gendarmerie-Oberst Franz Zelburg, erklärte dezidiert, dass es sich bei der abgebildeten Person nicht um Wallisch handle, so wie auch „die beiden am Bild gezeigten Bewa chungsorgane keinesfalls – schon aus ihrer Adjustierung ersichtlich – öster reichische Sicherheitsorgane darstellen können.“7 Der mit weiteren Nachforschungen beauftragten Bundespolizeidirektion Wien war bald klar, dass die Fotografie einen ihrer eigenen Beamten zeigte. Dieser hatte nach dem Tod eines Bundesheeroffiziers in den Februarkämpfen Erhebungen in einem Wiener Gemeindebau durchgeführt. Die vermeintlichen Bewacher im Hintergrund waren Hilfspolizisten aus den Reihen der regierungstreuen Wehrverbände. Die Amateuraufnahme war am Todestag Koloman Wallischs von der Firma Herlango in Wien III., Rennweg 52 entwickelt worden und dürfte „eine Copie derselben durch Unachtsamkeit oder missbräuchlich in den Besitz sozial demokratischer Kreise gelangt sein.“8 Dort hatten das Motiv und eine gewisse Ähnlichkeit der Personen anscheinend zur irrigen Annahme geführt, es sei Wallisch, der im Gefängnishof seine Hinrichtung erwarte. Schon bald kur- Paula Wallisch, Ein Held stirbt. Graz 21946, S. 56f. Gemeint ist der Admonter Postenkommandant Revierinspektor Josef Wiesauer, der sich laut Verfasserin „sehr menschlich und anständig benahm“. 4 Gespräch des Verfassers mit Prof. Dr. Eduard Staudinger in Retzhof bei Leibnitz vom 30.10.2008. 5 Helmut Konrad, Der Februar 1934 im historischen Gedächtnis. In: DÖW (Hg.), Themen der Zeitgeschichte und der Gegenwart. Arbeiterbewegung – NS-Herrschaft – Rechtsextremismus. Ein Resümee aus Anlass des 60. Geburtstags von Wolfgang Neugebauer. Wien 2004, 3 4 Der falsche Koloman Wallisch in der französischen Presse | Foto: ÖStA/AdR sierten zahlreiche Abzüge mit entsprechendem Text innerhalb der illegalen Sozialdemokratie. Obwohl die Authentizität der Aufnahme mittlerweile auch durch namhafte Historiker verneint wurde, ist sie bis heute in zahlreichen Publikationen und auf Internetseiten zum Februar 1934 zu finden.9 Eine Besonderheit dieses Bildes ist es, dass sich darin die Lebenswege dreier Männer überschneiden, die nahezu gleich alt waren und deren Lebensläufe bei aller Verschiedenheit doch auch so manche bisweilen zeitbedingte Parallele aufweisen. Allesamt waren sie Angehörige der unteren Gesellschaftsschichten mit offenkundigem Bildungswillen, der ihren jeweiligen beruflichen Aufstieg begünstigte. Zu ihren prägenden Jugenderfahrungen zählte der mehrjährige Militärdienst inmitten des ungarisch-rumänischdeutschen Völkergemisches im Südosten der Habsburgermonarchie. So nimmt etwa in der Biografie des am 28. Februar 1889 geborenen Banater Zimmermannssohnes Koloman Wallisch dessen siebenjährige Friedens- und Kriegsdienstzeit als mehrfach dekorierter Feldwebel des südungarischen k.u.k. Pionierbataillons Nr. 7 breiten S. 12-26, hier 16. ÖStA, AdR 04, BKA-Inneres 22/Stmk 1935, GDfdöS Zl. 150.205St.B./34 vom 10. 4. 1934. 7 Ebd., SiD Stmk Zl. Na 1303-1934 vom 20. 4. 1934. 8 ÖStA, AdR 04, BKA-Inneres 22/Stmk 1935, GDfdöS Zl. 150.205St.B./34, BPD Wien Pr.Z. IV-3466/4/34 vom 6. 5. 1934. Der Bericht trägt den Vermerk „Streng vertraulich!“. 9 So beispielsweise im digitalen Kulturinformationssystem AustriaForum und im Web-Lexikon der Wiener Sozialdemokratie. 6 Hauptmann Rudolf Gieb (1890-1934) | Foto: Öffentliche Sicherheit 3/1934 Reumannhof, Architekturdetail | Foto: M. Parth Raum ein.10 Letztendlich wurden alle drei Lebenswege schicksalhaft von den großen politischen Umbrüchen ihrer Epoche beeinflusst und endeten gewaltsam vor deren vorbestimmter Zeit. Der tatsächliche Schauplatz der Aufnahme führt zu jenem Mann, dessentwegen das Foto gemacht wurde. Wie vom Verfasser an Ort und Stelle überprüft, entstand das Bild im Inneren der weitläufigen städtischen Wohnanlage Reumannhof im V. Wiener Gemeindebezirk. Im Tanzsaal des Reumannhofes befand sich am unheilvollen 12. Februar 1934 ein Maschinengewehrstützpunkt des Republikanischen Schutzbundes. Bei wiederholten Versuchen das Kellerlokal zu stürmen, starb im Lauf des Nachmittags ein Wachebeamter, vier weitere erlitten Schussverletzungen. Gegen 20 Uhr traf Militärassistenz in Form des Kraftfahrjägerbataillons Nr. 4 ein. Nachdem zwei Soldaten schwer verwundet worden waren, ging der Hauptmann Rudolf Gieb selbst mit Handgranaten gegen den rückwärtigen Lokaleingang vor, fiel jedoch wenige Schritte davor durch Kopfschuss; eine gegen ihn geworfene improvisierte Handgranate riss ihm beide Beine weg. Erst nach Einsatz geballter Ladungen ergaben sich die eingeschlossenen Schutzbündler, darunter mehrere Verletzte.11 Es entspricht der Tragik der damaligen Ereignisse, dass der aus einfachen Verhältnissen stammende Gieb durch Anhänger jener Partei getötet wurde, der er wohl selbst nahe stand und die Männern wie ihm als „Volkswehrleutnants“ die Erlangung der zuvor unerreichbaren Offizierscharge ermöglicht hatte. Rudolf Gieb kam am 23. Jänner 1890 als Sohn eines Armeedieners in Wien zur Welt und trat nach Besuch der Handelsschule 1909 freiwillig in das k.u.k. Infanterieregiment Nr. 31 ein. Bis zum Ersten Weltkrieg war er Kompanieunteroffizier und dienstführender Feldwebel in den siebenbürgischen Garnisonen Gyulafehérvár (Alba Iulia/Karlsburg) und Nagyszeben (Sibiu/Hermannstadt). Ab Herbst 1915 leistete er Frontdienst als Zugskommandant. Als solcher geriet er während der 10. Isonzoschlacht im Mai 1917 in italienische Kriegsgefangenschaft, aus der er im August 1919 als Offizierstellvertreter zurückkehrte. An Auszeichnungen wurden ihm die Bronzene Tapferkeitsmedaille, das Silberne Verdienstkreuz mit der Krone und das Karl-Truppenkreuz verliehen.12 Nach Eintritt in die provisorische, sozialdemokratisch dominierte Volkswehr und Übernahme in das Bundesheer absolvierte Gieb einen zweijährigen Offizierslehrgang für „militärisch beson ders begabte, als Unterführer erprobte Unteroffiziere“ an der Heeresschule in Vgl. Paula Wallisch, Ein Held stirbt. Graz 21946, S. 76-103. Öffentliche Sicherheit 14 (1934), Nr. 3, S. 6f. 12 ÖStA, AdR 05/LV, Grundbuchblatt Rudolf Gieb. 13 Vgl. Bundesministerium für Heerwesen (Hg.), Österreichs Bundesheer. 10 11 Enns.13 Als einer der besten Absolventen kam der als „fester, zielbewuss ter Charakter, […] sehr verlässlich, bescheiden […] und sehr anständig“ beschriebene Gieb 1924 als Leutnant zum Wiener Feldjägerbataillon zu Rad Nr. 1.14 Während seiner langjährigen Verwendung als Zugskommandant in verschiedenen Truppenkörpern war er beständig bestrebt, sich fachlich weiterzubilden, ehe er, wie der letzte Eintrag in seinem Personalakt lautet, am 12. Februar 1934 „in den Kämpfen gegen die roten Aufrührer fiel“. Getreu seinem Eid, aber möglicherweise gegen seine innere Überzeugung. Er hinterließ eine Witwe.15 Zuletzt stellt sich die Frage nach dem Mann, der fälschlicherweise für Koloman Wallisch gehalten wurde. In Wahrheit ist es der damalige KriminalRayonsinspektor Josef Ertolitsch des Kommissariats Margareten, der auf der Fotografie jene Stelle bezeichnet, an der Hauptmann Gieb starb. Der am 27. Juli 1887 im niederösterreichischen Hauskirchen geborene Ertolitsch wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Kenntnisse der böhmischen Sprache und eine ausgeprägte Musikalität waren das Erbe seiner Vorfahren. Von Beruf „Privatdiener“, erwarb er durch vierjährigen, freiwillig verlängerten Präsenzdienst, zuletzt als Rechnungsunteroffizier des k.u.k. Infanterieregiments Wien 1929, S. 92f. ÖStA, AdR 05/LV, Dienstbeschreibungen Rudolf Gieb, Beschreibung für das Schuljahr 1923/24. 15 ÖStA, AdR 05/LV, Offizierskartothek Rudolf Gieb. 14 5 Nr. 82 im siebenbürgischen Székelyudvarhely (Odorheiu Secuiesc), den Anspruch auf eine Staatsanstellung.16 Seit 1913 Wachmann der Wiener Sicherheitswachabteilung 26/II, wurde er 1920 in das Kriminalbeamtenkorps übernommen. Berufsbedingt stand er im Verlauf der zunehmenden innenpolitischen Radikalisierung an vorderster Front gegen die Widersacher des autoritären Ständestaates. Da er bei seinen Amtshandlungen in der Verbotszeit rücksichtslos gegen Nationalsozialisten vorging, war er nach dem Anschluss Österreichs Gegenstand entsprechender Untersuchungen der Wiener Gauleitung. Diese bezeichnete Josef Ertolitsch als einen „der gehässigsten Gegner der NSDAP, der die Nationalsozialisten mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verfolgte. Er ist mit Rücksicht auf seine gehässige Einstellung zur NS DAP im heutigen Staat als öffentlicher Beamter untragbar.“17 Anfang 1939 wurde der nunmehrige Kriminaloberinspektor nach dem „Gesetz über die Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums“ im Zuge der „Maßregelung“ mit gekürzten Bezügen zwangspensioniert. Daran konnten auch sein offenbar aus opportunistischen Gründen erfolgter Parteieintritt und der Versuch einer Reinwaschung durch den zuständigen Ortsgruppenleiter nichts ändern, der ihn als „pflichtbewussten Beamten mit nationaler Gesinnung, obwohl er sich als Kriminalbeamter sehr reserviert halten musste“, schilderte.18 Trotz aller politischen Vorbehalte erinnerten sich die neuen Machthaber während des Zweiten Weltkrieges an die besonderen Qualifikationen des ehemaligen Polizisten. 1940 wurde Josef Ertolitsch als Wehrmachtbeamter zur Abwehrstelle Wien eingezogen. Das totalitäre System, das er bis 1938 aktiv bekämpft hatte, machte ihn nun zum Mittäter und wurde ihm zuletzt zum persönlichen Verhängnis. Im Frühjahr 1941 erfolgte seine Versetzung zur neuerrichteten Abwehrstelle Belgrad. Als Mitarbeiter des Referats III C war Alois Leitner Der Todesmarsch der ungarischen Juden durch den Bezirk Liezen im April 1945 Josef Ertolitsch (1887-1946) | Foto: Privatbesitz Elisabeth Schlögl Koloman Wallisch (1889-1934) | Foto: Archiv Parth er mit Aufbau und Koordination eines Agentennetzwerkes betraut, das als Stadtbüro Saturn unter dem Deckmantel eines Handelsunternehmens Zuträger für Hitlers Vernichtungskrieg auf dem Balkan wurde. Unterstützt von Volksdeutschen und einheimischen Kollaborateuren leitete der weitgehend selbständig agierende Ertolitsch die Beschaffung nachrichtendienstlicher Informationen für die Wehrmachtsabwehr. Dazu gehörten Vorsorgemaßnahmen gegen Sabotage an militärischen Einrichtungen und im Verkehrswesen, die Überwachung Einund Ausreisender, sowie die Erstellung von periodischen und anlassbezogenen Berichten. Dabei ging es beispielsweise um die Stimmung der Bevölkerung in Bezug auf die Besatzungspolitik, versteckte Juden, jüdisches Eigentum, den Schwarzmarkt, ehemalige Mitarbeiter ausländischer Botschaften, frühere jugoslawische Militärpersonen und sogar die Spitzen der deutschfreundlichen nationalserbischen Marionettenregierung mit ihren âetnik-Milizen.19 Nach der Auflösung seiner Dienststelle im Jahre 1944 erlebte Ertolitsch das Kriegsende als Volkssturmangehöriger in Wien. Bereits am 16. Mai 1945 wurde er von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD verhaftet. Eine letzte Spur stammt „von einer Privatperson“, die ihn im Juni 1945 im russischen Hauptquartier in Baden lebend gesehen haben wollte. Weitere Nachforschungen der Gattin und des Sohnes blieben lange Zeit ergebnislos. Erst nach Jahren fand sich ein Zeuge, nach dessen „glaubwürdigen Angaben“ Josef Ertolitsch von den Sowjets an die jugoslawischen Behörden übergeben wurde und am 30. März 1946 unter nicht näher genannten Umständen im Zentralgefängnis Belgrad ums Leben kam.20 ÖStA/KA, Grundbuchblatt Josef Ertolitsch. ÖStA, AdR 05/BPA (ZBA), Akt Nr. 56-0603, darin enthalten Gau-Akt Nr. 90.6 vom 10.5.1939. 18 Ebd. 19 DrÏavni sekretarijat za unutrašnje poslove FNRJ, uprava drÏavne bezbeonosti III odeljene, Nemaãka obaveštajna sluÏba u okupiranoj Jugoslaviji IV. Beograd 1959, 277ff. (=Staatssekretariat für interne Angelegenheiten der Volksrepublik Jugoslawien/Staatssicherheits16 17 6 Was bleibt, ist ein Foto, das durch die drei mit ihm verbundenen Schicksale symptomatisch für die tiefe innenpolitische Zerrissenheit Österreichs und den verhängnisvollen Weg ist, der von der Ausschaltung der Demokratie über den „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland in die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges führte. Wie die Epoche selbst sind auch die aufgezeigten Biografien vielschichtig und nicht immer widerspruchsfrei, wovon die verfügbaren Quellen oft nur eine vage Ahnung vermitteln. Was für die Fotografie des „falschen Koloman Wallisch“ gilt, trifft auch hier zu: Nicht immer sind die Dinge so, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. direktion Abteilung III, Der deutsche Nachrichtendienst im besetzten Jugoslawien IV. Belgrad 1959). Für ihre Hilfe bei der Erschließung der Quelle ist der Verfasser Frau Mag. Nada Huber und Frau Mag. Anita Kollau zu Dank verpflichtet. 20 ÖStA, AdR 05/BPA (ZBA), Akt Nr. 56-0603, LGfZRS Wien Zl. 48 T 230/57-15 vom 11. 9. 1957. Für persönliche Hinweise ist der Verfasser Frau Elisabeth Schlögl zu Dank verpflichtet. Trieben 1940, Postkarte Verlag Franz Knollmüller Graz I Archiv Verein Schloss Trautenfels Zwischen 60.000 und 70.000 jüdische Menschen waren Ende 1944 von Budapest aus in Bewegung gebracht worden, um als „Leihjuden“ den Deutschen übergeben zu werden. Wie viele von ihnen auf diesen Todesmärschen in das KZ Mauthausen getrieben wurden, kann nur durch Schätzungen annähernd erschlossen werden. Die Zahl derer, die das KZ Mauthausen lebend erreicht haben dürften, wird vom Lagerschreiber von Mauthausen auf etwa 20.000 geschätzt. Das hieße, dass zehntausende Juden während dieser „Märsche“ ihr Leben lassen mussten – erschlagen, erschossen, verhungert, vor Erschöpfung gestorben. In diesem Beitrag – eine gekürzte Fassung des 2010 in „Der Tauern. Beiträge zur Kultur- und Heimatgeschichte Hohentauerns“ erschienenen Artikels1 – soll anhand von historischen Quellen und Zeitzeugenberichten der Versuch unternommen werden, den Todesmarsch ungarischer Juden vor 70 Jahren durch den Bezirk Liezen in Erinnerung zu rufen. Historische Vorbemerkungen Im Laufe des Jahres 1943 zeichnete sich ein radikaler Wandel in der Kriegsführung des Deutschen Reiches ab. Die anhaltenden militärischen Misserfolge und der de facto bereits verlorene 1 Krieg zwangen Adolf Hitler schließlich im Herbst 1943 von einer offensiven zu einer defensiven Strategie überzugehen. Seine Vorstellungen gipfelten in einer „Festung Europa“, die er um jeden Preis und mit allen Mitteln zu halten beabsichtigte. Mit dem Bau des Atlantikwalls und des so genannten Ostwalls ab Februar 1944 wurden Befestigungsprojekte begonnen, die unvollendet blieben und weder die Westalliierten noch die Russen ernsthaft aufhalten konnten. Im September 1944 ernannte Hitler die Gauleiter der Grenzgaue zu „Reichsverteidigungskommissaren“, womit die Frage der Reichsbefestigung von einer militärischen auch zu einer politischen wurde. Der Ausbau der Reichsschutzstellung erfolgte durch die Organisation Todt (OT) unter Einsatz der Zivilbevölkerung, KZ-Häftlingen und deportierten ungarischen Juden, die bis zur Erschöpfung arbeiten mussten. Die Bauarbeiten, aber auch die militärischen Maßnahmen boten ein Bild der Desorganisation, da die Kompetenzen zwischen den politischen und militärischen Instanzen keineswegs klar geregelt waren. Ungarn im Zweiten Weltkrieg2 Ungarn verfolgte ab 1939 eine Politik der militärischen Neutralität. Die außenpolitische Strategie, keinen Konflikt mit den Großmächten einzugehen, scheiterte und Ungarn konnte sich nicht länger aus dem Krieg heraushalten. Im April 1941 nahm das Land am Angriff auf Jugoslawien teil und war damit auf die Vorgaben Schanzarbeiten am Südostwall, Herbst 1944 I Internet Leitner, Alois: Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den Triebener Tauern im April 1945, in: Der Tauern. Beiträge zur Kultur- und Heimatgeschichte Hohentauerns Nr. 60/April 2010. 2 Szabolcs, Szita: Ungarn 1918 bis 2004, in: GrenzenLos Österreich, Slowenien und Ungarn 1914. 7 Marsch ungarischer Juden durch Hieflau I Archiv Heimo Halbrainer Hitler-Deutschlands ausgerichtet. Am 19. März 1944 wurde Ungarn durch Truppen des Großdeutschen Reiches besetzt. Bis dahin lebte die jüdische Bevölkerung in Ungarn mehr oder weniger in Sicherheit. Bei der Unterredung der beiden Staatsführer (Klessheimer Treffen) machte Miklós Horthy Hitler die Zusage, dass die „als Juden geltenden“ ungarischen Staatsbürger der SS und der Gestapo ausgeliefert werden. Sie traf 825.000 Menschen in Ungarn vollkommen unvorbereitet. Damit begann auch in Ungarn der Abschnitt der sogenannten „Endlösung“. Auch in Ungarn verfuhr man nach dem NS-Fahrplan der Volksausrottung. Die Verfolgten wurden zunächst durch Reise- und Umzugsverbot am Ort gebunden, zur diffamierenden Kennzeichnung mit dem Judenstern verpflichtet, zwangsumgesiedelt oder in Ghettos gesperrt. Im Dezember 1944 errichtete das Regime Szálasis das Budapester Ghetto, das letzte in Europa, wo mehr als 70.000 Juden hineingepfercht wurden. Der überwiegende Teil, über 50.000 Juden, wurde dann aus der Hauptstadt in Richtung Westgrenze getrieben und von der SS zu diversen Arbeiten eingeteilt. Der größte Teil der Juden wurde zur Befestigung der Grenzregion, d.h. zur Errichtung des sogenannten Südost Salla bei Köflach, Postkarte Verlag W. Kramer I Archiv Alois Leitner walls abgestellt.3 Der Südostwall war ein Stellungs- und Befestigungssystem, das als letztes Bollwerk den Vormarsch der Roten Armee stoppen sollte, sich aber, wie sich später zeigte, als völlig wirkungslos erwies. Das Arbeitspensum der jüdischen Zwangsarbeiter betrug zwölf Stunden, danach gab es eine minimale Versorgung. Bereits dort kam es zu Exekutionen und nicht selten mussten Juden ihr eigenes Grab schaufeln. Nach Ende der Schanzarbeiten und dem Durchbruch der Roten Armee Ende März 1945 mussten die Gefangenen zu Fuß zunächst von Graz nach Mauthausen und von dort in das Auffang- und Sammellager Gunskirchen marschieren. Die Todesmärsche hatten begonnen. Todesmärsche durch die Steiermark Zu Ostern (1. April 1945) mussten tausende ungarische Juden unter Bewachung von SS, Gestapo und Volkssturm über Gleisdorf nach Graz teils über den Präbichl und teils über das Gaberl marschieren. Ohne Nahrung, durch Übernachtungen im Freien völlig durchnässt und erschöpft, schleppten sie sich in Richtung KZ Mauthausen. In den 17 Tagen wurde nur viermal Essen ausgegeben. Wer ein Essen erbettelte, Karner, Stefan: Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945. Graz, 1986. S. 398-401. 4 Kremshofer, Engelbert: Rettung ungarischer Juden in der Steiermark, in: Mutige Steiermark, 2007. S. 135. 5 Halbrainer, Heimo u. Ehetreiber, Christian (Hg.): Todesmarsch Eisenstraße 1945. CLIO Graz 2005, S. 73. Aschauer, Anton: Zur Geschichte der Todesmärsche ungarischer Juden durch das Kremstal, in: Kastner, Wolfram und Aschauer, Anton (Hg.): Furchtbare Wege. Der Todesmarsch 3 8 einen Fluchtversuch unternahm oder zu schwach war, wurde vom Wachpersonal erschossen. Die SS war zwar zuständig, ausführend waren aber meist Angehörige der Hitler-Jugend, der SA und des Volkssturmes.4 Dabei kam es am 7. April am Präbichl zu einem Massaker, bei dem Volkssturm- und SA-Männer wahllos in die Menge schossen und etwa 250 Juden ermordeten. Im Eisenerzer Mordprozess wurden der Kreisleiter Otto Christandl, Kommandant Ludwig Krenn und acht weitere Angeklagte durch das Oberste Englische Militärgericht in Graz zum Tode verurteilt und am 21. Juni 1946 durch Erschießen hingerichtet.5 Die Marschroute der ungarischen Juden Ein Transport mit etwa 1000 bis 1200 Personen verließ am 7. April 1945 GrazLiebenau in Richtung Voitsberg, von wo er über Köflach, die Stubalpe (Passhöhe Gaberl, 1547 m), Weißkirchen, Judenburg, Fohnsdorf, St. Johann am Tauern, über den Rottenmanner Tauern (Passhöhe Hohentauern, 1274 m) und Trieben nach Liezen getrieben wurde.6 Die Route führte weiter über den Pyhrn pass (Passhöhe 945 m), Windischgarsten, St. Pankraz, Steyrling, Klaus und Kirchdorf. Von hier gab es zwei Mög- ungarischer Juden durch den Bezirk Kirchdorf. Ein Projekt im Rahmen des Festivals der Regionen 2007. S. 39. 6 Bericht des Controller Military Government Courts Branch to Director, Subject: Atrocities Cases South East Styria and Judenburg Area vom 6.6.1947, PRO FO 1020/2063. Vgl. Lappin, Eleonore: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Österreich 1944/45, in: Martha Keil u. Eleonore Lappin (Hg.): Studien zur Geschichte der Juden in Österreich. Reihe B, Bd. 3, 1997. S. 158. Auszug aus der Gendarmeriechronik St. Johann am Tauern vom 12. April 1945 I Archiv Alois Leitner Gasthof Weingruber 1930, Postkarte I Archiv Alois Leitner lichkeiten. Eine durch das Steyrtal und eine durch das Kremstal, wobei dieser Transport nach dem derzeitigen Forschungsstand durch das Kremstal, also über Schlierbach, Adlwang, Waldneukirchen, Sierning und nach Steyr führte. Von dort ging es gemeinsam mit der Ennstalroute (Präbichltransport) nach Mauthausen. Einen ersten literarischen Hinweis auf den Judentransport über diese Route liefert uns der langjährige steirische Kulturpolitiker Hanns Koren in seinen Momentaufnahmen, wo er im Kapitel über seine Mutter zum Schluss schreibt: „Ein Judentransport wurde durch Köf lach geführt. Nicht die Hauptstraße, sondern den Ortsrand entlang und so auch durch die Griesgasse, in der unser Heimathaus steht, zog die Schar der Hoffnungslosen, müde und erschöpft. Alte und Junge, Frauen und Kinder, denen Durst und Verlangen nach La bung aus den stummen Zügen sprach. Unsere Mutter stand am Gartenzaun, als die schweigende Kolonne vorüber zog. Und ihr Enkel führte sie in den Keller und half ihr einen großen Korb mit Äpfeln heraufzuholen, und als die bittenden Hände die Last des Korbes abgenommen hatten, holte sie wieder einen und wieder einen, bis der Zug, der kein Halten kannte, in Richtung Salla und Obersteiermark verschwunden war. Das ist das Bild, das auf keinem Film und keiner Platte festgehalten wurde, aber „Der damalige Hubmoar Leitgeb (Unterhauser) kam vom Einkaufen in St. Jo hann mit der Nachricht zurück, dass ein Transport von 1000 Juden von Judenburg kommend sich zu Fuß über den Tauern bewegen würde. Schon am Nachmittag sollte sich der Zug bei uns einfinden. Gespannt warteten wir auf die Dinge, die da kommen sollten. Tatsächlich kam der Zug am späten Nachmittag vom Wein gruber Bichl herauf die Straße entlang. Wir saßen in gehöriger Entfernung auf der Wiese und schauten still hinunter auf die Straße. Von mehreren bewaff neten Bewachern umgeben schleppten sich die bedauernswerten Menschen langsam und schier endlos dahin. Da es schon Abend wurde, musste im Un terhauser Wald zwischen vlg. Kainz und unserem Haus (= Nähe der Moser-Villa) das Nachtquartier aufgeschlagen wer den. Später erfuhren wir, dass einer der Juden, der sich des nachts vom Lager entfernt hatte, beim Weingruber er schossen wurde. Am nächsten Morgen sind sie über den Tauern weitergezogen. Nach dem Ende des Krieges wurde den Bewachern dieses Transportes von einem englischen Militärgericht in Graz der Prozess gemacht. Herr Egger, ein Fohnsdorfer, war einer der Angeklag ten; er wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.“10 In Hohentauern berichtet auch die Pfarrchronik, wenn auch nur kurz, über den Judentransport: „Juden und Sträflinge 7 8 es bleibt dennoch eines der schönsten und besten, das ich von meiner Mutter besitze.“7 Einen ersten schriftlichen Beleg findet man in der Gendarmeriechronik von Salla, wo es heißt: „Am 9.4.1945 wurde von der SS eine große Zahl ungarischer Juden durch Salla getrieben. Zwei Juden starben unterhalb des Schutzhauses Gaberl-Stubalpe.“8 Die nachfolgenden Schilderungen widmen sich nun vorrangig dem Verlauf des Todesmarsches im Bezirk Liezen und in den angrenzenden Gemeinden. Von St.Johann nach Hohentauern St. Johann am Tauern „12. April 1945: Vom Stellungsbau in der Oststeiermark usw. kam ein Judentransport in der Stärke von ungefähr 1.000 Mann, ver schiedener Nationalität, die durch Volks sturmmänner aus Fohnsdorf begleitet wurden. Der Transport machte nördlich der Moser-Villa Rast. Ein Jude sprang beim ehemaligen Gasthaus Weingruber wegen Kartoffeln usw. vor. Er wurde des halb sogleich in der Nähe der dortigen Brücke von Männern des Volkssturmes erschossen und beerdigt. Weiters wur den wegen Marschunfähigkeit ein Jude am Rastplatz beim Gasthaus Steinkog ler, Tauernwirt und 2 unterhalb vom Brotjäger erschossen und beerdigt.“9 Ein Zeitzeuge berichtet über den Judentransport durch St. Johann am Tauern: Koren, Hanns: Momentaufnahmen. Menschen, die mir begegneten. Styria, 1975. S. 18. Gendameriechronik Salla, Vgl. Lappin, Eleonore: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Österreich 1944/45, in: Martha Keil u. Eleonore Lappin (Hg.): Studien zur Geschichte der Juden in Österreich. Reihe B, Bd. 3, 1997. S. 184. 9 Gendarmeriechronik St. Johann a.T. 10 Gewährsperson 4 9 Hohentauern 1941, Postkarte Verlag Franz Knollmüller Graz I Archiv Alois Leitner werden hier vorbeigeführt. Die Juden, die vor Erschöpfung nicht mehr folgen können werden erschossen. Im Pfarrge biet drei Judengräber.“11 Ein heute 75-jähriger Zeitzeuge erinnert sich an folgende Begebenheiten: „Als der Judentransport in Hohentauern halt gemacht hat und einer nicht mehr gehen konnte, wir haben gerade beim Fenster hinaus geschaut, hat der Vater gesagt, die Kinder müssen sich ducken, damit wir nicht zuschauen mussten, wie dieser erschossen wurde.“ Derselbe Zeitzeuge weiter: „Die Un termüllerin, Frau Katharina Jetz, wollte ihnen etwas zu Essen geben. Sie wurde aber mit der Androhung des Erschießens zurückgetrieben.“12 „Der ermordete Ungar wurde bei der Ecke des Tauernwirt-Stadls begraben. Der nächste wurde beim Stauchner (heutiges Brotjäger) erschossen und bis zur ,Was sertrogreit‘ gezogen und dort notdürftig begraben, wobei die Füße herausgeschaut haben und wir als Buben immer wieder schauen gegangen sind.“13 Nach dem Krieg mussten dann ortsbekannte Nazis die Leichname ausgraben und ordentlich bestatten. „Von Seiten der Gemeinde wurden die Eltern informiert, dass ein Judentransport über den Tauern geführt wird und es sind alle Fenster zu verhängen. Wir haben trotzdem hinaus geschaut. Es war ein fürchterlicher Anblick.“ […] „Es hat sich rasch verbreitet, dass am Nachmittag ein Judentransport über den Tauern im Anzug ist. So sind fast alle Sunkler, so auch meine Eltern, zur Straße hinaus schauen gegangen. Ich war zur damaligen Zeit schwanger (Jg. 1921) und habe mir das nicht angeschaut. In Trieben wurden sie hinten, also bei der Pappenbude hinuntergetrieben.“14 „Ich war noch ein Jugendlicher und wir streckten die Hand zum Hitlergruß ent gegen, als die Juden vorbeigetrieben wurden. Da haben uns einige die Faust gezeigt.“15 Vom Paltental nach Liezen Trieben: „Am 12. April 1945 erhielt der hiesige Posten den telefonischen Be fehl, am 13. April an der Rayonsgrenze im Sunk mit Volkssturmmännern einen Judentransport von ca. 1000 Juden zu übernehmen, bis zur Rayonsgrenze nach Edlach zu begleiten und dort dem Posten Rottenmann zur Weiterleitung zu übergeben. Die Juden waren derart ausgehungert und entkräftet, dass der Transport nur schleppend vor sich ging. Die ca. 6 km lange Strecke brauchte ei nen Zeitaufwand von 4 Stunden. Nächst Trieben wurde vom Volkssturmmann Ludwig Stütz ein Jude erschossen, weil Pfarrchronik Hohentauern, 2. Teil. 1945. 12 Gewährsperson 1 (Die nur mit Nummern versehenen Gewährspersonen sind dem Autor persönlich bekannt!) 13 Gewährsperson 1 14 Gewährsperson 3 15 Gewährsperson 10 16 Gendarmeriechronik Trieben, Bd. 2 (1936-1962), Vgl. Lappin, Eleonore: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Österreich 1944/45, in: Martha Keil u. Eleonore Lappin (Hg.): Studien zur Geschichte der Juden in 11 10 er nicht mehr weiter konnte. Stütz, so wie der Volkssturmkommandant Johann Hager wurden wegen dieser Tat im Juni 1945 verhaftet und eingeliefert.“16 Der ehemalige und bereits verstorbene Bürgermeister von Trieben, Hans Grassegger, erinnert sich in seinen schriftlichen Aufzeichnungen daran: „Dieser Elendszug, aus dem die meisten letztendes doch umkamen, wurde nicht durch die Ortschaften, sondern an den Ortsrändern geführt, um möglichst den Einheimischen nicht die Möglichkeit zu geben, dieses schreckliche Bild zu se hen.“17 Die letzten Kriegstage in St. Lorenzen im Paltental. Diese Schilderung stammt aus einer anonymen Aufzeichnung aus dem Jahre 1951, die im Landesarchiv verwahrt wird.18 „In der Osterwoche 1945 war ein Ge schehen, das ich, so lange ich lebe, nie vergessen werde. Schon einige Tage vorher wurde bekannt, dass 5000 Juden über den Triebener Tauern getrieben würden – Ziel Mauthausen. Ich war mit meinem Töchterl auf unserem Schre bergarten, der hart an der Reichsstraße lag. Auf einmal sahen wir, wie sich eine dunkle Masse langsam dahinschleppte. ‚Mam’, sagte entsetzt mein Töchter lein, ‚schau, die Juden!’ Wir suchten in einem Gesträuch Versteck, weil wir Angst hatten. Es war ein grauenhafter Anblick! – Barfuß, in Lumpen gehüllt, fast verhungerte Gestalten, die man kaum mehr Menschen nennen konnte, krochen mehr, als sie gingen in Achterreihen, links und rechts bewacht von Männern, die Gewehre trugen. Die Letzten, halbtot, wurden getragen, nachgeschleift. Als die Dunkelheit anbrach, hörte man Schüsse, wahrscheinlich Fangschüsse, wie der Jäger sagt. Wir sahen mit eigenen Augen, wie die Geschöpfe Gras rupften und es gierig „fraßen“, Schnecken und Würmer auflasen und ebenfalls verzehrten. Das nun genügte, um uns den letzten Glau ben zu nehmen. Daheim angekommen, verbrannten wir unser Hitlerbild, denn wer so Menschenunwürdiges duldete, hatte bei uns keinen Platz.“ Österreich. Reihe B, Bd. 3, 1997. S. 185. Die Nachkommen von Herrn Stütz waren durch diese Tat sehr belastet bzw. betroffen. (GP 3) 17 Grassegger, Hans: Unveröffentlichte Chronik über Trieben. S 37. 18 Anonyme Aufzeichnungen (1951), Steiermärkisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung 210, „Einiges aus den Umsturztagen in meinem Wohnort St. Lorenzen i. Paltental“; vgl. Jontes, Günther (Hg.): Vom „Umbruch“ zum „Zusammenbruch“. Steirische Schicksale 1938-1945 in Augenzeugenberichten. Selbstverlag des Obersteirischen Kulturbundes, 2009. S. 245. Rottenmann 1942, Postkarte Verlag Franz Knollmüller Graz I Archiv Verein Schloss Trautenfels Rottenmann: „13./14.4.[1945]: Juden aus Ungarn in Richtung Mauthausen zu Fuß durchgezogen, die ihre eigenen To tengräber bei sich hatten. Es waren noch mehrere hundert. Viele sind unterwegs infolge Erschöpfung umgekommen.“19 In Rottenmann wurden nach dem Krieg die Leichen von drei jüdischen Opfern gefunden. Eine Erhebung bei der Pfarre und der Friedhofsverwaltung in Rottenmann ergab, dass Gräber mit ermordeten Zwangsarbeitern weder bestanden noch bestehen.20 Ein ehemaliger Postbediensteter von Rottenmann (Jg. 1926) erinnert sich wie folgt: „Es muss im April 1945 gewesen sein, als ich wie schon oft vorher, bei meiner Tante auf Besuch war. Sie hatte in Boder (Ortsteil von Rottenmann) ein Häuschen, das von einem Zaun umgeben war. Angrenzend an den Zaun verlief die Straße Büschendorf – St. Georgen. Ich stand damals am Zaun und blickte auf die Straße. Plötzlich sah ich eine Menge Menschen, flankiert von Soldaten mit Gewehren in der Hand, von Büschendorf kommend in meine Richtung gehen. Ich war erschüttert und erschrocken, als die ersten Menschen an mir vorbeiwankten. Abgemagert bis auf das Skelett, mit gebrochenen Augen, die nirgendwo hin blickten, erschöpft, ausgemergelt, sich nur mühsam auf den Beinen halten konnten, dazu das ewige Gebrülle der Soldaten: weiter, weiter! Auf einmal – ich traute meinen Augen nicht – ließen sich vier, fünf dieser armen Kreaturen auf die Knie fallen, rupften das neben der Straße wachsende Gras und schlangen es in sich hinein. Weiter, weiter! So schrien die Soldaten, das Gewehr teilweise im Anschlag. Ich war von dem Gesehenen so erschüttert, ich konnte nicht mehr hinse hen und ich lief mit Tränen in den Augen in das Haus. Angezogen waren diese Menschen, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, mit Sträflingskleidern. Sie wurden von Irgendwo nach Irgendwohin getrieben. Dieses Geschehnis hat sich tief in meine Seele eingefressen. Ich werde diese Bilder mein ganzes Leben lang nicht vergessen.“21 Von Liezen auf den Pyhrnpass Am späten Nachmittag des 13. April 1945 traf der Transport in Liezen ein. Übernachtet wurde in einer Scheune am Ortseingang, wo es auch Verpflegung gab. Bereits am nächsten Morgen um sieben Uhr früh mussten sie weitermarschieren und erreichten am Nachmittag die Gaugrenze. Dreizehn zu sehr geschwächte Juden blieben in Liezen zurück. Sie hätten nach einer Ruhepause mit einem Zug von Nachzüglern mitgehen sollen, wurden aber wegen Verdacht auf Flecktyphus erschossen.23 Nachdem am 14. April 1945 Liezen 1940, Postkarte Frank Verlag Graz I Archiv Verein Schloss Trautenfels Gendarmeriechronik Rottenmann (Vgl. Kremshofer, Engelbert: Mutige Steiermark, 2007. S. 135. 20 Weisgram, Sonja: Die Erinnerungsaktivitäten der österreichischen Gemeinden an die ungarisch-jüdischen Opfer des Südostwallbaus und der Todesmärsche. Seminararbeit am Institut für Politikwissenschaft der Univ. Wien (Fakultät für Sozialwissenschaften). Wien, 2008. S. 117. 19 Ein damals 16-jähriges Mädchen erinnert sich: „Am Sonntag in der Früh um ca. 6 Uhr sind wir in den Stall gegangen um mit der Arbeit zu beginnen. Da hörten wir trapp, trapp. Dort wo heute die Fa. Deisl ihr Geschäft hat (kurz vor Liezen), sind sie dann gekommen. Entsetzlich zum Anschauen, einige haben Gras und die anderen Regenwürmer gesucht und gegessen. Unsere Nachbarin wollte ihnen Brot reichen, da wurde sie von der Wach mannschaft sofort mit dem Erschießen bedroht. Die Gehbehinderten wurden erschossen und an Ort und Stelle von den Kameraden notdürftig beerdigt. Meist haben noch die Hände und Füße heraus geschaut. Lautlos, außer das trapp, trapp sind sie Richtung Liezen verschwunden. Ich werden diesen Anblick mein Leben lang nicht vergessen.“22 Gewährsperson 2 Gewährsperson 5 23 Lappin, Eleonore: Die Todesmärsche ungarischer Juden durch den Gau Steiermark. In: Gerald Lamprecht (Hrsg.): Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung, Auslöschung, Annäherung, Innsbruck: Studien Verlag 2004, S. 263-290. 21 22 11 Noch in den letzten Kriegstagen wird die Bevölkerung mit Plakaten auf Widerstand gegen den „Volksfeind“ und Durchhaltevermögen eingeschworen, Liezen April 1945 I Foto: M. Aigner, Archiv Schloss Trautenfels, UMJ der Transport Liezen verlassen hatte, marschierten sie über den Pyhrnpass nach Kirchdorf an der Krems und Steyr nach Mauthausen.24 Frau Hafner, die Gattin eines Straßenwärters in Liezen berichtet:25 „Es war schrecklich anzuschauen, wie die armen Menschen daherkamen. Die Gefangenen hoben Regenwürmer und Schnecken von der Straße auf, um sie gierig zu verschlingen. Mein ehemaliges Pflichtjahrmädchen, Stefanie Rudorfer, und ich wollten den hungrigen Men schen Kartoffeln und Rüben geben, aber wir wurden von der Begleitmannschaft mit erhobenen Revolvern ins Haus ge jagt. Die Gefangenen konnten nicht mehr weiter, und so mussten sie in einem Heustadl am Ufer der Enns, in der Nähe der Röthelbrücke, lagern. In der Wachmannschaft befanden sich die Volkssturmmänner Lasser, Sulzbacher, Skalnik und andere aus Liezen. Am Sonntag sahen wir vom Fenster aus, wie sechs Gefangene am Ufer der Enns, kaum 300 Meter von uns entfernt, un ter Bewachung Gräber ausschaufelten. Nach vollbrachter Arbeit mussten sie sich vor die Gräber stellen. Sie wurden erschossen, ich zählte sechs Schüsse. An der Erschießung waren der jetzige Leiter des DP-Lagers, Pauritsch, und ein gewisser Mernik beteiligt. Die Lei chen liegen noch heute, oberflächlich verscharrt, an derselben Stelle. Bei Hochwasser besteht die Gefahr, dass die Toten bloßgelegt und fortgespült werden. Im Oktober 1946 wurden vom Bezirksinspektor der Gendarmerie, Hein rich, Erhebungen durchgeführt. Doch Heinrich war selbst der Leiter dieses Transportes gewesen.“ Herr Wienerroither aus Liezen berichtet:26 „Meine Frau und ich gingen mit unseren zwei Buben an dem in Frage kommen den Samstag zur Röthelbrücke. Auf der Straße stand Baumeister Reigel von der Firma Poor (wahrscheinlich ‚Porr’) aus Liezen Wache. Er forderte uns auf, umzukehren, da am anderen Ufer Juden lagern. Als wir umkehrten, kamen uns auf der Hauptstraße die Volkssturmmän ner Pauritsch, Mernik, Messnig, Lasser, Karl Walcher und andere entgegen. Sie fungierten als Posten. Samstag, Sonntag und Montag hörten wir vom Lager her fortwährend Schie ßen und Schreien. In der Nähe des Heustadls, wo sich das Lager damals befand, liegt heute ein Grab. Vor einiger Zeit stolperte einer unserer Buben über LG Graz V g 1 Vr2116/49 gegen Otto Maessing u.a.; Erhebungen gegen Hugo Zemanek, AdR BuMinJu 20.304/2-A/63. Vgl. Lappin, Eleonore: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Österreich 1944/45, in: Martha Keil u. Eleonore Lappin (Hg.): Studien zur Geschichte der Juden in Österreich. Reihe B, Bd. 3, 1997. S. 158. 25 Friedmann, Benedikt: Iwan, hau die Juden! Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich nach Mauthausen im April 1945. Augenzeugen berichten, H. 1, St. Pölten, 1989. S. 62-63. 24 12 einen Schuh. Als er ihn näher ansah, bemerkte er, dass der Schuh am Fuß einer Leiche stak. Die Transporte der Gefangenen von der Röthelbrücke aus über den Pyhrnpaß leitete damals Bezirksinspektor Heinrich. Er muss daher sehr genau wissen, wer die Erschießungen der Marschunfähigen durchführte und in welchem Auftrag sie durchgeführt wurden.“ Herr Wölger aus Liezen berichtet: 27 „Der Volkssturmmann Dunkel, Sattler meister, führte einen Häftling, der die Bevölkerung um Brot bat, zum Lager. Dort wurde der Häftling erschossen. An der Bewachung des Transports nahmen neben Dunkel folgende Volkssturmmän ner teil: Böhm, Theodor Sonnenberg und Hartner, alle aus Liezen.“ Die langjährige Oberlehrerin Margarethe Aigner erinnert sich an die letzten Kriegstage. Ihre schriftlichen Aufzeichnungen sind im Steiermärkischen Landesarchiv verwahrt.28 „15. April: Vormittags ein Zug Kazettler durch den Ort geführt worden. Diesem Zuge folgte ein Zug von circa 1000 Juden, ein Bild des Elends. Matt, gebeugt, die Füße mit Fetzen umwickelt, schlichen sie in der Kolonne dahin, Reihe um Reihe. Sie wurden von der ungarischen Grenze dahergeführt und über den Pyhrn nach Oberösterreich. Bei der Ennsbrücke haben sie auf einer Wiese übernachtet. Vor Hunger aßen sie Gras und Schne cken. Ein Hiesiger wollte ihnen ein Brot geben. Er wurde von der Wache mit dem Erschießen bedroht. Einer Frau im Ort, die zufällig mit einer Schüssel Erdäpfelschalen aus einem Haus kam, wollten Juden solche Schalen aus der Schüssel nehmen und sie gierig essen. Der Wächter war sofort da und wies die Frau energisch in das Haus zurück.“ Über den Pyhrnpass nach Windischgarsten Anfang April kam der erste Marschblock nach Spital am Pyhrn. Die begleitende SS-Wachmannschaft wurde von Ort zu Ort durch Gendarmen, Volkssturmmännern und Angehörige der Hitlerjugend verstärkt und erhielt von der SS den Ebd. S. 63-64 Ebd. S. 64 28 Abschrift eines Tagebuch-Auszuges der Oberlehrerin Margarethe Aigner. Steiermärkisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung 210, Liezen im Ennstal 1938-1945; vgl. Jontes, Günther (Hg.): Vom „Umbruch“ zum „Zusammenbruch“. Steirische Schicksale 1938-1945 in Augenzeugenberichten. Selbstverlag des Obersteirischen Kulturbundes, 2009. S. 221. 26 27 Die Route des Transportes der ungarischen Juden im April 1945, Österreichkarte, 1936 STAA. I Archiv Alois Leitner Befehl, jeden nicht mehr marschfähigen Juden zu erschießen. Der Großteil der Bevölkerung war über den Zustand und die Behandlung der Juden entsetzt. Vereinzelte Hilfsaktionen der Zivilbevölkerung wurden durch brutale Drohungen unterbunden.29 Das Nachtlager (14./15. April 1945) in Spital am Pyhrn errichtete man beim Pölz, beim Kolmer und im Stiftshof und wurde von Volkssturmmännern bewacht.30 Auch die Pfarrchronik von Spital am Pyhrn berichtet von einem Judenmord: „Ein KZ-ler wurde, weil er nicht mehr weiter konnte, beim Lafer erschossen und dort begraben. Nach dem Zusam menbruch wurde der Leichnam exhu miert.“31 Ausgemergelt, halb verhungert und erfroren schleppten sich Gestalten in Sträflingskleidern, die von manchen Zu- schauern für Pyjamas gehalten wurden, dahin. Im Blick stumpfe Verzweiflung, wahrlich ein gespenstischer Zug, der der Bevölkerung Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der nahenden Sieger einflößte. Aber die Befehlsmaschinerie des NSRegimes funktionierte noch immer. Ganz selten, dass es jemand riskierte, offen Kritik zu äußern oder gar einen Befehl zu verweigern. Nur aus Spital am Pyhrn wird berichtet, dass ein alter Sozialist dem Bürgermeister ins Gesicht gesagt hat, „er lasse sich eher erschießen, bevor er sich beim Judentreiben beteiligt.“ Angeblich soll ihm nichts passiert sein.32 Auch der Soziologe Roland Girtler, ein gebürtiger Spitaler (Spital am Pyhrnpass, Oberösterreich), verweist in seinem Buch „Aschenlauge“ auf eine Aussage einer damals 35 Jahre alten Bauerntocher: Stanzel, Rudolf: Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den Pyhrn im April 1945, in: Betrifft Widerstand. Zeitschrift des Zeitgeschichtemuseums Ebensee, Nr. 43 (1999). 30 Krawarik, Hans (Hg.): Ein Dorf im Gebirge. Spital am Pyhrn 1190 – 1990. Linz 1990. S. 408. 31 Aschauer, Anton: Zur Geschichte der Todesmärsche ungarischer Juden durch das Kremstal, in: Kastner, Wolfram und Aschauer, Anton (Hg.): Furchtbare Wege. Der Todesmarsch ungarischer Juden 29 „Ich war wirklich eine Nationalsozialistin, doch wie ich gesehen habe, wie SSler durch Spital am Pyhrn gegen Ende des Krieges Leute getrieben haben, war ich entsetzt. Es waren bei 30 Juden in Pyjamas (Anm.: wohl KZ-Kleidung), die schon recht müde waren, die man wie Tiere vor sich hertrieb. Das habe ich verurteilt. Meine Überzeugung hat sich da sehr gewandelt. Wenn Spitaler diesen müden Juden etwas zu trinken geben wollten, haben die Bewacher das verboten. So grausam waren sie. Das kann man nicht gutheißen und auch nicht die Konzentrationslager.“33 In seinem Buch „Sommergetreide. Vom Untergang der bäuerlichen Kultur“ beschreibt Girtler auch die Haltung des damaligen Bürgermeisters: „Es gab nur sehr wenige, die den Mut auf brachten, dem menschenfeindlichen Wahnsinn des Nationalsozialismus zu widersprechen. Jedoch erfuhr ich von einem ehemaligen Holzarbeiter, der 1938 bei der Abstimmung anlässlich des Anschlusses Österreichs an Deutsch land mit drei anderen eine Neinstimme abgab. Seine Tochter erinnert sich ihres aufrechten Vaters: „1938 gab es nur ein paar Gegner des Nationalsozia lismus. Die, die am lautesten damals geschrien haben, waren nach dem Krieg Sozialisten ersten Ranges. Zu einem habe ich einmal gesagt: ‚Interessant, dass du heute so ein großer Sozi bist, bei dir habe ich damals Marschlieder gelernt, wie der Hitler kam.’ Mein Vater war ein Gegner der Nazis. Als 1945 an einem Samstag der nationalsozialisti sche Bürgermeister zu ihm kam und ihm sagte: ‚Um 12 Uhr Mittag sind Sie mit dem Volkssturm auf dem Pyhrnpaß, um eine Gruppe von gefangenen Juden zu übernehmen’, da hat mein Vater sein Hemd aufgerissen. Er hat gesagt: ‚Ihr könnt mich erschießen, aber Ju den treiben tue ich nicht. Sie können mich sofort abführen.’ Meinem Vater ist nichts passiert. Der Bürgermeister war so anständig und hat ihm keine Schwierigkeiten gemacht. Mein Vater hat zu ihm gesagt: ‚Ich bin ein Roter und bleibe ein Roter. Sie können denken, durch den Bezirk Kirchdorf. Ein Projekt im Rahmen des Festivals der Regionen 2007. S. 44. 32 Stanzel, Rudolf: Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den Pyhrn im April 1945, in: Betrifft Widerstand. Zeitschrift des Zeitgeschichtemuseums Ebensee, Nr. 43 (1999). 33 Girtler, Roland: Aschenlauge. Bergbauernleben im Wandel. Linz 1988.S. 67. 13 (es ist in den Chroniken immer wieder die Rede von 1.000 Juden) und der zeitlichen Zuordnung (Mitte April 1945) nach Kirchdorf, Schlierbach, Adlwang nach Sierning wahrscheinlich und nicht die zweite Variante über Leonstein. Am 18. April 1945, also elf Tage nach ihrem Abmarsch in Graz, traf die Marschkolonne in Sierning ein. Erschöpfte und Tote wurden durcheinander auf Leiterwagen geworfen und sollten am Friedhof beerdigt werden. Zwölf Häftlinge musste man erst erschießen, bevor man sie mit dreizehn anderen begraben konnte. Die Totengräberin soll sich geweigert haben, Lebende zu begraben.37 Wie die wahre Route weitergeführt wurde, lässt sich nur schwer eruieren. Zwei Möglichkeiten bieten sich an: Eine von Steyr weiter durch das Ennstal könnte im Gemeindegebiet von Dietach geteilt worden sein und führte entweder über Kronsdorf oder über Hargelsberg nach Enns und weiter nach Mauthausen. Eine andere Route soll von Sierning über St. Marien und weiter nach Neuhofen geführt haben.38 Aber auch in Steyr, wo der Pyhrntransport dann auf die Ennstalroute stieß, auf der es dann Richtung Mauthausen ging, fand der Todesmarsch noch kein Ende. Man schickte die letzten Überlebenden von Mauthausen noch nach Gunskirchen, wo sie das Kriegsende erlebten.39 Liezen 1944, Franz Knollmüller Graz I Archiv Verein Schloss Trautenfels was Sie wollen. Ich werde euch nie mit ,Heil Hitler!‘ grüßen.“34 Am nächsten Tag erreicht der Zynismus der Bewachungsmannschaft in Windischgarsten einen Höhepunkt. Vor dem Ort mussten die Juden große Steine aufheben und beidhändig tragen, damit sie ja keine Hand für milde Gaben frei hatten. In Rastpausen „grasten“ die Häftlinge Wiesen im Nu ab oder gruben Komposthaufen auf der Suche nach ein paar Kartoffelschalen mit bloßen Händen um. Nach mündlichen Berichten hat der Zug in Spital am Pyhrn, in St. Pankraz und Klaus genächtigt, und zwar einfach auf freiem Feld.35 Der Weitermarsch Richtung Mauthausen Über St. Pankraz, wo der Zug laut Eintragung in der Gemeindechronik nur mehr 800 Personen stark war36, führte der Weg nach Klaus. Durch die mögliche Routenaufteilung kurz nach Klaus ist die Marschroute dieses Transportes nur aufgrund der Größe des Transportes Girtler, Roland: Sommergetreide. Vom Untergang der bäuerlichen Kultur. Böhlau Verlag, 1996. S. 24. 35 Stanzel, Rudolf: Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den Pyhrn im April 1945, in: Betrifft Widerstand. Zeitschrift des Zeitgeschichtemuseums Ebensee, Nr. 43 (1999). 36 Gendarmeriechronik St. Pankraz vom 7.5.1945. 37 Aschauer, Anton: Zur Geschichte der Todesmärsche ungarischer Juden durch das Kremstal, in: Kastner, Wolfram und Aschauer, Anton (Hg.): Furchtbare Wege. Der Todesmarsch ungarischer Juden durch den Bezirk Kirchdorf. Ein Projekt im Rahmen des Festivals der Regionen 2007. S. 51. 38 Stanzel, Rudolf: Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den 34 14 Anmerkungen des Autors Die Zeitzeugen werden immer weniger und die Nachforschungen immer schwieriger. Schon bisher stieß man mit Fragen nach dem Todesmarsch entweder auf eine Mauer des Schweigens oder zumindest auf Ablehnung. Die Todesmärsche tausender Juden durch die damalige Ostmark gehörten zu den großen Tabuthemen in Österreich der Nachkriegszeit und sind es bis heute geblieben. Man wollte und will nicht daran erinnert werden. Pyhrn im April 1945, in: Betrifft Widerstand. Zeitschrift des Zeitgeschichtemuseums Ebensee, Nr. 43. 39 Kammerstätter, Peter: Der Todesmarsch ungarischer Juden von Mauthausen nach Gunskirchen im April 1945. Eine Materialsammlung mit Bildern, unveröffentlichtes Manuskript, Linz 1971. 40 Friedmann, Benedikt: Iwan, hau die Juden! Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich nach Mauthausen im April 1945. Augenzeugen berichten, H. 1, St. Pölten, 1989. S. 4-5. (Der Autor Benedikt Friedmann, geb. 1910 in Lemberg, arbeitete nach dem Krieg eine Zeit lang als Stefan Mendocha bei den Briten als Zensor, dann unter seinem richtigen Namen bei der UNRRA in Koblenz und Admont. 1948 wanderte er nach Israel aus.). Betroffene gibt es fast keine mehr, weil schon damals, 1945, nur wenige überlebten. Augenzeugen auf Seiten der Täter und der Zuschauer – alles spielte sich ja in der Öffentlichkeit ab! – gab es schon damals kaum, weil fast alle schwiegen. Und die Berichte jener, die überlebt hatten oder doch sprachen, wurden unterdrückt – nicht nur vom offiziellen Österreich, sondern auch von den alliierten Besatzungsbehörden.40 Dazu kam noch, dass es vorwiegend Frauen waren, die von diesem Todesmarsch berichten konnten. Die Männer waren zu diesem Zeitpunkt noch im Krieg oder bereits in Kriegsgefangenschaft. Bei der Suche nach schriftlichen Spuren der Todesmärsche durch die Steiermark wird man bei einzelnen an den Marschrouten gelegenen Gendarmerieposten (heute Polizeikommissariat), durch die der Zug der ungarischen Juden führte, fündig. Die in diesen Posten geführten handschriftlichen Chroniken erweisen sich, neben den Prozessakten, als einzig erhaltenes und damit wichtigstes schriftliches Zeugenmaterial von dokumentarischem Wert. Natürlich gehört es zu den Aufgaben einer kritischen Quellenedition, den Wahrheitsgehalt eines Berichtes zu prüfen. Die Verlässlichkeit, vor allem die Vollständigkeit dieser Eintragungen in den Gendarmeriechroniken muss daher allerdings auch mit Vorsicht behandelt werden, da so manche Chronik erst im Jahre 1946 nachgetragen wurde. Gelegentlich ist auch in diversen Pfarrchroniken ein kurzer Hinweis zu finden. In den Schulchroniken wurden die Seiten der Jahre 1938 bis 1945 entfernt. Für wichtige Hinweise und Informa tionen bedanke ich mich bei: Herrn Prof. Mag. Anton Aschauer, 4560 Kirchdorf, Keplerstraße; Herrn Mag. Meinhard Brunner, Mitarbeiter der HLK Steiermark, 8010 Graz, Karmeliterplatz; Herrn Ing. Franz Kreuzer, 8785 Hohentauern 38; Herrn Prof. Dr. Ernst Lasnik, 8570 Voitsberg, Laubgasse 30; Frau Dr. Eleonore Lappin, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Institutes für Geschichte der Juden in Österreich in St.Pölten; Herrn OSR Rudolf Stanzel, Dambach 89, 4580 Windischgarsten; Herrn Dr. Michael Schiestl, Leiter des Stadtmuseums Judenburg; Herrn Dr. Johann Tomaschek, Stiftsarchivar, i.R. 3910 Zwettl, Hauptplatz 13 Literatur- und Quellenverzeichnis: Andritsch, Johann: Judenburg 1945 in Augenzeugenberichten, in: Judenburger Museumsschriften XII, 1994. Bachl Irmgard, Klaus Steyrling Kniewas: Meine Heimat unsere Heimat. Steyrling 1997 (2.Aufl.). Brunner, Walter: Geschichte von Pöls. Eigenverlag der Gemeinde. Pöls, 1975. Burczik, Günther: Nur net dran rührn. Auf den Spuren der Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich nach Mauthausen im April 1945. In: Martha Keil, Eleonore Lappin (Hgg.), Studien zur Geschichte der Juden in Österreich 2 (Bodenheim/Mainz 1997), 169-204. Friedmann, Benedikt: Iwan, hau die Juden! Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich nach Mauthausen im April 1945. Augenzeugen berichten, H. 1, St. Pölten, 1989. Girtler, Roland: Aschenlauge. Bergbauernleben im Wandel. Landesverlag, Linz 1988 (2.Aufl.). Girtler, Roland: Sommergetreide. Vom Untergang der bäuerlichen Kultur. Böhlau Verlag, Wien . Köln . Weimar, 1996. Halbrainer, Heimo u. Ehetreiber, Christian (Hg.): Todesmarsch Eisenstraße 1945. Terror, Handlungsspielräume, Erinnerung: menschliches Handeln unter Zwangsbedingungen. Graz 2005. Jontes, Günther (Hg.): Vom „Umbruch“ zum „Zusammenbruch“. Steirische Schicksale 1938-1945 in Augenzeugenberichten. Selbstverlag des Obersteirischen Kulturbundes, 2009. S. 221. Kammerstätter, Peter: Der Todesmarsch ungarischer Juden vom KZ Mauthausen nach Gunskirchen, April 1945. Eine Materialsammlung mit Bildern, (unv. Manu.) Linz 1971. In: Marsalek: Mauthausen, S. 144. Karzanowitsch, Erni: Die Brücke. Ein österreichisches Schicksal. 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Lappin, Eleonore: Die Rolle der Waffen-SS beim Zwangsarbeitseinsatz ungarischer Juden im Gau Steiermark und bei den Todesmärschen ins KZ Mauthausen (1944/45). In: DÖW (Hrsg.). Jahrbuch 2004. Schwerpunkt: Mauthausen, S. 77-112. Schreglmann, Rudolf: 100 Jahre Adlwang. Adlwang 1993. Stanzel, Rudolf: Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den Pyhrn im April 1945. In: Betrifft Widerstand. Die Zeitschrift des Vereins WiderstandsMuseum Ebensee, Nr. 43 (Februar 1999), 32f. Szabolcs, Szita: Ungarn 1918 bis 2004, in: GrenzenLos Österreich, Slowenien und Ungarn 1914 – 2004. Beitragsband zur Ausstellung im Gerberhaus Fehring, 2007. Szabolcs, Szita: Verschleppt, verhungert, vernichtet. Die Deportation von ungarischen Juden auf das Gebiet des annektierten Österreich 1944-1945. Wien, 1999. Gendarmeriechroniken Trieben, Oberzeiring, Pöls, Fohnsdorf. Die Einsicht in die Chroniken erfolgte mit schriftlicher Genehmigung durch das Landespolizeikommando Steiermark (Schreiben vom 21.08.2009 GZ 2810/39062/2009). 15 Ulrich Schlie Zur Sonderausstellung „Spione, Schwindler, Schatzsucher Kriegsende im Ausseerland 1945“ im Kammerhofmuseum Bad Aussee Rückzugsgebiet Wildenseealm, 1943 I Foto: Archiv Schloss Trautenfels, UMJ Was genau in den letzten Tagen unmittelbar vor dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ im Ausseerland geschah, ist bis heute vielfach noch rätselhaft, wenn nicht umstritten. Da waren Hitlers Paladine wie SS-General Ernst Kaltenbrunner mit seinen Getreuen, die auf ein Auseinanderbrechen der Anti-Hitler-Koalition, eine Wendung der Amerikaner gegen die Russen spekulierten. Sie phantasierten vom Überwintern und der Fortsetzung des Kampfes aus einem Rückzugsraum in den Alpen heraus. Dann gab es den undurchsichtiggerissenen, späteren Nationalrat und kurzzeitigen Bezirkshauptmann Albrecht Gaiswinkler, der im April 1945 mit einem Fallschirm buchstäblich vom Himmel gefallen war, und dann gab es noch jene mysteriösen Transporte - Lastwagen, die Kisten ankarrten, um am Toplitzsee versenkt zu werden. Eine Ausstellung zum Kriegsende Viele dieser Geschichten sind oft kolportiert worden, manches wurde ausgeschmückt, Mutmaßungen ersetzten 16 Faktenwissen. Die Ausstellung „Spione, Schwindler, Schatzsucher“ geht den Fährten dieser geheimnisumhüllten Begebenheiten aus der Endphase des „Dritten Reiches“ nach. Sie wurde vom Sommer 2013 bis Ende Juli 2014 im Bad Ausseer Kammerhofmuseum gezeigt und wird in erweiterter Form 2015 wiederum in Bad Aussee (Palmsonntag bis 16. Juli) und in der Gemeinde Obertraun (17. Juli bis Ende September) zu sehen sein. Der hier anzuzeigende, die Ausstellung begleitende Katalog vertieft einzelne Aspekte.* Ausstellung und Katalog erzählen von der Rettung der Kunstschätze in den Altausseer Salzbergstollen, von der abenteuerlichen Flucht und Verhaftung Kaltenbrunners auf der Wildenseehütte Anfang Mai und vom Ende der größten Geldfälschungsaktion aller Zeiten, dem „Unternehmen Bernhard“ am Toplitzsee. Man erfährt von den Feriendomizilen der führenden Nationalsozialisten, den Undercoveraktionen des britischen und amerikanischen Geheimdienstes im Ausseerland und so manchem mehr. Die Folie dafür bilden Kriegsführung und Strategie der großen Mächte der AntiHitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg. Die Ausstellung basiert auf umfangreichen Recherchen in zahlreichen Archiven, darunter: Washingtoner und Londoner National Archives, Schweizerisches Bundesarchiv Bern, Institut für Zeitgeschichte München, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands in Wien, Zeitgeschichte Museum Ebensee, Die Amerikaner übernahmen nach ihrem Einmarsch in Bad Aussee unverzüglich den Schutz der im Salzbergwerk Altaussee eingelagerten Kunstschätze I Foto: www.monumentsmenfoundation.org SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner (1903-1945), Chef der Sicherheitspolizei und des SD I Foto: Internet Oberösterreichisches Landesarchiv in Linz, Steiermärkisches Landesarchiv Graz. Weiters wurden zahlreiche bislang unbekannte Unterlagen aus lokalen Archiven und aus privater Hand genutzt. Die Ausstellung bietet damit erstmals eine Gesamtschau der verzweigten Ereignisse und hat dadurch über die Bedeutung der Geschichte der Region hinaus auch einen globalgeschichtlichen Aspekt. Dabei verbinden sich große Politik, Kriegsführung und Strategie mit lokaler Geschichte. Gerade in dieser Verbindung liegt der eigentliche Erkenntniswert der Ausstellung. NS-Granden im Ausseerland Das Ausseerland rückte anno 1945 zunächst nur zufällig ins Zentrum des Geschehens: Ernst Kaltenbrunner, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), weilte häufig in Altaussee bei seiner Geliebten, Gisela Gräfin Westarp, und konnte sich zudem bei SSSturmbannführer Wilhelm Höttl, dem Balkanreferenten des RSHA, auf einen ortsansässigen, kundigen und umtriebigen Gefolgsmann verlassen. Kaltenbrunners Bande nach Altaussee waren jedoch nicht die einzigen Verbindungsstränge zum offiziellen Dritten Reich. Die Faszination jener Geschichte rührt zunächst daher, dass sich die nationalsozialistische Prominenz bei Kriegsende plötzlich auf wenigen Quadratkilometern verdichtete. Es fanden sich damals ein: SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner, der mit weitgehenden Vollmachten ausgestattete Stellvertreter Himmlers, dazu führende Angehörige des Reichssicherheitshauptamtes wie Kaltenbrunners rechte Hand, SS-Ober- SS-Obersturmbannführer Wilhelm Höttl (19151999), bei Kriegsende Kaltenbrunners wichtigster Ratgeber I Foto: aus Walter Hagen, Unternehmen SS- Obersturmbannführer Otto Skorzeny (1908-1975) war im Zweiten Weltkrieg für Spezialaufträge und Kommandounternehmen verantwortlich I Foto: aus Otto Skorzeny, Meine Bernhard. Wels, Starnberg 1955 Kommandounternehmen. Krieg ohne Fronten. Wiesbaden 1976 sturmbannführer Wilhelm Höttl, sowie dessen andere österreichische Vertraute, die beiden SS-Obersturmbannführer Wilhelm Waneck und Werner Göttsch. Zudem hatte das letzte Aufgebot des Alpenschutzkorps unter Führung des NS-Idols und Mussolini-Befreiers, SSObersturmbannführer Otto Skorzeny, im Eichelhof in Bad Aussee Quartier bezogen. Auch der fanatische Gauleiter von Oberdonau, August Eigruber, mit Sommervilla in Altaussee, nur scheinbar auf dem Rückzug und zum Auftritt als Herostratos entschlossen, war nicht weit. Sie alle einte, dass sie in Verkennung der Kriegsrealitäten Vorbereitungen für die Zeit nach Hitler treffen, ihre eigene Haut retten und Vermögensschätze für die ungewisse Zukunft beiseiteschaffen wollten. Die Villa Kerry in Altaussee wurde auf diese Weise zum letzten Hauptquartier der irrlichternden Kaltenbrunner- „Regierung“, der sich auch der Sonderbeauftragte Südost, Hermann Neubacher, der einstige Vizekanzler und Statthalter in Kroatien, Edmund Glaise von Horstenau, sowie weitere Nationalsozialisten aus den vorderen Reihen angeschlossen hatten. In Altaussee hatten sich zudem seit Anfang 1945 die Exilregierungen der entmachteten Verbündeten der „HitlerKoalition“ - Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Kroatien – niedergelassen, und das deutsche Auswärtige Amt hatte eine Außenstelle der „Dienststelle Gesandter Altenburg“ zur Betreuung der aufgabenlos gewordenen Verbündeten eingerichtet. Im Hotel am See in Altaussee waren die rumänische Exilregierung sowie eine Gruppe von privilegierten Reichskünstlern, u.a. Johannes Heesters und Ernst von Klipstein, einquartiert. In Gößl am Grundlsee hielt sich wiederholt Das Quartier von Gräfin Westarp und Kaltenbrunner in Altaussee I Foto: aus Walter Hagen, Unternehmen Bernhard. Wels, Starnberg 1955 17 Das Seehotel in Altaussee, Sitz der rumänischen und bulgarischen Exilregierungen I Foto: A. Rastl, Archiv Schloss Trautenfels, UMJ Joseph Goebbels mit seiner Familie auf. Zudem waren in den Salzbergstollen Altaussees die von den Nazis europaweit zusammengeraubten Kunstschätze eingelagert worden. Ihre Rettung in den letzten Kriegstagen ist dem couragierten Wirken einzelner zu verdanken. Seit dem Absprung des einstigen Wehrmachtdeserteurs und britischen Agenten Albrecht Gaiswinkler im April 1945 hatten zudem die Aktivitäten der Freiheitsbewegung signifikant zugenommen, und – je deutlicher sich der Zusammenbruch des Dritten Reiches abzeichnete –, desto größer wurde der Kreis derer, die sich der Freiheitsbewegung zurechneten. Der Mythos Alpenfestung Wie realistisch war die Alpenfestung überhaupt? Die Ausstellung bestätigt hier die Ergebnisse der zeithistorischen Forschung: Die militärischen Vorbereitungen für die „Kernfestung Alpen“ waren unzureichend. Lange schon hatte der Tiroler Gauleiter Franz Hofer in Denkschriften dafür geworben, ein rückwärtiges Stellungssystem nach dem Vorbild des Schweizer Alpenreduits aufzubauen, war damit jedoch am Hofe Hitlers nicht durchgedrungen. Erst am 28. April 1945 erging dann der Befehl für den Befehlshaber Nord der Alpenfestung sowie der „Erkundungsund Ausbaubefehl“ für die „Kernfestung Von einer britischen Halifax-Maschine sprang die vierköpfige Gruppe mit Gaiswinkler über dem Salzkammergut ab I Foto: Archiv des Autors 1 18 Ein- und ausgehende Befehle, Meldungen usw. des Führungsstabs B (6. April bis 1. Mai), Eintragung 28. April 1945. In: Kriegstagebuch Albrecht Gaiswinkler (1905-1979) war die wohl schillerndste politische Figur der Nachkriegszeit im Ausseerland I Foto: Archiv Kammerhofmuseum Bad Aussee Alpen“: „Auf Befehl des Führers Ausbau, Ausstattung mit Munition und Verpfle gung, so dass Verteidigung als Bollwerk und zur Aufnahme der Verbände des OB West, des OB Südwest und der Heeres gruppe Süd möglich wurde.“1 Auch in den alliierten Planungen - insbesondere der Vereinigten Staaten – hatten Annahmen über die Alpenfestung durchaus eine Rolle gespielt. Die Idee, den Kampf aus einem Rückzugsraum heraus fortzusetzen, folgte keiner militärstrategischen Bewertung und war schon gar nicht realistisch. Maßgeblich dafür waren Spekulationen, wonach ein Auseinanderbrechen der Anti-Hitler-Koalition unmittelbar bevorstünde. Auch egoistische Überlebensmotive spielten eine wesentliche Rolle, denn spätestens als sich Adolf Hitler Mitte April 1945 entschied, in Berlin zu verbleiben, war der totale Untergang unausweichlich. Die letzten Tage im Salzkammergut Am 2. Mai wurden unter anderem Gmunden, Bad Ischl, Goisern, Sankt Wolfgang und Bad Aussee zu Lazarettorten erklärt. Der Zuzug dorthin war jetzt nur noch Verwundeten gestattet. Das Panzerjagdregiment Oberdonau unter Sturmbannführer Wolkerstorfer zog sich nach der Erklärung Gmundens zur Lazarettstadt nach Ebensee zurück. Eigruber befahl jetzt auch die Preisgabe von Ebensee, worauf Wolkerstorfer sein Regiment an den Pötschenpass verlegte, Schanzarbeiten beauftragte und bis zum des Oberkommandos der Wehrmacht 1944-1945, Teilband II, hg. von Percy Ernst Schramm, München 1982, S. 1447. Einmarsch der amerikanischen Truppen in Bad Aussee, 8.5.1945 I Foto: Archiv Kammerhofmuseum Bad Aussee Die geografische Linienführung der „Kernfestung Alpen“ I Foto: aus: Hugo Portisch, Sepp Riff, Der lange Weg zur Freiheit, Bd. 2. Wien 1985 7. Mai hartnäckigen Widerstand leistete. Noch am Vormittag des 8. Mai war vom Pötschen weitum das Geschütz- und Maschinengewehrfeuer zu vernehmen. Zwischen Aussee und Kainisch kam es zu Straßensprengungen. Am Nachmittag rollten dann die ersten amerikanischen Panzer über den Pötschenpass. In Bad Aussee hatten zu jenem Zeitpunkt schon die Angehörigen der Freiheitsbewegung, allen voran Albrecht Gaiswinkler und der Gendarm Valentin Tarra, die Macht übernommen. Als die Amerikaner am 8. Mai einrückten, waren Bad Aussee und Umgebung rot-weiß-rot beflaggt. Spätestens jetzt waren die Illusionen zerstoben. Adolf Eichmann, seit Ende April Logisgast im Parkhotel, hatte vergeblich auf höhere Befehle gehofft. Zwar versuchte er noch mit einem letzten Aufgebot eine Verteidigungsstellung am Pötschenpass aufzubauen, doch am 8. Mai musste er zusammen mit dem rumänischen Faschistenführer Horia Sima überstürzt den Gang in den Untergrund antreten. Aufstieg zur Wildenseealm im Schnee I Foto: Archiv Zeitgeschichte Museum Ebensee Auf der Rettenbach-Alm wurde er ein letztes Mal gesichtet. Kaltenbrunners Flucht mit einigen wenigen Getreuen auf die Wildenseehütte und seine Verhaftung durch den CICObersten Matteson am 12. Mai sowie Skorzenys Weigerung, die bedingungslose Kapitulation anzuerkennen und sein in den darauffolgenden Tagen bis zum 15. Mai (!) folgendes Versteckspiel in den Wäldern des Öderntals und um den Ödensee bilden die Schlusspunkte des letzten Aktes. Ein Da capo war ausgeschlossen. Menschliche Dramen, enttäuschte Hoffnungen, tollkühne Einzelaktionen, irregeleiteter Idealismus, aber auch fanatischer Hass, Versagen und Verbrechen: In Zeit und Raum, zwischen März und Mai 1945, haben sich im Ausseerland persönliche Geschichten, Heimatgeschichte und Weltgeschichte auf einzigartige Weise verdichtet. Die Ausstellung in Bad Aussee und Obertraun vermittelt davon einen plastischen Eindruck. Sie lässt ahnen, welchen Anfechtungen und Gewissenskonflikten einzelne ausgesetzt waren. Aber sie gibt auch eine Vorstellung von den Vermögenswerten und „Überbrückungshilfen“, die in der Endphase des Dritten Reiches aus ganz unterschiedlichen Motiven ihren Weg ins Ausseerland fanden. Die Ausstellung „Spione, Schwindler, Schatzsucher – Kriegsende im Ausseerland 1945“ ist nur mehr bis 16. Juli 2015 im Kammerhofmuseum Bad Aussee zu sehen. Im Anschluss daran wird sie bis 30. September in der Gemeinde Obertraun präsentiert. *Der Katalog zur Ausstellung „Spione, Schwindler, Schatzsucher – Kriegsende im Ausseerland 1945“ ist zum Preis von E 14,– im Shop von Schloss Trautenfels und im Kammerhofmuseum Bad Aussee erhältlich. Die Wildenseehütte, Kaltenbrunners Rückzugsort I Foto: Archiv Schloss Trautenfels, UMJ 19 Gerhard M. Dienes Stellungen der Deutschen Wehrmacht an der Ostfront zwischen Leningrad (St. Petersburg) und Moskau, 1942 I Foto: A. Otte, Privatarchiv Die Toten stellten sich auf wie Mumien Herbert Zand und sein Weltkriegsroman „Letzte Ausfahrt“ Im Mai 1945 kapitulierte HitlerDeutschland. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. 70 Jahre danach reduzieren sich die Retrospektiven oft „nur“ auf die unmittelbaren Schäden, auf die Zerstörung, auf die Opferzahlen. Weitaus weniger beachtet werden jene Menschen, die mit „Langzeitschäden“ physisch und/ oder psychisch verkrüppelt und zerstört aus dem Krieg zurückkehrten. Herbert Zand im März 1953 I Foto: Archiv Schloss Trautenfels, UMJ 20 In jungen Jahren in den Krieg Der 1923 in Knoppen als Bauernsohn geborene Lyriker und Romancier Herbert Zand war einer von ihnen. „Man kann in Herbert Zand“ – so Wolfgang Kraus, einer seiner Förderer – „mehr als ihn selbst, man kann in ihm die Personifizierung einer Generation sehen. Einer Generation, die in frühes ter Jugend in einen unverschuldeten Krieg, in eine Hölle auf Erden, gestoßen wurde.“ Einundzwanzigjährig vor Moskau verwundet, schleppte sich Zand mit schwersten Bauchverletzungen tagelang zu einem Lazarett: „Eines meiner besonderen Kennzeichen entdeckte ich mit einundzwanzig Jahren in einem kleinen, billigen, runden Spie gel, der immer nur einen Teil meines Gesichts wiedergab. Es war eine weiße Strähne, die quer durch mein Haar lief, und sie war dort aufgesprungen nach einem Nachtmarsch, bei dem die Nähte, eine nach der anderen, rissen, mit denen ein Chirurg wenige Stunden vorher eine schwere innere Verletzung geschlossen hatte. Erst zwei Monate später sah ich in einem Spiegel mein ganzes Gesicht auf einmal, und das Ereignis gehört zu jenen, die ich bis heute nicht verstehe: Nicht nur dass ich einen fremden Menschen sah - die ser Fremde schoss mich mit dunklen Augen an, wie ich niemals angeblickt werden möchte.“ Während des Krieges und danach musste sich Zand zahlreichen Operationen unterziehen. Doch nicht alle Granatsplitter konnten entfernt werden. Eiterungen und Fieberschübe waren die Folge und langsam zerstörte ein nur zwei Millimeter kleiner Splitter seine beiden Nieren. Zand starb im Sommer 1970 an den Spätfolgen seiner Kriegsverletzung. Sein Tod war ein Kriegstod, sein Leben vom Schicksal des Kriegs gezeichnet. Der Staatspreis für einen Kriegsroman Im Jahre 1953 war sein Buch „Letzte Ausfahrt. Roman der Eingekesselten“ – „Eingekesselt, eingekreist sind wir alle, solange wir leben und streben“ – erschienen. Zand erhielt den österreichischen Staatspreis für Literatur. Doch das Buch war zur falschen Zeit erschienen. Kaum jemand wollte damals im be- Cover des im Europa-Verlag 1971 neu edierten Werkes „Letzte Ausfahrt“ I Foto: Archiv Schloss Trautenfels, UMJ ginnenden Wirtschaftswunder an das eben überstandene Grauen erinnert werden, nach dem Motto: „Geschichte wird zuerst gelebt, von den meisten erlitten. Dann wird sie selektiv vergessen und bald tabuisiert. Man nennt das Vergangenheitsbewältigung.“ (Emanuel Hurwitz) „Schwamm drüber“, „unter den Teppich kehren“, das war der vorherrschende Tenor in Österreich, das sich als das erste Opfer der Hitlerschen Aggressionen gab, Verstrickung und Mitschuld an Krieg, Terror und Verbrechen zu verschweigen suchte. Und so war Zand für die breite Öffentlichkeit bald vergessen. Dabei zählte er zu den größten literarischen Talenten des Landes. „Aus der Generation der Dichter, die durch den Krieg gezeichnet wurden“, meinte Elias Canetti, „kenne ich keinen, der mich so ergriffen hätte wie Herbert Zand.“ Die Handlung von Zands Roman spielt knapp vor Kriegsende im Osten und versucht, die tragische Situation der Soldaten in den Monaten März und April 1945 wiederzugeben. „Jeder Tag“, schreibt Zand 1953 in einem Brief, „bringt die unvermeidliche Niederlage näher, keines der gebrach ten Opfer konnte für das eigene Volk oder für die Menschheit oder auch für den Nebenmann Hilfe oder Nutzen be deuten, nichts ist mehr zu verteidigen, Deutsche Maschinengewehrstellung an der Ostfront zwischen Leningrad und Moskau, 1942 I Foto: A. Otte, Privatarchiv nur der Opfergang wird konsequent bis zum Ende gegangen. […] Ich habe in der ‚Letzten Ausfahrt‘ versucht, den Krieg von innen her zu unterlaufen“ und am Beispiel des Kriegsgeschehens die existenzielle Situation des Menschen überhaupt darzustellen. Die Allgegenwart des Todes Im Roman erweist sich die Bezeichnung „Krieg“ als „dünner Schleier vor den Worten Mord und Totschlag aus Notwehr.“ Ungeschminkt schildert der Autor das Kriegsgeschehen: „… das Zweiundvierziger [Maschinengewehr] surrt wie eine Nähmaschine. Es näht an einem großen Gewand, einer weiten Robe, die von einem nächtlichen Ho rizont zum anderen reicht, und heftet mit tausend Stichen Tod an Tod.“ Der Tod war allgegenwärtig an der Front: „Einen der Wagen hatten sie getroffen. Er schwang über den Rand des Abgrun des hinaus […] mit wirbelnden Rädern und splitternder Deichsel. Die Pferde überschlugen sich frei in der Luft. Die Verwundete deutsche Soldaten in einem Lazarettzug Richtung Westen, 1943 I Foto: A. Otte, Privatarchiv 21 Herbert Zand in seinem Arbeitszimmer in der Kantzergasse, Wien 1969 I Foto: Archiv Schloss Trautenfels, UMJ Toten und Verletzten wurden aus dem Kastengestell gerissen, stellten sich zuerst auf wie Mumien, starr und er staunt, und sackten ab. Allen voran aber schlug der Fahrer mit ausgebreiteten Armen, ein graues Nebelgespenst in der fernen Düsternis, der Schwärze des Abgrundes entgegen.“ Zand sah viele seiner Kameraden sinnlose Tode sterben: „So weit hatte sich Höhn schon dem Tode genähert, als Blut in seine Kehle sickerte […] und ihn würgte. Er konnte denken, und er wusste in aller Klarheit, daß er sich nun selber leertrank. […] Er verblutete in sich hin ein […] und verströmte sich in die Erde, die sein Leben an sich saugte.“ Als Frontsoldat sah Zand sich vor einem Feld liegen, „weiß bereift, in Planquadrate eingeteilt […] Gewisse Nummern hießen Tod. […] Aber das ist nicht das Schlimmste. Viel schlimmer ist, daß du selber zerbrochen bist.“ Zand prangert an, ohne laut zu werden, so etwa einen General, der bis zum Schluss unbelehrbar ist, wenn er sinniert: „Ich habe die Befehle ausge führt, die mir gegeben wurden, weil ich glaubte, daß es besser sei, sogar das Schlechte zu tun, das Sinnlose, das Fluchwürdige, als einen Befehl nicht zu erfüllen.“ Für Zand war der Gegner nicht der „Feind“ auf der anderen Seite der Kampflinie. Darin gleicht er Heinrich Böll, der 1984 in einem Brief an seine Söhne ausführte: „Übrigens hatte ich nicht den geringsten Grund, gegen 22 die Sowjetunion Klage zu erheben. Daß ich dort einige Male krank, auch verletzt wurde, liegt in der ‚Natur der Sache‘, die da Krieg heißt, und es war mir immer klar: eingeladen waren wir dorthin nicht. … Soldaten – und ich war einer – sollten ohnehin nie über die klagen, gegen die sie sich in den Krieg haben schicken lassen, nur über die, von denen sie sich haben in den Krieg schicken lassen.“ Zand erlebte den Krieg bis zu seinem bitteren Ende: „Und Shiwa tanzte im Rauche. Seine Ferse war Dynamit und seine Sohle Phosphor. Er traf die Men schen in die Eingeweide und ließ sie brennen von innen heraus.“ Grab von Herbert Zand am Friedhof in Obersdorf I Foto: W. Otte, Archiv Schloss Trautenfels, UMJ Der Niederbruch des deutschen Reiches und seiner Politik bedeutete für Zand kein Unglück, dieses lag für ihn nur aber umso stärker im menschlichen Herzen. Das Kriegsende verband er mit dem Licht: „Die Zeit der Verdunkelung ist vorüber. Licht in den Fenstern, in den Häusern, auf der Stra ße. Wir müssen uns wieder gewöhnen, gesehen zu werden.“ Gelernt hat Zand „im Kriege die Gering schätzung aller Arten von Todesmut, wenn Tapferkeit und Überwindung der Furcht nicht das Leben eines Nächsten zu retten vermögen, wenn sie zerstö rerisch da sind, um ihrer selbst willen, Ausdruck höchsten Grades innerer Lee re und Erbärmlichkeit; von der Erde, dass Grausamkeit herrscht in allen Wurzelbereichen und nur die bedin gungslose Hingabe des Eigenen Frucht bringt; von der Literatur, wie schwer es ist, ein wahres Wort zu denken und auszusprechen.“ 1961 erschien sein Roman „Erben des Feuers“, in dem er ein filigranes Stimmungsbild der sich in den alten Kompromiss fügenden Nachkriegsgesellschaft zeichnet, welche die Chance eines echten Neuanfangs versäumt. Sie hat nicht nur das „Feuer“, sondern fatalerweise auch sich selbst überlebt. Ihre Werte fußen auf Traditionen, die innerlich verwest sind. Und die Jungen verkörpern zwar eine moderne Welt, die jedoch „amorph und scheinheilig ist und Worte aufplustert, die keine sind.“ Mario Zaunschirm Buchbesprechung Wolfgang Hafer: Die anderen Mautners. Das Schicksal einer jüdischen Unternehmerfamilie Hentrich & Hentrich Verlag Berlin, Berlin 2014. 15,6 x 1,5 x 23,3 cm. 216 S. 29 Abbildungen. € 22,- ISBN 978-3-95565-061-2. Erhältlich im Buchhandel und im Shop von Schloss Trautenfels. Abenteuerlich mutet es an, wie der Autor, Wolfgang Hafer, über das Thema seines Buches stolpert. Während der Recherchen über seinen Großvater Hugo Meisl, den jüdisch-österreichischen Wegbereiter des modernen Fußballs, stößt er bei der Untersuchung dessen Nachlasses auf den Namen Mautner – entfernte Verwandte, wie sich herausstellt. Der Historiker begibt sich auf Spurensuche, um mehr über diese Familie zu erfahren, die im Gegensatz zu den Mautner-Markhofs mittlerweile in Vergessenheit geraten ist. Einzig ihr Sohn, Konrad Mautner, dürfte kulturhistorisch interessierten Menschen, ein Begriff sein. War er es doch, der sich zeitlebens den Trachten und Volksliedern des Ausseerlandes widmete und dessen Leidenschaft auch heute noch in Form der bibliografischen Kostbarkeit „Steyerisches Raspelwerk. Lieder, Vierzeiler und Gasselreime aus Goeßl am Grundlsee“ nachhallt. In fünf thematisch gegliederten Kapiteln erzählt Wolfgang Hafer „vom märchenhaften Aufstieg und der Ver treibung und Vernichtung einer jüdischen Familie aus Öster reich.“ Seine Reise in die Vergangenheit führt den Leser „vom Osten und Norden der Tschechischen Republik über Wien der Wende zum 20. Jahrhundert, in eine Epo che enormer ökonomischer Expansion, hinein in die Paläste und Salons des zu Reichtum gelangten jüdi schen Großbürgertums mit seinem Mäzenaten tum und wieder hinaus ins Wien der Inflation und Weltwirtschafts krise.“ Im Zentrum dieser Familienbiografie steht der Textilpatriarch Isidor Mautner. Schon im Alter von 15 Jahren steigt er in das Unternehmen seines Vaters Isaac Mautner ein, bewahrt es infolge wirtschaftlicher Turbulenzen vor dem Ruin und formt daraus den größten Textilkonzern Europas. 1916 beschäftigt er in seinen 42 Betrieben 23.000 Arbeiter, stampft mit dem Industriekomplex Rosenberg/Ru Ïomberok die größte Fabrikanlage der Monarchie aus dem Boden, unterhält Handelsbeziehungen bis nach Asien und Südamerika und besitzt mehrere Hundert Millionen Kronen. Aus heutiger Sicht ein mehrfacher EuroMilliardär. Seine Frau Jenny Mautner führt indes einen der bedeutendsten Salons von Wien, wo, um nur einige der Gäste zu nennen, Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal oder Max Reinhardt verkehren. Von all dem sollte, wie die Geschichte erzählt, schließlich nicht mehr als eine Handvoll Staub übrig bleiben. Dem Historiker Wolfgang Hafer gelingt mit seinem Buch ein kaleidoskopisches Stück Geschichte, das zu fesseln versteht. Akribisch recherchiert und detailreich geschildert, liefert er tiefe Einblicke in das durch Assimilation gekennzeichnete jüdische Leben, die Welt des österreichischen Großbürgertums und vermittelt zugleich den vielfältigen und widersprüchlichen Zeitgeist des Fin de Siècle. Sein Werk führt auch weiter in jene Jahre, als, wie Robert Musil sagt, „im Mittelpunkt Europas, wo die alten Weltachsen sich schneiden“, der Vorhang der k. u. k. Monarchie langsam zu Boden fiel und die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts auch schon die Weichen für einen weiteren Krieg stellte. Einen Krieg, der die Welt in einen tiefschwarzen Abgrund riss, in dessen Ouvertüre sich „die“ vormalige Kunst- und Kulturmetropole Wien in ein albtraumhaftes Zentrum grausam zur Schau gestellten Antisemitismus verwandelte und dessen langer Arm des Terrors letztendlich auch an die Tür der „anderen Mautners“ klopfte. 23 Rückblick | Einblick | Ausblick Workshop: „Heimat ist …zu den persönlichen Heimat bildern und -konzepten im modernen Europa des 21. Jahrhunderts“ und Jeux Dramatiques mit der Theatergruppe der Lebenshilfe Stainach Im Rahmenprogramm zur Sonderausstellung „Wohnzimmer Steiermark – zusammen. vielfalt. leben“ wurde am 9. April 2015 in Kooperation mit der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus und im Beisein von Frau Landesrätin Bettina Vollath ein Workshop zum Thema „Heimat im Kontext von gelebter Vielfalt“ veranstaltet. Zum Auftakt des Abends trat im großen Lichthof von Schloss Trautenfels die Theatergruppe der Lebenshilfe Stainach auf. In der Form von Jeux Dramatiques vermittelten neun Klientinnen und Klienten der Lebenshilfe in berührender Weise das Thema Ausgrenzung und Integration. Die Leiterin der Lebenshilfe Stainach Edith Pfeifer und die Spielleiterin Gudrun Gruber begleiteten die Aufführung mit informativen Worten ein. Das anwesende Publikum, darunter auch die erste steirische Integrationslandesrätin, Dr.in Bettina Vollath, dankten den Akteurinnen und Akteuren mit anhaltendem Applaus. Theatergruppe der Lebenshilfe Stainach mit Dr.in Bettina Vollath, Landesrätin für Finanzen, Frauen und Integration, Gudrun Gruber (li), Spielleiterin und Edith Pfeifer (3. v. re), Leiterin der Lebenshilfe Stainach I Foto: H. P. Wildling 23. Steirischer Museumstag im Schloss Trautenfels in Kooperation mit dem Steirischen Museumsverband MUSIS Rund 100 Museumsfachleute fanden sich am 11. April im Schloss Trautenfels ein, um unter dem Generalthema „Museum für alle! Barrieren erkennen, vermeiden, beseitigen“ über den Abbau verschiedenster Hindernisse beim Museumsbesuch zu diskutieren. Ein Höhepunkt dieses Tages war der Sensibilisierungsworkshop mit dem Titel „Barrieren selbst erleben“. Die Teilnehmenden erkundeten das Schloss mit Rollstühlen und Sehbehinderungsbrillen, wodurch sie ein besseres Verständnis für die Beseitigung von Barrieren gewinnen konnten. Tenor der Vorträge: „Wir können nicht die ganze (Museums-) Welt barrierefrei machen aber grundsätzlich geht es uns um die „Barrierefreiheit im Herzen!“ Die Rollstühle wurden dankenswerterweise von der Gräfin Anna-Lamberg-Stiftung in Unterburg zur Verfügung gestellt. Der Gemeinde Stainach-Pürgg danken wir herzlich für die Unterstützung! Die Vortragende beim Sensibilisierungsworkshop, Frau DI Sarah Taucher, verteilt Sehbehinderungsbrillen I Foto: E. Reichenfelser Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz: DA SCHAU HER erhält sich aus Mitglieds- und Abonnementsbeiträgen, Förderungen sowie Spenden. Die Kassengebarung wird alljährlich bei der Generalversammlung des Vereins Schloss Trautenfels seinen Mitgliedern vorgelegt. Im Sinne der Vereinsstatuten dient DA SCHAU HER der Unterstützung kultureller Tätigkeiten und der Förderung heimatkundlicher Forschungen. Die von den Autorinnen und Autoren verfassten Texte sind inhaltlich Ansichten von Privatpersonen, die nicht der Auffassung der DA SCHAU HER Redaktion entsprechen müssen. Wir freuen uns immer über interessante Beiträge aus den Bereichen Kultur und Natur im Bezirk Liezen und angrenzenden Gebieten. Nehmen Sie bitte mit uns Kontakt auf oder senden Sie Ihren Bericht an den Verein Schloss Trautenfels, Email: [email protected], oder direkt an Wolfgang Otte, Email: [email protected]. Die Berichte sollten einen Umfang von vier A4-Seiten Text inklusive Fotos nicht überschreiten.
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