Gottesdienst vom 15.11.2015, EMK Solothurn Thema: gefunden Im zweiten Teil des heutigen Gottesdienstes haben Sie die Möglichkeit, sich salben zu lassen. Bei früheren Gelegenheiten habe ich schon verschiedene Aspekte beleuchtet, was das Gesalbt-Werden bedeuten kann. Heute versuche ich etwas darüber zu sagen, was in der Salbung mitschwingt, indem ich mit Ihnen über das Stichwort ‚gefunden‘ nachdenke. Zu diesem Thema ‚gefunden‘ gibt es in der Bibel ein ganzes Kapitel. In Lukas 15 finden wir ein Sammlung von drei Gleichnissen, in denen es um das ‚Gefunden-werden‘ geht. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf und das Gleichnis von der verlorenen Münze haben wir eben gehört, und dann gibt es noch das Gleichnis von den beiden verlorenen Söhnen. Da war ein Vater mit zwei Söhnen. Der Jüngere liess sich das Erbe ausbezahlen. Er führte eine Zeitlang ein ausschweifendes Leben, und dann landete er irgendwie auf der Gasse; als es ihm so schlecht ging, dass er sogar die Schweine um ihr Futter beneidete, da beschloss er, zurück zum Vater zu gehen. Er wollte ihn bitten, als Tagelöhner bei ihm arbeiten zu dürfen. Als der Vater schon von Ferne sah, dass sein Jüngster wieder kam, eilte er diesem entgegen, nahm ihn in die Arme, küsste ihn auf die Stirn. Der Sohn stammelte etwas davon, dass er nicht wert sei, sein Sohn zu heissen. Aber der Vater liess ihn gar nicht weiterreden, sondern begann ein Freudenfest zu organisieren. Er hatte sein Kind wieder gefunden! Als der Ältere vom Feld kam und von einem Knecht erfuhr, was da lief, blieb er zornig draussen stehen. Da kam sein Vater heraus und bat ihn zum Fest. Doch dieser erwiderte schroff: „Ha, für diesen Taugenichts machst du ein Fest? Aber dass ich immer hier war und geschuftet habe, ist ja selbstverständlich?!?“ Der Vater anerkannte: „Es stimmt! Du bist immer bei mir gewesen. Und schau: Alles, was mir gehört, gehört auch dir. Komm doch und freu dich, dass dein Bruder wieder hier ist.“ So unterschiedlich die drei Gleichnisse sind, es gibt auch einige auffallende Parallelen: Es geht jeweils etwas verloren, es macht sich jemand auf die Suche nach dem Verlorenen, das Verlorene wird wieder gefunden, und jedes Mal endet es mit einem Freudenfest. Wenn wir Jesus zuhören, merken wir schnell: Einerseits reden die Gleichnisse von Gott. In Christus ist Gott selbst gekommen, um das, was verloren ist, zu suchen, um dem Verlorenen entgegen zu eilen, um das Verlorene aufzuheben, um es in die Arme zu schliessen. Im Hirten, in der Frau, im Vater scheint Gott als derjenige durch, der das Verlorene sucht. Andererseits reden die Gleichnisse auch von Menschen. Das, was verloren geht, weist auf die Menschen. Ich möchte nun nicht auf das Thema zu reden kommen, ob Menschen ohne Gott nach dem Tod für ewig verloren sind. Mindestens heute gehe ich auf eine andere Dimension der Verlorenheit ein. Ich finde nämlich, dass Verlorenheit etwas anspricht, was wir auch als Glaubende sehr wohl kennen. Ich jedenfalls fühle mich oft verloren in meinem Leben. Ich glaube, dass es durchaus angemessen ist, die Verlorenheit aus Lukas 15 in verschiedenen Dimensionen zu sehen. Darum hat es ja drei Gleichnisse. Da gibt es das Schaf, das wohl einfach den guten Kräutern nachgeht und sich so ungewollt verirrt. Da gibt es die Münze, die gewiss ohne eigenes Zutun irgendwo reinrutscht und so verloren geht. Da ist der eine Sohn, der sich auf der Suche nach seinem Glück verliert, und da ist der andere Sohn, der nie etwas Falsches gemacht hat, aber in seiner Rechtschaffenheit seine Menschlichkeit verliert. Verlorenheit – das hat viele Dimension. Und mir scheint, dass dieses Wort 'verloren' vieles von dem ausdrückt, was heutige Menschen empfinden. Die Terrorakte am Freitagabend haben wohl uns alle erschüttert. Und wenn man sich die Bilder ansieht, dann hat man den Eindruck, dass die Menschen im Fussballstadion oder vor der Konzerthalle, irgendwie verloren herumstehen, und nicht nur, weil sie nicht wussten, wo sie hingehen konnten, um sicher nach Hause zu kommen, sondern auch, weil sie Ohnmacht spürten. Sie und vermutlich wir alle spürten etwas davon, wie wir der Boshaftigkeit dieser Fanatiker ein Stück weit ausgeliefert sind. Ich empfand durchaus etwas von der Verlorenheit der Betroffenen mit. Es ist nur allzu verständlich, dass wir uns vor diesen Verblendeten schützen wollen. Darum rufen wir nach Grenzzäunen und fordern, dass jemand diesem Terror ein Ende macht. Ich bin durchaus der Meinung, dass es Polizei und Armeen braucht, um den Terror zu bekämpfen. Aber zugleich sehen wir seit vielen Jahren, dass all die Versuche, Gewalt gewaltsam zu unterdrücken, scheitern. Statt Frieden und Freiheit bringen die Drohnen, Kampfhelikopter und Ausgrenzung Anarchie, Hass und Opferbereitschaft für terroristische Akte. Unmenschliche Attentate sind die Rache dafür, was auch schon als Rache gedacht war. Die Spirale der Gewalt und der Trauer dreht sich. Für Frieden braucht es noch ganz andere Ansätze und Bemühungen. Aber was genau? Hat irgendjemand eine Lösung für das Gewalt- und auch das Flüchtlingsproblem – eine Lösung, die nicht weitere Probleme schafft? Nein. Ehrlich gesagt: Im Blick auf die Konflikte unserer Welt spüre ich eine grosse Verlorenheit. Überfordert sind wir aber nicht nur im Blick auf Terror und Flüchtlingsströme. Regelmässig lesen wir in der Zeitung, wie immer mehr Menschen gestresst und überfordert sind und vielleicht sogar in ein Burnout geraten. Menschen in allen möglichen Lebenssituationen trifft es: Pflegekräfte, Lehrpersonen, Sozialarbeiterinnen, Polizisten, Hausfrauen, Pfarrpersonen oder auch immer mehr Jugendliche. Die Anforderungen und Belastungen geben das Gefühl, nicht genug gut zu sein oder es nicht gut genug zu machen. Und dieses Gefühl laugt uns aus. Man verliert dadurch die Lebensfreude, die Kraft, die Gesundheit, manchmal auch die Freunde, und auf eine gewisse Weise sich selber. Es gibt noch viele weitere Aspekte, warum wir uns manchmal verloren vorkommen. Auch wenn wir zum Beispiel einen nahen Angehörigen verlieren – da ist plötzlich nichts mehr wie es war. Uns fehlt die Gesprächspartnerin, wir müssen Aufgaben übernehmen, die wir noch nie gemacht haben, unsere Rolle in der Gesellschaft verändert sich, etc. Ja, wenn wir jemand verlieren, fühlen wir uns auch manchmal auch verloren. Ich will jetzt gar nicht mehr Lebensbereiche aufzählen. Sie haben vermutlich eine Vorstellung, was mit Verloren-Sein gemeint sein kann. Dass wir uns ein wenig oder vielleicht ganz fest verloren fühlen in unserer Welt mit ihren Entwicklungen/in unserem Leben mit seinen Herausforderungen - das kennen viele von uns. Auf unserer Suche nach Orientierung und Lösungen, nach Sinn und Halt, nach Akzeptanz und Wertschätzung, nach Heimat und Geborgenheit, da spüren wir manchmal etwas von Verlorenheit. Christus sagt: Ich bin gekommen, um die Verlorenen zu suchen. (Lk 19,10) In ihm hält Gott Ausschau nach uns, eilt uns Gott entgegen - und es ist ein Fest, wenn er uns findet. Ich meine nicht, dass sich durch den Glauben an Christus alle Probleme unseres Lebens und der ganz Welt einfach so in Luft auflösen, und nicht alle unsere Wünsche und Sehnsüchte werden erfüllt. Und dennoch wird alles anders: weil wir bei ihm eine Liebe erfahren, die uns so annimmt, wie wir sind; weil wir bei ihm merken, dass wir willkommen sind auch wenn wir uns wertlos fühlen; weil wir bei ihm Halt finden, wenn wir in den Stürmen des Lebens hin- und her geworfen werden; weil er unseren Herzen Frieden schenkt; und weil er so unsere Füsse auf den Weg des Friedens lenkt. Ich persönlich gebe es gerne zu: Ich bin und bleibe in vielen Fragen ein Verwirrter und Orientierungsloser. Ich bin und bleibe ein Suchender. Aber ich weiss: Ich bin gefunden. Mit all meiner Verlorenheit weiss ich mich in den Armen des Vaters. Wenn Jesus im Gleichnis erzählt, dass er für den heimgekehrten Sohn ein Fest veranstaltete, dann ist es wahrscheinlich, dass eine Salbung dazu gehörte. Zu einem Festmahl gehörte, dass das Haupt mit Freudenöl gesalbt wurde, so wie wir das auch im Psalm 23 lesen. Und vielleicht ist das heute der Grund, warum jemand sich salben lassen will – um etwas davon zu spüren, dass wir gefunden sind in aller Verlorenheit. Amen.
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