Meine verlorene Jugend Kriegsmemoiren Klaus-Werner Golenia Meine verlorene Jugend Kriegsmemoiren Klaus-Werner Golenia Impressum © 2014 Klaus-Werner Golenia Druck: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Cover und Gestaltung: Dr. Pascal Maurice Pollet Lektoren: Marlies Pollet, Andrea Pollet, Melanie Nägele Printed in Germany Vorwort Als ich meine Erinnerungen aus dem 2. Weltkrieg zu Papier brachte, näherte ich mich schon stark der Neunzig. Das ist heute keine Seltenheit mehr, denn viele packen da noch einige Jahre drauf. Wer aber Jahrgang 1923 ist, der hat in der Regel aufregende und erlebnisreiche Jahrzehnte hinter sich. Angefangen von der unsäglichen "Braunen Zeit" und dem daraus resultierenden 2. Weltkrieg, aber auch der schweren Zeit danach. In einem Gespräch in der Familie, in dem über den Krieg gesprochen wurde, machte ich die Bemerkung: "Ich könnte auch fast ein Buch darüber schreiben." Meine Tochter sagte spontan: "Ja, Papi, mach das doch mal, das wird bestimmt interessant." Die anderen unterstützten sie dabei. Kurz darauf las ich ein Buch, in dem ein Kriegsteilnehmer von seinen Erlebnissen erzählte. Ich dachte: "So gut könnte ich das auch, aber für ein ganzes Buch reicht das sicher nicht!" Trotzdem setzte ich mich eines Tages hin, holte die alte, schon wirklich betagte Schreibmaschine hervor und begann zu schreiben. Bald merkte ich, dass mir die Erinnerungen immer lebhafter zuflogen. Das führte dazu, dass ich zwar ziemlich flüssig geschrieben habe, aber vielleicht zu flüssig auf Kosten der Qualität, vor allem der fehlerfreien Qualität. Es ging mir manchmal gar nicht schnell genug, um die Gedanken in die 1 Tasten zu hauen. Ein versierter Maschinenschreiber bin ich ohnehin nicht. Ich habe aber mal gelesen, dass sogar berühmte Autoren oft im Original nicht fehlerfrei geschrieben haben. Das mag mir ein Trost sein und diejenigen, die das hier eventuell mal lesen, mögen mir großzügig verzeihen. Übrigens, wem mein Stil und die Fehler nicht gefallen, der muss ja nicht weiterlesen. Ich könnte mir denken, dass es einfacher ist, einen Roman zu schreiben, denn da kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen, sofern man genug davon hat. Persönliche Erlebnisse kann man nur schildern. Man muss nur aufpassen, dass man bei der Wahrheit bleibt. Ich habe es versucht. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich jemandem von meinen Kriegserlebnissen erzählen konnte. Die Menschen hatten in dieser turbulenten Nachkriegszeit andere Sorgen. Viele hatten selbst Angehörige‚ die den Krieg verwundet, verkrüppelt oder mit Glück und Gottes Segen überstanden hatten oder noch in russischer Gefangenschaft waren. Andere hatten Hab und Gut im Bombenhagel verloren und waren auch nicht an meinen Erlebnissen interessiert. Meiner Familie konnte ich auch nichts erzählen, denn die war weit weg, in einer verlorenen Heimat. 2 Lange hatte ich geglaubt, ich könnte alles Erlebte einfach verdrängen oder vergessen, aber es ist mir nicht gelungen. Nun, im fortgeschrittenen Alter mache ich den Versuch, es aufzuschreiben. 3 Mein Geburtsort und achtzehn schöne Jahre lang auch meine Heimat war die Industriestadt Hindenburg, die jetzt zwangsläufig einen polnischer Namen hat. Sie liegt im äußersten Zipfel Oberschlesiens. Wir wohnten also unweit der Grenze zu Polen. Trotzdem haben wir von dem Blitzkrieg, der sich im Nachbarland abspielte, kaum etwas bemerkt. Es gab einige Gerüchte, warum Polen überfallen wurde, aber wir mussten das glauben, was uns die Allmacht der staatlichen Propaganda verkündete. Am 1. September 1939 dröhnte die markante Stimme des "Führers" Adolf Hitler aus den "Volksempfängern", den Standardradios der Deutschen: "Ab sechs Uhr wird zurückgeschossen." Wer aber wirklich mit dem Schießen angefangen hat, ist meines Wissens nach nie geklärt worden. Dieser "Feldzug" war schnell beendet, denn die Polen hatten mit ihrer Kavallerie keine Chance gegen die deutschen Panzer und Flugzeuge. Er war aber der Beginn einer Katastrophe von ungeahntem Ausmaß. In der Folge wurde Dänemark kampflos überrumpelt. In Norwegen gab es mit Hilfe der Engländer eine erfolglose Gegenwehr. Die Franzosen verließen sich auf ihre Maginotlinie, die sie für unüberwindbar hielten. Mit einem großen Angriff der Deutschen hatten sie offenbar nicht gerechnet. Aber er kam doch mit drei kampfstarken Armeen, die einfach durch die kleineren Länder durch- 4 trampelten. Bald schon konnten die Deutschen den Champagner in Paris trinken. Für uns gab es nur drei Informationsquellen: die Tageszeitung, der staatlich zensierte Rundfunk und die Wochenschau im Kino. Hätten wir damals die Vielfalt der Medien von heute gehabt, dann wäre alles ganz anders gelaufen. Adolf Hitler wurde jetzt größenwahnsinnig und seine Generäle konnten oder wollten ihn nicht bremsen. Hätten sie das geschafft, dann wäre mein Leben ganz sicher anders verlaufen. Viel Schweres wäre mir erspart geblieben, aber ich bin doch sehr froh mit meinem Lebenslauf. Das war alles noch vor meiner Uniformzeit. Ich konnte mich immer wieder davor drücken, die braune Uniform der HJ (Hitler Jugend) anzuziehen. Erst nach polizeilichen Aufforderungen, zum "Dienst" zu erscheinen, ließ ich mich mal blicken. Aber dann kam doch eine braune Uniform auf mich zu, die ich nicht ablehnen konnte. Mit einem amtlichen Bescheid wurde ich aufgefordert, im Reichsarbeitsdienst-Lager (kurz RAD) in Bielitz am Rande der Beskiden (Polen) anzutreten. Das war zwar nicht sehr weit von zu Hause weg, aber mir gefiel die Nähe zu Auschwitz nicht. Diese Stadt hatte bekanntlich einen schlechten Ruf. Was da in einer gewissen Einrichtung wirklich geschah, habe ich nie genau erfahren. Es gab zwar viele Gerüchte, aber sie zu verbreiten war schon sehr gefährlich. 5 Das Lager war noch ziemlich neu. Die Baracken standen schon, und ein Platz für Appelle, Flaggenhissung, Exerzieren und Sport war angelegt. Nur die Verbindungswege waren noch schlammig. In weiser Voraussicht machte ich – und mit mir noch ein paar Neue – gründlich die Schuhe sauber, bevor wir die Anmeldebaracke betraten. Wir taten gut daran, denn der erste strenge Blick des Feldmeisters (den Dienstgrad erfuhr ich später) richtete sich direkt auf unsere Schuhe. Nach den Formalitäten in militärischer Tonart und einigen Verhaltensmaßregeln bekamen wir die Klamotten. Wir wurden von Kopf bis Fuß fabrikneu eingekleidet. Dann bekam ich einen Spaten in die Hand gedrückt. Nicht etwa ein Werkzeug, mit dem man ein Gemüsebeet bearbeitet! Oh nein. Mir wurde schnell klar, dass es sich hier um ein "Kultgerät" handelt. Das Spatenblatt auf Hochglanz poliert, aus hochwertigem, rostfreien Krupp-Stahl. Ich konnte mein verblüfftes Gesicht darauf wie in einem Spiegel sehen. Später sollte ich erleben, dass es für einen kleinen Fleck eine saftige Verwarnung gab. Bei der Wichtigkeit dieses "Superspatens" war es ganz klar, dass die erste Unterweisung ihm und seiner Pflege galt. Dann wurde intensiv der Spatengriff geübt. Dazu muss gesagt werden, dass es beim RAD eine vormilitärische Ausbildung gab, allerdings ohne Waffen. An die Stelle des Karabiners trat der Spaten. Beim Üben des Spatengriffs höre ich jetzt noch den Oberfeldmeister brüllen: "Ihr müsst so zuschlagen, dass ihr Sägemehl in den Pfoten habt." (natürlich ohne Handschuhe bei der grimmigen Kälte). 6 Vor dem ersten Appell wurde fleißig exerziert. Immer wieder und immer wieder, bis es klappte. So standen wir dann am nächsten Morgen exakt in Reih und Glied mit Spaten bei Fuß. Ein eiskalter Wind fegte über den Platz. Es kam das Kommando: "Stillgestanden!". Die Augen gerade aus und dann, schön langgezogen "Deeeen Spateeeen präsentiert." Dann flogen die blanken Scheiben auf Augenhöhe. Ein kurzer, schneller Drehgriff am Stielende und sie drehten sich in eine andere Richtung. Wenn die Sonne schon da war, da ging es wie ein Blitz durch die Reihen. Inzwischen wurde das rote Tuch mit dem Hakenkreuz hochgezogen und ich hatte den Eindruck, dass das besonders langsam gemacht wurde. Ob wegen der Feierlichkeit der Zeremonie oder um uns zu ärgern? Ich weiß es nicht. Ich konnte es auf jeden Fall kaum erwarten bis der "Lappen", wie wir ihn insgeheim respektlos nannten, endlich oben angekommen war, denn mir fielen fast die Finger ab. Neben dem Exerzieren gab es auch eine sportliche Leibeserziehung, wie das damals genannt wurde. Zum Beispiel Kniebeugen mit vorgehaltenem Spaten auf ausgestreckten Armen. Es wurde auch viel gelaufen, wobei man sich bei der Kälte ja etwas aufwärmen konnte. Eines Morgens hatte der Ausbilder wieder die Idee, uns durch die Gegend zu scheuchen. Dann muss ihn der Teufel geritten haben, denn er jagte uns durch einen Fluss. Das Wasser ging bis an die Oberschenkel. Damit aber nicht genug, denn der Lauf ging weiter. Die Hosenbeine 7 wurden steif wie ein Brett und schlugen mir um die eigenen Beine. Das Ende der Geschichte war ein überfülltes Krankenrevier. Mich hatte es auch erwischt, und meine Kniegelenke haben mich Jahre danach daran erinnert. Einer von uns hatte so große Sehnsucht nach seinen Skatbrüdern, dass er am Abend ausbüchste. Leider ist das aufgefallen mit der Folge, dass das ganze Krankenrevier restlos geräumt wurde, ohne Rücksicht auf den Gesundheitszustand. An meinem 18. Geburtstag bekam ich am Nachmittag freien Ausgang. Das war mal eine Gelegenheit, die Ausgehuniform anzuziehen. Die war zwar absolut nicht nach meinem Geschmack in dieser scheußlichschmutzigbraunen Farbe, aber braun war ja in diesen einschlägigen Kreisen in allen Schattierungen gefragt. Ich schlenderte gemütlich durch das Dorf, das aber nichts Besonderes zu bieten hatte. Die Bauernhöfe standen weit auseinander. In einer Art Ortsmitte stand eine kleine Kirche und ein Gasthaus, das eigentlich recht einladend aussah und in dem es bestimmt gemütlich warm war. Ich ging hinein, und das war das erste Mal, dass ich ohne Begleitung eines Erwachsenen eine Gastwirtschaft betreten habe. Nein nein, das ist ganz bestimmt kein Witz! Bei einem großen Glas Bier feierte ich meinen Geburtstag. Wenn ich heute daran zurückdenke, dann kommt mir richtig zu Bewusstsein, wie schön und locker es in der jetzigen 8 Jugend zugeht. Vielleicht ein wenig zu locker, denn geschadet hat uns die damalige Strenge nicht. Gearbeitet wurde beim RAD auch. Sonst wäre es ja kein Arbeitsdienst gewesen. In einer Ziegelei – etwa 2 km entfernt – holten wir in Kipploren Schotter für die Befestigung der Lagerwege ab. Im Moment hätten wir das nicht gebraucht, denn der ganze Matsch war steinhart gefroren, aber wir mussten ja für das nächste Tauwetter vorsorgen. Es ging eine kleine Anhöhe hinauf, und wir mussten die Loren mit eigener Körperkraft bewegen, weil es dafür keine Lok gab. Ich habe das als Kombination von Sport und Arbeit angesehen. In langen Unterrichtsstunden wurden die Errungenschaften des Nationalsozialismus gepriesen. Dabei wurde natürlich die Person und die Rolle des "Führers" besonders hervorgehoben. Einmal bekamen wir Besuch eines NS-Kreisleiters, der mehr zu sagen hatte als ein Landrat. Er löcherte uns mit Fragen, ob wir mit Diesem und Jenem zufrieden sind. Mich fragte er, ob das Essen gut ist. In Erinnerung an das Essen bei meiner Mutter sagte ich unüberlegt: "Na ja, es geht so." Oh weh, da hatte ich aber schwer ins Fettnäpfchen getreten und mir später einen dicken Anpfiff eingehandelt! Weil ich noch nie ein Weichling war, habe ich die Zeit im RAD im Allgemeinen ganz gut überstanden. Dabei half mir meine Diplomatie im Bestreben, alles nach Möglichkeit gut und richtig zu machen. 9 Entlassen wurden wir mit kernigen Reden, dem sogenannten "Horst-Wessel-Lied" (einer Parteihymne), mit ausgestrecktem rechten Arm und dem berühmten Spatengriff. Dann ging es zurück in das zivile Leben. Das sollte nicht von langer Dauer sein, denn die Zeit bis zur nächsten Uniform war ziemlich kurz. Ich traf mich mit Schulkameraden, die noch zu Hause waren. Wir erzählten und lachten über unsere, im Allgemeinen doch recht harmlosen Jugendstreiche und die Marotten einiger Lehrer. Ein paar Jungens aus der katholischen Jugendgruppe waren auch noch da. Wir schwelgten in Erinnerungen an die schönen Heimabende, die hinter verschlossenen Türen stattfanden, weil solche Zusammenkünfte verboten waren. In einer Kirche waren sie erlaubt. Es konnte Probleme geben, wenn der Klassenlehrer Parteigenosse war. Als Zehnjähriger musste ich mal zur Polizei. Der Beamte fragte mich lange aus, was wir denn so in der Gruppe machen (wahrscheinlich wurden wir verraten). Ich sagte nur, dass wir gerne wandern und er meinte, das könnte ich doch auch in der HJ machen. "Ja, schon" sagte ich, "aber wir sind halt nur so ein paar alte Kumpels." Zurück zu den Erinnerungen, die wir wieder lebendig machten. Die Nächte im duftenden Heu. Die selbstgekochte, allzeit beliebte Erbsensuppe, manchmal verfeinert mit Gemüse, das eine Bauersfrau uns spendierte. Die Geländespiele und das abendliche prasselnde Lagerfeuer, wo wir die alten, schönen Wanderlieder sangen. 10 Wir redeten viel über die Vergangenheit, nur nicht über die Zukunft, denn vor der stand für jeden von uns ein großes Fragezeichen. Der erste Schritt in die unbekannte Zukunft kam schnell. Ein Freund, der schon Soldat war, gab mir den Tipp: "Eingezogen wirst du in jedem Falle. Melde dich schnell freiwillig, dann hast du die Chance, dass du dir den Truppenteil aussuchen kannst." Schön und gut, aber wohin wollte ich denn eigentlich? Luftwaffe? Wahrscheinlich keine Aussichten. Marine? Zu weit weg. Infanterie? Zu Fuß, mit Sturmgepäck und Karabiner? Nicht erstrebenswert. Aber wie wäre es mit den Panzern? Da kannst du fahren oder wirst gefahren und die Ausbildung könnte eventuell in Sagan sein, und das war nicht gar so weit weg. Sagan, eine lebhafte Kreisstadt in Niederschlesien, an einer wichtigen Verkehrsader zwischen Berlin und dem Oberschlesischen Industriegebiet. Das könnte günstig sein für eine Fahrt in den Urlaub. Man muss praktisch denken. Es hat dann tatsächlich ganz schnell geklappt, und ich bekam die Einberufung zu Panzer 15 in Sagan. Die Kaserne machte einen guten Eindruck. Kein vergammelter Bau, noch aus der Reichswehrzeit, sondern helle, freundliche Gebäude mit einer großen Grünanlage davor. Offenbar erst im "Tausendjährigen Reich" gebaut. Dass der Aufenthalt hier nicht von langer Dauer sein würde, war mir von vornherein klar. 11 Die Grundausbildung war hart, für manche Rekruten zu hart, denn wer verwöhnt und verweichlicht aufgezogen wurde, der hatte einige Probleme. Das Tagesthema war: " Wir werden euch die Hammelbeine schon langziehn." Ich kam ganz gut über die Runden, auch wenn ich nicht dem Idealbild des "Führers" entsprach, der einmal in einer seiner kernigen Reden, lautstark wie immer, gesagt hat: "Der deutsche Junge muss hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und schnell wie ein Windhund sein." Ob das auch für ihn zutraf, wage ich zu bezweifeln. Mit meinem Ausbilder-Unteroffizier verstand ich mich gut. Ich hatte irgendwie bei ihm ein Stein im Brett. Er wollte unbedingt, dass ich einen ROB-Lehrgang mache (ROB = Reserve Offiziers Bewerber). Ich wollte nicht. Als meine Mutter mich einmal besuchte, spitzte er sogar sie an, mich zu überreden. Ich glaubte, ich wäre noch zu jung und unerfahren, um als blutjunger Leutnant altgediente "Landser" zu kommandieren. Der Ausbildungs-Feldwebel war auch in Ordnung. Er nahm uns zwar eine Weile hart ran, dann aber suchte er im Gelände eine Senke, die nicht gut einzusehen war. Dort hockten wir im Kreis und erzählten Witze. Aber es gab auch ein paar "Oberschnäpser" (Obergefreite), die sich als die Herren der Welt aufspielten. Raue, ungehobelte und ungebildete Kerle, die jede Gelegenheit benutzten, um die 12 Rekruten zu schikanieren. Das Klo mit der Zahnbürste putzen, war noch harmlos. Einmal hatten wir in der Nachbarstube einen Bettnässer. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas auch unter Erwachsenen gibt. Der arme Kerl wurde in der Badehose vor die Tür gestellt, mit langstieligen Bürsten von oben bis unten abgeschrubbt und musste dann in Begleitung seiner Stubenkameraden durch das Areal marschieren und dabei lautstark rufen: "Ich bin das größte Schwein des zwanzigsten Jahrhunderts." Beliebt bei den Ausbildern war auch der "Maskenball". Nein, nein, das war keine Tanzveranstaltung, sondern eine Schnelligkeitsübung. Die Rekruten standen draußen angetreten, da kam das Kommando: "Alle Mann in fünf Minuten hier in der Ausgehuniform." Da flitzten die Rekruten in Richtung Tür, und wer weiter oben wohnte, hatte Pech. Wieder unten in Reih und Glied kamen dann in der Folge die nächsten Kommandos: "In fünf Minuten hier im Drillichanzug", "in fünf Minuten hier im Dienstanzug", "in fünf Minuten hier im Turnanzug" usw., usw... In den Stuben wurde zwischenzeitlich kontrolliert, ob kein Kleidungsstück herumlag und die Spinde abgeschlossen waren. Sonst wurde alles durch das Fenster geworfen. Bei einer Feldübung hangelten wir auf einem von Baum zu Baum gespannten Seil über einen kleinen Fluss. Einer weigerte sich und blieb auf einem Ast sitzen. Da halfen keine drohenden Befehle. Er hatte einfach Angst. Als die Übung zu Ende 13 war, saß er immer noch auf dem Ast. Ein Posten wurde aufgestellt, aber irgendwann hat er bestimmt gemerkt, dass man im Bett besser schläft. Mit meinen Stubenkameraden hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Ich bin von Natur aus ein friedlicher Mensch und mag keine Streitigkeiten. Unser Motto war: Einer für alle, alle für einen. Als ich das erste Mal Stubendienst hatte, war an diesem Tag der UVD (Unteroffizier-Vom-Dienst) als besonders "scharfer Hund" bekannt. Wenn er Staub finden wollte, dann fand er ihn auch und schmierte ihn dem Stubendienst ins Gesicht. Dieser musste ihm dann folgen, und je weiter der UVD kam, umso länger wurde die Karawane hinter ihm. Wir hatten im Großeinsatz jede Ecke in der Stube staubfrei gemacht, und tatsächlich fand der UVD nichts. Sein letzter Blick fiel noch auf die künstlichen Blumen auf dem Tisch. Da steckte er seinen langen Finger in den Tulpenkelch, und schon kam die Frage: "Und was ist das?" Ich sagte geistesgegenwärtig: "Blütenstaub, Herr Unteroffizier." Er konnte sich ein Grinsen doch nicht verkneifen und zog mit seiner Karawane ab. Im Umgang mit Vorgesetzten hatte ich mir zwei Regeln zurecht gelegt: Erstens: tue recht und scheue niemand. Zweitens: niemals auffallen. Vor allem nicht negativ und nicht zu oft positiv. Ich bin damit immer gut gefahren. Einmal wurde ich zum Spieß zitiert. Das bedeutete im Allgemeinen nichts Gutes, aber es lief ganz anders. Hauptfeldwebel Vetter (einer der wenigen Namen, die ich behalten habe) 14 war eine strenge, aber gerechte "Mutter der Kompanie". Ein echter Soldat von altem Schrot und Korn. Ich werde eine Begebenheit nie vergessen: Die Kompanie war zum Morgenappell angetreten. Es war der Tag, an dem der uralte traditionelle militärische Gruß, mit Handanlegen an Mütze oder Helm, abgeschafft und durch den so genannten "Hitlergruß" mit ausgestrecktem Arm ersetzt wurde. Ich habe den Spieß bei der Meldung an den Kompaniechef beobachtet und sah, wie er mit verbissenem Gesicht zögernd den Arm hob, in Kopfhöhe dann stockte, bevor er ihn ausstreckte. So viel zum Verhältnis zwischen Militär und Partei. Der Hauptfeldwebel empfing mich nicht unfreundlich mit den Worten "Wer sind Sie denn? Sie sind mir ja noch nie aufgefallen." Dann eröffnete er mir, dass ich vom Panzerschützen zum Panzeroberschütze befördert und zum Hilfsausbilder ernannt wurde. Welche Ehre! Auf dem Ärmel prangte dann bald ein kleiner weißer Stern. Es war mir klar, dass wir uns nun bald von Sagan verabschieden werden. Die Frage war nur, wohin wir verlegt werden, und da kam ja wohl nur der Osten infrage, denn dort tobte der Krieg. Gerüchte waren genug im Umlauf. In der Soldatensprache hießen sie "Scheisshausparolen". Zunächst aber gab es nach dem preußischen Drill die technische Ausbildung, denn wir waren ja schließlich ein Panzerregiment. 15 Also ran an die Stahlkarossen, an die Kanone, an das Maschinengewehr und an das Funkgerät. Hundert Handgriffe müssen geübt werden, damit es im Ernstfall auch klappt. Die künftigen Panzerfahrer bekamen eine Sonderausbildung, denn ein Panzer fährt sich ganz anders als ein Auto. Ich wurde auch zu einer Fahrschule kommandiert, aber für PKW und Krad. Krad war beim Militär die Abkürzung für Kraftrad, oder Motorrad. Mir war das sehr recht, denn einen Führerschein kann man ja immer gebrauchen. Allerdings hatte ich wenig Lust, mal irgendeinen Offizier durch die Gegend zu kutschieren. Das Krad aber war verlockend, denn davon versprach ich mir mehr Bewegungsfreiheit, und die sollte ich später als Kradmelder auch reichlich bekommen. Die Ausbildung wurde mit einem großen Appell abgeschlossen. Es gab Lob und es gab Kritik und es gab vor allem hehre Worte über die Aufgabe eines deutschen Soldaten, seine große Pflicht, die Heimat zu beschützen und seine Opferbereitschaft, sein Leben hinzugeben für Führer, Volk und Vaterland. Ganz ehrlich, ich habe nur mit halbem Ohr zugehört, denn ich war in Gedanken schon im Urlaub, den wir jetzt kriegen sollten. Der Urlaub kam und es war sehr schön, wieder mal im Elternhaus zu sein und mit der kleinen Schwester zu spielen. Der ältere Bruder war schon länger Soldat und schlug sich irgendwo im Balkan mit Partisanen herum. Ich traf wieder ein paar 16 Freunde, die auch im Urlaub waren, und wir flanierten wie in früheren Zeiten durch die Stadt. Ich gebe es zu, etwas Eitelkeit war auch dabei, denn in meiner schwarzen Panzeruniform hob ich mich von den vielen "Feldgrauen” ab. Geärgert hat es mich nur, wenn Unwissende mich wegen der schwarzen Uniform mit der SS verwechselten, mit der wir ja absolut nichts zu tun hatten. In Sagan saßen wir dann wie auf glühenden Kohlen, denn keiner wusste, wie es jetzt weiter geht. Der Marschbefehl kam dann ganz plötzlich und das war typisch für die Wehrmacht, wahrscheinlich aus taktischen Gründen. Dann ging alles sehr schnell. Die Fahrzeuge wurden auf die Bahn verladen und das Marschgepäck fertig gemacht. Als der Zug sich in Bewegung setzte, stellte ich erstaunt fest, dass er nicht in Richtung Osten, sondern nach Westen fuhr. Ich dachte, vielleicht geht es erst zu einem größeren Bahnhof, wo wir mit anderen Einheiten zusammengestellt werden. Aber es ging tatsächlich immer weiter nach Westen, wie ich aus den Bahnhofschildern deutlich entnehmen konnte. Als der Zug dann über eine stählerne Rheinbrücke donnerte, gab es keinen Zweifel mehr: wir fuhren nach Frankreich. Aber was sollten wir im besetzten Frankreich? Ich nahm an, dass wir eine andere Einheit ablösen sollten, die woanders hin versetzt wurde. In Lyon gab es einen Stopp. Die Panzer blieben auf den Waggons: Abgeladen wurden nur die Feldküche und Proviant17 fahrzeuge, sowie die Kübelwagen und auch mein Krad (denn nun wurde ich zum Kradmelder). Das deutete darauf hin, dass unser Aufenthalt hier nicht sehr lang sein wird. Ich habe damals leider kein Tagebuch geführt, aber einiges in Notizen festgehalten, die danach in der Gefangenschaft und später durch Diebstahl verloren gegangen sind. So zum Beispiel auch Ortsnamen. Ich weiß also nicht mehr, wie das Dorf in der Nähe von Lyon hieß, in dem wir untergebracht wurden. Die Gruppe, der ich angehörte, wurde in einem romantischen kleinen Chateau einquartiert. Das lag in einer ausgedehnten Weinbauplantage. Ich weiß nicht, wie ich das sonst bezeichnen kann, denn so etwas bekam ich zum ersten Mal in Natura zu sehen. Ein paar Jahre später lernte ich dann die Weinberge und Steillagen am Rhein und an der Mosel kennen, wo die Bodenbearbeitung meistens noch mit eigener Körperkraft gemacht wurde. Hier standen die knorrigen Weinstöcke in fast endlosen Reihen in einer sanfthügeligen Landschaft so weit auseinander, dass man mit einem Pferd arbeiten konnte. Der Hausherr und Weingutsbesitzer und seine Frau waren freundliche, umgängliche Leute, obwohl sie sicher nicht sehr erfreut über die Einquartierung der feindlichen Soldaten waren. Zu der Familie gehörte auch eine hübsche Mademoiselle, die sich aber aus verständlichen Gründen sehr reserviert verhielt. Ich hatte jetzt das, was ich mir ja gewünscht hatte: ich war Kradmelder und viel unterwegs, denn wir hatten ja keine Telefone, und die Verbindungen zum Stab in Lyon und zu anderen Einheiten musste aufrecht erhalten bleiben. Auf diese Weise 18 lernte ich viel von der schönen Umgebung kennen. Dass wir uns davon bald verabschieden müssen, war klar. Am vorletzten Abend gab es eine große Überraschung. Der Hausherr hatte einen großen Kessel mit duftendem Rotwein auf den Hof vor dem Chateau gestellt, und wir schöpften unbekümmert das köstliche Getränk mit den Bechern der Feldflaschen. Wir kannten ja die Macht des Weines nicht, denn wo wir herkamen, wurde in der damaligen Zeit selten Wein getrunken. Die meisten hatten noch nie welchen getrunken. Mir war er jedenfalls gut bekommen. Auf jeden Fall war diese Geste der Gastfreundschaft sehr bemerkenswert. Vielleicht war es auch eine Anerkennung dafür, dass wir uns ohne Ausnahme gut benommen hatten. Adieu, schönes Rhônetal. Ich werde dich in guter Erinnerung behalten. Ich hatte mir in Lyon eine Landkarte gekauft und konnte, auch wieder mit Hilfe der Bahnhöfe, die Strecke verfolgen. Es ging in Richtung Südwest über St. Etienne, die Provence, Montpellier, wo das Mittelmeer nur zehn Kilometer entfernt ist, dann an Carcassonne vorbei, wo von der historischen Oberstadt 53 Wehrtürme in das Land grüßen. Natürlich habe ich solche Details damals noch nicht gewusst, denn ich habe erst nach mehr als fünfzig Jahren diese Gegend richtig kennengelernt. Hinter Toulouse sickerte es langsam durch, dass unser Zielort Biarritz ist. 19 Ich freute mich riesig auf Biarritz am Atlantik, dieses "feudale Seebad von internationalem Rang" wie ich irgendwo einmal gelesen hatte. Der erste Eindruck war schon vielversprechend. Die prächtige Kulisse der Stadt mit der Strandpromenade und dem langgestreckten feinsandigen Strand, den palastartigen Hotels und vor allem dem unendlichen Meer, in dessen Blau sich die weiße Gischt mischte, wenn die Wellen sich brachen oder wenn sie mit Gewalt gegen die bizarren Felsformationen krachten, die in der Nähe aus dem Wasser ragen. Immer wieder ein schönes Schauspiel. Einquartiert wurden wir in einem Dorf oberhalb von Biarritz. Hier hatten wir herrliche Aussichten. Auf der einen Seite die steil aufragenden Berge der Pyrenäen, auf der anderen Seite der unendlich blaue Atlantik, so weit das Auge reichte. Der Dienst, den wir natürlich machen mussten, nahm uns nicht besonders stark in Anspruch. Er beschränkte sich vor allem auf die Fahrzeug-, Geräte- und Waffenpflege. Daneben gab es Schulungen zu militärischen und politischen Themen, sowie einen kleinen Französischkurs für die wichtigsten Begriffe. Außerdem gab es noch sportliche Betätigungen. Ich habe sogar Tennisspielen gelernt. Der Rest war Freizeit. An einem Sonntagmorgen wurde ich von den Glocken der nahen Dorfkirche geweckt und ich hatte richtig Lust wieder mal in die Kirche zu gehen. Dazu überredete ich noch einen Kameraden. Eigentlich war es Vorschrift, dass wir uns nur in Gruppen mit mindestens drei Soldaten bewegen durften, we20 gen der Resistance, die wir aber bisher noch nie bemerkt hatten. Aber was sollte uns schon in der Kirche passieren? Die Leute schauten uns zwar erstaunt, aber nicht unfreundlich an und machten uns Platz. Wir wurden verraten, und das Gewitter, das dann über uns hereinbrach, dröhnte mir noch lange in den Ohren. Der Spieß (nicht mehr der von Sagan) brüllte uns an: "Wie können Sie es wagen, hier in die Kirche zu gehen und sich die Hetzreden vom Pfarrer über Deutschland anzuhören? Das war eine grobe Verfehlung, die sich in keinem Fall wiederholen darf." Die Möglichkeit einer Verteidigung hatten wir nicht. Zufällig war um diese Zeit in unserer Einheit ein NSFO tätig (ein National-Sozialistischer-Führungs-Offizier). Also ein Spion, der die politische Gesinnung der Soldaten kontrollierte. Er machte uns sehr lautstark klar, dass unser Verhalten einem Verrat an Führer, Volk und Vaterland gleichkäme. Den Spruch hatte ich doch schon mal gehört? Am schönsten und interessantesten waren die Ausflüge. Wir besuchten Bayonne, die historische Festungsstadt mit dem großen Seehafen. Wir fuhren mit einer Zahnradbahn hinauf auf den Le Run und schauten von dort hinunter nach Spanien. Besonders schön war die Fahrt in den äußersten südwestlichen Zipfel Frankreichs, wo wir die Seebäder St. Jean de Luz und Hendaye besuchten. Beides sehenswerte Orte mit herrlichen Stränden. Hier geht der Golfe de Gascogne in die spanische Biskaya über. 21 Wir durften nicht alleine im Meer baden. In Biarritz gab es dafür feste Zeiten, in denen ein Strandabschnitt für Zivilisten gesperrt wurde. Es war immer ein herrliches Vergnügen. Einmal war ich mit meinem Freund Hans weit rausgeschwommen, und wir haben uns dann mit den hohen anrollenden Wellen zurücktragen lassen. Ein paar Mal wiederholten wir dieses Spiel und warfen uns dann in den warmen Sand. Nach einer Weile stieß ich Hans an: "Schläfst du?" "Nein, ich träume mit offenen Augen. Und was machst du?" "Ich denke nach." "O là là, bist du unter die Philosophen gegangen?" "Nein, das nicht gerade, aber es geht mir so durch den Kopf, ob wir nicht eigentlich ein schlechtes Gewissen haben müssten." "Ein schlechtes Gewissen? Wie kommst du denn darauf?" "Na ja, wir liegen hier so faul herum, genießen das schöne Leben, wie im tiefsten Frieden und weit ab vom Krieg, während in Russland unsere Landser in schwere Gefechte verwickelt sind." 22 "Stimmt. Aber wir haben diesen verdammten Krieg ja nicht gemacht, und ich wollte ihn sowieso nicht." "Ich hätte auch gern darauf verzichtet." "Na also. Wir wissen doch gar nicht, was uns noch bevorsteht, denn der Krieg ist bestimmt noch lange nicht aus. Vielleicht landen wir auch noch als frisch ausgeruhtes Kanonenfutter auf irgendeinem Kriegsschauplatz. Lange bleiben wir sicher nicht mehr hier." Womit er recht haben sollte. Der Abschied ist mir richtig schwer gefallen, aber so etwas gehört nun mal zu einem Soldatenleben im Krieg. Allerdings gab es später Orte, von denen ich mich sehr gerne verabschiedet habe. Orte, an denen ich die Härte des Krieges zu spüren bekam. Dreiundfünfzig Jahre später gab es ein Wiedersehen mit Biarritz. Wir, meine Frau und ich, waren ein paar Tage in Lourdes, dem größten Wallfahrtsort der Welt, und benutzten einen Tag für einem Ausflug nach Biarritz. Ich wollte meiner Frau doch unbedingt zeigen, wo ich als Soldat eine schöne Zeit verlebte. Es hatte sich dort kaum etwas verändert. Nun kamen zu den alten Erinnerungen und den Schwarzweißfotos von damals noch einmal die schönen Eindrücke und ein farbenfroher Videofilm hinzu, auch von der Umgebung. Was kommt jetzt auf uns zu? Wohin geht diese Reise? Das war die bange Frage, die uns alle beschäftigte, als der Zug sich 23 in Bewegung setzte. Zunächst war es die gleiche Strecke, auf der wir auch hergekommen waren. Doch dann bog der Zug nicht, wie ich eigentlich erwartet hatte, nach Norden ab, sondern behielt die östliche Richtung bei. Großes Rätselraten! Geht es vielleicht in Richtung Balkan? Dort machte Marschall Tito mit seinen Partisanen der deutschen Besatzung große Schwierigkeiten. Aber für diese Annahme war es noch zu früh. Zunächst ging es vorbei an Marseille, dem größten Mittelmeerhafen Frankreichs. Dann passierten wir Toulon, den französischen Kriegshafen, den die Deutschen unbrauchbar gemacht hatten. Als ich viel später mal Toulon besuchte, schloss ich mich der Meinung der Franzosen an, dass der Wiederaufbau der zerstörten Hafenzeile keine architektonische Meisterleitung war. Als Transportzug für Kriegsmaterial bewegten wir uns überwiegend auf Nebenstrecken. Wahrscheinlich wollte man die Hauptverkehrsstrecken damit nicht belasten. Das hatte für uns den Vorteil, dass wir meistens durch eine schöne und abwechslungsreiche Landschaft fuhren. Im Vorbeifahren las ich auf einem Straßenschild: St. Tropez 60 km. Von diesem beliebten Seebad hatte ich doch auch schon mal was gehört? Meiner Karte nach näherten wir uns der französischen Riviera. Bald schon lag die schöne Stadt Cannes vor uns. In diesem mondänen Seebad und Winterkurort gab es leider keinen Halt. Etwas hat sich aber in mein Gedächtnis geprägt und das waren die roten bizarren Felsformationen im tiefblauen Meer, von der Sonne angestrahlt. Ein unvergessenes Bild. 24 Ein paar Jahre vorher hatte ich in der damaligen "Illustrierten Zeitung", die im Friseurgeschäft meines Onkels auslag, ein paar Bilder von Cannes, Nizza und Monte Carlo gesehen. Als eifriger Leser von vielen Reiseerzählungen hatte ich mich auch dort über diese Gegend informiert. Außerdem hatte ich einen oder auch zwei Filme gesehen, die dort gedreht wurden. Natürlich alles in schwarzweiß. Die Realität in der farbenprächtigen Vielfalt sah ganz anders aus und war für mich ein großes Erlebnis. In Nizza wurde der Zug auf ein totes Gleis gefahren, denn die Lok brauchte Wasser und Kohlen. Außerdem musste eine Reparatur gemacht werden. Mit großer Freude begrüßten wir den Beschluss des Kompaniechefs, uns einen Landausgang in der Stadt zu genehmigen. Schon in Biarritz war mir aufgefallen – und hier merkte man es noch mehr – dass verhältnismäßig wenig Gäste und Touristen zu sehen waren, besonders hier in den Hochburgen, wo sich doch immer die Reichen und Schönen, die sogenannte Haute Volée, ein Stelldichein gaben. Dafür waren jetzt mehr deutsche Militärangehörige zu sehen, in allen Uniformfarben: feldgrau, dunkelblau, grau-blau, und nun mischten wir uns noch in schwarz dazwischen. Luxuskarossen sah ich selten, dafür aber reichlich Militärfahrzeuge. Frankreich war zwar nicht mehr im Kriegszustand, aber durch die deutsche Besatzung machte sich doch eine gewisse 25 Ende der Leseprobe von: Meine verlorene Jugend - Kriegsmemoiren Klaus-Werner Golenia, Pascal Pollet Hat Ihnen die Leseprobe gefallen? Das komplette Buch können Sie bestellen unter: http://epub.li/1TpeqT2
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